Völkermordgedenktag (Armenien)

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96. Jahrestag des Völkermordes an den Armeniern mit der Flamme in der Gedenkstätte Zizernakaberd

Der Völkermordgedenktag (armenisch Եղեռնի զոհերի հիշատակի օր Jegherni soheri hischataki or) oder Völkermord-Erinnerungstag[1] am 24. April ist ein nationaler Trauertag in Armenien. Er erinnert an die Deportation armenischer Intellektueller vom 24. April 1915 aus der osmanischen Hauptstadt Istanbul, die den Auftakt zum Völkermord an den christlichen Armeniern bildete.

Er wird als nationaler Gedenktag auch in Frankreich,[2] in Kalifornien und von der armenischen Diaspora weltweit begangen.[1][3] Weltweit bezeichnen Regierungen von 30 Staaten die Massaker ab dem Jahre 1915 als Völkermord.[4]

Allgemeines[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Gedenktag erinnert an die 1915 durch das Deportationsgesetz festgenommenen armenischen Eliteangehörigen in der osmanischen Hauptstadt Istanbul, von denen die meisten gefoltert oder hingerichtet wurden. Jährlich wird am 24. April mit Totenmessen und Gedenkveranstaltungen an Opfer des Völkermordes an christlichen Armeniern von 1915 bis 1923 erinnert. In Jerewan, der Hauptstadt Armeniens, pilgern jährlich Hunderttausende zu Fuß zum Völkermordmahnmal Zizernakaberd, um Blumen an die ewige Flamme zu legen. Die armenisch-apostolische Kirche führt an diesem Tag keine Taufe und Eheschließung durch.

Den 24. April wählten auch Assyrer/Aramäer und Pontosgriechen, um des Völkermordes an den Assyrern und der Griechenverfolgungen im Osmanischen Reich zu gedenken.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Datum wurde erstmals von den libanesischen Armeniern als Erinnerungstag für den 50. Jahrestag des Völkermordes 1965 bestimmt.[5] Der gleiche Tag erlebte damals illegale Demonstrationen von Armeniern in Jerewan, der Hauptstadt des sowjetischen Armenien. Da die Armenierproteste außer Kontrolle gerieten und Ruhe nur unter Schwierigkeiten wiederhergestellt wurde, erlaubte die sowjetische Führung die Errichtung des Völkermorddenkmals Zizernakaberd bis 1967.[6]

Am 9. April 1975 verabschiedete das Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten die Joint-Resolution 148, die den 24. April zum Nationalen Tag des Gedenkens der Unmenschlichkeit von Mensch zu Mensch designierte und der Opfer von Völkermorden, vor allem jener armenischer Abstammung, die dem 1915 begangenen Völkermord erlagen, gedachte. Die Resolution scheiterte am Justizausschuss des Senats aufgrund der Ablehnung von Präsident Gerald Ford, der dies als Bedrohung für die Allianz der USA mit der Türkei sah.[7] Am 24. April 2021 sprach sein Amtsnachfolger Joe Biden in diesem Bezug erstmals von Völkermord.[8]

Die Bekanntheit jenes Tages nahm in der armenischen Diaspora als Ergebnis von Racheoperationen armenischer Gruppen wie der Asala zu. Die Teilnehmerzahl an Völkermordtags-Demonstrationen stieg allein in Frankreich von einigen Hundert auf über 10.000 im Jahre 1981 an.[7] 1988 nahm Sowjet-Armenien den 24. April formell als öffentlichen Gedenktag an.[9] Im Jahre 1997 erklärte die Kalifornische Staatsversammlung den 24. April zum Tag der Erinnerung an den Armenier-Völkermord 1915–1923, und an die Opfer des Sumgait-Pogroms von 1988 sowie der Baku-Unruhen von 1990.[10]

Seit der Ermordung des armenischstämmigen Türken Hrant Dink 2007 werden am 24. April auch Gedenkzeremonien in mehreren türkischen Städten abgehalten. Es begann am Taksim-Platz von Istanbul 2008 und fand bis 2013 auch in Ankara, İzmir, Adana, Diyarbakır, Urfa, Malatya, Tunceli und Mersin statt.[11]

Gedenken zum 100. Jahrestag[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der 24. April 2015 war der 100. internationale Gedenktag. In Armeniens Hauptstadt Jerewan fand eine Gedenkveranstaltung statt.[12] Daran nahm unter anderem der französische Staatspräsident François Hollande[13][14] teil; ebenso der russische Präsident Wladimir Putin. Deutschland war durch den Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, vertreten.[15][16]

In der Türkei, die eine Anerkennung der Gräueltaten gegen Armenier als Völkermord vehement ablehnt, wurde am 24. April 2015 mit einem großen Staatsakt dagegen der Schlacht von Gallipoli gedacht; tatsächlich begann der Großangriff der Alliierten jedoch erst am 25. April 1915.[17][18]

Bundespräsident Joachim Gauck benannte am 23. April 2015 bei einer Gedenkveranstaltung im Berliner Dom den Völkermord an den Armeniern als Völkermord.[19]

Der Deutsche Bundestag debattierte anlässlich des 100. Jahrestages am 24. April 2015.[20] Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte: „Das, was mitten im Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich stattgefunden hat, unter den Augen der Weltöffentlichkeit, war ein Völkermord.“[21] Die Koalitionsfraktionen – Union und SPD – hatten den Begriff „Völkermord“ erst wenige Tage zuvor in ihre jeweiligen Anträge aufgenommen und damit eine lange Phase beendet, in der Bundesregierungen den Begriff „Völkermord“ für die damaligen Geschehnisse vermieden hatten.[22][23][24]

