Solidarische Landwirtschaft

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Wochenanteil an Gemüse und Obst eines Community-Supported Agriculture-Projektes in den USA

Solidarische Landwirtschaft (in Deutschland abgekürzt Solawi; in Österreich auch Gemeinschaftsgetragene Landwirtschaft; in der Schweiz Regionale Vertragslandwirtschaft, in Frankreich Associations pour le Maintien d’une Agriculture Paysanne; in Italien Agricoltura civica, Agricoltura civile oder Agricoltura sociale propagiert; in den USA Community-supported agriculture) bezeichnet ein Konzept, bei dem z. B. Verbraucher auf lokaler Ebene mit einem oder mehreren Partner-Landwirten kooperieren.

Die Verbraucher geben eine Abnahmegarantie für Produkte und können im Gegenzug auf verschiedene Weise in die Produktion oder den Betrieb einbezogen werden. In der Regel werden eine ökologische Wirtschaftsweise sowie ein ressourcenschonender Vertrieb verfolgt.[1]

Geschichte und Regionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Konzept entstand in den 1960er Jahren zunächst in Japan.[2] 2015 beteiligten sich fast jeder vierte Haushalt an einem Teikei (提携 ‚Partnerschaft‘).[3] 1978 entstand im Zuge der modernen westlichen Umweltbewegung bei Genf in der Schweiz die Kooperative Les jardins de Cocagne („Schlaraffengärten“).[4][5][6] Bald darauf entwickelte sich in den USA seit etwa 1985 die dort CSA genannte Wirtschaftsweise in einem von der Anthroposophie beeinflussten Kreis um den Landwirt Trauger Groh und durch den aus der Schweiz eingewanderten Jan VanderTuin. 2005 bestanden in den USA etwa 1700 Gruppen,[7] während 2011 in Altstetten bei Zürich mehrere Initiativen und Einzelpersonen den Verband regionale Vertragslandwirtschaft (RVL) gründeten.[8]

In Deutschland vertritt der Verein Solidarische Landwirtschaft das gleichnamige Konzept.[9] Er entstand um den biologisch-dynamischen Betrieb „Buschberghof“ in Fuhlenhagen, der die Idee 1988 einführte.[10] 2018 enthielt ein Vertragsentwurf der CDU/CSU-SPD-Bundesregierung den Begriff:[11] „Wir wollen im Rahmen der Modell- und Demonstrationsprojekte (Best-Practice) Vorhaben zur regionalen Wertschöpfung und Vermarktung fördern, z. B. Netzwerk Solidarische Landwirtschaft (Solawi).“ 2019 umfasste die 2012 gegründete Münchner Genossenschaft Kartoffelkombinat als eine der größten rund 1.800 Anteile; sie bewirtschaftet seit 2017 eine eigene Gärtnerei in Spielberg in der Gemeinde Egenhofen.[12][13] Bis Ende 2022 entstanden über 400 Organisationen.[14]

In Österreich entstand 2011 die Initiative Gemeinsam Landwirtschaften – Gela Ochsenherz[15] um den gleichnamigen Demeter-Gärtnerhof in Gänserndorf bei Wien, der als einer der ersten den Begriff Solidarische Landwirtschaft verwendete. Anfang 2022 waren in Österreich über 50 Landwirtschaften in diesem Sinne aktiv.[16]

In Frankreich existiert das Konzept unter dem Namen „Association pour le maintien de l’agriculture paysanne“, kurz AMAP (Verbrauchervereinigung für die Beibehaltung der bäuerlichen Landwirtschaft). Es handelt sich dabei um regional agierende Vereine, die der gesicherten Abnahme landwirtschaftlicher Produkte aus deren Herkunftsregion dienen. Typische Produkte sind Früchte, Gemüse, Eier, Käse, Fleisch und weitere Erzeugnisse.[17][18]

