Suryoye

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Suryoye, Suroye oder Suraye (aramäisch ܣܘܪܝܝܐ oder ܣܘܪܝܐ, Singular: Suryoyo, Suroyo bzw. Suraya), deutsch „Syrer“, ist die syrisch-aramäischsprachige Eigenbezeichnung[1] für nach unterschiedlicher Auslegung mehrere christliche Volksgruppen in Vorderasien.[2][3]

Zugehörigkeiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu den Suryoye werden Aramäer, Assyrer, Chaldäer und mitunter auch Maroniten und Melkiten gezählt. Die meisten Maroniten und Melkiten sind jedoch sprachlich arabisiert und bezeichnen sich öfters als Araber, selbst wenn die Liturgiesprache insbesondere der Maroniten weiterhin das Syrisch-Aramäische ist.[4][2] Laut Angaben des Gemeindevorstands der Suryoye im Tur Abdin, der Istanbuler Gemeinde und der Diasporaverbände der Suryoye in Europa, leben derzeit ca. 3.000 Suryoye im Tur Abdin, 20.000 in Istanbul und 400.000 in Westeuropa (davon etwa 100.000 in Deutschland und 100.000 in Schweden). Neben den klassischen Siedlungsgebieten wie Syrien, dem Irak und dem Libanon (ca. 1,5 Mio. Suryoye) leben die heutigen Suryoye aufgrund von ethnischer und religiöser Verfolgung mehrheitlich in der Diaspora. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass es weltweit ca. 3 Millionen Suryoye gibt.[5] Nicht inbegriffen sind in diesen Zahlen die oben genannten Melkiten und Maroniten; von Letzteren leben etwa eine Million im Libanon, in dem sie die Mehrheit der christlichen Bevölkerung bilden, und 400.000 in Syrien (Stand 2005).

Die Suryoye gehören folgenden Kirchen an:

Sprache[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Muttersprache der Suryoye/Suroye/Suraye ist die Syrische Sprache, welche linguistisch zur Neu-Ostaramäischen Sprachfamilie gezählt wird.[6][7] Das Syrische wird in zwei Dialekten gesprochen. Einerseits handelt es sich hierbei um den Surayt-Dialekt (auch bekannt als Turoyo), andererseits um den Suret-Dialekt (auch bekannt als Swadaya).[8] Syrisch wird heute sowohl im Ursprungsgebiet Mesopotamien als auch in der Diaspora gesprochen. Der westsyrische Surayt-Dialekt wird heute noch von ca. 250.000 Suryoye gesprochen.[9] Der ostsyrische Suret-Dialekt wird von ca. 830.000 Suryoye gesprochen.[10][11] Obwohl das Neu-Ostaramäische eine gelebte Sprache ist und auch Bildung, Fernsehprogramme, Radioprogramme und Musik in beiden Dialekten bestehen, ist die Sprache von Assimilation bedroht, zumal sie in der Regel weder Unterrichts- noch Wissenschaftssprache noch Verwaltungssprache in den Gemeinden und Siedlungsgebieten mit Suryoye-Bevölkerung ist.[12]

Ethnogenese[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Frage der Ethnogenese bestehen verschiedene Thesen, erwähnenswert ist hier, dass über diesen langen Zeitraum Völkervermischungen stattgefunden haben. Heute bestehen hauptsächlich folgende drei Thesen zur Ethnogenese bei den Suryoye:

