Suffizienz (Politik)

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Unter Suffizienz (von lat. sufficere, dt. ausreichen) wird die Wirkmächtigkeit individuell eigenverantwortlich gewählter Orientierungen in Ressourcenverbrauchsmustern (oder Konsummustern) verstanden, die darauf hinwirkt, mit getätigten Verbräuchen innerhalb der Grenzen der ökologischen Tragfähigkeit der Erde zu bleiben. Dabei können jeweilige Nutzenbündel von ressourcenverbrauchenden (oder konsumierenden) Handlungen im Rahmen praktisch gegebener Umsetzungsmöglichkeiten sich im Laufe der Zeit ändern oder variieren.[Anm. 1]

Nähere begriffliche Eingrenzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff der Suffizienz steht in der Nachhaltigkeitsforschung, Umwelt- und Naturschutzpolitik für das Bemühen um einen möglichst nachhaltigkeitskonformen und umweltverträglichen Rohstoff- und Energieverbrauch. Im Endeffekt läuft das Konzept der Suffizienz auf einen schonenden Umgang mit Ressourcen hinaus.
Eine der Schlüsselfragen, die bei der Realisierung des Konzepts der Suffizienz maßgeblich behilflich sein kann, ist die Frage "Was brauche ich wirklich?". Die Frage kann dabei helfen, Lebensbereiche ausfindig zu machen, in denen eine Begrenzung individueller Verbräuche leichter fällt und andere, in denen dies schwerer der Fall ist. Dadurch können im Alltag Prioritäten gesetzt werden und individuelle Verbräuche leichter auf Suffizienz hin ausgerichtet werden.

In der Nachhaltigkeits­diskussion wird Suffizienz häufig komplementär (ergänzend) zu Ökoeffizienz und Konsistenz gesehen.[1][2] Der Begriff wird im Sinne der Frage nach dem rechten Maß sowohl in Bezug auf Selbstbegrenzung[3], Konsumverzicht oder sogar Askese, aber auch Entschleunigung und dem Abwerfen von Ballast gebraucht.[2][4] In allen Fällen geht es um Verhaltensänderungen (insbesondere) als Mittel des Umweltschutzes – im Gegensatz zu technischen Umweltschutzstrategien wie einer gesteigerten Energie- und Ressourceneffizienz oder dem vermehrten Einsatz regenerativer Ressourcen (Konsistenz).

Der Begriff wurde im deutschsprachigen Raum 1993 erstmals von Wolfgang Sachs verwendet.[5] Im Französischen wird er mit Sobriété économique und im Englischen mit Eco-Sufficiency gleichgesetzt. Sachs erklärte den Begriff so:

„Einer naturverträglichen Gesellschaft kann man in der Tat nur auf zwei Beinen näherkommen: durch eine intelligente Rationalisierung der Mittel wie durch eine kluge Beschränkung der Ziele. Mit anderen Worten: die „Effizienzrevolution“ bleibt richtungsblind, wenn sie nicht von einer „Suffizienzrevolution“ begleitet wird.“

Sachs definierte Suffizienz als Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entrümpelung.[6] Manfred Linz beschreibt Suffizienz als die Frage nach dem rechten Maß und definiert die Öko-Suffizienz als „Lebens- und Wirtschaftsweise, die dem übermäßigen Verbrauch von Gütern und damit Stoffen und Energie ein Ende setzt“[7] und damit Ökoeffizienz und Konsistenz flankiert.[7] Dies kann durch eine geringe Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, die einen hohen Ressourcen­verbrauch erfordern, erreicht werden.[8] Das nötige Umdenken wird als schwieriger als die Adaptionen neuer Technologien eingeschätzt.

