Theaterkritik

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Theaterkritik beschäftigt sich mit der kritischen Berichterstattung (Rezension) von Bühnenwerken.

Wesen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Theaterkritik unterscheidet sich von Literaturkritik, da sie von einem einzelnen, nur bedingt wiederholbaren Vorgang auf der Bühne ausgeht. Sie bringt nahezu alle Künste in einen Zusammenhang gegenseitiger Reflexion und Kommentierung. Dabei geht sie sowohl beschreibend als auch interpretierend, einordnend und wertend vor. Der Stil der Theaterkritik ist feuilletonistisch ohne wissenschaftlichen Anspruch, ihre Adressaten sind Laien und Fachleute. Die Wirkung ist schwer abschätzbar, sie hängt wesentlich vom Ansehen des Kritikers und des Publikationsorgans ab. Sie kann Einfluss auf die Kultur- und Förderpolitik haben. Oft umstritten sind dabei die Kriterien und Intentionen des Urteils (siehe: Verhältnis zwischen Künstlern und Kritik).

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Theaterkritik entwickelte sich im 18. Jahrhundert mit dem Entstehen einer kritischen Presse. Gotthold Ephraim Lessing gilt als erster Theaterkritiker. Obwohl selbst Angestellter des Hamburger Nationaltheaters, setzte er sich, überliefert in der Hamburgischen Dramaturgie, nicht nur mit grundsätzlichen ästhetischen Fragen auseinander, sondern besprach auch die einzelnen Aufführungen.

Ende des 18. Jahrhunderts etablierte sich die ständige Theaterkritik. Im Vordergrund standen zunächst Dichter, die Theaterkritik als Forum ihrer ästhetischen Programme verstanden. Ludwig Tieck entwickelte daran in der Dresdner Abendzeitung seine romantische Auffassung des Theaters, während Ludwig Börne, Heinrich Heine, Heinrich Laube und Moritz Gottlieb Saphir die Forderungen des Jungen Deutschlands zum Ausdruck brachten.

Das 19. Jahrhundert brachte eine allmähliche Spezialisierung in Schauspiel-, Opern- und Ballettkritik. Bedeutend waren unter anderem Theodor Fontanes 1870 bis 1890 in der Vossischen Zeitung veröffentlichten Kritiken, in denen er sich zurückhaltend gegenüber Hoftheater-Inszenierungen und aufgeschlossen für naturalistische Darbietungen zeigte.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts schrieben in Berlin Siegfried Jacobsohn, Julius Bab, Alfred Kerr und Herbert Ihering bedeutende Theaterkritiken. Kerr publizierte im Berliner Tageblatt seine pointierten Kommentare, während Ihering im Berliner Börsen-Courier sich weniger an Zeitungsleser als an Theaterleute wandte.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Begriff Kunstkritik, der sich auch auf die Theaterkritik bezog, abgeschafft. Auf der Jahrestagung der Reichskulturkammer legte Joseph Goebbels am 27. November 1936 in einer Rede dar, dass die Kunstkritik zukünftig von der „Kunstbetrachtung“ abgelöst werde.[1] Noch am selben Tag erließ Goebbels den „Erlass zur Neuformung des deutschen Kulturlebens“, mit dem kritische Besprechungen auch von Theateraufführungen verboten oder massiv erschwert wurden:

„An die Stelle der bisherigen Kunstkritik, die in völliger Verdrehung des Begriffes ‚Kritik‘ in der Zeit jüdischer Kunstüberfremdung zum Kunstrichtertum gemacht worden war, wird ab heute der Kunstbericht gestellt; an die Stelle des Kritikers tritt der Kunstschriftleiter. Der Kunstbericht soll weniger Wertung, als vielmehr Darstellung und damit Würdigung sein. […] Er verlangt Bildung, Takt, anständige Gesinnung und Respekt vor dem künstlerischen Wollen. Nur Schriftleiter werden in Zukunft Kunstleistungen besprechen können, die mit der Lauterkeit des Herzens und der Gesinnung des Nationalsozialisten sich dieser Aufgabe unterziehen.“

Joseph Goebbels: Erlass über die Kunstkritik vom 27. November 1936.[2]

In der DDR war die fachlich autorisierte Theaterkritik in der seit 1946 erscheinenden Zeitschrift Theater der Zeit versammelt. Maßgebendes Kriterium war der sozialistische Realismus. Seit den 1970er-Jahren unterstützten jedoch viele Kritiker künstlerisch innovative Inszenierungen. Wegen häufiger behördlicher Eingriffe in die Redaktionen entwickelten Kritiker wie Christoph Funke und Ingeborg Pietzsch in Berlin oder Lothar Ehrlich in Dresden einen subtilen, vorsichtig-verhüllenden, Subtext-bezogenen Stil. In West-Berlin war Friedrich Luft während der ganzen Zeit der deutschen Teilung als Theaterkritiker eine bekannte Größe und hatte als „Stimme der Kritik“ im RIAS allwöchentlich seine eigene Sendung.

