Videodrome

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Film
Titel Videodrome
Produktionsland Kanada, USA
Originalsprache Englisch
Erscheinungsjahr 1983
Länge 89 Minuten
Altersfreigabe
Stab
Regie David Cronenberg
Drehbuch David Cronenberg
Produktion Claude Héroux
Musik Howard Shore
Kamera Mark Irwin
Schnitt Ronald Sanders
Besetzung

Videodrome ist ein kanadisch-US-amerikanischer Science-Fiction-Thriller von David Cronenberg aus dem Jahr 1983. Der mehrfach ausgezeichnete Film wird auch dem Bereich des Body Horror zugerechnet.[2]

Der Film beschreibt den zunehmenden Realitätsverlust von Max Renn, Betreiber eines privaten TV-Kanals, nachdem er wiederholt den gewaltpornografischen Ausstrahlungen eines Piratensenders ausgesetzt war.

Handlung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Max Renn ist Betreiber des privaten Kabelsenders „Civic TV“ in Toronto, Kanada, der sich auf reißerische Inhalte spezialisiert hat. Sein Mitarbeiter Harlan hat einen Piratensender namens „Videodrome“ entschlüsselt, der auf wechselnden Frequenzen gewaltpornografische Sendungen ausstrahlt. Max’ Freundin, der masochistisch veranlagten Radiomoderatorin Niki Brand, gefällt die Sendung so sehr, dass sie sich als Darstellerin bewerben will. Stets auf der Suche nach neuem Material, versucht Max, Kontakt mit dem laut Harlan in Pittsburgh, USA, sitzenden Sender aufzunehmen. Seine Bekannte Masha, die den Kontakt für Max herstellen soll, warnt ihn vor weiteren Recherchen, denn die Macher von „Videodrome“ hätten eine Ideologie und die ausgestrahlten Gewalttätigkeiten seien nicht gestellt, sondern Snuff-Videos vermeintlich realer Morde. Trotzdem verrät sie ihm, dass Medienprofessor Brian O’Blivion ihn auf die Spur des Senders bringen könne.

O’Blivion kommuniziert nur durch vorab aufgenommene Videobänder, die Max von dessen Tochter und Verwalterin Bianca erhält. Zuschauer von Videodrome, so O’Blivion, entwickeln nach längerer Betrachtung des Programms einen Gehirntumor, der wiederum Halluzinationen auslöst. Auf diese Weise werden sie auch manipulierbar. Während Max zunehmend von Trugbildern geplagt wird (so entwickelt sein Bauch scheinbar eine vertikale Öffnung, in der eine Pistole und Videokassetten verschwinden), erfährt er, dass O’Blivion „Videodrome“ zum Opfer gefallen ist.

Schließlich begegnet er Barry Convex, dem Chef des Unternehmens, das hinter der Fassade des Brillenherstellers „Spectacular Optical“ operiert. Max’ Mitarbeiter Harlan entpuppt sich als Mitverschwörer, der ihn gezielt Testausstrahlungen ausgesetzt hatte. Nordamerika sei „schwach“ geworden, „innerlich verrottet“ durch Unterhaltungssendungen wie die auf „Civic TV“, und diesen Prozess wolle man aufhalten. Da man nun bereit sei, regulär auf Sendung zu gehen, erhält Max den Befehl, seine Geschäftspartner zu töten und das Programm von „Videodrome“ auf seinem Sender auszustrahlen.

Max ermordet, wie befohlen, die beiden Mitinhaber seines Senders. Als er auch Bianca O’Blivion umbringen soll, kann sich diese retten, indem sie Max über Nikis Ermordung aufklärt und gegen seine Auftraggeber „umprogrammiert“. Max tötet Harlan und Convex und taucht unter. Auf dem Fernsehschirm in seinem Versteck erscheint Niki, die ihn auffordert, mit ihr eins zu werden. Mit den Worten „lang lebe das neue Fleisch“ auf den Lippen erschießt sich Max.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Cronenberg zu den gewalttätigen Bildern und zur radikal subjektiven Erzählweise in Videodrome:

“With Videodrome I wanted to posit the possibility that a man exposed to violent imagery would begin to hallucinate. I wanted to see what it would be like, in fact, if what the censors were saying would happen, did happen. […] But there is the suggestion that the technology involved in Videodrome is specifically designed to create violence in a person; we know that by the use of electrodes in certain areas in the brain you can trigger off a violent, fearful response without regard to other stimulants. […] Our own personal reception of reality is the only one we’ll accept. Even if you’re going mad, it’s still your reality. […] I feel that Max ultimately manages to manipulate this new reality he finds himself in to seek his own equilibrium again. […] People in prison camps, or people subjected to all kinds of psychological and physical torture are constantly trying to rebalance themselves. There is an innate balance that wants to be expressed.”

