Präsidentschaftswahl in Ägypten 2012

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Prozentuales Ergebnis der Wahl
Kandidaten Prozent
Mohammed Mursi
  
51,73 %
Ahmad Schafiq
  
48,27 %
Verteilung der Stimmen in Prozent

Der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Ägypten 2012 wurde am 23. und 24. Mai 2012 abgehalten. Am 16. und 17. Juni 2012 kam es zu einer Stichwahl zwischen Mohammed Mursi von der islamistischen Freiheits- und Gerechtigkeitspartei und dem als unabhängiger Kandidat angetretenen Ahmad Schafiq, der unter dem gestürzten Präsidenten Husni Mubarak als Minister und vom 30. Januar bis zum 3. März 2011 als Premierminister gedient hatte.[1] Die Ergebnisse wurden am 24. Juni 2012 bekanntgegeben. Mursi gewann die Wahl mit 51,7 Prozent gegen Schafiq (48,3 Prozent).[2]

Im Ausland lebende Ägypter konnten ihre Stimmen ab dem 11. Mai in den Botschaften und Konsulaten ihres Landes abgeben.[3]

Die Wahl war nach den Wahlen von 2005 die zweite Präsidentschaftswahl in der ägyptischen Geschichte, bei der mehr als ein Kandidat antrat. Sie gilt zusammen mit der Parlamentswahl 2011 und der Wahl zum Schura-Rat 2012 als wichtiger Zwischenschritt im gesellschaftlichen Wandel, der mit der Revolution in Ägypten 2011 einherging. Der zweite Wahlgang wurde von einem umstrittenen Urteil des ägyptischen Verfassungsgerichts überschattet, das die Parlamentswahlen für verfassungswidrig erklärte. Das Urteil führte zur Auflösung des Parlaments. Die Zulassung des dem Mubarak-Regime nahestehenden Schafiq zur Präsidentschaftswahl wurde vom Gericht bestätigt.[4]

Modalitäten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Wahlrechtsbestimmungen für die Präsidentschaftswahl wurden am 30. Januar 2012 veröffentlicht. Die Kandidaten mussten demnach in Ägypten als Kind ägyptischer Eltern geboren worden sein, durften keine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen und nicht mit einem Ausländer verheiratet sein. Um nominiert zu werden, brauchten sie die Unterstützung von mindestens 30 Parlamentsabgeordneten oder 30.000 stimmberechtigten Wählern. Der formelle Registrierungsprozess für die Kandidaten begann am 10. März und endete am 8. April.[5]

Die endgültige Liste der 13 Kandidaten für die Präsidentschaftswahl wurde am 26. April 2012 bekanntgegeben.[6]

Teilnehmende Kandidaten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hauptkandidaten (Auswahl)
Amr Mussa Abdel Moneim Abul Futuh Ahmad Schafiq Hamdin Sabahi Mohammed Mursi Khaled Ali Mohamed Selim El-Awa Hischam Bastawisi
Letzter Generalsekretär der Arabischen Liga und ehemaliger Außenminister Ägyptens. Generalsekretär der Union arabischer Mediziner und Ex-Mitglied des Führungsrats der Muslimbrüder. Luftwaffengeneral und letzter Premierminister unter Hosni Mubarak. Vorsitzender der nasseristischen Partei der Würde. Vorsitzender der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, Reservekandidat der Muslimbruderschaft wegen der Nichtzulassung Chairat el-Schaters. Anwalt und Arbeiteraktivist; Ex-Vorsitzender des Zentrums für wirtschaftliche und soziale Rechte; Gründer des Hisham Mubarak Law Center. Ex-Generalsekretär der Union Muslimischer Gelehrter und Vorsitzender der Vereinigung für Kultur und Dialog. Richter und Vizepräsident des Ägyptischen Kassationsgerichts, nominiert von der Tagammu-Partei.

Weitere Präsidentschaftskandidaten

Abdulla Alaschaal, Kandidat der salafistischen Authentizitätspartei, pensionierter Botschafter und vormaliger Assistent des Außenministers, hatte seine Kandidatur am 12. Mai 2012 zugunsten von Mohammed Mursi zurückgezogen. Seine Kandidatur ebenfalls zurückgezogen hatte am 16. Mai 2012 Mohammad Fawzi Isa, Kandidat der Partei der demokratischen Generation, und sich für Amr Musa ausgesprochen. Da die offizielle Frist für das Zurückziehen von Kandidaturen jedoch bereits überschritten war, erschienen ihre Namen gleichwohl auf dem Stimmzettel.

