Susanne Baer

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Susanne Baer (2014)

Susanne Baer (* 16. Februar 1964 in Saarbrücken) ist eine deutsche Rechtswissenschaftlerin. Von 2011 bis 2023 war sie Richterin des Bundesverfassungsgerichts.[1][2]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Baer studierte nach ihrer Schulzeit von 1983 bis 1988 Rechts- und Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. 1988 legte sie das Erste Staatsexamen, 1991 das Zweite Staatsexamen in den Rechtswissenschaften ab. 1993 erhielt sie den Master of Laws an der University of Michigan Law School. Sie wurde 1995 bei Spiros Simitis und Erhard Denninger promoviert. Die Promotion wurde von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert.[3] Im Jahr 2000 habilitierte sie sich bei Alexander Blankenagel und Bernhard Schlink.[4]

Juristischer Werdegang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1999 war sie zunächst Gastprofessorin an der neu gegründeten Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt, dann von 2001 bis 2002 Vertretungsprofessorin für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld. Von 2000 bis 2010 unterrichtete sie an der Central European University in Budapest vergleichendes Verfassungsrecht. Seit 2002 ist sie Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Dieser Lehrstuhl wurde extra geschaffen, um Gender-Forschung interdisziplinär zu verankern und um die Gründung des GenderKompetenzZentrums an der Humboldt-Universität Berlin vorzubereiten.[5][6] Das GenderKompetenzZentrum, dessen Leiterin sie von 2003 bis 2010 war, war als Drittmittelprojekt am Lehrstuhl von Baer angesiedelt und wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bis zur Einstellung der Finanzierung 2010 gefördert.[7] Von 1. September 2005 bis zum 30. September 2006 war sie Vizepräsidentin für Studium und Internationales an der Humboldt-Universität zu Berlin,[8][9] 2009 bis 2011 Studiendekanin der Juristischen Fakultät. 2009 erhielt sie eine „James W. Cook Global Law“-Professur an der University of Michigan Law School und dort 2014 die Ehrendoktorwürde. Im Jahr 2014 wurde sie an der Nationaluniversität Taiwan zur „Weng Yueh-Sheng Chair“-Professorin ernannt.[10] 2018 erhielt sie Ehrendoktorwürden der Universität Luzern und der Universität Hasselt.[11]

Baer beschäftigt sich in ihren Werken und ihrer Forschung unter anderem mit den Themen Grundrechte und vergleichendes Verfassungsrecht, Genderstudien, Antidiskriminierungsrecht, feministische Rechtswissenschaft und Gleichstellungsrecht.[12] Sie ordnete sich 1999 als Feministin ein.[13][14]

Sie gründete 2008 das „Institut für interdisziplinäre Rechtsforschung – Law and Society Institute (LSI)“ an der Humboldt-Universität Berlin, das im Sommersemester 2009 mit der Humanistischen Union eine Ringvorlesung zum Thema „60 Jahre Grundgesetz“ veranstaltete.[15][16]

Susanne Baer (2010)

Baer wurde im November 2010 von Bündnis 90/Die Grünen[17] für ein Richteramt am Bundesverfassungsgericht nominiert und am 11. November 2010 vom Wahlausschuss des Deutschen Bundestags gewählt und war vom 2. Februar 2011[18][2] bis 20. Februar 2023[19] im Amt. Sie war dort Mitglied des Ersten Senats und folgte Brun-Otto Bryde nach. Baer war die erste offen homosexuell lebende[17] und verpartnerte Bundesverfassungsrichterin und setzt sich seit langem für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben ein.[20][21] Zu den aufsehenerregendsten Urteilen, an denen sie mitgewirkt hatte, zählte der Klimabeschluss von 2021.[22] Rückblickend sagte sie zu den Motiven des Senats: „Wir haben gedacht: Jugendliche haben Rechte, und es ist die Aufgabe des Gerichts, dem Gesetzgeber klarzumachen, dass er diese Rechte angemessen berücksichtigt.“[23] Baer schied am 20. Februar 2023 aus dem Bundesverfassungsgericht aus. Ihr Nachfolger wurde Martin Eifert.[24]

Mitgliedschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Susanne Baer war Vorstandsmitglied der Fachgesellschaft Geschlechterstudien von ihrer Gründung 2010 bis 2012. Sie gehörte dem wissenschaftlichen Beirat der Peer-Review-Fachzeitschrift Gender an und ist Vorsitzende des Beirats der Stiftung Forum Recht.[25] Sie ist Redaktionsmitglied der Streit – feministische Rechtszeitschrift.[26]

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schriften (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lehrbuch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Rechtssoziologie: Eine Einführung in die interdisziplinäre Rechtsforschung. 5. Auflage. Baden-Baden 2023.