„Mit Videodrome wollte ich die Möglichkeit postulieren, dass ein gewalttätigen Bildern ausgesetzter Mensch anfangen würde zu halluzinieren. Ich wollte ausprobieren, was passiert, wenn das eintritt, von dem die Zensoren behaupten, dass es eintreten wird. […] Aber es wird angedeutet, dass das Verfahren in Videodrome speziell entworfen wurde, um gewalttätige Reaktionen in einem Menschen hervorzurufen. Wir wissen, dass mittels Einsatz von Elektroden in bestimmten Hirnregionen gewalttätige, angstgesteuerte Reaktionen ohne äußeren Auslöser erzeugt werden können. […] Unsere persönliche Wahrnehmung der Wirklichkeit ist die einzige, die wir akzeptieren. Selbst wenn wir verrückt werden, ist es immer noch unsere Wirklichkeit. […] Meiner Meinung nach gelingt es Max schließlich, die neue Wirklichkeit, die ihn umgibt, zu steuern, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. […] Menschen in Gefangenschaft, oder Menschen, die allen erdenklichen Formen seelischer oder körperlicher Folter ausgesetzt sind, versuchen ständig ihr Gleichgewicht wiederherzustellen. Hierin zeigt sich ein angeborener Hang zum Ausgleich.“[3]

Wie zuvor bei Cronenbergs Die Brut und Scanners fungierten bei Videodrome wieder Claude Héroux, Pierre David und Victor Solnicki als Produzent bzw. Ausführende Produzenten. Für die Spezialeffekte gewann man den namhaften Maskenbildner Rick Baker. Während der Dreharbeiten stieg das Filmstudio Universal Pictures als Mitfinanzier ein, die Produktionskosten beliefen sich schließlich auf ca. 6 Millionen kanadische Dollar. Eine erste Fassung für eine Testvorführung hatte eine Laufzeit von 75 Minuten; wegen negativer Reaktionen seitens des Publikums, unter anderem wegen mangelnder Verständlichkeit der Handlung, erweiterte Cronenberg den Film auf rund 90 Minuten. Neben Schnittauflagen für ein R-Rating für den US-amerikanischen Kinomarkt durch die Motion Picture Association of America verlangte Universal-Produktionschef Robert Rehme eine weitere Kürzung in einer Szene, in der ein Dildo gezeigt wird. Videodrome startete am 4. Februar 1983 in den US-Kinos, fiel aber an der Kinokasse durch.[4][3]

Videodrome erschien 1985 in Deutschland nur auf Video und wurde, obwohl es sich um die bereits gekürzte R-rated-Fassung handelte, indiziert. Im August 2010 wurde die Indizierung erneuert (so genannte Folgeindizierung).[4][5] Im März 2018 wurde die Indizierung schließlich aufgehoben, eine Neuprüfung durch die FSK ergab eine Altersfreigabe ab 16 Jahren für die ungeschnittene Fassung.[6]

Die US-Veröffentlichungen von Videodrome auf DVD und Blu-ray Disc (bei Universal Home Video bzw. in der Criterion Collection) enthalten die ungekürzte Unrated-Fassung.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kritiken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Dieser 1983 gedrehte Schocker von David Cronenberg lässt die gewohnten Erzählstrukturen so weit hinter sich, wie es einem kommerziellen Film möglich ist […] Obwohl unzusammenhängend und häufig prätentiös, ist der Film doch ein kühner Versuch, persönlichen obsessiven Bildern den Vorrang vor der Zuschauergunst zu geben – eine Art Kenneth-Anger-Version von Krieg der Sterne.“ – David Kehr, Chicago Reader[7]