Ausgeschlossene Kandidaten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 14. April 2012 gab die Wahlkommission bekannt, zehn von 23 Kandidaten von der Präsidentschaftswahl auszuschließen, darunter Chairat al-Schater, Aiman Nur, Omar Suleiman und Hasem Abu Ismail. El-Schater, der im März 2011 aus dem Gefängnis entlassen wurde, dürfe nicht an der Wahl teilnehmen, da ein geltendes Gesetz besagt, dass frühere Häftlinge nach Verbüßung ihrer Strafe oder Begnadigung sechs Jahre lang nicht bei einer Wahl antreten dürfen, was auch für Nur gilt. Suleiman habe nicht wie vorgeschrieben die Unterstützung von Wählern aus 15 Provinzen erhalten. Er hatte zuvor in einer repräsentativen Umfrage der unabhängigen Tageszeitung Al-Masry Al-Youm mit 20,1 Prozent die meiste Zustimmung erhalten. Ein gleichzeitig von der Mehrheit im Parlament gebilligtes Gesetz, das vorsieht, hohe Vertreter des Mubarak-Regimes für einen Zeitraum von zehn Jahren von Staatsämtern auszuschließen, war noch nicht von der Militärregierung in Kraft gesetzt worden.[8] Abu Ismail wurde gesperrt, weil seine Mutter die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besessen habe. Kandidaten dürfen gemäß Gesetz ausschließlich die ägyptische Staatsbürgerschaft besitzen und müssen von ägyptischen Eltern abstammen.[9]

Alle abgelehnten Bewerber hatten zwei Tage Zeit, Einspruch gegen die Entscheidung der Wahlkommission einzulegen.[8] Suleiman, Abu Ismail und el-Schater legten Einspruch ein; die ägyptische Wahlkommission bekräftigte am 17. April 2012 ihre Entscheidung.[10]

Von der Wahlkommission ausgeschlossene Kandidaten (Auswahl)
Omar Suleiman Hazem Salah Abu Ismail Chairat al-Schater Aiman Nur
General und früherer Chef des Geheimdienstes Muchabarat. Salafistische[11] und ultrakonservative Schlüsselfigur der islamistischen Szene, Fernsehmoderator.[12] Geschäftsmann und Vize-Führer der Muslimbruderschaft, nominiert von der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei. Gründer und Vorsitzender der liberalen Morgen-Partei der Revolution.

Weitere ausgeschlossene Kandidaten waren:

Die einzige Frau als Bewerberin, Bothaina Kamel, registrierte sich nicht.

Durchführung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Kandidat Ahmad Schafiq wurde bei der Abgabe seiner Stimme von aufgebrachten Demonstranten beschimpft und mit Schuhen und Steinen beworfen. Nachdem er das Wahllokal verlassen hatte, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen seinen Anhängern und Gegnern.

Wegen des großen Interesses blieben die Wahllokale eine Stunde länger, bis 21:00 Uhr, geöffnet.[13]

Wahlergebnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gesamtergebnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kandidat Partei 1. Runde[1] 2. Runde[14][15]
Stimmen Anteil Stimmen Anteil
Mohammed Mursi Freiheits- und Gerechtigkeitspartei 5.764.952 24,78 % 13.230.131 51,73 %
Ahmad Schafiq Unabhängiger 5.505.327 23,66 % 12.347.380 48,27 %
Hamdin Sabahi Partei der Würde 4.820.273 20,72 %
Abdel Moneim Abul Futuh Unabhängiger (ehem. Muslimbruder) 4.065.239 17,47 %
Amr Mussa Unabhängiger 2.588.850 11,13 %
Mohamed Selim El-Awa Unabhängiger 235.374 1,01 %
Khaled Ali Unabhängiger 134.056 0,58 %
Abu El-Izz El-Hariri Sozialistische Volksallianz (TAM) 40.090 0,17 %
Hischam Bastawisi Tagammu-Partei 29.189 0,13 %
Mahmoud Hossam Unabhängiger 23.992 0,10 %
Mohammad Fawzi Isa Partei der demokratischen Generation 23.889 0,10 %
Hossam Khairallah Partei des demokratischen Friedens 22.036 0,09 %
Abdulla Alaschaal al-Asala-Partei 12.249 0,05 %
Gültige Gesamtstimmen 23.265.516 98,28 % 25.577.511 100 %
Ungültige/leere Zettel 406.720 1,72 % 843.252 3,19 %
Wahlbeteiligung 23.672.236 46,42 % 26.420.763 51 %
Enthaltungen 27.324.510 53,58 %
Registrierte Wähler 50.996.746

