Porphyromonas gingivalis

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Porphyromonas gingivalis

Porphyromonas gingivalis

Systematik
Abteilung: Bacteroidetes
Klasse: Bacteroidia
Ordnung: Bacteroidales
Familie: Porphyromonadaceae
Gattung: Porphyromonas
Art: Porphyromonas gingivalis
Wissenschaftlicher Name
Porphyromonas gingivalis
(Coykendall et al. 1980) Shah & Collins 1988

Porphyromonas gingivalis (P. g.; frühere Bezeichnung: Bacteroides gingivalis) ist der Markerkeim für schwere und aggressive Formen der Parodontitis und damit für den Verlust von Zähnen verantwortlich. Es kommt fast ausschließlich in tiefen Parodontaltaschen vor,[1] jedoch auch im oberen Verdauungstrakt, im Atemtrakt und im Colon. Es konnte auch aus der Vagina bei bakterieller Vaginose isoliert werden. Ebenso wird seine Mitwirkung bei kardiovaskulären und anderen systemischen Erkrankungen diskutiert.[2]

Der Keim gehört zusammen mit Tannerella forsythia und Treponema denticola zum sogenannten „roten Komplex“,[3] deren Auftreten fast immer mit erheblicher Entzündung, beträchtlichen Taschentiefen, Blutungen und Attachmentverlust, einer Zerstörung des Zahnhalteapparats, verbunden ist.[4]

P. gingivalis ist ein kurzer, unbeweglicher, gramnegativer, anaerober Bazillus aus der Familie der Porphyromonadaceae. Auf Blutagar bildet Porphyromonas gingivalis kleine braune bis schwarze Kolonien.

Genomanalyse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die vollständige 2.343.479-bp-Genomsequenz des Bakteriums wurde 2003 entschlüsselt. Die Genomanalyse des Stammes W83[5] zeigt eine Reihe von Virulenzdeterminanten, zu denen mindestens sechs mutmaßliche Hämagglutinin-ähnliche Gene und 36 zuvor nicht identifizierte Peptidasen gehören. Die Genomanalyse zeigt auch, dass Porphyromonas gingivalis eine Reihe von Aminosäuren metabolisiert und eine Reihe von metabolischen Endprodukten erzeugen kann, die für den menschlichen Wirt beziehungsweise menschliches Zahnfleischgewebe toxisch sind, was bestätigt hat, dass es an der Entwicklung von Parodontalerkrankungen beteiligt ist.[6]

Virulenzfaktoren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu den wichtigsten Virulenzfaktoren von Porphyromonas gingivalis zählen Gingipaine, das Kapselpolysaccharid und Pili (Fimbrien).

Gingipain[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gingipaine sind Proteasen, die von P. gingivalis sezerniert werden, speziell Arg-Gingipain (Gingipain-R, RGP) und Lys-Gingipain (Gingipain-K, KGP). Neben anderen Funktionen bauen sie Zytokine ab, wodurch die Wirtsantwort in Form einer reduzierten Entzündung herabreguliert wird.[7]

Kapselpolysaccharid[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der eingekapselte Stamm des P. gingivalis ist virulenter als der nicht verkapselte Stamm. Die Kapsel ist ein Kapselpolysaccharid und reguliert die Zytokinproduktion, insbesondere die proinflammatorischen Zytokine IL-1β, IL-6, IL-8 und TNF-α, die auf eine Ausweichreaktion des Wirts hindeuten.[8]

Fimbrien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Fimbrien sind an der Adhäsion, Invasion und Kolonisation beteiligt. P. gingivalis verfügt über folgende Fimbrientypen:

Lange Fimbrien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lange Fimbrien (FimA) sorgen für die Adhäsion des Erregers und den Aufbau von Biofilmen. Sie wirken als Adhäsine, speziell der Antigen I/II Proteinfamilie, welche die Invasion in die Wirtszellen unterstützen und zur Pathogenität des P. gingivalis beitragen.[9]