  1. Aramäer. Gemäß Shabo Hanna bezeichneten die Griechen die Volksgruppe in Mesopotamien, welche sich selber "Aramäer" nannten als Syrer.[13] Auch Sina Schiffner ist der Ansicht, dass die Verwendung des Ausdruckes Syrer von den Griechen des Altertums herrührt. Der griechische Historiker Poseidonios führte aus: „Denn was wir [Griechen] Syrer [griechisch Syroi/Syrioi] nennen, nennt sich selbst Aramäer.“[14] Diese These entspricht jedoch nicht der gängigen wissenschaftlichen Lehrmeinung.[15]
  2. Assyrer. Für den österreichischen Althistoriker und Altorientalisten Robert Rollinger besteht kein Zweifel, dass die Bezeichnung Suroye oder Suryoye nichts anderes als "Assyrer" bedeutet. Der Fund eines ca. 2.800 Jahre alten Steines in Cineköy (ca. 30 km südlich von Adana, Türkei) mit einer zweisprachigen Inschrift in Luwisch und Phönizisch unterstreicht laut Rollinger diese These.[16] In dieselbe Richtung gehen die Ansichten des finnischen Assyriologen Simo Parpola. Er führt aus, dass der Name Aschur in aramäischen Dokumenten aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. auch als Sur wiedergegeben wird.[17]
  3. Chaldäer. Im Vergleich zum Begriff „Assyrer“, welcher von Teilen der Mitgliedern aller west- und ostsyrischen Kirchen verwendet wird, bezeichnen sich ausschließlich die Mitglieder der chaldäisch-katholischen Kirche heute als Chaldäer. Die Chaldäische Kirche entstand 1553 nach einem Schisma von der Assyrischen Kirche des Ostens. Bevor man jedoch die neu entstandene Kirche als chaldäisch zu bezeichnen begann, wurde der Name „Assyriens und Mosuls Kirche“ verwendet. Die Verwendung der Bezeichnung „chaldäisch“ ist gemäß Svante Lundgren wahrscheinlich in der biblischen Erzählung von den heiligen drei Königen begründet.[18]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von den Pogromen des türkischen, iranischen und irakischen Militärs und kurdischer Milizen im und nach dem Ersten Weltkrieg waren neben den Armeniern (siehe Völkermord an den Aramäern und Assyrern und Völkermord an den Armeniern) vor allem die Suryoye fast aller Kirchen betroffen. Hunderttausende von ihnen wurden getötet und viele aus ihrer Heimat vertrieben, andere wanderten in die westliche Diaspora (Europa, Amerika und Australien) aus. Die Parlamente folgender Staaten haben die Verfolgung und Vertreibung der Suryoye während des Ersten Weltkrieges als Völkermord eingestuft: Schweden,[19] Niederlande,[20] Armenien,[21] Österreich[22] und Deutschland[23].

Diaspora[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Denkmal zum Völkermord an den Suryoye im Parco Della Pace im schweizerischen Locarno.

Ausgewanderte Assyrer/Aramäer aus dem ursprünglichen Raum Mesopotamiens befürchteten eine religiöse Verfolgung.[24] Gemäß der Assyrischen Konföderation Europas leben ca. 500'000 Assyrer in Westeuropa.[25] Wobei Schwerpunkte in Schweden[26] und Deutschland[27] bestehen, in Deutschland unter anderem in Gütersloh,[28] Augsburg,[29] Wiesbaden, Mainz,[30] Pohlheim[31] und Delmenhorst.[32]

Medien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Svante Lundgren, Die Assyrer: Von Ninive bis Gütersloh, Lit Verlag, 29. Januar 2016, ISBN 978-3-643-13256-7
  • Abdo Mirza, Franz-Rudolf Müller: „Barfuß sind wir an den Chabour gekommen, barfuß sind wir gezwungen wieder zu gehen.“ Flucht, Vertreibung und Geiselhaft der assyrischen Christen aus Tal Goran (Al-Hassake, Nordsyrien). Persönlicher Bericht des Abdo Mirza und seiner Familie. Lit Verlag, Berlin/Münster 2019, ISBN 978-3-643-14320-4.
  • Abboud Zeitoune: Naum Faiq und die Assyrische Aufklärung. Lulu Press, Wiesbaden 2022, ISBN 9781471789779