Die weltweit größte Organisation der solidarischen Landwirtschaft ist die südkoreanische Genossenschaft Hansalim. Sie zählte 2019 2.300 landwirtschaftliche Betriebe und 644.000 Haushalte zu ihren Mitgliedern und versorgte rund zwei Millionen Menschen.[19][20]

Seit 2020 bietet ein Weingut in Merzhausen Solidarischen Weinbau an.[21]

Modelle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einige Initiativen setzen einen monatlich fix zu zahlenden Betrag fest. In anderen Fällen kann der gezahlte Betrag der monatlichen Abnahme oder der eigenen finanziellen Situation angepasst werden. Teilweise geben einzelne oder alle Mitglieder Darlehen an die Erzeuger, um größere Investitionen wie den Aufbau des Hofes oder die Umstellung auf ökologische Produktion zu ermöglichen. Das Konzept vereint eine Vielzahl von Ausgestaltungsmöglichkeiten. Grundgedanke des Konzeptes Solidarische Landwirtschaft ist, dass die Verbraucher das unternehmerische Risiko der landwirtschaftlichen Erzeuger mittragen. Rechtlich kann dies auf verschiedene Arten geschehen:[22]

  • Einzelverträge (Solawi Typ 1): Kooperationsverträge des Erzeugers mit jedem einzelnen Abnehmer (als Fortführung des Prinzips der landwirtschaftlichen Direktvermarktung)
  • Abnehmerkorporation (Solawi Typ 2, SoLaWi im engeren Sinn): Zusammenschluss der Abnehmer (z. B. als Verein oder Genossenschaft); dieser schließt einen Kooperationsvertrag mit einem oder mehreren Erzeugern und übernimmt die Verteilung der Erzeugnisse
  • Mitunternehmerschaft (Solawi Typ 3): gesellschaftsrechtliche Beteiligung der Abnehmer an einem Erzeugerunternehmen. Die Mitunternehmerschaft kann von einem bereits bestehenden Erzeugerunternehmen ausgehen oder von einem Zusammenschluss der Abnehmer, die zum Beispiel ein Verteilungsunternehmen aufbauen.

Netzwerk Solidarische Landwirtschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im deutschsprachigen Raum bildet das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft die Plattform für den Austausch und die Beratung der Solidarischen Landwirtschaften. In dem von Solawi-Betrieben gegründeten Verband sind über 400 Betriebe und Initiativen Mitglied. Das Netzwerk und seine Regionalgruppen organisieren Beratungsseminare für den Aufbau und die betriebswirtschaftliche Führung neuer Solawis sowie Fortbildungen zu landwirtschaftlichen Themen.[23]

Die genossenschaftlich organisierten Betriebe bildeten 2019 das Netzwerk der Solawi-Genossenschaften innerhalb des Verbandes.[24]

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Deutschland und weiteren Ländern wurde das Konzept einem breiteren Publikum erstmals 2005 durch den Dokumentarfilm Farmer John – Mit Mistgabel und Federboa bekannt.[25] Im Frühjahr 2013 wurde der Dokumentarfilm Die Strategie der krummen Gurken über ein Projekt Solidarischer Landwirtschaft in Deutschland, der Gartencoop Freiburg, vom alternativen Filmkollektiv Cine Rebelde veröffentlicht.[26] Das Bayerische Fernsehen stellte 2017 unter dem Titel Ernten und Teilen – solidarische Landwirtschaft ein Projekt vor.[27] Die Dokumentation Bauer sucht Crowd aus dem Jahr 2015 porträtierte verschiedene Höfe in Österreich.[28] Das Schweizer Fernsehen SRF strahlte 2021 den Dokumentarfilm Fürs Essen auf den Acker aus.[29]

