Sexarbeit

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Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter demonstrieren für ihre Rechte

Sexarbeit ist ein seit den 1970er Jahren verwendeter Begriff für sexuelle Dienstleistungen, also für bezahlte Tätigkeiten in der Sexindustrie, insbesondere in der Prostitution,[1] aber auch als Domina, Pornodarsteller oder Peepshowdarsteller. In Abgrenzung zur Prostitution ist der Begriff „Sexarbeit“ positiver konnotiert und betont, dass es sich um Arbeit handelt.[2]

Der Begriff der Sexarbeit bezeichnet dabei „eine konsensuelle sexuelle oder sexualisierte Dienstleistung zwischen volljährigen Geschäftspartnern gegen Entgelt oder andere materielle Güter“[3] und schließt nicht-einvernehmlichen Sex beziehungsweise Sex mit Minderjährigen aus der Definition aus. In Deutschland ist Sexarbeit jedoch kein Begriff der juristischen Fachsprache.

Herkunft des Begriffs[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff „Sexarbeiter“ (englisch sex worker) wurde 1978 von Carol Leigh im aktivistischen Sinn geprägt.[4] Leigh verstand sich dabei als Feministin.[5] Der Begriff sollte die mit der Prostitution und ähnlichen Dienstleistungen im Bereich der Sexualität verbundenen negativen Konnotationen abbauen und diese Tätigkeiten in eine Reihe mit anderen Dienstleistungsberufen stellen.[1][6] In den Vereinigten Staaten (USA), wo der Begriff entwickelt wurde, ging es vor allem darum, Prostitution und Prostituierte zu entkriminalisieren. Prostitution sei keine Straftat, sondern eine Form der Erwerbstätigkeit. Während in den USA der Begriff „sex work“ in Gesetzestexten verwendet wird,[7] ist der Begriff in Deutschland bisher nicht als juristischer Begriff etabliert.

Interessenvertretungen riefen den 17. Dezember als „Internationalen Tag gegen Gewalt an Sexarbeitern“ (International Day to End Violence Against Sex Workers) aus.[8][9]

Arten von Sexarbeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sexarbeit ist ein Überbegriff unter den verschiedene konsensuale sexuelle Handlungen und erotische Darbietungen fallen, die jeweils unterschiedliche Grade von körperlichem Kontakt mit den Klienten beinhalten.[10]

Im Jahr 2004 untersuchte eine Studie 681 Artikel über „Prostitution“, um eine globale Typologie der Arten von Sexarbeit zu erstellen und ein systematischeres Verständnis von Sexarbeit zu entwickeln. Dabei wurden 25 Arten von Sexarbeit identifiziert. Sie variieren je nach Form und sozialem Kontext und beinhalten verschiedene Arten direkter und indirekter Sexarbeit. Die Studie wurde mit dem Ziel durchgeführt, auf eine Verbesserung der Gesundheit und Sicherheit von Sexarbeitern hinzuarbeiten. Dabei wurden folgende Kategorien identifiziert:[11]

Rechtliche Lage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vereinigte Staaten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit Ausnahme von einigen Regionen im Bundesstaat Nevada ist Prostitution in den Vereinigten Staaten nach wie vor zwar illegal, wird aber teilweise geduldet. 2012 hat Norma Jean Almodovar, ehemalige Mitarbeiterin des Los Angeles Police Department, die sich mittlerweile als Autorin und Aktivistin im Bereich der Sexarbeit engagiert, die ISWFACE, International Sex Worker Foundation for Art, Culture and Education, gegründet.[12]

Schweiz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Schweizer Erziehungswissenschaftlerin Eva Büschi beklagt, die juristische Definition von Prostitution in der Schweiz präzisiere nicht ausreichend, dass es dabei um eine Erwerbsarbeit gehe.[13]

In der Schweiz hat der Begriff Eingang in die Legislative gefunden, wenn seitens der Politik gefordert wird, dass Sexarbeit legal, unter guten Rahmenbedingungen für alle Beteiligten ausgeübt werden und Ausbeutungssituationen weitestmöglich verhindert werden sollen. Bei der Verwendung des Begriffes Sexarbeit statt Prostitution wird auf die Argumentation von Büschi Bezug genommen. Insbesondere soll die Einklagbarkeit von Forderungen aus sexueller Arbeit besser geregelt werden, die bei einer Auffassung der Vereinbarungen als „sittenwidrig“ nicht eindeutig genug geregelt sei. Juristische Definitionen von „Prostitution“ beinhalten auch das „gelegentliche Anbieten“ sexueller Dienstleistungen, was auch als nicht gewerbsmäßige Ausübung gewertet werden kann und dadurch Ansprüche auf Entgelt relativiert.[14]

Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Prostitution in Deutschland[15] gilt seit Einführung des Prostitutionsgesetzes im Jahre 2002 nicht mehr als sittenwidrig.[16] Seit 2000 gilt auch kommerzieller Telefonsex als Gewerbebetrieb.[17]

Der Unternehmerverband Erotik Gewerbe Deutschland vertritt die Interessen der Unternehmer. Darüber hinaus vertritt der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen sowohl die Interessen von Sexarbeitenden als auch von Bordellbetreibern, während der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen ausschließlich aktive und ehemalige Sexarbeitende als Mitglieder zulässt und repräsentiert.

