Verfassungsorgan

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Verfassungsorgan (auch Oberstes Verfassungsorgan und bei Bundesstaaten auf Bundesebene Oberstes Bundesorgan[1][2]) wird u. a. im deutschen Verfassungsrecht ein Staatsorgan bezeichnet, dessen Rechte und Pflichten in der Staatsverfassung festgeschrieben sind und das überdies an der Gesamtwillensbildung des Staates mitwirkt.[3] Vom Verfassungsorgan zu unterscheiden ist die Person, die in ihm tätig wird (Organwalter).

Verfassungsorgane des Bundes[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Emblem des Bundesadlers als Staatssymbol der deutschen Bundesorgane

Die fünf ständigen Verfassungsorgane auf Bundesebene sind:

  1. der Deutsche Bundestag (Abschnitt III des Grundgesetzes, Art. 38–48)
  2. der Bundesrat (Abschnitt IV des Grundgesetzes, Art. 50–53)
  3. der Bundespräsident (Abschnitt V des Grundgesetzes, Art. 54–61)
  4. die Bundesregierung (Abschnitt VI des Grundgesetzes, Art. 62–69)
  5. das Bundesverfassungsgericht (Art. 92–94, 99 f. des Grundgesetzes)

Die sogenannten nichtständigen, d. h. nicht zentralen Verfassungsorgane des Bundes sind:

  1. der Gemeinsame Ausschuss (Abschnitt IVa des Grundgesetzes, Art. 53a)
  2. die Bundesversammlung (Art. 54 des Grundgesetzes)

Der Bundeskanzler – und gleiches gilt für die einzelnen Bundesminister (wie etwa den der Verteidigung, durch Art. 65a GG mit eigenen Rechten ausgestattet) – ist zwar nicht selbst ein oberstes Bundesorgan, hat als Regierungschef aber eine herausragende Stellung innerhalb der Bundesregierung und ist ihr einziges Mitglied, welches auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag gewählt wird.[4] Er hat originär (ohne Ableitung von der Bundesregierung als Kollegium) insbesondere die Schlüsselkompetenzen nach Art. 64 Abs. 1 (Vorschlag der Ernennung und Entlassung der Bundesminister), Art. 65 S. 1 (Richtlinienkompetenz) und Art. 68 (Vorschlag der Auflösung des Bundestages) GG inne.

In der Parteienstaatslehre nach Leibholz sind auch die politischen Parteien Verfassungsorgane, soweit ihre Rechte aus Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz reichen. Dieser Auffassung folgte das Bundesverfassungsgericht anfangs (vgl. BVerfGE 1, 208 [223 ff.], zuletzt 12, 267 [280]). Seit der Entscheidung BVerfGE 20, 1 (9, 29) jedoch werden Parteien lediglich als „im Rang einer verfassungsrechtlichen Institution“ stehend bezeichnet, im Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht aber immer noch sehr ähnlich den Verfassungsorganen behandelt. In der frühen rechtswissenschaftlichen Literatur wurde die Einordnung als Verfassungsorgan zum Teil noch heftig kritisiert.[5]

Die Verfassungsorganeigenschaft des Bundesrechnungshofs ist umstritten,[6][7] gleichwohl er wegen seiner Mittlerfunktion zwischen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung – und damit parteifähig im Organstreitverfahren – zu den obersten Bundesorganen gezählt werden kann (Art. 114 Abs. 2 GG).[8]

Ausdrücklich keine Organstellung i. S. d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG besitzt das Gebietsvolk,[9] auch wenn das Volk in der Präambel sowie in den Artikeln 20 Abs. 2, 29 Abs. 1, 38 und 146 GG genannt ist.

Verfassungsorgane der Länder[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Verfassungsorgane auf Landesebene sind

  1. das Landesparlament,
  2. die Landesregierung und
  3. das Landesverfassungsgericht.

Je nach vertretener Ansicht tritt ggf. noch der jeweilige Landesrechnungshof hinzu.

Vorrechte und Privilegien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Verfassungsorgane verfügen über gewisse Vorrechte und Privilegien.

Verhältnis der Verfassungsorgane untereinander, Verfassungsorgantreue[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Existenz verschiedener Verfassungsorgane und die klare Abgrenzung ihrer Kompetenzen ist ein Ergebnis der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG). Erstrebt wird ein System ausgewogener checks and balances.

Die Verfassungsorgane sind untereinander zu einem Treu und Glauben entsprechenden Verhalten verpflichtet. Dieser Grundsatz der Verfassungsorgantreue wurde vom Bundesverfassungsgericht nach dem Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens entwickelt. Er vermag aber keine eigenen Rechte und Pflichten zu begründen, sondern wirkt nur kompetenzmoderierend, d. h., er gestaltet lediglich den Inhalt bereits bestehender Rechtsverhältnisse in die eine oder andere Richtung aus.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Klaus Joachim Grigoleit: Bundesverfassungsgericht und deutsche Frage. Eine dogmatische und historische Untersuchung zum judikativen Anteil an der Staatsleitung (= Jus Publicum. Band 108). Mohr Siebeck, Tübingen 2004, ISBN 3-16-148367-7, S. 118–167 (§ 5 Bedeutung und Funktion des Begriffs Verfassungsorgan).
  • Christian Burkiczak: Die Bundesversammlung und die Wahl des Bundespräsidenten – Rechtliche Grundlagen und Staatspraxis. In: Juristische Schulung 2004, S. 278–282.
  • Roman Herzog, In: Maunz, Dürig: Grundgesetz. Kommentar. 2002, Art. 54, Rn. 29.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Christian Hillgruber, Christoph Goos: Verfassungsprozessrecht. 2., neu bearb. Auflage. C.F. Müller, Heidelberg 2006, ISBN 978-3-8114-8004-9, S. Rn. 337.
  2. Vgl. Bundesorgane auf lexexakt.de; analog dazu früher die „obersten Reichsorgane“.
  3. Hartmut Maurer: Staatsrecht I – Grundlagen, Verfassungsorgane, Staatsfunktionen. 5. Auflage. C.H. Beck, München 2007, S. 370.
  4. Verfassungsorgane auf politik-blicken.de (PDF; 233 kB)
  5. Ekaterina Yustus, Status und Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, in: Wladimir I. Fadeev, Carola Schulze (Hrsg.): Verfassungsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation und in der Bundesrepublik Deutschland. Rundtischgespräch an der Moskauer Staatlichen Juristischen Kutafin-Universität am 9. und 10. Oktober 2012, Universitätsverlag Potsdam, 2013, ISBN 978-3-86956-267-4, S. 58.
  6. Vgl. Klaus Stern, Staatsrecht II, S. 449 ff.
  7. Philipp Bergel: Rechnungshöfe als vierte Staatsgewalt? Universitätsverlag Göttingen, 2010, ISBN 978-3-941875-57-9, S. 86.
  8. Christian Hillgruber/Christoph Goos, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, § 4 II 2 Rn. 339.
  9. BVerfGE 13, 54 – Neugliederung Hessen