Trachten in der Schweiz

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Es gibt über 700 verschiedene Trachten in der Schweiz.[1] Diese unterscheiden sich nicht nur von Kanton zu Kanton, sondern auch innerhalb der Kantone sind, besonders die Frauentrachten, regional oft unterschiedlich. Praktisch in allen Regionen wird zwischen Festtags- und Werktagstrachten unterschieden.

Trachten sind heute im alltäglichen Strassenbild der Schweiz nicht mehr anzutreffen. Sie werden ausschliesslich zu Festen, wie den eidgenössischen Festen, dem Nationalfeiertag oder in einigen Regionen zu Fronleichnamprozessionen sowie zu kulturellen Veranstaltungen, wie Vorführungen von Trachtengruppen und Gesangsvereinen getragen.

Trachtenvereine und Schweizerische Trachtenvereinigung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Schweiz sind 2015 über 16 000 Mitglieder in 650 Trachtenvereinen organisiert. Viele der angeschlossenen Trachtenvereine, auch Gruppen genannt, pflegen in erster Linie den Volkstanz. Die Vereine sind in 26 Kantonalvereinigungen zusammengefasst. Die Dachorganisation ist die 1926 gegründete Schweizerische Trachtenvereinigung STV.

Eidgenössisches Trachtenfest[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Abstand von zwölf Jahren führt die Schweizerische Trachtenvereinigung STV ein landesweites Trachtentreffen als Eidgenössisches Fest durch. Letztmals trafen sich am Eidgenössischen Trachtenfest 2010 (4. bis 6. Juni 2010) rund 8000 Trachtenleute auf Einladung der Kantonal Schwyzerischen Trachtenvereinigung in Schwyz.

Geschichte der Trachten in der Schweiz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ursprung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter den Trachtenfiguren stehen die Bezeichnungen "Zurich, Soleure, Schaffhouse, Zurich".

Trachten kennt man in der Schweiz seit über 250 Jahren.[2] Die meisten Volkstrachten gehörten damals zur allgemeinen bäuerlichen Kleidung, genäht aus grobem Stoff für die harte Arbeit auf Feld und Hof. Bereits im 18. Jahrhundert gab es eine grosse Fülle an verschiedenen Trachten.

Anfang des 19. Jahrhunderts wurden Bilder mit Trachtenleuten sehr beliebt. Dabei fand in der zeitgenössischen Grafik eine formale Reduktion und Emblematisierung der bäuerlichen Kleider statt. Dies hing mit den politischen Umwälzungen zwischen 1798 und 1815 (Untergang der Alten Eidgenossenschaft, Helvetische Republik und der Mediation) zusammen. Reiche ausländische Reisende, die dank dem aufkommenden Tourismus die Schweiz bereisten, erfreuten sich an den Trachten und kauften diese Abbildungen als Reiseandenken. Zu den bekanntesten Trachtenmalern seiner Zeit gehörte der Luzerner Josef Reinhard (1749–1829). Seine 125 Porträts gelten als Schatz der Schweizer Kulturgeschichte. Sammlungen seiner Werke sind im Historischen Museum Bern und im Kunstmuseum Luzern zu besichtigen.

Im Zuge der aufkommenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert verschwanden die Trachten immer mehr zu Gunsten städtischer Kleider aus dem Alltagsleben. Billige Fabrikgüter verdrängten die Handarbeit und in den Städten trugen die Damen lieber elegantere Reifröcke.[3]

Im Gegenzug fand durch die Trachtenmalerei eine Vereinheitlichung der Trachten statt. Dabei wurde jedem Kanton ein Trachtenpaar zugewiesen und an Fasnachtsumzügen und an Festen traten 22 Paare in Trachtenkostümen auf. An der Landesausstellung 1896 in Genf bevölkerten Trachtenleute das Village suisse.

Trachten werden Kulturgut[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das erste Trachtenfest fand 1898 auf Initiative des Lesezirkels Hottingen in Zürich statt. Glücklicherweise wandte sich das Interesse wieder den historischen Originalen zu. Ende des 19. Jahrhunderts verschrieben sich Städter der Oberschicht der Rettung der bedrohten ländlichen Kultur. 1898 erfolgte die Gründung der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde. Bäuerlicher Hausrat, Schmuck und Trachten wurden gesammelt und im 1898 eröffneten Schweizerischen Landesmuseum ausgestellt. Für den Festumzug anlässlich der Museumseröffnung wurden nach alten Vorbildern Trachten genäht. Später wurden diese in die Sammlung des Landesmuseums aufgenommen. Der autodidaktischen Forscherin und Mitbegründerin der Trachtensammlung des Landesmuseums, Julie Heierli,[4] ist es zu verdanken, dass die Trachten als historische Zeugnisse fortan von der Gesellschaft ernst genommen wurden.