„Die Suffizienz ist politisch ungleich heikler als die Effizienzfrage.“

Joachim Lohse, ehem. Geschäftsführer des Öko-Instituts[9]

Erweiterung der Begriffsdefinition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In einem Diskussionsbeitrag erweitert der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) den Begriff der Suffizienz von der individuellen auf eine gesellschaftliche Ebene. Ausgehend vom Grundverständnis, dass die Ressourcen der Erde für alle ausreichen sollten, wird die Notwendigkeit einer gemeinschaftliche Genügsamkeit abgeleitet. Suffizienz wird als ausgleichendes Element verstanden, das zwischen den Freiheitsansprüchen von Menschen mit hohem Konsum auf der einen Seite und Menschen mit niedrigem Konsum sowie jungen und künftigen Generationen auf der anderen Seite ausgleicht. Es wird argumentiert, dass es keinen begründbarer Anspruch darauf gäbe, den eigenen ressourcenintensiven Lebensstil als moralisch vertretbar zu betrachten, während die damit eingeschränkten Freiheitsansprüche anderer nicht berücksichtigt werden.[10]

Um die gesellschaftliche Diskussion zu dieser Idee in Gang zu bringen ist für Ende April 2024 eine online-Veranstaltung mit Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft angekündigt.[11]

Forschung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Suffizienz-Forschung hinterfragt, welche persönlichen, sozialen und politischen Bedingungen einer Orientierung an maßvollem Verbrauch im Weg stehen und wie sich diese Hemmnisse überwinden lassen. Dies schließt ein, wie das Konsum­verhalten der Wegwerfgesellschaft und die Bindung des Wohlstands­verständnisses an materielle Güter veränderbar ist und welche Folgen maßvolles Handeln in Privathaushalten, Unternehmen und Institutionen für Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftswachstum hat.[7] Die Jahrestagung 2011 der Vereinigung für Ökologische Ökonomie stellt Suffizienz hierbei in das Spannungsfeld zwischen Glück und Verzicht.[12]

Genauso wie die Ökoeffizienz ist auch die Suffizienz nicht frei von Rebound-Effekten.[13] Eine zentrale offene Forschungsfrage lautet, inwieweit für einen wirksamen Umweltschutz neben technischen Maßnahmen (wie Effizienz und Konsistenz) tatsächlich Suffizienz erforderlich ist. Die drohenden Rebound-Effekte primär bei der Effizienz sind ein Argument für die Notwendigkeit der Suffizienz, aber auch das Problemausmaß in Bereichen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit oder Biodiversitätsverlust.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

George Monbiot fasste seine Vorstellungen einer nachhaltigen Wirtschaftsweise mit weitgehend geteiltem Eigentum als Regulativ des Ressourcenverbrauchs als „private Suffizienz, öffentlicher Luxus“ (private sufficiency, public luxury) zusammen.[14]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Manfred Linz: Suffizienz als politische Praxis. Ein Katalog. 2015 (wupperinst.org [PDF; 2,6 MB; abgerufen am 8. September 2021]).
  • Felix Ekardt: Theorie der Nachhaltigkeit: Rechtliche, ethische und politische Zugänge – am Beispiel von Klimawandel, Ressourcenknappheit und Welthandel. 2015.
  • Mark A. Burch: The Hidden Door. Mindful Sufficiency as an Alternative to Extinction. Simplicity Institute, Melbourne, 2013.
  • Uwe Schneidewind, Angelika Zahrnt: Damit gutes Leben einfacher wird: Perspektiven einer Suffizienzpolitik. Oekom Verlag, 2013.
  • Vom rechten Maß. Suffizienz als Schlüssel zu mehr Lebensglück und Umweltschutz. politische ökologie Nr. 135, 2013.
  • Oliver Stengel: Suffizienz. Die Konsumgesellschaft in der ökologischen Krise. oekom verlag, 2011, ISBN 978-3-86581-280-3 (wupperinst.org [PDF; 10,5 MB]).
  • Konrad Ott et al: Suffizienz: Umweltethik und Lebensstilfragen. In: Vordenken – Ökologie und Gesellschaft 2. Heinrich-Böll-Stiftung, 2007 (boell.de [PDF; 141 kB]).
  • Thomas Princen: The Logic of Sufficiency. MIT Press, Cambridge, 2005.
  • Manfred Linz: Weder Mangel noch Übermaß: über Suffizienz und Suffizienzforschung. In: Wuppertal Institut. 2004 (econstor.eu [PDF; 319 kB]).
  • Wolfgang Sachs: Die vier E's: Merkposten für einen maß-vollen Wirtschaftsstil. In: Wuppertal Institut. 1993 (wupperinst.org [PDF; 172 kB]).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Die im ersten Absatz den Artikel einleitende Definition erfolgt in lockerer Anlehnung an: Corinna Fischer, Rainer Grießhammer: Mehr als nur weniger: Suffizienz: Begriff, Begründung und Potenziale. (= Öko-Institut Working Paper; Nr. 2/2013) / Unter Mitarbeit von Regine Barth, Bettina Brohmann, Christoph Brunn, Dirk Arne Heyen, Friedhelm Keimeyer. / Franziska Wolff (Projektleitung). Öko-Institut, Freiburg i.Br. Oktober 2013, S. 10 Mitte. (Download-PDF)

