Prager Aufstand

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Prager Aufstand
Teil von: Prager Operation, Zweiter Weltkrieg

Denkmal für den Prager Aufstand in Prag
Datum 5. Mai bis 8. Mai 1945
Ort Prag
Ausgang Waffenstillstand
Befreiung der Stadt
Konfliktparteien

Deutsches Reich NS Deutsches Reich, Russische Befreiungsarmee (am 5. Mai)

Tschechien Tschechischer Widerstand
Russische Befreiungsarmee (ab 6. Mai) Russische Befreiungsarmee


Sowjetunion 1923 Sowjetunion

Befehlshaber

Deutsches Reich NS Karl Hermann Frank
Deutsches Reich NS Rudolf Toussaint
Deutsches Reich NS Carl von Pückler

Tschechien Otakar Machotka
Russische Befreiungsarmee Sergei Bunjatschenko


Sowjetunion 1923 Iwan Konew

Verluste

Deutsches Reich NS 1.000 Tote

Tschechien 1.694 Tote
Russische Befreiungsarmee 300 Tote
Sowjetunion 1923 30 Tote

Unbekannte Anzahl an Toten in der deutschen und tschechischen Zivilbevölkerung

Der Prager Aufstand (tschechisch Pražské povstání) bezeichnet eine militärische Erhebung des tschechischen Widerstandes gegen die deutschen Besatzer in Prag am Ende des Zweiten Weltkrieges. Er begann am 5. Mai 1945 durch eine Meldung im tschechischen Radio und endete mit einem Waffenstillstand sowie mit dem Abzug der Wehrmacht aus Prag am 8. Mai 1945. Einen Tag später zog die Rote Armee in die befreite Stadt ein.

Ausgangslage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Münchner Abkommen war die Tschechoslowakei zerschlagen worden und auf großen Teilen ihres Staatsgebietes vom Deutschen Reich unter Adolf Hitler das Protektorat Böhmen und Mähren errichtet worden. Der Name sollte an die Zeit österreichischer Herrschaft erinnern und den politischen Zustand unverfänglich umschreiben (Euphemismus). Tschechische Intellektuelle wurden verhaftet und deportiert, die Karls-Universität geschlossen und das öffentliche Leben wie im NS-Staat gleichgeschaltet.

Massive Repressalien erlebte die tschechische Bevölkerung – neben der Judenverfolgung – bei den Vergeltungsmaßnahmen infolge der Ermordung des stellvertretenden Reichsprotektors Reinhard Heydrich durch Tschechoslowaken im Mai 1942. Weiterhin wurden viele deutsche Exilanten, die im liberalen Nachbarland Schutz gesucht hatten, von der Gestapo verhaftet und deportiert.

Ende April 1945 hatte die Rote Armee Berlin eingeschlossen. Im Osten durchstieß sie die Karpaten und befreite die Slowakei (vgl. Slowakischer Nationalaufstand). Im Südosten endete die Schlacht um Budapest, und in der Wiener Operation wurde Wien erobert. Im Westen erreichte die 1. US-Armee bei Torgau die Elbe und traf dort auf die sowjetischen Truppen. München und Nürnberg waren ebenfalls gefallen. Die 3. US-Armee stieß in Westböhmen auf Pilsen vor. Damit war ein großer Teil des früheren tschechoslowakischen Gebiets von alliierten Einheiten eingenommen.

Im Frühjahr 1945 existierten in Böhmen und Mähren kleinere und größere Partisanenverbände mit einer Gesamtstärke von 7.500 Mann, die systematisch die Nachschubwege der deutschen Front angriffen. In manchen Gebieten war es Deutschen nachts nicht mehr möglich, diese ohne Schaden zu betreten.

Der Aufstand[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lage am 7. Mai 1945.

Ende April 1945 standen die Alliierten bereits in der Nähe Prags. Ein Großteil der Stadtbewohner strömte in die Straßen, um die kommenden Befreier willkommen zu heißen. Am 30. April und 1. Mai 1945 ließ deshalb der SS-Obergruppenführer (General) und General der Polizei Karl Hermann Frank über das Radio in Prag verbreiten, dass jeder Versuch eines Aufstandes in einem „Meer aus Blut“ enden würde. In der allgemeinen Unruhe ordnete er an, die Straßen zu räumen, und erteilte einen Schießbefehl, sollte sich jemand der Anordnung widersetzen.