Es gibt Ansätze, das Konzept auf die Bauwirtschaft (Solidarische Bauwirtschaft, SoBaWi),[30] das Handwerk (SoHaWe) und die Textilbranche[31] zu übertragen.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelbeiträge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Monographien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Klaus Strüber et al.: Handbuch Solidarische Landwirtschaft. Solawis erfolgreich gründen & gestalten. Version 1.2. Nascent, Siegen / Leipzig 2023 (solidarische-landwirtschaft.org [PDF; 5,7 MB]).
  • Veikko Heintz: Solidarische Landwirtschaft – Betriebsgründung, Rechtsformen und Organisationsstrukturen. 2., aktualisierte und überarbeitete Auflage. AbL Verlag, Hamm 2018, ISBN 978-3-930413-65-2.
  • aid infodienst Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz e. V. (Hrsg.): Solidarische Landwirtschaft Gemeinschaftlich Lebensmittel produzieren. aid infodienst, Bonn 2016, ISBN 978-3-8308-1223-4.
  • Helmut Woll: Ivan Illich und die Solidarische Landwirtschaft in Mitteleuropa. (PDF; 331 kB) In: helmut-woll.de, 31. März 2016.
  • Susanne Schlicht et al.: Community Supported Agriculture: An overview of characteristics, diffusion and political interaction in France, Germany, Belgium and Switzerland. 2012 (agronauten.net [PDF; 2,0 MB]; deutsch: „Community Supported Agriculture: Ein Überblick über Merkmale, Verbreitung und politische Interaktion in Frankreich, Deutschland, Belgien und der Schweiz“).
  • Stephanie Wild (Hrsg.): „Sich die Ernte teilen…“. Einführung in die Solidarische Landwirtschaft. Printsystem-Medienverlag, Heimsheim 2012, ISBN 978-3-938295-61-8.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Solidarische Landwirtschaft – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Solawi-Netzwerke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Medienberichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Phillip Bietau u. a.: Solidarische Landwirtschaft – eine soziale Innovation? Eine empirische Studie aus soziologischer Üerspektive. (PDF; 2,7 MB) In: uni-frankfurt.de. 11. Dezember 2013, abgerufen am 8. Juni 2021.
  2. “TEIKEI” system, the producer-consumer co-partnership and the movement of the Japan Organic Agriculture Association. (Memento vom 6. Oktober 2003 im Internet Archive) In: joaa.net. Japan Organic Agriculture Association, 1993.
  3. Stefan Mann: Socioeconomics of agriculture. Springer, 2018, ISBN 978-3-319-74141-3, S. 76 (Scan in der Google-Buchsuche).
  4. Bettina Dyttrich: Und was essen wir morgen? In: woz.ch. 17. September 2015, abgerufen am 16. Februar 2024.
  5. sda/ccr: Leben in der Stadt, essen wie auf dem Land. In: handelszeitung.ch. 4. Juli 2016, abgerufen am 23. Januar 2020.
  6. Historique. In: cocagne.ch, Les Jardins de Cocagne, abgerufen am 16. Februar 2024.
  7. History of Community Supported Agriculture, Part 1. (Memento vom 30. Dezember 2005 im Internet Archive) In: newfarm.org. Rodale Institute, 2005, abgerufen am 10. September 2019.
  8. Verband RVL. In: regionalevertragslandwirtschaft.ch, abgerufen am 16. Februar 2024.
  9. Was ist Solidarische Landwirtschaft? In: solidarische-landwirtschaft.org, abgerufen am 16. Februar 2024.
  10. Hartmut Netz: Solidarische Landwirtschaft in Deutschland. In: nabu.de. August 2015, abgerufen am 10. Mai 2019.
  11. Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. (PDF; 2,8 MB) Entwurf. In: tagesspiegel.de. 7. Februar 2018, S. 85, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 4. März 2018; abgerufen am 31. Januar 2024.