Ergebnisse des zweiten Wahlgangs nach Gouvernements[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mehrheiten in der zweiten Wahlrunde nach Gouvernementen:
Mursi:
50–60 %
60–70 %
70–80 %
80–90 %
Schafiq:
50–60 %
60–70 %
70–80 %
Ergebnisse in der Stichwahl nach Gouvernements[16]
Gouvernement Wähler gültige
Stimmen
ungültige
Stimmen
Beteiligung Mursi Schafiq
Stimmen in % Stimmen in %
Kairo 6.488.564 3.399.110 158.687 54,8 1.505.103 44,3 1.894.007 55,7
Alexandria 3.285.392 1.687.148 76.274 53,7 970.131 57,5 717.017 42,5
Port Said 435.976 239.890 13.577 58,1 109.768 45,8 130.122 54,2
Sues 381.298 205.963 7.550 56,0 129.229 62,7 76.734 37,3
Damiette 851.658 461.403 14.569 55,9 258.475 56,0 202.928 44,0
Dakahlija 3.663.584 1.904.744 51.243 53,4 845.390 44,4 1.059.354 55,6
Scharkia 3.492.594 1.928.216 50.070 56,6 881.581 45,7 1.046.635 54,3
Qalyubia 2.590.130 1.460.537 42.562 58,0 609.253 41,7 851.284 58,3
Kafr asch-Schaich 1.855.366 768.005 23.223 42,6 425.514 55,4 342.491 44,6
Gharbia 2.904.666 1.575.883 45.103 55,8 583.748 37,0 992.135 63,0
Menufeya 2.204.822 1.323.265 33.949 61,6 376.677 28,5 946.588 71,5
Behaira 3.220.325 1.548.271 45.043 49,5 907.377 58,6 640.894 41,4
Ismailia 699.548 376.576 11.642 55,5 204.307 54,3 172.269 45,7
al-Dschiza 4.279.783 2.263.425 82.263 54,8 1.351.526 59,7 911.899 40,3
Bani Suwaif 1.421.007 770.342 24.261 55,9 512.079 66,5 258.263 33,5
al-Fayyūm 1.549.061 761.330 23.091 50,6 591.995 77,8 169.335 22,2
Minja 2.656.815 1.332.677 43.607 51,8 858.557 64,4 474.120 35,6
Asyut 2.079.392 901.539 26.837 44,6 554.519 61,5 347.020 38,5
Sauhadsch 2.340.446 912.853 26.103 40,1 531.636 58,2 381.217 41,8
Qina 1.601.111 514.089 15.179 33,1 285.894 55,6 228.195 44,4
Assuan 857.984 317.424 7.776 37,9 164.826 51,9 152.598 48,1
Rotes Meer 224.151 94.791 2.687 43,5 46.803 49,4 47.988 50,6
al-Wadi al-dschadid 141.576 63.009 1.320 45,4 39.934 63,4 23.075 36,6
Matruh 204.133 81.242 1.629 40,6 65.095 80,1 16.147 19,9
Nord-Sinai 207.388 94.964 2.401 46,9 58.415 61,5 36.549 38,5
Süd-Sinai 62.408 24.742 733 40,8 12.286 49,7 12.456 50,3
Luxor 672.812 264.353 6.781 40,3 124.120 47,0 140.233 53,0
Ägypter im Ausland 586.804 301.720 5.092 52,3 225.893 74,9 75.827 25,1

Reaktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach der Bekanntgabe der ersten Ergebnisse demonstrierten am Abend des 28. Mai etwa 2.000 Menschen am Tahrir-Platz gegen den Ausgang der ersten Wahlrunde, weil sie ihrer Meinung nach unfair und nicht repräsentativ war. Auch in Alexandria und Sues gab es Proteste. Das Wahlkampfhauptquartier von Ahmad Schafiq in Kairo wurde Opfer von Brandstiftung.[17]