„Wenngleich Videodrome schließlich grotesk und etwas konfus gerät, fängt er sehr gut an und bewahrt seine Klugheit für eine geraume Weile. […] Max ist sich nie sicher, wo seine Visionen aufhören und die Wirklichkeit beginnt, und dem Zuschauer ergeht es ebenso. Inmitten von Max’ grellen, sadomasochistischen Fantasien kommen einem zudem Bedenken, ob Videodrome so weit von der Sensationsgier entfernt ist, die er eigentlich aufs Korn nehmen will.“ – Janet Maslin, The New York Times[8]

„Wahrhaftig ein faszinierender Ausgangspunkt für eine Geschichte […] die im Verlauf leider zunehmend schleppend und albern wird, mit ekligen Spezialeffekten von Rick Baker.“ – Leonard Maltin[9]

„Cronenberg hat mit seinen Verquickungen aus ekligem Matsch-Horror und Sozialkritik die Grenze zwischen Geschmack und Geschmacklosigkeit laufend überschritten, und dieser Film ist keine Ausnahme. […] Die Handlung ist zu verdreht und viel zu schräg um sie hier wiederzugeben […] was ohne Frage erkennbar bleibt ist Cronenbergs Abscheu vor der Welt als Ganzem.“ – Chris Peachment, Time Out Film Guide[10]

„[…] visionäre[r] Sci-Fi-Thriller […] serviert auch heute noch wirksame Schocks […].“ – Cinema[11]

„Horror- und Science-Fiction-Thriller mit Ekel- und Schockbildern, der als grimmige schwarze Komödie moderne Medien-Technologien weiterdenkt.“ – Lexikon des internationalen Films[12]

Nachwirkung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

New Flesh als eigenes Subgenre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Innerhalb des Cyberpunk spielt das Subgenre des New Flesh oder New Flesh Cinema direkt auf Videodrome an, da es ein Teilzitat von Long live the New Flesh! ist. Ebenso wie Videodrome wird auch eXistenZ (David Cronenberg, 1999) dem New Flesh Cinema zugerechnet.[13]

New Flesh Cinema (NFC) gilt dabei als Bezeichnung für Body-Horror-Filme, die wie Cronenbergs Videodrome, das instabile Verhältnis von Körper und Geist unter dem Druck einer Medien- und/ oder Kontrollgesellschaft thematisieren. Typisch für das NFC ist, dass hierbei Identität, Gedanken, Gliedmaßen und Begierden auf vielfältige Weise mit einer bedrohlich-verführerischen Außenwelt verschmelzen: mit Medien, Fahrzeugen, Gebäuden, Energieströmen oder Wesen unterschiedlichen Ursprungs.[14] Im NFC geht dabei das normale Fleisch fließend in das – teilweise technisch-synthetische – New Flesh über und illustriert so beispielhaft das Verschwimmen der Grenze zwischen Realität und Wahrnehmung.[15]

Insbesondere die in Videodrome vollzogene Verbindung zwischen dem Körper und Videokassetten oder der Hand des Protagonisten mit der Pistole, waren hierbei ein Novum. Ein japanischer Film, bei dem dieses Element ebenfalls deutlich vertreten ist, ist Tetsuo: The Iron Man (1989 von Shin’ya Tsukamoto).[16] Auch der 96-minütige amateurhafte Film Gun’s Eye von und mit Jerry Koch aus dem Jahr 1990 lässt die Hand des zum Mörder gewordenden Finders einer Waffe mit dieser verschmelzen.[17]

Film und TV[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der ABC-Fernsehserie Wild Palms (1993) strahlt die „Wild Palms Group“ auf ihrem Fernsehkanal Channel 3 das Programm „Church Windows“ aus, um die Wirklichkeitserfahrung der Zuschauer zu manipulieren. In Videodrome plant die hinter „Spectacular Optical“ stehende Organisation, auf Channel 83 ihr Programm „Videodrome“ zu denselben manipulativen Zwecken auszustrahlen. In Wild Palms sollen seichte Unterhaltungssendungen, die schleichend die Realität ersetzen, die Zuschauer von dem zunehmend totalitären System ablenken, das um sie herum errichtet wird. In Videodrome wollen die Hintermänner mit manipulierten Bildern das Aggressionspotenzial der Zuschauer freisetzen und bündeln, um ein „schwaches“ Nordamerika wieder starkzumachen. In Wild Palms tötet der Protagonist Harry, der sich der Untergrundorganisation „The Friends“ angeschlossen hat, seine Frau zum Schein mit den Worten „Long live the Friends! Death to New Realism!“. Max Renn erschießt Barry Convex mit den Worten „Death to Videodrome! Long live the New Flesh!“