Kurze Fimbrien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kurze Fimbrien (Mfa1) sind für die Bildung von Mikrokolonien durch Autoaggregation verantwortlich und sorgen für die Verknüpfung mit anderen Bakterienarten. Zusammen mit Streptococcus gordonii (speziell SspB-Streptokokken) bilden sie durch Wechselwirkung mit dem SspB-Streptokokken-Oberflächenpolypeptid einen Biofilm. Möglicherweise ist diese Interaktion bei der Invasion in die Dentinkanälchen entscheidend beteiligt.[10]

Akzessorische Fimbrien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die akzessorischen Fimbrien (Fim C, D, und E) assoziieren sich mit den langen Fimbrien und spielen eine Rolle bei der Bindung an Matrixproteine des Wirts und der Wechselwirkung mit dem CXC-Chemokinrezeptor 4 (CXCR4). Experimentell konnte nachgewiesen werden, dass der Verlust der akzessorischen Fimbrien die Virulenz des Erregers deutlich abschwächt.[11]

Ausbreitung im Gewebe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es konnte nachgewiesen werden, dass Porphyromonas gingivalis intrazellulär in Makrophagen, epitheliale, endotheliale und Zellen der glatten Muskulatur eindringen kann, dort überlebt und sich von einer Zelle zur nächsten ausbreiten kann. P. gingivalis könnte daher diese Zellen möglicherweise als Transportmittel verwenden, um zu peripheren Geweben zu gelangen. P. gingivalis konnte beispielsweise in atherosklerotischen Plaques (Ablagerungen an den Blutgefäßwänden, umgangssprachlich „Arterienverkalkung“) nachgewiesen werden, wodurch es zum Fortschreiten der Atherosklerose beitragen kann.[12][13][14]

Ein möglicher Auslöser der Alzheimer-Krankheit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Porphyromonas gingivalis wurde als ein möglicher Auslöser der Alzheimer-Krankheit diskutiert. 2019 konnte eine Studie sowohl P. gingivalis als auch seine Stoffwechselprodukte, die Gingipaine, im Gehirn von Alzheimer-Patienten nachweisen.[15] In Zellkultur und tierexperimentell konnten die Autoren zeigen, dass Gingipaine die Fähigkeit haben, die Struktur von Tau-Proteinen zu beeinflussen. Ob Inhibitoren der Gingipaine ein mögliches Therapieziel darstellen, ist noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.