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Frisch digitalisiertes Manuskript gibt wertvolle Informationen zur assyrischen Identität preis. In: Huyada. 8. Februar 2022, abgerufen am 13. Februar 2022 (sv-SE).
  2. a b Shabo Talay: Die neuaramäischen Dialekte der Khabur-Assyrer in Nordostsyrien: Einführung, Phonologie und Morphologie. Harrassowitz, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-447-05702-8 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. Frisch digitalisiertes Manuskript gibt wertvolle Informationen zur assyrischen Identität preis. In: Huyada. 8. Februar 2022, abgerufen am 7. September 2022 (sv-SE).
  4. Matti Moosa: The Maronites in History. Gorgias Press, Piscataway, NJ 2005, ISBN 978-1-59333-182-5, S. 303 (Auszug in der Google-Buchsuche).
  5. Susanne Güsten: Völkermord: Das Jahr des Schwertes In: Die Zeit, 18. April 2015. Abgerufen am 7. Mai 2016 
  6. Assyrer. Abgerufen am 13. Juli 2019 (amerikanisches Englisch).
  7. Efrem Yildiz: Grammar of the Modern Assyrian Language. Hrsg.: Efrem Yildiz. Akkadbooks, Salamanca 2020, ISBN 978-84-946878-6-0, S. 244 (englisch).
  8. Nicholas Awde, Nineb Lamassu, Nicholas Al-Jeloo: Modern Aramaic (Assyrian/Syriac). HIPPOCRENE BOOKS, INC., New York 2007, ISBN 978-0-7818-1087-6.
  9. Shabo Talay: Šlomo Surayt Ein Einführungskurs ins Surayt-Aramäische (Turoyo). In: Shabo Talay (Hrsg.): Aramaic-Online Project (2014-2017). Bar Habraeus Verlag, Glane - Niederlande 2017, ISBN 978-90-5047-065-0, S. 2.
  10. Assyrian Neo-Aramaic. Abgerufen am 13. Juli 2019 (englisch).
  11. Chaldean Neo-Aramaic. Abgerufen am 13. Juli 2019 (englisch).
  12. Erzdiözese Wien: Aramäisch: Die Sprache Jesu lebt - noch! Abgerufen am 13. Juli 2019 (deutsch).
  13. Sabo Hanna: Die Herkunft der Syrer-Aramäer (Suryoye). Abgerufen am 17. März 2019.
  14. Schiffer Sina: Die Aramäer. 1992, S. 160 f.
  15. Prof. Dr. Bonatz erklärt den Mythos einer sogenannten aramäischen Ethnie aus Sicht der Archäologie. Abgerufen am 28. Oktober 2022 (deutsch).
  16. Svante Lundgren: Die Assyrer von Ninive bis Gütersloh. Lit Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-643-13256-7, S. 40.
  17. Simo Parpola: Assyrian Identity in Ancient Times and Today. Abgerufen am 10. März 2019.
  18. Svante Lundgren: Die Assyrer von Ninive bis Gütersloh. Lit Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-643-13256-7, S. 143.
  19. Schweden erbost Türkei. 13. März 2010, abgerufen am 13. Juli 2019.
  20. Massenmord an Armeniern - Niederlande auf Konfrontationskurs mit der Türkei. 23. Februar 2018, abgerufen am 13. Juli 2019.
  21. Adoption of declaration to certify that Armenia recognizes Greek and Assyrian genocide: Eduard Sharmazanov. Abgerufen am 13. Juli 2019 (englisch).
  22. Austrian Parliament Recognizes Armenian, Assyrian, Greek Genocide. Abgerufen am 13. Juli 2019.
  23. German Recognition of Armenian, Assyrian Genocide: History and Politics. Abgerufen am 13. Juli 2019.
  24. Anschütz, Helga: Die syrischen Christen vom Tur ʻAbdin : eine altchristliche Bevölkerungsgruppe zwischen Beharrung, Stagnation und Auflösung. Augustinus-Verlag, Würzburg 1984, ISBN 3-7613-0128-6.
  25. ABOUT. Abgerufen am 28. November 2019 (englisch).
  26. Schweden gute Integration. Abgerufen am 28. November 2019.
  27. Assyrer in Deutschland sehen trotz Wahl keine positiven Auswirkungen für christliche Minderheiten | DOMRADIO.DE. Abgerufen am 28. November 2019.
  28. Assyrer finden neue Heimat in Gütersloh. Abgerufen am 28. November 2019.
  29. Stefanie Schoene: Schwaben musizieren, Assyrer tanzen. Abgerufen am 28. November 2019.
  30. Elena Witzeck, Rodgau: Christenverfolgung im Irak: „Ich muss doch meinen Leuten helfen“. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 28. November 2019]).
  31. So sieht das Pohlheimer Denkmal für die Opfer des Völkermords im Osmanischen Reich aus. 2. November 2019, abgerufen am 28. November 2019.
  32. Julia Rotenberger: Das Dorf Mzizah in Delmenhorst. Taz, 15. November2011