Rechavia

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Bejt ha-Mossadot ha-Le'ummijjim, kurz ha-Sochnut in Rechavia

Rechavia (hebräisch רחביה / רְחַבְיָה englisch Rehavia, arabisch رَحَفْيَا, DMG Raḥafyā) ist ein Stadtteil von Jerusalem zwischen der Innenstadt und dem Talpiot-Viertel. Seit seiner Errichtung ist er für seine zahlreichen namhaften Bewohner, unter anderem Professoren der Hebräischen Universität Jerusalem, Regierungsangestellte und Diplomaten, aber auch Intellektuelle und Denker aus Wissenschaft und Kultur bekannt. Noch heute zählt Rechavia zu den wohlhabenderen Teilen der Stadt. Der Architekt Eliezer Yellin gab dem Viertel den Namen des Enkelsohns des Mose.[1][2]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Bonem House von 1935, in dem für das Quartier typischen Internationalen Stil

Rechavia wurde 1924[3] auf einem Gelände des Griechisch-Orthodoxen Patriarchats gegründet, das in großen finanziellen Schwierigkeiten[4] war, weil wegen der Entwicklung in Russland kaum noch orthodoxe Pilger kamen. Arthur Ruppins Palestine Land Development Company[3][5] (PLDC) erwarb das Land. Der Jüdische Nationalfonds kaufte es und beauftragte den Architekten Richard Kauffmann mit der Gestaltung einer Gartensiedlung. Später gelangte Rechavia wieder in den Besitz der PLDC im Austausch gegen Land in der Jesreelebene, wiewohl der Jüdische Nationalfonds einige Grundstücke in seinem Besitz hielt. Das Gymnasium von Rechavia, die Yeshurun-Synagoge und der Bejt ha-Mossadot ha-Le'ummijjim (בֵית הַמּוֹסָדוֹת הלְאוּמִיִּים Haus der Nationalen Institutionen, 1928–1936 erbaut), u. a. Sitz von ha-Sochnut ha-Jehudit le-Eretz Jisra'el (הַסּוֹכְנוּתִ היְּהוּדִית לְאֶרֶץ יִשְׂרָאֵל Jüdische Agentur für Israel), wurden auf diesem Land gebaut.

Modell für Rechavia standen die Gartensiedlungen in Europa, architektonisch orientierte man sich am Internationalen Stil. Die erste Phase, genannt „Rechavia Alef“, mit zunächst 114 Privatparzellen für Einfamilienhäuser und Gärten, entstand ab 1922 unter der gestalterischen Verantwortung von Richard Kauffmann,[5] des leitenden Architekten und Stadtplaners der Sochnut. Kauffmann entwarf 20 Privathäuser im Stadtviertel selbst – darunter „Beit Aghion“, die heutige Residenz des israelischen Premierministers.[6] Rechavia wurde begrenzt durch die King George Street im Osten, die Ramban Street im Süden, die Ussishkin Street im Westen und die Keren Kayemet Street im Norden. Um den ruhigen Charakter zu erhalten, erlaubte die Stadtteilverwaltung Geschäfte nur an den Ecken der beiden Hauptstraßen. Die engen Nebenstraßen gestatteten nicht allzu viel Verkehr. Der von Bäumen gesäumte Boulevard inmitten der Nachbarschaft war eine Fußgängerzone. Nach weiterem Grunderwerb 1930 entstand nach Kauffmanns Plänen in der zweiten Bauphase „Rechavia Bet“ in Richtung Süden hin zur Gaza Street.[6]

Die Villa Leah[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1931 errichtete Mikhail Abkarius,[7] der damals angesehenste Strafrechtler im Mandatsgebiet Palästina, in Rechavia die Villa Leah.[7] Der Christ Abkarius benannte sie nach seiner 30[8] Jahre jüngeren jüdischen Frau Leah Tennenbaum,[7] die er 1930 geheiratet hatte und die in ihrer Zeit als besonders schöne und glamouröse[8] Frau galt. Als sie ihn sitzen ließ, wurde die Villa in der Ben-Maimon-Straße[7] 1935 vom äthiopischen Kaiser Haile Selassie[7][8] als Bleibe für sein Exil gemietet, nachdem Italiens Armee sein Land im Abessinienkrieg überfallen hatte. In den 1950er Jahren konnte sie Mosche Dayan[7][8] günstig erstehen, später bewohnte sie Josef Burg.[7]