Musik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neben vielen anderen Bands verwendeten die deutsche Metalcore-Band Callejon und das Projekt „Tumor“ des Industrial-Rock-Musikers Chris Pohl in einigen ihrer Lieder Dialoge aus Videodrome. Auf einer im Jahre 2004 erschienenen Liste der am häufigsten für Samples genutzten Filme stand Videodrome auf Platz 10.[18]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Freigabebescheinigung für Videodrome. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (PDF; Prüf­nummer: 55579-a/V).Vorlage:FSK/Wartung/typ nicht gesetzt und Par. 1 länger als 4 Zeichen
  2. The Greatest Body Horror Movies Ever Made. Videodrome (1983) (engl.) Zimbio, aufgerufen am 15. Oktober 2021
  3. a b Chris Rodley (Hrsg.): Cronenberg on Cronenberg, Faber & Faber, 1997.
  4. a b Videodrome in der Internet Movie Database.
  5. Indizierungsmeldung auf Schnittberichte.com, abgerufen am 18. November 2011.
  6. schnittberichte.com
  7. „This 1983 shocker by David Cronenberg comes about as close to abandoning a narrative format as a commercial film possibly can […] Never coherent and frequently pretentious, the film remains an audacious attempt to place obsessive personal images before a popular audience–a kind of Kenneth Anger version of Star Wars.“ – Rezension im Chicago Reader, ohne Datumsangabe, abgerufen am 26. November 2011.
  8. „Though Videodrome finally grows grotesque and a little confused, it begins very well and sustains its cleverness for a long while. […] Max is never sure where these visions leave off and reality begins; the viewer won’t find it easy to tell, either. And there are times when it is dangerously unclear, in the midst of Max’s lurid, sadomasochistic fantasies, whether Videodrome is far removed from the kind of sensationalism it seeks to satirize.“ – Rezension in The New York Times vom 4. Februar 1983, abgerufen am 26. November 2011.
  9. Genuinely intriguing story premise […] Unfortunately, story gets slower–and sillier–as it goes along, with icky special effects by Rick Baker. – Leonard Maltin’s 2008 Movie Guide, Signet/New American Library, New York 2007.
  10. „Cronenberg has always crossed the line between taste and distaste with his combinations of vile glop-horror and social criticism, and this is no exception. […] The plotline becomes too contorted to go into here, and far, far too weird […] what certainly survives is Cronenberg’s wholesale disgust with the world in general.“ – Time Out Film Guide, Seventh Edition 1999, Penguin, London 1998.
  11. Videodrome. In: cinema. Abgerufen am 26. April 2021.
  12. Videodrome. In: Lexikon des internationalen Films. Filmdienst, abgerufen am 18. November 2011.
  13. Lia M. Hotchkiss: "Still in the Game": Cybertransformations of the "New Flesh" in David Cronenberg's eXistenZ. In: University of Texas Press. Nr. 52, 2003, S. 15–32, doi:10.1353/vlt.2003.0018 (englisch, jhu.edu [PDF]).
  14. David Cronenberg Österreichisches Filmmuseum, aufgerufen am 27. Februar 2022
  15. Long Live the Digital Flesh: Videodrome and Our Social Media Selves Oktay Ege Kozak (engl.) Paste, aufgerufen am 27. Februar 2022
  16. Steven T. Brown: Desiring Machines. Biomechanoid Eros and Other Techno-Fetishes in Tetsuo: The Iron Man and Its Precursors. In: Tokyo Cyberpunk. Palgrave Macmillan, New York, 2010, S. 534–541, doi:10.1057/9780230110069_3 (englisch, springer.com).
  17. Ronald M. Hahn, Volker Jansen: Lexikon des Science Fiction-Films. Heyne, München 1997, ISBN 3-453-11860-X, S. 399.
  18. The Top 1319 Sample Sources (Memento vom 19. Oktober 2004 im Internet Archive), Version 60, 1. September 2004, abgerufen am 22. Januar 2012.
  19. David Cronenberg (engl.) The Canadian Encyclopedia, aufgerufen am 15. Oktober 2021

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weiterführende Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]