  12. Ingrid Hügenell: Egenhofen: Regional, saisonal, solidarisch. In: sueddeutsche.de. 12. April 2019, abgerufen am 5. Mai 2019.
  13. Kartoffelkombinat e. G.: Was bisher geschah. In: kartoffelkombinat.de. Abgerufen am 6. September 2018.
  14. Bestehende Solawis und Solawis i.G. In: solidarische-landwirtschaft.org, abgerufen am 16. Februar 2024.
  15. GeLa Ochsenherz. In: ochsenherz.at, abgerufen am 16. Februar 2024.
  16. Erklärung der europäischen CSA-Bewegung Solawi / CSA in Österreich. Solidarisch landwirtschaften in Österreich. In: solawi.life. Januar 2022, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 27. Januar 2022; abgerufen am 22. Januar 2022 (österreichisches Deutsch).
  17. Christine Siebert: Bürger unterstützen Bauern. (Memento vom 22. Januar 2010 im Internet Archive) In: RFI International, 8. Januar 2010, abgerufen am 19. Januar 2010 (Kurznotiz).
  18. Quest-ce qu’une AMAP. Site national des AMAP, abgerufen am 16. Februar 2024 (französisch).
  19. Die koreanische Vereinigung Hansalim One World Award Gold 2014. In: one-world-award.de, abgerufen am 16. Februar 2024.
  20. Tobias Asmuth: Hansalin – Genossenschaft für Bioprodukte. Zu Tisch, Genossen! In: brandeins.de, abgerufen am 16. Februar 2024.
  21. Pressemitteilung – Nr. 10/2020. In: merzhausen.de. Gemeinde Merzhausen, 11. Mai 2020, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 12. August 2020; abgerufen am 21. Mai 2020.
  22. Thomas Rüter, Matthias Zaiser: Arbeitsblatt VI / Stand 9/2015. Rechtsfragen der solidarischen Landwirtschaft. (PDF; 339 kB) In: hohage-may.de, 17. September 2015, abgerufen am 16. Februar 2024.
  23. Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e. V. Überblick. In: solidarische-landwirtschaft.org. Abgerufen am 16. Februar 2024.
  24. Die Solawi-Genossenschaften. Eine Arbeitsgemeinschaft des Netzwerk solidarische Landwirtschaft e. V. In: solawi-genossenschaften.net. Abgerufen am 16. Februar 2024.
  25. Dokumentarfilm Farmer John – Mit Mistgabel und Federboa. (Memento vom 17. September 2011 im Internet Archive) In: oekofilm.de (Collective Eye Studio, USA 2005, Regie/Produktion: Taggart Siegel; Synopsis).
  26. Der Dokumentarfilm Die Strategie der krummen Gurken (Memento vom 10. Oktober 2013 im Internet Archive) ist auf der Homepage von Cine Rebelde zu sehen (1:04:11 Std.).
  27. Gabriele Mooser: Ernten und Teilen – solidarische Landwirtschaft. In: BR Fernsehen. 22. Juli 2017, abgerufen am 16. Februar 2024 (Video in der ARD Mediathek [43:57 min]).
  28. KOV Kreditordnungsverein: Bauer sucht Crowd – Ernährungssouveränität in Österreich auf YouTube, 28. Juli 2015, abgerufen am 16. Februar 2024 (deutsch; Dokumentarfilm von Nina Rath, ORF am 26. Juli 2015; Laufzeit: 25:00 min).
  29. Dokumentarfilm Fürs Essen auf den Acker von Dani Heusser (50:27 min). In: srf.ch, 23. September 2021, abgerufen am 16. Februar 2024.
  30. Sandra Stopper: Balingen. Solidarische Bauwirtschaft – Idee zieht Kreise. In: Schwarzwälder Bote. 27. Januar 2019, abgerufen am 15. Juni 2022.
  31. Marius Rommel: Solidarisches Handwerk – Wege zu einer Ökonomie der Nähe. Das »SolHaWe-Textil« in Herzberg erprobt ökologisch und sozial wertvolles Wirtschaften nach dem Modell der solidarischen Landwirtschaft. In: oya – enkeltauglich leben. Nr. 48, 2018 (oya-online.de [abgerufen am 26. Februar 2024]).