In der am Vorabend des Ersten Weltkriegs stattgefundenen Schweizerischen Landesausstellung in Bern stand die Tracht im Zentrum. Die Kriegsgefahr führte zu einer Änderung in der Einstellung zum schweizerischen Kulturgut. Mit dem Tragen der Tracht zeigte man die Verbundenheit zum Vaterland und bald galt die traditionelle Kleidung als Sinnbild der Heimatliebe.

Zu den Aufgaben des 1906 gegründeten Schweizerischen Heimatschutzes gehörte auch der Erhalt von Trachten und Volksbräuchen.[5] Im Jahr 1926 spaltete sich die Trachtenbewegung vom Schweizerischen Heimatschutz ab und gründete in Luzern die Schweizerische Trachtenvereinigung.[6] In den folgenden Jahren wurden im ganzen Land kantonale Trachtenvereinigungen gegründet. Gleichzeitig begann landesweit eine sorgfältige Reform des Trachtenwesens.

Das Ziel der Schweizerischen Trachtenvereinigung bestand darin, die zeitlosen und schlichten Frauentrachten bei der ländlichen Bevölkerung wieder einzuführen. Die Trachten sollten auch sozial harmonisierend wirken. Der STV arbeitete mit dem Schweizerischen Landfrauenverband zusammen und erreichte so die zukünftigen Bäuerinnen in den Bäuerinnenschulen. Das 1930 gegründete Schweizer Heimatwerk förderte durch den Verkauf einheimischer Textilien die Trachtenbewegung.

Die neuen Trachten entstehen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den 1920er Jahren entstanden in verschiedenen Regionen des Landes verschiedene Modelle von neuen Trachten in mehr oder weniger freier Interpretation des historischen Materials. In den Jahren 1922–1932 veröffentlichte Julie Heierli ihr fünfbändiges Hauptwerk «Die Volkstrachten der Schweiz». Es ist bis heute das umfassendste und historisch fundierteste Werk zum Thema. Julie Heierli beeinflusste mit ihren rein historisch begründeten Vorschlägen zur Erneuerung der Trachten die Trachtenbewegung massgeblich und wirkte dem folkloristischen Aspekt der neuen Trachtenbewegung entgegen.

Der Weg in die Gegenwart[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Zuge der Schweizerischen Landesausstellung 1939 in Zürich sowie des Zweiten Weltkriegs stieg die Mitgliederzahl der Trachtenvereinigungen kontinuierlich an und sank erst ab Ende der 1950er Jahre wieder. Der Generationenwechsel erwies sich als schwierig. Das Bedürfnis nach regionalen und gar lokalen Differenzierungen der Trachten wirkte ab den 1970er Jahren belebend auf die Trachtenbewegung, dabei wurde auf die historische Legitimierung der Trachten grosser Wert gelegt.

Die Trachten heute[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Durch die vielfältigen Aktivitäten der Trachtengruppen wie Singen (Volkslieder), Tanzen, Reisen und Handarbeiten wurde das Trachtenwesen immer mehr zu einer Art von Freizeitgestaltung. Dadurch konnten auch vermehrt Männer zum Tragen von Trachten animiert werden.

Die Herstellung und das Tragen von Trachten unterliegen in der Schweiz verschiedener Regeln. Ein Grundsatz besagt, dass nur die Tracht des Heimat- oder Wohnorts getragen wird. Weiter sollen Trachten nicht ausgeliehen und nicht mit anderen Kleidungsstücken kombiniert werden.

Die alpenländische Trachten- und Landhausmode ist in der Schweiz so gut wie nicht anzutreffen. In den 2010er Jahren wurden Oktoberfeste nach bayrischem Vorbild populär. Die Besucher tragen dafür gerne Dirndl und Lederhosen, häufig Billigmodelle vom Discounter, und mehr als Verkleidung denn aus Tradition.[7]

Eine Dauerausstellung im Freilichtmuseum Ballenberg zeigt die Geschichte der Trachten und deren Herstellung.[8]

Verschiedene Trachten der Schweiz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu den bekanntesten Festtagstrachten der Schweiz gehören die schwarze Bernertracht mit ihrem reichen Silberschmuck und die Engadinertracht aus rotem Wollstoff. Im Kanton Zürich sind die Wehntalertracht mit der leuchtend blauen Schürze und die Tracht des Knonauer Amtes, das Burefeufi (so genannt wegen der am Rücken V-förmig gebundenen Schürze) am häufigsten zu sehen.