Therapie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Rahmen einer Parodontitisbehandlung werden die Wurzelflächen der Zähne mittels Débridement mechanisch gereinigt. Beim Nachweis einer erhöhten Konzentration von Porphyromonas gingivalis und erheblichen Entzündungszeichen werden zusätzlich Antibiotika oral verabreicht. P. gingivalis ist gegen Metronidazol, Clindamycin und Doxycyclin empfindlich.[16][17]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Philip Marsh, Michael V. Martin: Orale Mikrobiologie: 60 Tabellen. Georg Thieme Verlag, 2003, ISBN 978-3-13-129731-0, S. 33 (google.com).
  2. R. T. Demmer, M. Desvarieux: Periodontal infections and cardiovascular disease: the heart of the matter. In: Journal of the American Dental Association. Band 137 Suppl, Oktober 2006, S. 14S–20S, PMID 17012731 (Review).
  3. M. Hussain, C. M. Stover, A. Dupont: P. gingivalis in Periodontal Disease and Atherosclerosis - Scenes of Action for Antimicrobial Peptides and Complement. In: Frontiers in immunology. Band 6, 2015, S. 45, doi:10.3389/fimmu.2015.00045, PMID 25713575, PMC 4322733 (freier Volltext) (Review).
  4. Naito M, Hirakawa H, Yamashita A, et al.: Determination of the Genome Sequence of Porphyromonas gingivalis Strain ATCC 33277 and Genomic Comparison with Strain W83 Revealed Extensive Genome Rearrangements in P. gingivalis. In: DNA Res. 15. Jahrgang, Nr. 4, August 2008, S. 215–25, doi:10.1093/dnares/dsn013, PMID 18524787, PMC 2575886 (freier Volltext).
  5. L. Lin, C. Li u. a.: Virulence genes of Porphyromonas gingivalis W83 in chronic periodontitis. In: Acta odontologica Scandinavica. Band 67, Nummer 5, 2009, S. 258–264, doi:10.1080/00016350902841890, PMID 22443638.
  6. K. E. Nelson, R. D. Fleischmann u. a.: Complete Genome Sequence of the Oral Pathogenic Bacterium Porphyromonas gingivalis Strain W83. In: Journal of Bacteriology. 185, 2003, S. 5591, doi:10.1128/JB.185.18.5591-5601.2003.
  7. P. G. Stathopoulou, M. R. Benakanakere u. a.: Epithelial cell pro-inflammatory cytokine response differs across dental plaque bacterial species. In: Journal of clinical periodontology. Band 37, Nummer 1, Januar 2010, S. 24–29, doi:10.1111/j.1600-051X.2009.01505.x, PMID 20096064, PMC 2900159 (freier Volltext).
  8. A. Singh, T. Wyant u. a.: The capsule of Porphyromonas gingivalis leads to a reduction in the host inflammatory response, evasion of phagocytosis, and increase in virulence. In: Infection and immunity. Band 79, Nummer 11, November 2011, S. 4533–4542, doi:10.1128/IAI.05016-11, PMID 21911459, PMC 3257911 (freier Volltext).
  9. M. Kuboniwa, Y. Hasegawa u. a.: P. gingivalis accelerates gingival epithelial cell progression through the cell cycle. In: Microbes and infection. Band 10, Nummer 2, Februar 2008, S. 122–128, doi:10.1016/j.micinf.2007.10.011, PMID 18280195, PMC 2311419 (freier Volltext).
  10. X. Lin, J. Wu, H. Xie: Porphyromonas gingivalis minor fimbriae are required for cell-cell interactions. In: Infection and immunity. Band 74, Nummer 10, Oktober 2006, S. 6011–6015, doi:10.1128/IAI.00797-06, PMID 16988281, PMC 1594877 (freier Volltext).
  11. D. L. Pierce, S. Nishiyama u. a.: Host adhesive activities and virulence of novel fimbrial proteins of Porphyromonas gingivalis. In: Infection and immunity. Band 77, Nummer 8, August 2009, S. 3294–3301, doi:10.1128/IAI.00262-09, PMID 19506009, PMC 2715668 (freier Volltext).
  12. E. V. Kozarov: Human Atherosclerotic Plaque Contains Viable Invasive Actinobacillus actinomycetemcomitans and Porphyromonas gingivalis. In: Arteriosclerosis, Thrombosis, and Vascular Biology. 25, 2005, S. e17, doi:10.1161/01.ATV.0000155018.67835.1a.
  13. Irina M. Velsko, Sasanka S. Chukkapalli u. a.: Active Invasion of Oral and Aortic Tissues by Porphyromonas gingivalis in Mice Causally Links Periodontitis and Atherosclerosis. In: PLoS ONE. 9, 2014, S. e97811, doi:10.1371/journal.pone.0097811.
  14. Zahra Armingohar, Jørgen J. Jørgensen u. a.: Bacteria and bacterial DNA in atherosclerotic plaque and aneurysmal wall biopsies from patients with and without periodontitis. In: Journal of Oral Microbiology. 6, 2014, S. 23408, doi:10.3402/jom.v6.23408
  15. Stephen S. Dominy, Casey Lynch et al.: Porphyromonas gingivalis in Alzheimer's disease brains: Evidence for disease causation and treatment with small-molecule inhibitors. In: Science Advances. Band 5, Nr. 1, Januar 2019, doi:10.1126/sciadv.aau3333, PMID 30746447, PMC 6357742 (freier Volltext) – (englisch).
  16. Adjuvante Antibiotika in der Parodontitistherapie,Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten (DGZMK) und der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGP) (2003). Abgerufen am 23. Oktober 2017.
  17. Peter Kolling, Gerwalt Muhle: Kompromisse und Grenzen in der Parodontologie. Spitta Verlag GmbH & Co. KG, 2003, ISBN 978-3-934211-62-9, S. 135 (google.com).