US-Präsident Barack Obama entsandte aus Anlass des 100. Jahrestages eine fünfköpfige Delegation nach Armenien.[25] Susan E. Rice, Obamas Nationale Sicherheitsberaterin, ermutigte den türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, die türkisch-armenischen Beziehungen zu verbessern und in der Türkei einen offenen Dialog über die „Gräueltaten von 1915“ (atrocities of 1915) zu erleichtern.[26] Obama hielt eine Rede.[27] Wie schon in den Jahren zuvor[28] vermied er den Begriff „Genozid“ (genocide) und sprach von „Massaker“ (massacre), einem „schrecklichen Blutbad“ (terrible carnage), einer „entsetzlichen Gewalt“ (horrific violence) und einem „dunklen Kapitel der Geschichte“ (dark chapter of history).[29][30][31]

Am 25. April 2015 hielt der französische Premierminister Manuel Valls in Paris eine Rede bei einer Gedenkzeremonie.[32][14]

Mahnmale[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mehrere Monumente wurden aufgestellt, um des Völkermords an den Armeniern zu gedenken:

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Völkermordgedenktag (Armenien) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Adam Jones: Genocide. A Comprehensive Introduction. Routledge, London [u. a.] 2006, ISBN 0-415-35384-X, S. 156.
  2. Erstmals nationaler Gedenktag für Völkermord an den Armeniern in Frankreich, Die Zeit, 24. April 2019
  3. Richard G. Hovannisian (Hrsg.): The Armenian Genocide. History, Politics, Ethics. Macmillan, Houndmills u. a. 1992, ISBN 0-333-55703-4, S. 339.
  4. Länder, die den Völkermord an den Armeniern anerkennen, Armenisches Nationalinstitut in den USA, 24. April 2021
  5. Gunter: Armenian History and the Question of Genocide. 2011, S. 58.
  6. Gunter: Armenian History and the Question of Genocide. 2011, S. 59.
  7. a b Gunter: Armenian History and the Question of Genocide. 2011, S. 76.
  8. [1] 24. April 2021
  9. Bloxham: The Great Game of Genocide. 2005, S. 215.
  10. Bloxham: The Great Game of Genocide. 2005, S. 232.
  11. Turkish cities to host events in commemoration of Armenian Genocide victims, Apr 23, 24. In: Tert Am. Archiviert vom Original am 22. Februar 2014; abgerufen am 23. April 2013.
  12. Prime Minister Hovik Abrahamyan’s Message on Armenian Genocide Victims Remembrance Day (Premierminister Howik Abrahamjans Botschaft zum ‘Armenian Genocide Victims Remembrance Day’)
  13. Visite en République d’Arménie
  14. a b Türkisches Außenministerium: No: 132, 24 April 2015, Press Release Regarding the Speech Delivered By President of France Hollande at the Ceremony in Yerevan and the Declarations of Prime Minister Valls in Paris (Memento vom 26. April 2015 im Internet Archive)
  15. tagesschau.de (Memento vom 25. April 2015 im Internet Archive)
  16. tagesschau.de: Zehntausende gedenken in Jerewan den Gräueltaten vor 100 Jahren (Memento vom 21. März 2016 im Internet Archive) (Video, 1:47 min)
  17. Mike Szymanski: Erster Weltkrieg: Das Dröhnen von Gallipoli. Süddeutsche Zeitung, 24. April 2015, abgerufen am 24. April 2021.
  18. Joseph Croitoru: Schlacht von Gallipoli: Ein türkischer Sieg wird zur Waffe. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. April 2015, abgerufen am 24. April 2021.
  19. bundespraesident.de: Worte des Gedenkens im Anschluss an den „Ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom anlässlich der Erinnerung an den Völkermord an Armeniern, Aramäern und Pontos-Griechen“
  20. bundestag.de: Tagesaktuelles Plenarprotokoll 18101 (Memento vom 24. September 2015 im Internet Archive)
  21. Einleitende Worte vor der Debatte zu den Deportationen und Massakern an den Armeniern vor 100 Jahren. bundestag.de (Reden und Beiträge des Bundestagspräsidenten), 2015, abgerufen am 24. April 2021.
  22. FAZ.net 20. April 2015: Bundesregierung spricht nun doch von Völkermord
  23. sueddeutsche.de: Koalition spricht indirekt von Völkermord an Armeniern
  24. FAZ.net / Berthold Kohler: Bis auf die Knochen (Kommentar)
  25. whitehouse.gov 21. April 2015: President Obama Announces Presidential Delegation to the Republic of Armenia to Attend the Centennial Commemoration of the Events of 1915
  26. whitehouse.gov: Presseerklärung 21. April 2015
  27. Statement by the President on Armenian Remembrance Day. Office of the Press Secretary, 23. April 2015, abgerufen am 24. April 2021 (englisch).
  28. 2014: Statement by the President on Armenian Remembrance Day; 2013: [2]; 2012: [3]
  29. The Washington Post: Obama’s statement on Armenia avoids ‘genocide’
  30. Türkisches Außenministerium: Press release 131
  31. Erdoğan warnt Obama: US-Präsident sollte den Begriff „Genozid“ nicht benutzen
  32. „La première responsabilité, c’est de regarder ce crime en face et de l’appeler par son nom. Ce crime, oui, c’était un génocide“