Deutsch-jüdisches Erbe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit seiner Errichtung in den 1920er Jahren war das Viertel traditionell mit dem deutsch-jüdischen Bildungsbürgertum verbunden, was sich zum einen durch die vielen Einwanderer und Flüchtlinge aus Deutschland und zum anderen durch den Einfluss des Städtebaus nach deutschem Vorbild ergab. So wurde das Quartier etwa unter Leitung der aus Deutschland stammenden Architekten Erich Mendelsohn oder Richard Kauffmann in Charakter und Dimension mitunter stark von den grünen Stadtteilen Dahlem oder Grunewald in Berlin geprägt.[9][10][11][12] Noch immer befindet sich mit der Schocken-Bibliothek des deutsch-jüdischen Verlegers Salman Schocken die größte deutschsprachige Büchersammlung Israels im Quartier. Die zwischen 1934 und 1936 von Erich Mendelsohn für seinen langjährigen Mäzen Salman Schocken entworfene Schocken-Bibliothek mit rund 60.000 Werken gehört zu den bedeutendsten Beispielen deutsch-jüdischen Kulturerbes in Israel.[6] In seinen ersten Jahrzehnten galt das Viertel als „deutscher“ Stadtteil. Der Jerusalemer Architekturhistoriker David Kroyanker beschrieb Rechavia gar als eine „preußische Insel im Meer des Orients.“[13]

Rechavia im Krieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dem Palästinakrieg von 1948/1949 ging der sogenannte „Jüdische Aufstand“ rechtszionistischer Kräfte gegen die Briten voraus: Am 6. Mai 1947[14] wurde der 16-jährige Lechi-Plakataushänger Alexander Rubowitz bei einem Einsatz der Palestine Police in Rechavia gefasst und vermutlich von Roy Farran[14] durch Folter getötet.

Das Gymnasia Rechavia[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Gymnasia Rechavia, die zweitälteste hebräischsprachige Sekundarschule Israels

Das Gymnasia Rechavia war das zweite moderne, hebräische Gymnasium des späteren Staates Israel, nachdem in Tel Aviv im Jahr 1905 bereits das Hebräische Herzlia-Gymnasium eröffnet worden war. Das Gymnasium wurde im Jahr 1909 in Jerusalem errichtet, zog 1928 in seine heutige Heimstätte an der HaKeren HaKayemet Le-Israel-Straße, und wurde auch als Lehrstätte des späteren israelischen Präsidenten Yitzhak Ben-Zvi und seiner Frau Rachel Yanait berühmt. Zu den namhaften Absolventen des Gymnasiums zählen unter anderem die Schriftsteller Abraham B. Jehoshua und Amos Oz sowie die Bibelgelehrte Trude Dothan, und die spätere Präsidentin des Obersten Gerichtshof Israels Miriam Naor.[15]

Straßennamen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die meisten Straßennamen Rechavias sind nach Philosophen und Gelehrten des Goldenen jüdischen Zeitalters auf der iberischen Halbinsel des 14. und 15. Jahrhunderts benannt. Unter anderem also nach Isaak Abrabenel, Moses Maimonides (Rambam), Abraham ibn Esra, Rabbi Moses ben Nachman (Ramban) und David Kimchi (Radak).[16] Zu den Ausnahmen gehört berüchtigterweise die nach dem Zionistenführer Menachem Ussishkin benannte Straße, welche vormals nach Jehuda Halevy benannt war, allerdings zum 70. Geburtstag des zionistischen Politikers von diesem eigenhändig nach ihm umbenannt wurde.

In der Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Literatur der Nachkriegszeit wurde das Quartier in Gedichten und Aufsätzen von Mascha Kaléko, in Amos Oz’ Roman Eine Geschichte von Liebe und Finsternis (2002) oder Yoram Kaniuks Tagebuch-Roman Der letzte Berliner (2002) besprochen und skizziert. Hierbei wurde immer auch besonders auf das kulturelle und historische Erbe des deutschen Judentums im noch jungen jüdischen Staat nach 1948 eingegangen.