Feministische Perspektiven[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sexarbeit wird in verschiedenen feministischen Strömungen sehr kontrovers diskutiert und unterschiedlich bewertet. Grundsätzlich lassen sich zwei konträre Positionen voneinander abgrenzen.

Auf der einen Seite gibt es feministische Strömungen, die Sexarbeit grundsätzlich als Ausdruck von patriarchaler Unterdrückung und Ausbeutung betrachten.[18] Diese Perspektive argumentiert, dass die Mehrheit der Sexarbeitenden aufgrund von Armut, sozialer Ungleichheit und anderen prekären Umständen zur Sexarbeit gezwungen wird. Feministische Strömungen, die diese Ansicht vertreten, befürworten oft eine abolitionistische Herangehensweise[19] und sprechen sich für die Kriminalisierung von Sexarbeit aus. In diesem Fall wird nicht zwischen freiwilliger Sexarbeit und erzwungenen sexuellen Dienstleistungen unterschieden. Stattdessen werden beide als ausbeuterisch und objektifizierend dargestellt.[18] Zudem wird hier die Selbstbezeichnung „Sexarbeit“ abgelehnt und stattdessen der negativ konnotierte Begriff „Prostitution“ verwendet.[3]

Diese Sichtweise auf Sexarbeit wird von der Gegenseite auch als SWERF (Sex Work Exclusionary Radical Feminism) bezeichnet und als eine Form von exkludierendem Radikalfeminismus, der Sexarbeitende aus feministischen Bestrebungen ausschließt, betrachtet.[20] Vor allem Feministinnen der sogenannten „zweiten Welle“, wie z. B. auch Alice Schwarzer vertreten diese Position.[21]

Diese generalisierende Darstellung von Sexarbeitenden als ausgebeutete Opfer wird von anderen feministische Strömungen stark kritisiert.[22] In Abgrenzung zu dieser Darstellung wird Sexarbeit von der Gegenseite als eine Form von Arbeit definiert, bei der die Sexarbeitenden die Kontrolle über ihren eigenen Körper und ihre sexuelle Autonomie haben.[22] Diese Perspektive betont die Notwendigkeit, Sexarbeit zu entkriminalisieren und die Rechte von Sexarbeitenden zu schützen, da, nach dieser Argumentation, die Kriminalisierung von Sexarbeit zu einer erhöhten Stigmatisierung, Gewalt und Ausbeutung von Sexarbeitenden führt, anstatt sie zu verringern.[23] Außerdem setzten sich die Vertreter dieser Perspektive für die Anerkennung der Arbeit von Sexarbeitenden ein und sprechen ihnen die Fähigkeit zum selbstbestimmten Umgang mit ihrem Körper zu.[24] Es wird zudem gefordert, dass sich Arbeitsbedingungen, rechtliche Lage, Sicherheit und Gesundheit der in der Sexarbeit tätigen Menschen verbessern. Eine der feministischen Strömungen, die diese Position vertritt, ist der Sex-positive Feminismus. Dieser erkennt an, dass nicht nur cis-Frauen Sexarbeit ausüben und nicht nur cis-Männer Sexarbeit in Anspruch nehmen, sondern z. B. auch cis-Männer und queere Menschen sexuelle Dienstleistungen anbieten und Menschen aller Geschlechter für Sexarbeit bezahlen.

Insgesamt sind sich feministische Strömungen sehr uneinig, wie mit Sexarbeit umgegangen werden sollte. Deshalb wird dieses Thema konstant weiter ausgehandelt und diskutiert.[19]

Wissenschaftliche Diskussion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff der Sexarbeit ist auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung spätestens seit den 2000er Jahren ein gängiger Begriff.[25]