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Joseph Huber: Nachhaltige Entwicklung durch Suffizienz, Effizienz und Konsistenz. In: Peter Fritz et al. (Hrsg.): Nachhaltigkeit in naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Perspektive. Stuttgart, S. 31–46.
  2. a b Manfred Linz: Weder Mangel noch Übermaß: über Suffizienz und Suffizienzforschung. In: Wuppertal Institut. 2004 (econstor.eu [PDF]).
  3. Niko Paech: Nachhaltigkeit und Klimapolitik: Geplatzte Seifenblase. Technologie oder die CO2-Steuer lösen nicht das Klimaproblem. Der ökologische Ernstfall verlangt eine Neujustierung der persönlichen Freiheiten. Die Tageszeitung, 28. Juli 2019, abgerufen am 28. Juli 2019.
  4. Niko Paech, Björn Paech: Suffizienz plus Subsistenz ergibt ökonomische Souveränität. Stadt und Postwachstumsökonomie. In: Politische Ökologie. Nr. 124, 2011, S. 54–60.
  5. Gerhard Scherhorn: Über Effizienz hinaus: Ökoeffizienz scheitert, wenn sie nicht mit Suffizienz verbunden wird, abgerufen am 14. Oktober 2011
  6. a b Wolfgang Sachs: Die vier E's: Merkposten für einen maß-vollen Wirtschaftsstil. In: Politische Ökologie. Nr. 33, 1993, S. 69–72.
  7. a b c Manfred Linz: wupperinst.org (Memento vom 24. September 2010 im Internet Archive)
  8. vgl. z. B. wachstumimwandel.at
  9. Kai Biermann: Klimawandel: Das V-Wort. In: Die Zeit. 22. Juni 2007, abgerufen am 14. Oktober 2011.
  10. Suffizienz als „Strategie des Genug“: Eine Einladung zur Diskussion. Sachverständigenrat für Umweltfragen, 21. März 2024, abgerufen am 26. März 2024.
  11. Online-Veranstaltung am 29.04.2024 zum Diskussionspapier Suffizienz. Sachverständigenrat für Umweltfragen, abgerufen am 26. März 2024.
  12. Jubiläumstagung 2011: „Suffizienz: Verzicht oder Glück!?“ auf der Seite der VÖÖ, abgerufen am 14. Oktober 2011
  13. Blake Alcott: The sufficiency strategy: Would rich-world frugality lower environmental impact? (Memento vom 7. Oktober 2013 im Internet Archive) (PDF; 461 kB). Ecological Economics 64 (2007), Nr. 4. Seiten 770–786
  14. George Monbiot: Private Sufficiency, Public Luxury. The Schumacher Lectures. In: Common Good Collective. 9. November 2020, abgerufen am 10. Juli 2023 (amerikanisches Englisch).