Monografien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • mit Norman Dorsen, Michel Rosenfeld und András Sajó: Comparative Constitutionalism: Cases and Materials. 2. Auflage. St. Paul 2010.
  • „Der Bürger“ im Verwaltungsrecht zwischen Obrigkeit und aktivierendem Staat. Tübingen 2006.
  • mit Birgit Schweikert: Das neue Gewaltschutzrecht. Baden-Baden 2002.
  • Würde oder Gleichheit? Zur angemessenen grundrechtlichen Konzeption von Recht gegen Diskriminierung am Beispiel sexueller Belästigung am Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland und den USA. Baden-Baden 1995.

Sammelbände[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gender Works! Gender Mainstreaming: Gute Beispiele aus der Facharbeit (gemeinsam mit Karin Hildebrandt), Frankfurt am Main 2007.
  • Gleichberechtigte Familien? Wissenschaftliche Diagnosen und politische Perspektiven, Gender kompetent, Beiträge aus dem GenderKompetenzZentrum (gemeinsam mit Julia Lepperhoff), Bielefeld 2007.
  • Gender Mainstreaming in der Personalentwicklung – Diskriminierungsfreie Leistungsbewertung im öffentlichen Dienst Band 1, Gender kompetent, Beiträge aus dem GenderKompetenzZentrum (gemeinsam mit Dietrich Englert), Bielefeld 2006.

Aufsätze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gleichberechtigung revisited. Zur Interpretation des Art. 3 GG und internationaler Gleichbehandlungsgebote. In: Neue Juristische Wochenschrift. 43/2013, S. 3145–3150.
  • Hat das Grundgesetz ein Geschlecht? Gender und Verfassungsrecht. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. 1/2013, S. 107–118.
  • Braucht das Grundgesetz ein Update? Demokratie im Internetzeitalter. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. 1/2011, S. 90–100.
  • Entwurf eines Gesetzes gegen Pornographie. In: Kritische Justiz. 02/1988, S. 177–188.

