Selbsthilfeliteratur

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Der Begriff Selbsthilfeliteratur (auch Ratgeberliteratur) umfasst Skriptmedien, die der selbstständigen Erarbeitung von Lösungen für Probleme dienen sollen. Es kann sich dabei um reale oder empfundene persönliche Probleme handeln.

Die Spannweite reicht von medizinischen[1][2] über esoterische Inhalte bis hin zu Managementratgebern. Besonders in letzterem Feld werden Ideologien dargelegt, wie sie auch von Motivationstrainern, Unternehmensberatern und Consultants verbreitet werden, die nicht selten zugleich als Autoren auftreten.

Auch für spezielle Berufsgruppen finden sich zahlreiche Veröffentlichungen, in denen es um Optimierung der Produktivität oder Jobzufriedenheit geht, für Programmierer z. B. der Personal Software Process.

Das moderne Phänomen Selbstoptimierung – mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnik – kann im Zusammenhang mit dieser Konzentration auf das eigene Selbst gesehen werden.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits in der Barockzeit wurden sogenannte Fleckenkünstler vertrieben.

Von einer Nischenposition wuchs der Markt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark an.

Als eines der ersten Bücher des Genres gilt der damalige Bestseller „Self-Help“ von Samuel Smiles aus dem Jahr 1859. Selbsthilfebücher stehen teilweise in der Tradition der klassischen Benimmbücher, wie sie seit dem Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert existierten. Während dort die Einbettung des Individuums in sein soziales Umfeld die Vorrangstellung einnimmt, konzentrieren sich heutige Selbsthilfebücher eher auf das Individuum als solches, häufig mit Glücksversprechen verbunden („Mehr Glück/Erfolg/Reichtum durch...“).

Im Nachkriegs-Deutschland gab es eine Übergangsphase der Betonung von äußerlich sichtbarem (Wohn-)Stil, Geschmack und Sauberkeit als Basis für ein gutes Leben (Schöner wohnen, Die gute Ehe, Einmaleins des guten Tons).[3]

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Selbsthilfeliteratur bietet selten wissenschaftlich fundierte oder technisch anspruchsvolle Anleitungen. Sie konzentriert sich vielmehr auf Wege, die man wie mit Hausmitteln (Autosuggestion, Meditation, verhaltenstherapeutische Methoden) erreichen kann und ist somit oft klar von Fachliteratur abzugrenzen, auch wenn beide in Buchläden nicht klar abgetrennt gerne dem Sachbuchbereich zugeordnet werden. Insbesondere bei psychologischen Methoden ist das Qualitätsspektrum sehr groß und das Risiko von Rückschlägen, auf das nicht immer hingewiesen wird, hoch.[4]

Im Gegensatz zu Selbsthilfegruppen sind geschriebene Ratgeber kommunikative Einbahnstraßen, der Autor gibt die Ideen vor, der Leser perzipiert und folgt den Anweisungen. Ein konstruktiver Austausch ist in der Regel nicht möglich.

Propagierte Methodiken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Zuge der Individualisierung der Gesellschaft kann man häufig Ermunterungen lesen, fremdgesetzte „Grenzen zu überwinden“, „Regeln zu brechen“ o. ä.[5] Damit wird eine Art Gegenbewegung oder ein Gegen-den-Strom-Schwimmen suggeriert, auch wenn sich die Bücher natürlich an ein möglichst großes Publikum wenden.

Auf mögliche Anstrengungen auf dem Weg wird mit dem Tipp hingewiesen, sich aus der „Komfortzone“ herausbewegen zu müssen, um Neues (z. B. ein „neues Leben“) beginnen zu können.[6]

Eine neue, postmoderne, Hinwendung zu Ritualen ist bei Ratgebern stark im Trend, die der Entspiritualisierung der tagtäglichen Lebenswelt anscheinend widerspricht.[7][8]

Eine Reihe von – oft im Selbstverlag herausgegeben – Ratgebern propagiert indirekt den Einstieg in Schneeballsysteme im Dialog- oder Direktmarketing als Leitfaden für den Erfolg. Die Methodik wird aus offensichtlichen Gründen – der Leser soll als Zuträger in das System einsteigen – nicht direkt benannt, vielmehr wird das potenzielle individuelle Glück in den Vordergrund gerückt; auch hier werden Risiken der Methode verschwiegen.

