Technikkritik

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Technikkritik bezeichnet eine negative Haltung gegenüber der Verbreitung moderner Technik.

Ab welchem Zeitpunkt der Geschichte technischer „Fortschritt“ als nicht mehr positiv eingeschätzt wird, kann sich dabei stark unterscheiden. Zumindest eine gewisse Technikskepsis gegenüber den jeweils aktuellen Entwicklungen war seit jeher in fast jeder Gesellschaft üblich und ist vor allem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sogar weltweit verbreitet. Kaum einer neuen Technik wird seither sofort mehrheitlich Euphorie entgegengebracht, nach einiger Gewöhnung wird ihr Nutzen dann häufig aber nicht mehr hinterfragt. So wurden in den 1980er Jahren vor allem Computer kritisiert und in den 1990er Jahren das Internet. Seit den 2000er Jahren wird der „Digital Lifestyle“ mit Smartphones und Social Media von vielen kritisch betrachtet und seit einigen Jahren zusätzlich der Einsatz von „künstlicher Intelligenz“. Viele gehen aber noch weiter und kritisieren nicht nur neuere Entwicklungen, sondern Technik im Allgemeinen, darunter auch ein Großteil der akademischen Technikphilosophie. Mit die fundamentalste Technikkritik wird hierbei vom Primitivismus ausgeübt, deren zentrales Motiv die Ablehnung aller Entwicklungen seit der industriellen Revolution ist, teilweise sogar aller Entwicklungen seit der neolithischen Revolution. Technikkritik nimmt aber auch in vielen anderen politischen Strömungen eine zentrale Stellung ein, bspw. im Neomarxismus, im Ökofeminismus und im Degrowth/Post-Development.

Häufig geht es bei Technikkritik um die Auswirkungen von Technik auf die Menschheit. Manchmal wird aber auch eine physiozentrische Position eingenommen, Technik also aus naturethischer Perspektive hinterfragt.

Computerkritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Computergegner, die nicht viel von den neuen Entwicklungen im Computermarkt hielten und verstanden, gibt es schon seit dem Beginn der Computertechnik. So wurde der Computermarkt noch in Anfangszeiten für einen sehr kleinen Nischenmarkt gehalten, und für viele ergaben sich noch nicht viele Anwendungsmöglichkeiten. Auch die Anwender und Befürworter wurden häufig und werden teilweise immer noch mit den negativen Vorurteilen von dem Bild eines Computerfreaks belastet. Ein Kritiker, der sich bereits früh mit den Auswirkungen und der Verantwortung von der Nutzung von Computern befasste, war Joseph Weizenbaum. Mit der ständigen Weiterentwicklung entstanden auch immer mehr Probleme und Risiken für Anwender und Organisationen, und dies führte zu immer neuen geistes- und sozialwissenschaftlichen Debatten. Folgende Gründe können zum Beispiel zu einer Ablehnung von Computern führen:

  • Angst vor einer Gefährdung der Sicherheit (z. B. Datendiebstahl oder Überwachung)
  • allgemeine Kritik an der Qualität oder Nutzen einzelner Software und Hardware
  • Technostress und Wunsch, auch ohne die Technologien arbeiten zu können; Abhängigkeit, Computer privat und beruflich nutzen zu müssen
  • digitale Risiken durch Verlust oder Missbrauch von Daten und Informationen
  • Angst vor Wegfall von Arbeitsplätzen und Aufgaben durch künstliche Intelligenz und Digitalisierung
  • Benutzerunfreundlichkeiten und Schwierigkeiten bei der Bedienung und dem Umgang mit Computern
  • Angst vor sozialen Benachteiligungen, sozialer Isolierung und gesellschaftlichen Veränderungen
  • Zweifel am ethisch richtigen Verhalten (z. B. bei Schaffung künstlicher Intelligenzen, erkennbaren Grenzen von Berechnungsfähigkeit und Determinierbarkeit von Systemen, Sammeln und Auswerten von Big-Data-Mengen usw.) und Kritik an der Ethik und Sozialverhalten in digitalen Räumen
  • Veränderung der Sprache und des Kommunikationsverhalten durch Computersprachen, die Nutzung von Abkürzungen und Emoticons usw.
  • Angst vor psychischen und kognitiven Folgen
  • Bevorzugung von anderen Technologien
  • Angst vor Abhängigkeits- und Suchtpotenzialen
  • Umweltrisiken
  • Kostengründe und finanzielle Risiken

Geschichte der gesellschaftlichen Bewegung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Protestbewegung trat Technikfeindlichkeit bspw. bei den Maschinenstürmern (Luddismus) im 19. Jahrhundert auf.

Im 20. Jahrhundert löste die Technikskepsis in Europa den mit dem Boom der Nachkriegszeit bis etwa 1975 herrschenden euphorischen Fortschrittsglauben ab. In Bezug auf einzelne Techniken wie bspw. Kernenergie und Gentechnik stand dabei selten nur die Technik selbst im Zielpunkt, sondern oft auch die Tatsache, dass die Technik böswillig eingesetzt werden könnte oder dass die für Planung, Installation und Überwachung riskanter Technik verantwortlichen Menschen Fehler machen können. Lange hatte auch die Umweltbewegung viele technikfeindliche Elemente, die sich jedoch seit einigen Jahren durch „sanfte Technik“, elektronisches Monitoring von Gefahren, erneuerbare Energien und Entwicklungen in der Biologie (z. B. Abfallbeseitigung durch Bakterien) in eine positivere Sicht wandelten.