Theaterkritiker sind heute freie oder festangestellte Journalisten, die vor allem die Neuinszenierungen der ihnen zugänglichen Bühnen für Medien (Zeitung, Rundfunk, Fernsehen) ansehen und darüber berichten.

Verhältnis zwischen Theatern und Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

2021 erklärte die Intendantin des Hamburger Schauspielhauses Karin Beier gegenüber dem Deutschlandradio, was sie von Kritiken und Rezensionen generell halte: Sie seien „Scheiße am Ärmel der Kunst“.[3] 2022 beschimpfte der Schauspieler Benny Claessens eine unliebsame Kritikerin als psychisch gestört und drohte im Mafia-Ton: „Your time is over, Darling.“[3] Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb in Bezug auf diese Vorfälle: „Achtlose Rede führt zu einem Klima der Missachtung oder sogar des Hasses.“[3]

Während der Pause der Ballettpremiere seines Tanzstücks „Glaube – Liebe – Hoffnung“ im Opernhaus Hannover attackierte der Chefchoreograph und Direktor des Staatsballetts Hannover, Marco Goecke, die Tanzkritikerin der FAZ, Wiebke Hüster, zunächst verbal und schmierte ihr nach einer Eskalation ein Stück Hundekot ins Gesicht, das er in einer Tüte mitgebracht hatte.[3] Laut der FAZ reagierte er mit seiner Attacke auf eine am selben Tag erschienene Rezension Hüsters über seine Produktion In the Dutch Mountains am Nederlands Dans Theater in Den Haag, in der etwa steht, man werde „beim Zuschauen abwechselnd irre und von Langeweile umgebracht“, das Stück sei „eine Blamage und eine Frechheit“. Die FAZ schrieb daraufhin von einem „Einschüchterungsversuch gegenüber unserer freien, kritischen Kunstbetrachtung“. Sie kommentierte: „Goeckes Grenzüberschreitung offenbart das gestörte Verhältnis eines Kunstschaffenden zur Kritik... Die bewusste Herabsetzung und Erniedrigung... zeugt vom fatalen Selbstverständnis einer Persönlichkeit in hoch subventionierter Leitungsfunktion, die meint, über alle kritische Beurteilung erhaben zu sein und sich ihr gegenüber im Zweifelsfall auch durch Anwendung von Gewalt ins Recht zu setzen. In Zeiten, in denen im Kunstbetrieb Sensibilität und Achtsamkeit auf allen Ebenen proklamiert wird, ist das eine besondere Perfidie.“[3]

Theaterkritiker in Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Vasco Boenisch: Krise der Kritik? Was Theaterkritiker denken – und ihre Leser erwarten. Berlin 2008, Theater der Zeit, ISBN 978-3-940737-26-7, (Inhaltsverzeichnis).
  • Gunther Nickel (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Theaterkritik. Tübingen 2007, Francke (= Mainzer Forschungen zu Drama und Theater; Bd. 35), ISBN 978-3-7720-8207-8.
  • Gunther Nickel: Die Ausdifferenzierung und Professionalisierung der Theaterkritik zwischen 1870 und 1933. 2006, (E-Text auf satt.org).
  • Stephan Porombka, Kai Splittgerber: Über Theater schreiben. Werkstattgespräche mit Theaterkritikern. (= Junger Kulturjournalismus; Bd. 2). Glück und Schiller, Hildesheim 2005, ISBN 3-938404-06-X.
  • Heike Adamski: Diener, Schulmeister und Visionäre. Studien zur Berliner Theaterkritik der Weimarer Republik. Lang, Frankfurt am Main u. a. 2004, ISBN 3-631-53163-X (zugl. Dissertation, Universität Leipzig 2004).
  • Tobias Hoffmann-Allenspach: Theaterkritik in der deutschsprachigen Schweiz seit 1945. (= Schweizer Theaterjahrbuch; Bd. 59 / Materialien des ITW Bern; 6). Chronos, Basel 1998, ISBN 3-905312-96-4.
  • Lothar Schöne: Neuigkeiten vom Mittelpunkt der Welt. Der Kampf ums Theater in der Weimarer Republik. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995, ISBN 3-534-12379-4.
  • Werner Schulze-Reimpell/Roland Dreßler: Theaterkritik. in: Manfred Brauneck, Gérard Schneilin (Hg.): Theaterlexikon 1. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek bei Hamburg, 5. vollständig überarbeitete Neuausgabe August 2007, ISBN 978-3-499-55673-9.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Dietrich Strothmann: Nationalsozialistische Literaturpolitik – Ein Beitrag zur Publizistik im Dritten Reich. Bonn 1960, S. 272 ff.
  2. Wilhelm Ihde (Hrsg.): Handbuch der Reichsschrifttumskammer. Leipzig 1942.
  3. a b c d e Attacke auf unsere Tanzkritikerin, Bericht in der FAZ vom 12. Februar 2023 (nicht komplett gratis abrufbar), online unter faz.net