Manche Bücher werden ergänzt durch (kostenpflichtige) Angebote für weiterführende interaktive Seminare, Workshops etc., sind also als Teaser und Einstieg in ein zunächst für den Autor lukratives Geschäftsmodell zu begreifen.

Hinter manchen Veröffentlichungen stecken größere – auch esoterische – Weltsichten und Philosophien, so dass der Autor nicht ausschließlich aus eigener Warte berichtet. Zu den größeren nicht- oder pseudowissenschaftlichen Bewegungen mit zahlreicher Literatur zählen u. a. Theosophie, Positives Denken, Neugeist-Bewegung, Human Potential Movement, Dianetik, Neurolinguistische Programmierung, Pick-Up, Gesetz der Anziehung. Auch hinter seriösen Publikationen stecken häufig implizit bestimmte Schulen, gerade bei psychologischen Ratgebern, d. h., die vorgeschlagene (Selbst-)Therapie wird pauschal und nicht unbedingt dem Leser und seinen spezifischen Problemen angepasst, aufgepfropft.

Teilbereiche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Beziehungsratgeber wie John Grays Werke erreichen Millionenauflagen. Unter die Autoren, die die Konzentration auf das Ich zur Überwindung von Selbstzweifeln betonen, z. B. einen positiven Egoismus, fällt u. a. der 2016 verstorbene Josef Kirschner. Mit diversen Ratgebern zur generellen Vereinfachung des Lebens ist in Deutschland Werner Tiki Küstenmacher („Simplify your life“) erfolgreich geworden. Intensiv beworben werden Alternative Medizin und Selbstheilung gerade bei Themen wie Krebs, Burnout-Syndrom, Altern etc. Gegen das Messie-Syndrom oder Unordnung anzugehen, ist ein Erfolgsrezept der japanischen Autorin Marie Kondo.[9] Stressmanagement ist ein großes Thema, dem gerne mit Vereinfachungs- und Zeitmanagement-Methoden begegnet wird. Wege zu allgemeinem und beruflichem Erfolg wurde sehr erfolgreich u. a. von Dale Carnegie beworben. Als weniger spezielle Form der Ratgeber können Werke gelten, die Positives Denken, Selbstfindung, Selbstmanagement und Selbstverwirklichung sowie die Wege dahin propagieren.

Autoren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nicht erschöpfende Auswahl von Autoren, die vorrangig oder exklusiv für Selbsthilfebücher bekannt geworden sind
Autor Beruf Bekanntes Buch Zielrichtung
Rhonda Byrne The Secret Neugeist-Bewegung
Richard Carlson Alles kein Problem! Das Buch für alle, die sich nicht so leicht verrückt machen lassen wollen Taschenbuch (1998) Stressmanagement
Dale Carnegie Motivationstrainer Wie man Freunde gewinnt Erfolg
Robert Collier Wo ein Wille ist ...
Marie Kondō Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert Ordnung, Einfachheit
Raphael Cushnir Autor Freude am Leben. Strategien für einen klugen Umgang mit Krisen. Lebensfreude
Wayne Dyer Psychologe Der wunde Punkt. Die Kunst nicht unglücklich zu sein. Zwölf Schritte zur Überwindung unserer seelischen Problemzonen Selbstfindung, Lebensfreude
Timothy Ferriss Unternehmer Die 4-Stunden-Woche Zeitmanagement, Erfolg
John Gray Psychologe Männer sind anders. Frauen auch. Männer sind vom Mars, Frauen sind von der Venus Beziehungen
Jürgen Hargens Psychologe Bitte nicht helfen! Es ist auch so schon schwer genug: (K)ein Selbsthilfebuch Beziehung, Diverse
Louise Hay Autorin Heile deinen Körper: Seelisch-geistige Gründe für körperliche Krankheit und ein ganzheitlicher Weg, sie zu überwinden Heilung
Napoleon Hill Jurist Denke nach und werde reich (1937) Erfolg, Reichtum
L. Ron Hubbard Autor (Science Fiction) Dianetik (1950) Erfolg, Reichtum
Spencer Johnson Psychologe Die Mäusestrategie für Manager (1998) Motivation, Selbsthilfe
Josef Kirschner Journalist Die Kunst, ein Egoist zu sein (1976) Selbstfindung
Werner Tiki Küstenmacher Pfarrer Simplify your life Einfachheit, Lebensfreude
Robert Kiyosaki Vertriebler Rich Dad Poor Dad, Cashflow Quadrant Erfolg, Reichtum
Peter Lauster Psychologe Die Liebe: Psychologie eines Phänomens Beziehung, Diverse
Dan Millman Turner Der Pfad des friedvollen Kriegers Erfolg, Selbstfindung
Bärbel Mohr Betriebswirtin, Redakteurin Bestellungen beim Universum (1995) Lebensfreude, Spiritualität
Anthony Robbins Grenzenlose Energie (1986) Erfolg
Hans-Werner Rückert Schluss mit dem ewigen Aufschieben (2011) Zeitmanagement
Bodo Schäfer Money - oder das 1x1 des Geldes Reichtum
Lothar J. Seiwert Wirtschaftswissenschaftler Mehr Zeit für das Wesentliche. So bestimmen Sie Ihre Erfolge selbst durch konsequente Zeitplanung und effektive Arbeitsmethodik Einfachheit, Zeitmanagement
Wallace Ward Chemiker Erfolg
Reto Wyss Sozialarbeit, Psychologie Schmerz lass nach: Chronische Schmerzen mit Klopfakupressur selbst behandeln Stressmanagement, Schmerztherapie
Eva-Maria Zurhorst Journalistin, PR Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest Beziehung
Neil Strauss Journalist, Autor Die perfekte Masche Pick-Up
Erik von Markovik Dating-Coach, Autor Wie Sie jede Frau rumkriegen: egal wie Sie aussehen Pick-Up
Roosh V Autor Bang: More Lays in 60 Days Pick-Up
Kollegah Rapper Das ist Alpha! Motivation, Erfolg
Jordan Peterson Psychologe, Autor 12 Rules for Life Selbstmanagement

