Tradition (Geschichtswissenschaft)

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Als Tradition bezeichnet man in der Geschichtswissenschaft Informationen, die – meist in mündlicher oder schriftlicher Form – in der Absicht weitergegeben werden, um Zeitgenossen, vor allem aber die Nachwelt über Gegenwart oder Vergangenheit zu unterrichten. Den Gegenpart zur Traditionsquelle stellt nach der von Ernst Bernheim entwickelten Quellentypologie und -systematik der Überrest dar, der ohne historiographische Überlieferungsabsicht erstellt wurde, meist aus zeitgebundenen, praktischen Erwägungen.

Gliederung der Tradition nach Bernheim[1]
  1. Mündliche Tradition
    1. Lied und Erzählung
    2. Sage
    3. Legende
    4. Anekdote
    5. Geflügeltes Wort
    6. Sprichwort
  2. Schriftliche Tradition
    1. Inschriften
    2. Genealogische Aufzeichnungen u. ä. Listen
    3. Annalen und Chroniken
    4. Biographie
    5. Memoiren
    6. Flugschriften, Zeitungen, öffentliche Briefe
  3. Bildliche Tradition
    1. Zeichnung
    2. Malerei
    3. Skulptur

In einer Traditionsquelle berichtet der Verfasser über Vergangenes und Gegenwärtiges, wobei er bereits auswählt, wertet oder zusammenfasst. Bernheim nennt die Traditionsquellen zusammenfassend „Berichte“.[2] Das hat für heutige Historiker Vorteile, da sie so einen schnelleren Überblick über das Geschehene erhalten und etwas über die Vorstellungen des Verfassers erfahren. Der Nachteil besteht darin, dass der Verfasser vielleicht fehlerhaft, einseitig oder gar in betrügerischer Absicht schreibt.[3]

Beispiele für Traditionsquellen sind Reden, Briefe, Berichte, Ergebnisprotokolle und Geschichtswerke von früheren Historikern, die heute nicht mehr als Sekundärliteratur angesehen werden.

Ein Überrest hingegen wurde ursprünglich zu einem eigenen, zeitgebundenen Zweck hergestellt, beispielsweise eine Rechnung, die nur einen Geschäftsvorgang dokumentieren sollte.

Die Unterscheidung ist von der jeweiligen historischen Fragestellung abhängig, das bedeutet, dass dieselbe Quelle je nach Fragestellung Überrest oder Tradition sein kann. Ein Denkmal beispielsweise ist für eine Fragestellung nach dem Ereignis oder der Person, an die es erinnert, Tradition, für eine Fragestellung nach der Memorialkultur der Epoche, in der es errichtet wurde, Überrest.

Quellenkritik an Tradition hat einerseits über Textkritik und Formkritik die ursprüngliche Fassung der Quelle zu rekonstruieren (beispielsweise bei biblischen Texten, Lehrmärchen, Gebetssammlungen, Mythen). Andererseits hat sie die durch die Überlieferungsabsicht, aber auch durch Selbsttäuschung bedingte Verfälschung des überlieferten Geschehens herauszufinden (vgl. Ideologiekritik).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Johann Gustav Droysen: Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte, hg. von Rudolf Hübner. R. Oldenbourg Verlag, München 1937, S. 38–84.
  • Johann Gustav Droysen: Grundriss der Historik, Leipzig 1868, S. 14–15 [1]
  • Ernst Bernheim: Einleitung in die Geschichtswissenschaft. 3. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin/Leipzig 1926, besonders S. 104–132.
  • Alfred Heuß: Überrest und Tradition. Zur Phänomenologie der historischen Quellen. In: Archiv für Kulturgeschichte 25, 1934, S. 134–183.
  • Ernst Opgenoorth, Günther Schulz: Einführung in das Studium der Neueren Geschichte. 7. Auflage. Schöningh, Paderborn u. a. 2010, S. 49–86

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ernst Bernheim: Einleitung in die Geschichtswissenschaft. 3. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin/Leipzig 1926, S. 106–124.
  2. Zum Beispiel in Ernst Bernheim: Einleitung in die Geschichtswissenschaft. 3. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin/Leipzig 1926, S. 104.
  3. Manfred K.H. Eggert: Prähistorische Archäologie. Konzepte und Methoden. (= UTB 2092), 4. Auflage, A. Franke Tübingen/Basel 2012, ISBN 978-3-8252-3696-0, S. 45