Spätestens seit den 2010er Jahren existieren mehrere Forschungsnetzwerke zum Thema Sexarbeit bzw. Prostitution. In Deutschland wurde 2015 das Netzwerk Kritische Sexarbeitforschung gegründet, das seitdem jährlich Workshops für interessierte Wissenschaftler organisierte.[26] Inzwischen ist aus diesem die Gesellschaft für Sexarbeits- und Prostitutionsforschung (GFSP) entstanden.[27] In England bringt das an der York University angesiedelte Sex Work Research Hub Forschende zum Thema zusammen.[28] Eine Sammlung von Forschungsartikeln aus Fachzeitschriften wird auf Sex Work Research geboten.[29]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Sexarbeit – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Zitat: “Work in the sex industry, esp. prostitution” aus: Oxford English Dictionary, 1989 (online)
  2. Clearing Up Some Myths About Sex Work. Abgerufen am 27. April 2023 (englisch).
  3. a b Carolin Küppers: Sexarbeit. (gender-glossar.de [abgerufen am 8. September 2018]).
  4. The Etymology of the terms “Sex Work” and “Sex Worker”. (online)
  5. Carol Leigh: Inventing sex work. In: Jill Nagle (Hrsg.): Whores and other feminists. Routledge, New York 1997, ISBN 0-415-91821-9, S. 224–231 (archive.org).
  6. Prostituierte – ein ganz normaler Beruf? Welt Online, 28. Dezember 2012
  7. State of New York, S. 6419 A. 8230, 2019–2020 Regular Sessions, Senate Assembly, June 10, 2019, https://legislation.nysenate.gov/pdf/bills/2019/S6419
  8. Sonja Dolinsek: 17. Dezember: Der Internationale Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter (International Day to End Violence Against Sex Workers). In: menschenhandelheute.net
  9. Siehe: Liste von Gedenk- und Aktionstagen.
  10. Understanding Sex Work in an Open Society. April 2019, abgerufen am 25. Mai 2023.
  11. Christine Harcourt, Basil Donovan: The many faces of sex work. In: Sexually Transmitted Infections, 81 (3), 2005, S. 201–206, doi:10.1136/sti.2004.012468.
  12. International Sex Worker Foundation for Art, Culture and Education Home Page, abgerufen am 15. Juli 2022
  13. Eva Büschi: Sexarbeit und Gewalt. Geschäftsführende von Studios, Salons und Kontakt-Bars über Gewalt und Gewaltprävention im Sexgewerbe. Tectum. Marburg 2011, ISBN 978-3-8288-2564-2.
  14. Gesetz über die Sexarbeit geht in Vernehmlassung. (Memento des Originals vom 25. Februar 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.presseportal.ch presseportal.ch, 30. Januar 2013
  15. Elke Gurlit: Das Gewerberecht als Regelungsregime der Prostitution – Anwendbarkeit, Regelungsinstrumente, Regelungskompetenzen. In: Regulierung von Prostitution und Prostitutionsstätten – ein gangbarer Weg zur Verbesserung der Situation der Prostituierten und zur nachhaltigen Bekämpfung des Menschenhandels?: Möglichkeiten und Grenzen des Gewerberechts. Schnittstellen zwischen Gewerbe- und Polizeirecht. (PDF) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend u. a., Mai 2009, S. 23–31.
  16. Prostitution – Das „älteste Gewerbe der Welt“? Bundeszentrale für politische Bildung, abgerufen am 8. September 2018.
  17. Siehe Urteil des Bundesfinanzhofs, 23. Februar 2000 – X R 142/95
  18. a b Audrey Miano: Feminism 101: What Is A SWERF? 15. Juli 2017, abgerufen am 1. Juni 2023.
  19. a b Sabine Grenz, Heike Mauer, Nicola Behrmann, Martin Lücke, Romana Sammern: Vorwort. Prostitution und Sexarbeit. In: GENDER, (1) 2022, S. 7.
  20. Hengameh Yaghoobifarah: Was ist denn SWERF und TERF? Nicht überall, wo Feminismus draufsteht, ist auch Feminismus drin. 1. Dezember 2016, abgerufen am 1. Juni 2023.
  21. Ulrike Lembke: Zwischen Würde der Frau, reduziertem Liberalismus und Gleichberechtigung der Geschlechter–Feministische Diskurse um die Regulierung von Prostitution/Sexarbeit. In: Susanne Baer, Ute Sacksofsky (Hrsg.): Autonomie im Recht – Geschlechtertheoretisch vermessen. Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Baden-Baden 2018, ISBN 978-3-8487-4781-8, S. 275–304, hier S. 288.
  22. a b Warum die Frauenbewegung Sexarbeiter_innen zuhören muss (crossblogged). 24. Mai 2012, abgerufen am 8. Juni 2023.
  23. Ulrike Lembke: Zwischen Würde der Frau, reduziertem Liberalismus und Gleichberechtigung der Geschlechter–Feministische Diskurse um die Regulierung von Prostitution/Sexarbeit. In: Susanne Baer, Ute Sacksofsky (Hrsg.): Autonomie im Recht – Geschlechtertheoretisch vermessen. Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Baden-Baden 2018, ISBN 978-3-8487-4781-8, S. 275–304, hier S. 288.
  24. Hanna, Lilian: EXTREMPOSITIONEN: PROSTITUTION VS. SEXARBEIT. 8. Juli 2020, abgerufen am 1. Juni 2023.
  25. Carolin Küppers: Sexarbeit. (gender-glossar.de [abgerufen am 4. November 2023]).
  26. Vergangene Workshops. Abgerufen am 4. November 2023.
  27. Gesellschaft für Sexarbeits- und Prostitutionsforschung. Abgerufen am 16. April 2021.
  28. Sex Work Research Hub. Sociology, The University of York, abgerufen am 4. Oktober 2018 (englisch).
  29. Sex Work Research. Abgerufen am 4. Oktober 2018 (amerikanisches Englisch).