Parodien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ratgeberliteratur war häufig Gegenstand von Parodien. Der Autor, Designer und Konzeptkünstler Rafael Horzon lehnte sein erstes Buch Der dritte Weg (2002) an den Stil von Unternehmerratgebern an. Der Schriftsteller Heinz Strunk bezog sich in seiner Titanic-Kolumne Das Strunk-Prinzip auf Stil und Rhetorik von Motivations-Autoren wie Jürgen Höller. In der 2014 erschienenen Buchfassung seiner Kolumne werden in einer Bibliographie Verweise auf reale Werke der Ratgeberliteratur aufgeführt.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. A. [= Adolf oder August] Müller, Reinhold W. Schlecht, Alexander Früh: Der Weg zur Gesundheit. Ein getreuer und unentbehrlicher Ratgeber für Gesunde und Kranke. Nebst einer Sonderbeilage „Sexualfragen“ von Hans Gill. 2 Bände, (1901; 3. Auflage 1906, 9. Auflage 1921) 31. bis 44., verbesserte und ergänzte Auflagen. C. A. Weller, Berlin 1929 bis 1931.
  2. Fritz König (Hrsg.): Ratgeber in gesunden und kranken Tagen. Ein Lehrbuch vom menschlichen Körperbau und ein ärztlicher Hausschatz für alle Krankheitsfälle unter Berücksichtigung der erfolgreichsten Naturheilverfahren und anderer Heilmethoden. Unter Wirkung […] hervorragender Spezialisten. 16. Auflage. Dr. Karl Meyer, Leipzig o. J.
  3. designwissen.net
  4. Selbsthilfeliteratur: Seriosität auf dem Prüfstand. August 2009, abgerufen am 2. Dezember 2022.
  5. Sabine Hockling: Erfolg hat, wer Regeln bricht. In: ZEIT. 21. August 2014 (Online): „Immer wieder neue Ideen umsetzen und offen für die Anregungen der Mitarbeiter sein: So wurde Mike Fischer Millionär. Der Unternehmer hat nun ein Buch geschrieben.“
  6. bernd-slaghuis.de
  7. uni-erfurt.de
  8. Dorothea Lüddeckens (2004), Neue Rituale für alle Lebenslagen. Beobachtungen zur Popularisierung des Ritualdiskurses, in: ZRGG 56, 37-53
  9. David Hugendick: Marie Kondo: Räum! Hier! Auf! In: Zeit Online. 4. März 2016, abgerufen am 20. April 2016.