Die bekanntesten Männertrachten sind die Appenzeller Sennentracht mit ihren gelben Lederhosen und dem roten Chilet, der Berner Mutz, eine schwarze, kurzarmige, bestickte Samtjacke sowie das bestickte, blaue Sennechutteli, eine Trachtenbluse der Innerschweiz.

Liste der Kantonalen Trachtenvereinigungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Websites der kantonalen Trachtenvereinigungen geben einen ausführlichen Überblick über die verschiedenen Trachten der Schweiz.

Kantonale Trachtenvereinigungen
Kanton
Trachtenvereinigung
Gründungsjahr
Mitglieder Anzahl Trachtengruppen
Website
Kanton Zürich Zürich Zürcher Trachtenvereinigung 1928 www.trachten-zuerich.ch
Kanton Bern Bern Bernische Trachtenvereinigung 1929 128 www.trachtenvereinigung-bern.ch
Kanton Luzern Luzern Luzerner Trachtenvereinigung 1927 1750 51 www.trachtenvereinigung-luzern.ch
Kanton Uri Uri Trachtenvereinigung Uri 1942 7 www.trachten-uri.ch
Kanton Schwyz Schwyz Kantonal Schwyzerische Trachtenvereinigung 14 www.trachten-sz.ch
Kanton Obwalden Obwalden Obwaldner Trachten- und Volkslieder-Vereinigung 7 trachten-ow.ch
Kanton Nidwalden Nidwalden Kantonale Trachtenvereinigung Nidwalden 1940 227 4 www.trachtenvereinigung-nidwalden.ch
Kanton Glarus Glarus Trachtenvereinigung des Kantons Glarus
Kanton Zug Zug Zuger Kantonale Trachtenverband 1941 www.zugertrachten.ch
Kanton Freiburg Freiburg Freiburgische Vereinigung für Tracht und Brauch ffcc.ch
Kanton Solothurn Solothurn Solothurner Trachtenverband 20 www.so-trachtenverband.ch
Kanton Basel-Stadt Basel-Stadt Trachtenverband des Kantons Basel-Stadt
Kanton Basel-Landschaft Basel-Landschaft Trachtenvereinigung Baselland 1939 400 12 www.trachtenvereinigung-bl.ch
Kanton Schaffhausen Schaffhausen Schaffhauser Kantonale Trachtenvereinigung www.trachten-schaffhausen.ch
Kanton Appenzell Ausserrhoden Appenzell Ausserrhoden Trachtenvereinigung Appenzell Ausserrhoden 1926 6 www.trachtenvereinigung-ar.ch
Kanton Appenzell Innerrhoden Appenzell Innerrhoden Trachtenvereinigung Appenzell Innerrhoden 1936 240 1 www.trachtenverein-ai.ch/
Kanton St. Gallen St. Gallen St. Gallische Trachtenvereinigung 1927 900 35 www.stgallischetrachtenvereinigung.ch
Kanton Graubünden Graubünden Bündner Trachtenvereinigung 1933 26 www.buendnertracht.ch
Kanton Aargau Aargau Aargauischer Trachtenverband 1927 54 www.trachtenverband-aargau.ch
Kanton Thurgau Thurgau Thurgauer Trachtenvereinigung 1926 18 www.thurgauer-trachtenvereinigung.ch
Kanton Tessin Tessin Federazione Cantonale del Costume Ticinese 1937 17 www.costumiticinesi.ch
Kanton Waadt Waadt Association Cantonale du Costume Vaudois 1916 18 www.costume-vaudois.ch
Kanton Wallis Wallis Walliser Trachtenvereinigung 41 www.costumes-valais.ch
Kanton Neuenburg Neuenburg Société du costume neuchâtelois
Kanton Genf Genf Fédération Cantonale du Costume Genevois 1930 15 fccge.ch
Kanton Jura Jura Association des costumes et coutumes de la République et Canton du Jura

(Quellen: Websites der kantonalen Trachtenvereinigungen, Stand September 2015)

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Traditional clothing of Switzerland – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Landliebe: Schweizer Trachten – Kleid der Heimat
  2. St. Gallische Trachtenvereinigung: Geschichte
  3. St. Gallische Trachtenvereinigung: Trachten
  4. Ursula Karbacher: Heierli, Julie. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  5. Hermann Balsiger: Die Trachten des Zürichbietes im Jahre 1925. In: Heimatschutz = Patrimoine, Bd. 20, 1925, S. 81–98.
  6. Vereinsnachrichten: Zur Trachtenbewegung. In: Heimatschutz = Patrimoine, Bd. 21, 1926, S. 64.
  7. 20 Minuten: Die Schweiz im Oktoberfest-Rausch vom 24. September 2015
  8. Freilichtmuseum Ballenberg: Freilichtmuseum Ballenberg - Ausstellungen