Berühmte Bewohner[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Rehavia – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vgl. 1. Buch der Chronik (23,17 LUT, 24,21 LUT und 26,25 LUT). In der lateinischen Bibelübersetzung lautet der Name dieser Figur Rehabia. Im Arabischen lautet der Name des Viertels Raḥafyā, während der Nachkomme Moses auf Arabisch رَحَبْيَا, DMG Raḥabyā heißt; Raḥafyā ist die arabische Transkription der heutigen hebräischen Aussprach des Namens, also von Rechavia.
  2. Aviva Bar-Am und Shmuel Bar-Am: How Ramban's ‘desolate’ Jerusalem area transformed into Yekkes’ Rehavia: 90 years ago, with its first street named after the medieval Spanish scholar, German Jews established a tony garden neighborhood over wasteland owned by Greek Orthodox Church. In: The Times of Israel, 15. August 2015, abgerufen am 1. April 2019.
  3. a b Sylvaine Bulle, avec la participation de Yann Scioldo-Zürcher: Sociologie de Jérusalem. Hrsg.: Pascal Combemale (= Collection Repères Sociologie. Nr. 743). Éditions La Découverte, Paris 2020, ISBN 978-2-348-05560-7, S. 14.
  4. Daphne Tsimhoni: The Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem during the formative years of the British Mandate in Palestine. In: Asia and African Studies. Band 12, Nr. 1, 1978, S. 77–121.
  5. a b Catherine Nicault: Une histoire de Jérusalem – De la fin de l’Empire ottoman à la guerre de Six Jours (= Collection Biblis histoire). 2. Auflage. CNRS Éditions (Centre national de la recherche scientifique), Paris 2012, ISBN 978-2-271-07455-3, S. 217 ff.
  6. a b c Ines Sonder: Deutsch-jüdisches Kulturerbe in Architektur und Stadtplanung Israels. In: Elke-Vera Kotowski (Hrsg.): Das Kulturerbe deutschsprachiger Juden: Eine Spurensuche in den Ursprungs-, Transit- und Emigrationsländern. De Gruyter, Berlin u. a. 2015, S. 349–358, hier: S. 351 f., 353 f.
  7. a b c d e f g h Menachem Klein: Jerusalem: geteilt, vereint – Araber und Juden in einer Stadt. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-633-54289-5, S. 69 (gekürzte deutschsprachige Ausgabe von Lives in Common. Arabs and Jews in Jerusalem, Jaffa, and Hebron, C. Hurst & Co. Publishers, 2014; übersetzt von Eva-Maria Thimme).
  8. a b c d Simon Sebag Montefiore: Jerusalem – Die Biographie. 4. Auflage. Nr. 17631. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-596-17631-1, S. 564 f. (Originalausgabe: Jerusalem. The Biography. Weidenfels & Nicolson, London 2011; übersetzt von Ulrike Bischoff und Waltraud Götting).
  9. Alan Posener: Jerusalems Stadtteil Rechavia: Grunewald im Orient. 2. Januar 2018 (welt.de [abgerufen am 16. Dezember 2019]).
  10. Jakob Hessing: Jerusalem: Die schönen Westviertel. In: Die Zeit. 3. Juni 2018, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 16. Dezember 2019]).
  11. Aviva and Shmuel Bar-Am: How Ramban’s ‘desolate’ Jerusalem area transformed into yekkes’ Rehavia. Abgerufen am 16. Dezember 2019 (amerikanisches Englisch).
  12. Ghosts of Rehavia's Zeitgeist. In: Haaretz. 30. April 2004 (haaretz.com [abgerufen am 16. Dezember 2019]).
  13. Alan Posener: Rechavia: Als Jerusalem einen deutschen Stadtteil hatte. In: Welt.de vom 2. Januar 2018.
  14. a b James Barr: Une ligne dans le sable – Le conflit franco-britannique qui façonna le Moyen-Orient. In: Marguerite de Marcillac (Hrsg.): Collection Tempus. 2. Auflage. Nr. 783. Éditions Perrin, Paris 2019, ISBN 978-2-262-08165-2, S. 508 ff. (Originalausgabe: A Line in the Sand: the Anglo-French struggle for the Middle East 1914–1948. New York 2011; übersetzt von Johan Frederik Hel-Guedj).
  15. Jerusalem Architecture in the British Mandate Period. Abgerufen am 5. Juni 2017 (englisch).
  16. Danny Rubinstein: A walk across Jerusalem history. In: Haaretz. 26. November 2006, abgerufen am 4. Januar 2018.
  17. Steve Jourdin, préface de Élie Barnavi: Israël : autopsie d'une gauche (1905–1995). In: Jean-Luc Veyssy (Hrsg.): Collection « Documents ». Éditions le bord de l’eau, Lormont (Gironde) 2021, ISBN 978-2-35687-802-1, S. 198.