Am 5. Mai wurde der Aufstand durch die Morgensendung im tschechischen Radio ausgelöst. In einer Mischung aus deutscher und tschechischer Sprache begann der Moderator Zdeněk Mančal seine Sendung mit den Worten Je právě sechs hodin (dt.: Es ist genau sechs Uhr) und führte fortan nur noch in Tschechisch durch das Programm.[1] Damit unterlief er die strikte Anweisung des deutschen Intendanten nach zweisprachigen Sendungen. Der Intendant Ferdinand Thürmer rief daraufhin deutsche Soldaten zum Sender, die dort auf tschechische Widerstandskämpfer trafen. Der Gefechtslärm war im Radio zu hören, woraufhin sich immer mehr Prager gegen die deutsche Herrschaft erhoben. Deutsche Schilder wurden heruntergerissen, tschechoslowakische Fahnen gehisst und Barrikaden gebaut. Die Kampfhandlungen befehligte auf tschechischer Seite der General Karel Kutlvašr, der insbesondere von den Kampfeinheiten der Widerstandsgruppen Alex (Befehlshaber General František Slunečko) und Bartoš (Befehlshaber General František Bürger-Bartoš) unterstützt wurde.[2][3][4][5]

Im Laufe des 5. Mai konnte der tschechische Widerstand die SS-Einheiten am Radiogebäude besiegen und das Gestapo- und Sipo-Hauptquartier einnehmen. Am Nachmittag zog das Nationalkomitee des Widerstandes im Rathaus ein. Währenddessen breitete sich der Aufstand immer weiter aus. Immer mehr deutsche Einheiten in der Stadt wurden attackiert und entwaffnet. Ebenso konnte der Ministerpräsident der Protektoratsregierung, Richard Bienert, auf dem Weg zum Radiosender festgenommen werden. Offiziell wollte er dort das Ende des Protektorats verkünden.[6] In den Abend- und Nachtstunden des Tages begann ein deutscher Gegenangriff mit schweren gepanzerten Kräften. Diese befanden sich außerhalb der Stadt, wollten eine Verbindung zu den Einheiten in der Stadt aufbauen und schließlich den Aufstand niederschlagen. Durch den Angriff änderte sich das Kräfteverhältnis; die deutschen Militäreinheiten erzwangen ein Patt sowie eine Stabilisierung ihrer Situation.

Am Morgen des 6. Mai waren über 1.000 Barrikaden errichtet worden. Die tschechischen Truppen hatten die Hälfte der Stadt unter ihre Kontrolle bringen können. Die über die ganze Stadt verteilten deutschen Garnisonen waren eingekesselt worden. Die Aufständischen kappten deren Strom-, Wasser- und Telefonverbindungen. Auf beiden Seiten begannen in dieser Frühphase bereits Ausschreitungen gegen unbewaffnete Opfer. Ab Mittag des 6. Mai wurde vom tschechischen Widerstand willkürlich auf deutsche Zivilisten geschossen, zum Teil auf Gäste in Prager Hotels.

Deutscher Gegenangriff[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Massengrab mit zwei Generälen und 187 unbekannten ROA-Soldaten, Olšany-Friedhof, Prag

Die außerhalb der Stadt stehenden deutschen Verbände rückten sofort in die Stadt ein und versuchten die dortigen Kräfte zu unterstützen. Hauptziel war die Einnahme und Sicherung der Eisenbahnlinien und der Kommunikationszentren der Stadt, um rechtzeitig einen gesicherten und schnellen Rückzug zur amerikanischen Front herstellen zu können, bevor die Rote Armee die Stadt erreichte.

Am 6. Mai versuchten die deutschen Kräfte das Radiogebäude zurückzuerobern. Heftiger tschechischer Widerstand im Gebäude selbst und an den Barrikaden auf den benachbarten Straßen ließ dieses Vorhaben scheitern, so dass der Einsatz von Bombern folgte. Daraufhin mussten die Tschechen die Leitung des Aufstandes an einen anderen Ort verlegen.

Mit dem Erreichen der westböhmischen Stadt Pilsen durch die US-Armee am 6. Mai waren die Hoffnungen der Aufständischen groß, dass amerikanische Panzerspitzen bald die Hauptstadt erreichen würden. Unbekannt war ihnen die vereinbarte Demarkationslinie der Alliierten, die 70 km vor Prag verlief. Aufrufe des tschechischen Radios an die Amerikaner, den Aufstand zu unterstützen, blieben deswegen unbeantwortet. Der Standort der sowjetischen Front war genauso unbekannt, wie auch die Tatsache, dass sich die deutsche Wehrmacht durch die Prager Operation auf dem Rückzug befand.

Am 7. Mai kündigte Schwerin von Krosigk, Mitglied der letzten Reichsregierung in Flensburg-Mürwik, über den Reichssender Flensburg die bevorstehende Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht an. Die an diesem Tag ebenfalls noch sendende Rundfunkstation Prag I behauptete, die Meldungen aus Flensburg würden auf einem Propagandatrick der Alliierten beruhen und forderte die Fortsetzung der Kampfes.[7]

Angriff der Waffen-SS[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wegen der geringen Fortschritte der Wehrmacht griffen am 7. Mai Verbände der Waffen-SS mit schweren Waffen in die Kämpfe ein. Gepanzerte Einheiten drangen in die Stadt ein, Artillerie und Luftwaffe verursachten schwere Schäden an zahlreichen historischen Gebäuden. Bereits nach wenigen Stunden befanden sich die deutschen Kräfte im Vorteil gegenüber den Aufständischen, die nur wenige Panzerabwehrwaffen und für diese auch nur wenig Munition besaßen. Der Befehlshaber der Waffen-SS in Böhmen und Mähren, SS-Gruppenführer (Generalleutnant) Carl Friedrich Graf von Pückler-Burghauss forderte, das historische Stadtzentrum durch Brandbomben dem Erdboden gleichzumachen, mit den Worten „Das ganze Nest muss brennen“.[8]