Vorträge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Adjudicating Inequalities. Some Observations from the Bench, Bernstein Lecture, Duke University, Durham, 30. September 2013.[33]
  • „Gleichheit und Differenz“, Ringvorlesung 60 Jahre Grundgesetz – Anspruch und Wirklichkeit, Humboldt-Universität zu Berlin.[34]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Heinrich Wefing: „Erschütternd, dramatisch und langweilig“. Susanne Baer war die erste offen homosexuelle Richterin am Bundesverfassungsgericht. Nun ist ihre Amtszeit zu Ende. Ein Gespräch über Feminismus in der Justiz, die Corona-Urteile und die Rolle des Rechts in der Klimakrise. In: Die Zeit. Nr. 10, 2. März 2023, S. 9 (zeit.de [abgerufen am 3. März 2023]).
  • Maria Wersig: „Von Verhältnissen nicht abschrecken lassen.“ Interview mit Prof. Dr. Dr. h.c. Susanne Baer, LL.M., Richterin des Bundesverfassungsgerichts. In: djbZ. Band 18, Nr. 2, 2015, S. 115–120, doi:10.5771/1866-377X-2015-2-115 (nomos-elibrary.de [abgerufen am 2. Juni 2023]).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Susanne Baer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Meldung über Vereidigung auf der Seite des Bundespräsidialamtes, abgerufen am 25. August 2015.
  2. a b Deutscher Richterbund (Hrsg.): Handbuch der Justiz 2018/2019. S. 1.
  3. Joachim F. Tornau: Die Ungewöhnliche. Hans-Böckler-Stiftung, Oktober 2012, abgerufen am 13. Februar 2022.
  4. Bundesverfassungsgericht - BVRin Prof. Dr. Baer. Abgerufen am 14. Januar 2021.
  5. Hans-Christoph Keller: Verfassungsrichterin Susanne Baer ist erste Caroline von Humboldt-Professorin — Presseportal. Abgerufen am 14. Januar 2021.
  6. admin: Geschichte(n) — GenderKompetenzZentrum. Abgerufen am 14. Januar 2021 (deutsch).
  7. admin: GenderKompetenzZentrum. Abgerufen am 14. Januar 2021 (deutsch).
  8. Eklat an der Humboldt-Universität - Ärger im Präsidium: Vize tritt zurück. Abgerufen am 14. Januar 2021.
  9. Prof. Dr. Baer, LL.M. - Lebenslauf. 20. Juni 2007, archiviert vom Original am 20. Juni 2007; abgerufen am 14. Januar 2021.
  10. Lebenslauf Susanne Baer — Prof. Dr. Susanne Baer. Abgerufen am 14. Januar 2021.
  11. a b Universität Luzern: Medienmitteilung Dies Academicus. Abgerufen am 28. November 2018.
  12. Texte von Susanne Baer — Prof. Dr. Susanne Baer. Abgerufen am 14. Januar 2021.
  13. Die Rechtstheoretikerin Susanne Baer sucht nach juristischen Wegen zur Gleichberechtigung. Abgerufen am 14. Januar 2021.
  14. Fachgesellschaft Geschlechterstudien: Vorgängige Vorstand Abgerufen am 26. Februar 2015.
  15. Integrative Research Institute Law & Society (LSI). Abgerufen am 14. Januar 2021.
  16. http://www.humanistische-union.de/veranstaltungen/2009/gg60/ teilweise dokumentiert in einer Themenausgabe des German Law Journal, mit Beiträgen von Susanne Baer, Dieter Grimm, Juliane Kokott, Matthias Mahlmann, Hubert Rottleuthner und Brigitte Zypries, eingeleitet von Susanne Baer, Christian Boulanger, Alexander Klose und Rosemarie Will: "Special Issue: The Basic Law at 60", 11 German Law Journal (2010), Issue No. 1 https://www.cambridge.org/core/journals/german-law-journal/issue/F0DD394296D2240D5497FCE61CD5AF52
  17. a b Christian Rath, Abschied von Baer und Britz am BVerfG: "Diversität ist bereichernd", Legal Tribune Online vom 27. Mai 2023
  18. Reinhard Müller: Bundesverfassungsgericht. Es allen recht machen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 2. November 2010.
  19. BVerfG-Richterin scheidet aus dem Amt. Susanne Baer verlässt ersten Senat. In: Legal Tribune Online. 23. Februar 2023, abgerufen am 22. Februar 2023.
  20. Erste offen lesbische Verfassungsrichterin - queer.de. Abgerufen am 6. Juli 2020.
  21. Bundesverfassungsgericht - BVRin Prof. Dr. Baer. Abgerufen am 6. Juli 2020.
  22. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, BVerfGE 157, 30–177.
  23. Heinrich Wefing: „Erschütternd, dramatisch und langweilig“. Susanne Baer war die erste offen homosexuelle Richterin am Bundesverfassungsgericht. Nun ist ihre Amtszeit zu Ende. Ein Gespräch über Feminismus in der Justiz, die Corona-Urteile und die Rolle des Rechts in der Klimakrise. In: Die Zeit. Nr. 10, 2. März 2023, S. 9 (zeit.de [abgerufen am 3. März 2023]).
  24. Bundesverfassungsrichterin Prof. Dr. Susanne Baer scheidet aus dem Amt
  25. Stiftungsbeirat. In: Stiftung Forum Recht. Abgerufen am 28. Juni 2023.
  26. Redaktion - STREIT - Feministische Rechtszeitschrift. Alle Rechte vorbehalten. Abgerufen am 28. Juni 2023.
  27. Walter Kolb-Gedächtnispreis - Preisträger
  28. Festakt 2012 — Die zentrale Frauenbeauftragte. Abgerufen am 22. November 2019.
  29. augspurg-heymann-preis.de Abgerufen am 4. Juli 2013.
  30. Elections to the British Academy celebrate the diversity of UK research. British Academy, 21. Juli 2017, abgerufen am 21. Juli 2017 (englisch).
  31. Richterwechsel am Bundesverfassungsgericht – Entlassung und Ernennung. In: bundespraesident.de. Abgerufen am 20. Februar 2023.
  32. Thomas Mann Haus Fellows ausgewählt. Abgerufen am 5. April 2024.
  33. youtube: "Adjudicating Inequalities. Some Observations from the Bench", Susanne Baer, Bernstein Lecture, Duke University, Durham
  34. Humanistische Union: „Gleichheit und Differenz“, Susanne Baer, Ringvorlesung 60 Jahre Grundgesetz – Anspruch und Wirklichkeit, Humboldt-Universität zu Berlin