Schlussstrichdebatte

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Wahlplakat der FDP zur Bundestagswahl 1949 mit der Forderung nach Beendigung der Entnazifizierung

Schlussstrichdebatte (vgl. die Redewendungeinen Schlussstrich ziehen“) bezeichnet die Diskussion um die Beendigung einer in der Regel sehr kontroversen Auseinandersetzung über ein dauerhaftes Streitthema. Der Begriff wird auch als politisches Schlagwort verwendet.

Überblick[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Anlass für eine Schlussstrichdebatte ist meist die empfundene Ergebnis- und Aussichtslosigkeit einer weiteren Diskussion zu einem Thema. Dies ist in der Regel gegeben, wenn sich die Diskussionsteilnehmer in polarisierten Gruppen nach häufig wiederholter intensiver Debatte nicht einig werden.

Die Revisionismusdebatte kann als Wiederaufnahme einer solchen Schlussstrichdebatte verstanden werden.

Die Schlussstrichdebatte kann aber auch nur einer Gruppe zweckdienlich erscheinen und von Diskussionspartnern als Ausweichmanöver empfunden werden. So entstehen möglicherweise zugleich zwei verschiedene Konnotationen der Schlussstrichdebatte, einerseits positiv besetzt als konstruktiver Lösungsversuch, andererseits negativ besetzt als rhetorisches Ausweichmanöver.

Beispiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in der deutschen Bevölkerung die Entnazifizierung als ungerecht empfunden. Es kam in weiten Kreisen der Wunsch auf, anstelle einer weitergehenden Vergangenheitsbewältigung einen „Schlussstrich“ unter die NS-Vergangenheit zu ziehen. Seither wurde die Debatte mit alternativen Formulierungen immer weiter geführt: So äußerte sich beispielsweise der CSU-Politiker Franz-Josef Strauß 1986, es sei „höchste Zeit, dass wir aus dem Schatten des 3. Reiches und aus dem Dunstkreis Adolf Hitlers heraustreten und wieder eine normale Nation werden.“[1]

Martin Walser sprach 1998 in seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels von der „Routine der Beschuldigung“, „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“" und formulierte: „Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung“.[2] Das Wort „Schlussstrich“ verwendete Walser nicht, es wurde jedoch in der anschließenden Debatte häufig mit seiner Rede in Verbindung gebracht.[3]

Ein weiteres Beispiel, bei dem der Begriff Schlussstrichdebatte durch Bürgerrechtler verwendet wird, ist der Streit um eine Vergangenheitsbewältigung der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik. Hierbei werden beispielsweise die juristischen Verfahren zur Begrenzung von persönlichen Vorwürfen an Politiker als „verfrühte Schlussstrichdebatte“ kritisiert.

In Argentinien wurde 1986, drei Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur, das sogenannte „Schlussstrichgesetz“ erlassen.

Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Schlussstrichdebatte ist häufig der Versuch einer Vergangenheitsbewältigung bzw. genauer der Appell für die Aufgabe einer weiteren Aufarbeitung (Diskussion) der Vergangenheit.[4][5]

Eine Verwendung als politisches Schlagwort ist auch losgelöst von Debatten als Argument üblich, um eine behauptete oder angenommene Diskontinuität von Zuständen als Verfälschung oder Illusion darzustellen.[6]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Antje Langer: Jenninger-Rede. In: Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der ‚Vergangenheitsbewältigung‘ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. transcript, Bielefeld 2015, ISBN 978-3-8376-2366-6, S. 261 ff., hier S. 262.
  2. Klaus Ahlheim, Bardo Heger: Die unbequeme Vergangenheit. NS-Vergangenheit, Holocaust und die Schwierigkeiten des Erinnerns. 2. Auflage. Wochenschau Verlag, Schwalbach 2003, ISBN 3-87920-469-1.
  3. Stella Hindemith: Rechtspopulismus: Es begann nicht auf der Straße. In: Die Zeit. 24. September 2018, abgerufen am 4. November 2021.
  4. Karl Cervik: Kindermord in der Ostmark, S. 108.
  5. Helma von Nerée: Erinnern – nie vergessen (PDF).
  6. Falk Blask, Thomas Friedrich: Menschenbild und Volksgesicht, S. 174.