Frontwechsel der ROA[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Denkmal für die Kämpfer der Russischen Befreiungsarmee in Prag-Řeporyje (2020 eingeweiht)

Während des deutschen Gegenangriffes begann die 1. Division der Russischen Befreiungsarmee (ROA), die bisher auf der Seite der Wehrmacht im deutschen V. Armeekorps gegen die Rote Armee stand, nun gegen die Waffen-SS zu kämpfen.[9]

Im Gegensatz zum tschechischen Widerstand verfügte die ROA über schwere Waffen, Panzer und erfahrene Veteranen von der Ostfront. Trotz des Frontwechsels plante sie nicht, in Prag zu verweilen. Ihr Befehlshaber Wlassow hatte nicht die vollständige Unterstützung der tschechischen Anführer und musste daher fürchten, mit seinen Einheiten an die Sowjets verraten zu werden. Daher brach die Russische Befreiungsarmee bald die Kämpfe ab und stieß den amerikanischen Truppen entgegen, um sich ihnen zu ergeben.

Rückzug der deutschen Verbände[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Anbetracht der Tatsache, dass keine alliierte Hilfe eingetroffen war und die Zerstörung der Stadt zunahm, beschlossen die Aufständischen mit den deutschen Einheiten unter dem Stadtkommandanten von Prag, General Rudolf Toussaint, Verhandlungen aufzunehmen; auf der tschechischen Seite verhandelten einige Mitglieder des Tschechischen Nationalrates und der General Karel Kutlvašr, der die Kapitulation am 8. Mai 1945 von Toussaint entgegennahm. Das Ergebnis der Verhandlungen ermöglichte den deutschen Truppen und den deutschen Zivilisten freies Geleit aus der Stadt, während auf der anderen Seite die deutschen Kräfte die Zerstörung der Stadt einstellen würden. Die Wehrmachtsoldaten zogen nach Pilsen, wo sie sich in die Gefangenschaft der US-amerikanischen Armee begaben und so dem Zugriff der Roten Armee entziehen konnten.[2][5]

Einmarsch der Roten Armee[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Marschall Iwan Konew wird bei seinem Einzug in Prag am 9. Mai umjubelt.

Am 9. Mai marschierte die Rote Armee in Prag ein. Bereits zuvor standen in den Vororten der Stadt seit dem Beginn des Aufstandes Aufklärungseinheiten der US-Armee, die jedoch nicht in die Kämpfe eingreifen konnten.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Stanislaw Kokoška: Prag im Mai 1945. Die Geschichte eines Aufstandes (= Berichte und Studien des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Nr. 55). V&R unipress, Göttingen 2009, ISBN 978-3-89971-540-8.

Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Radio Prag: Geschichte im Rückblick – wie man sich in Tschechien an den Prager Aufstand erinnert, vom 5. Mai 2005.
  2. a b Kutlvašr Karel. In: Vojenské osobnosti československého odboje 1939–1945. Veröffentlichung des Historischen Militärinstituts des Verteidigungsministeriums der Tschechischen Republik, AVIS, Prag 2005, S. 168, online (archiviert) auf: vojenskaakademiehranice.ic.cz/...
  3. Slunečko František, ausführlicher Lebenslauf in: Vojenské osobnosti československého odboje 1939–1945, Veröffentlichung des Historischen Militärinstituts des Verteidigungsministeriums der Tschechischen Republik, AVIS, Prag 2005, S. 262, online (archiviert) auf: vojenskaakademiehranice.ic.cz/...
  4. Bürger (Bartoš) František, ausführlicher Lebenslauf in: Vojenské osobnosti československého odboje 1939–1945, Veröffentlichung des Historischen Militärinstituts des Verteidigungsministeriums der Tschechischen Republik, AVIS, Prag 2005, S. 39, online (archiviert) auf: vojenskaakademiehranice.ic.cz/...
  5. a b Martin Čáp, Jindřich Marek: Hrdinové z barikád: Kapitulace pro generála Kutlvašra, Sendung des Rundfunksenders Český rozhlas vom 22,. April 2015, online (Abschrift) auf: dvojka.rozhlas.cz/...
  6. Radio Prag: Die Protektoratsregierungen, vom 27. März 2004.
  7. Gerhard Paul: „Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen.“ Der „Reichssender Flensburg“ im Mai 1945. In: Paul Gerhard, Broder Schwensen (Hrsg.): Mai ’45. Kriegsende in Flensburg (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte). 1. Auflage. Band 80. Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte, Flensburg 2015, ISBN 978-3-925856-75-4, S. 75 (244 S.).
  8. Prag: „Das ganze Nest muss brennen“. (Memento vom 2. November 2011 im Internet Archive) stern.de, 5. Mai 2005.
  9. Welcher Russe befreite Prag? Die Wlassow-Armee und der Prager Aufstand. In: Neues Deutschland, 21. Mai 2005