Im Zuge der Interneteuphorie der 1990er Jahre war die Technikskepsis, die sich noch in den 1980er Jahren (z. B. im Kontext der geplanten Volkszählung) besonders an Computern festmachte, in Deutschland aus der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verschwunden. Sie wird jedoch seit Anfang des 21. Jahrhunderts verstärkt genährt durch die Sorge um die gewachsenen Möglichkeiten technischer Überwachung, Manipulation, die Klimafolgen des technischen Handelns sowie die Auswirkungen digitaler Medien auf die psychische Gesundheit.

Prominente Vertreter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Prominente Vertreter der Technikkritik sind u. a. Friedrich Georg Jünger, Günther Anders, Jacques Ellul, und Lewis Mumford. In einem weiteren Sinn kann man auch Teile des Werks von Martin Heidegger und der Frankfurter Schule sowie die kritische Technikgeschichte (David F. Noble) der Technikkritik zurechnen. 1994/1995 erlangten die technikkritischen Thesen von Theodore Kaczynski durch dessen Einsatz von Gewalt große Bekanntheit. Ein weiterer „Neo-Luddist“ ist z. B. Alain Finkielkraut mit seiner Kritik an Internet und weltweitem Tourismus.

Friedrich Georg Jünger[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1946 veröffentlichte Friedrich Georg Jünger seinen technikkritischen Essay Die Perfektion der Technik. Jünger zufolge sind mit der Technisierung mehrere Illusionen verbunden: Die Illusion, dass durch die Technik dem Menschen Arbeit abgenommen wird und er dadurch an freier Zeit gewinnt und die Illusion, dass die Technik Reichtum schafft.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Jörg Bergstedt, Annette Schlemm und Jan-Hendrik Cropp: Technik: Für ein gutes Leben oder für den Profit? SeitenHieb-Verlag, Reiskirchen 2012, ISBN 978-3867470490. Download (PDF; 39 MB)
  • Michael Adas: Machines as the Measure of Men. Science, Technology, and Ideologies of Western Dominance. Cornell University Press, Ithaca NY u. a. 1990, ISBN 0-8014-2303-1 (Cornell Studies in comparative History).
  • Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. 2 Bände. Beck, München 1956.
  • Harry Braverman: Die Arbeit im modernen Produktionsprozess. Campus-Verlag, Frankfurt am Main u. a. 1980, ISBN 3-593-32699-X.
  • Rudolf Buntzel, Suman Sahai: Risiko. Grüne Gentechnik. Wem nützt die weltweite Verbreitung gen-manipulierter Nahrung? Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-86099-814-5 (WeltThemen 5).
  • Cynthia Cockburn: Die Herrschaftsmaschine. Geschlechterverhältnisse und technisches Know-how. Argument Verlag, Hamburg u. a. 1988, ISBN 3-88619-372-1.
  • Jacques Ellul: Le bluff technologique. Hachette, Paris 2004, ISBN 2-01-279211-1.
  • Andrew Feenberg: Transforming Technology. A Critical Theory Revisited. Revised edition. Oxford University Press, Oxford u. a. 2002, ISBN 0-19-514615-8 – Feenberg gibt einen „coherent starting point for anticapitalist technical politics“[1].
  • Sigfried Giedion: Mechanization Takes Command. A Contribution to anonymous History. Oxford University Press, New York NY 1948 (dt.: Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen Geschichte.) Mit einem Nachwort von Stanislaus von Moos. Herausgegeben von Henning Ritter. Sonderausgabe, Lizenzausgabe. Athenäum, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-610-00729-X.
  • Ivan Illich: Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik. Rowohlt, Reinbek 1980, ISBN 3-498-03201-1 (rororo aktuell 4629).
  • Friedrich Georg Jünger: Die Perfektion der Technik, Frankfurt am Main: Klostermann, 8. Auflage 2010 [geschrieben 1939, EA 1946]
  • Wolfgang Klems: Die unbewältigte Moderne. Geschichte und Kontinuität der Technikkritik. GAFB – Gesellschaft zur Förderung Arbeitsorientierter Forschung und Bildung, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-925070-50-8 (Serapion. Leben und Erkenntnis).
  • David F. Noble: Maschinenstürmer oder die komplizierten Beziehungen der Menschen zu ihren Maschinen. Wechselwirkung-Verlag, Berlin 1986, ISBN 3-924709-00-9.
  • Wolfgang Sachs: Die Liebe zum Automobil. Ein Rückblick in die Geschichte unserer Wünsche. Rowohlt, Reinbek 1984, ISBN 3-498-06166-6.
  • Joseph Weizenbaum: Computer Power and Human Reason. From Judgement to Calculation. W. H. Freeman and Company, Freeman, San Francisco CA 1976, ISBN 0-7167-0464-1 (Deutsch als: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-518-27874-6 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 274); zahlreiche Auflagen).

Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Neil Turbull: At Modernity's Limit. Technology as World and Idea. In: Theory, Culture & Society. Vol. 23, nr. 7–8, Dezember 2006, ISSN 0263-2764, S. 135–150, Zitat S. 40.