Da wenige Wochen vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl ein Gesetz verabschiedet wurde, das hohen Funktionären des Mubarak-Regimes eine Kandidatur untersagte, war Schafiqs Teilnahme an den Wahlen lange umstritten.[18] Es war eine Frage der Interpretation von Teilen der ägyptischen Verfassung, inwieweit dieses Gesetz als bindend betrachtet werden konnte. Das ägyptische Verfassungsgericht bestätigte aber am 14. Juni 2012 nicht nur Schafiqs Kandidatur, sondern erklärte auch die Parlamentswahlen von November 2011 und Januar 2012 für illegal, da Parteivertreter für die Parlamentssitze kandidiert hatten, die eigentlich für unabhängige Bewerber vorgesehen waren.[4] Der Urteilsspruch löst heftige Proteste in Ägypten aus; mehrere ägyptische Parteien sprachen von einer „Konterrevolution“ des seit dem Sturz Mubaraks regierenden Militärrates und warnten vor einem Staatsstreich.[19] Schafiq galt als der vom Militärrat favorisierte Kandidat für das Präsidentenamt.[20]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fußnoten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Mursi, Shafiq officially in Egypt’s presidential elections runoffs bei ahram.org.eg, 28. Mai 2012 (abgerufen am 29. Mai 2012).
  2. Ergebnis der Stichwahl: Mursi ist neuer Präsident Ägyptens . (Memento vom 26. Juni 2012 im Internet Archive) tagesschau.de, 24. Juni 2012; abgerufen am 24. Juni 2012.
  3. Ganz Ägypten schart sich um den Fernseher. NZZonline, 11. Mai 2012; abgerufen am 13. Mai 2012.
  4. a b Verfassungsgericht löst Parlament auf. In: NZZ, 15. Juni 2012.
  5. english.ahram.org.eg
  6. FAZ.net 26. April 2012: Ägypten: 13 Kandidaten zur Präsidentenwahl zugelassen.
  7. Kandidatenliste beim Wahlkomitee (Memento vom 5. Mai 2012 im Internet Archive), abgerufen am 15. April 2012 (auf Arabisch)
  8. a b Präsidentenwahl am Nil: Zehn Kandidaten von Wahl in Ägypten ausgeschlossen (Memento vom 16. April 2012 im Internet Archive) bei tagesschau.de, 14. April 2012 (abgerufen am 14. April 2012).
  9. Präsidentschaftswahl Ägypten: Wahlkommission schließt zehn Kandidaten aus bei fr-online.de, 14. April 2012 (abgerufen am 14. April 2012).
  10. dpa: Ägypten: Favoriten dürfen nicht kandidieren. zeit.de, 18. April 2012.
  11. Salafi presidential hopeful wants Shura Council abolished (Memento des Originals vom 7. April 2012 im Internet Archive), Egypt Independent, 26. Januar 2012. Abgerufen im 18. Februar 2012  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.egyptindependent.com 
  12. Joseph Mayton: Egypt’s presidential hopeful Abu Ismail says Islam gives no freedom (Memento des Originals vom 15. Februar 2012 im Internet Archive), Bikya Masr, 11. Februar 2012. Abgerufen im 18. Februar 2012 
  13. Wahl in Ägypten: Ex-Premier Schafik angegriffen ORF online
  14. Muslim Brotherhood’s Mursi declared Egypt president bei bbc.co.uk, 24. Juni 2012 (abgerufen am 24. Juni 2012).
  15. Morsi wins Egypt’s presidential election, Bericht bei Al Jazeera vom 24. Juni 2012; abgerufen am 24. Juni 2012
  16. النتائج النهائية لجولة الإعادة. Archiviert vom Original am 8. Februar 2014; abgerufen am 23. Februar 2024 (arabisch, Endergebnis der Stichwahl).
  17. Islamist und Mubarak-Mann voran. In: ORF. 29. Mai 2012, abgerufen am 29. Mai 2012.
  18. Abstimmung in Ägypten: Ausschreitungen nach Ergebnis der Präsidentenwahl (Memento vom 31. Mai 2012 im Internet Archive) ARD Tagesschau online, 29. Mai 2012
  19. Ägyptische Parteien werfen Armee «Konterrevolution» vor. In: NZZ, 15. Juni 2012.
  20. Militär mit menschlichem Antlitz. Die Welt, 16. Juni 2012.