Wahrer Wert

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Der wahre Wert einer Größe kann unter verschiedenen Gesichtspunkten charakterisiert werden.[1] Die folgenden drei Definitionen sind hilfreich für das Verständnis dieses wichtigen Grundbegriffs; sie formulieren unterschiedlich, ohne sich zu widersprechen.

  • In der Messtechnik erklärt man den wahren Wert (einer Messgröße) als Ende eines Weges: „Wert der Messgröße als Ziel der Auswertung von Messungen der Messgröße“.[2]
  • Das internationale Joint Committee for Guides in Metrology versteht sich am Ziel und formuliert im International Vocabulary of Metrology so: „Größenwert, der mit der Definition einer Größe übereinstimmt“.[3][4]
  • In der Qualitätssicherung und Statistik ist zu finden: „Tatsächlicher Merkmalswert unter den bei der Ermittlung herrschenden Bedingungen“.[5]

Statistik/Datenanalyse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bestimmung des wahren Werts einer Größe gehört zu den Aufgaben der Statistik/Datenanalyse.[6] Die Erhebung von Daten kann als Messvorgang aufgefasst werden.[7] Beispiele für die anschließende Reduktion und Darstellung der Daten[8] findet man in der deskriptiven Datenanalyse und in der explorativen Datenanalyse.

Beispiele für unterschiedliche Problemfelder zur Bestimmung des wahren Wertes einer Größe:

  • Die inferenzielle Datenanalyse schließt von der erhobenen Stichprobe auf die Eigenschaften in der nicht erhobenen Grundgesamtheit. Beispiel: Die Einschaltquote für Fernsehsendungen.
  • Messung von Naturkonstanten. Beispiel: Der bestmögliche Wert für die magnetische Feldkonstante einschließlich Messunsicherheit.[9]
  • Messung von Zusammenhängen. Beispiel: Der Wert der an einer Schwingung einer Schraubenfeder beteiligten Masse, bestimmt aus dem Zusammenhang zwischen Schwingungsdauer der Schraubenfeder und der angehängten Masse.

Andere Methoden dienen der Überprüfung über die Art von Modellannahmen, zum Beispiel:

  • Überprüfung, ob die Annahme (in etwa) angemessen ist, dass die Daten normalverteilt sind (z. B. Quantil-Quantil-Diagramm, Wahrscheinlichkeitspapier).
  • Untersuchung von Symmetrien in der Verteilung und mögliche Ausreißer (Quantil-Diagramm[10]).
  • Die Analyse und Interpretation von Residuen in einer Regressionsanalyse, u. a. auf das Vorhandensein eines systematischen Fehlers und die Verteilung der zufälligen Fehler.
  • Die Analyse und Interpretation von Achsenabschnitten und Nullstellen eines aus Zusammenhängen ermittelten Funktionsgraphen, u. a. auch auf Hinweise über einen systematischen Fehler.

Empirisch erhobene Daten unterscheiden sich vom wahren Wert um die systematischen und zufälligen Abweichungen. Man kann den Zusammenhang durch die Gleichung[11]

Messwert = Wahrer Wert + systematische Abweichung + zufällige Abweichung

ausdrücken. Zufällige Abweichungen streuen in Betrag und Vorzeichen um den wahren Wert, eine systematische Abweichung kann fallweise positiv oder negativ sein. Dieses Gedankenmodell beschreibt die Situation klar und präzise, ist aber in dieser Form für die Praxis untauglich; denn in der Praxis sind nur die Daten (die Messwerte sind Daten im Sinne der Statistik) und nicht der genaue Wert der anderen Größen bekannt.

In der Praxis muss daher dieses Gedankenmodell modifiziert werden.[12] Aus den Daten wird ein Schätzwert (Prognosewert) für den wahren Wert bestimmt und danach die Unterschiede zwischen dem Schätzwert und den Daten berechnet, die in diesem Modell zur Unterscheidung von den Abweichungen Residuen genannt werden. Für die Datenauswertung gilt also

Messwert = Schätzwert für den wahren Wert + Residuum[13]

Residuen können sowohl positiv als auch negativ sein, je nachdem, ob der Messwert größer oder kleiner als der Schätzwert für den wahren Wert ist. Zwei besondere Schätzwerte seien erwähnt:

  • Der Median der Daten. Er ist robust gegenüber Ausreißern und minimiert die Summe der Abstände zwischen Schätzwert und Messwert.
  • Das arithmetische Mittel der Daten. Es reagiert empfindlich gegenüber Ausreißern, für diesen Schätzwert ist die Summe der Residuen Null und die Summe der Residuenquadrate minimal. Mit Mitteln der Fehlerrechnung lässt sich zeigen, dass bei einer Messreihe, die keine Ausreißer enthält, und bei der keine systematische Abweichung vorliegt, der arithmetische Mittelwert der beste Schätzwert für den wahren Wert ist.

Eine Analyse und Interpretation der Residuen sowie andere oben genannte Methoden sollen Auskünfte über die Genauigkeit der Angabe des wahren Werts sowie über die Angemessenheit von Modellannahmen erbringen. Am Ende der Rechnung wird ein Intervall angegeben, das durch seine Konstruktion möglichst oft den wahren Wert enthält. Eine Sicherheit, dass der wahre Wert in diesem Intervall liegt, gibt es jedoch nicht.

Physik/Messtechnik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der wahre Wert einer physikalischen Größe „ist ein ideeller Wert, der aus Messungen geschätzt wird. Ausnahmen bilden definierte Werte von Messgrößen (z. B. Winkel des Vollkreises, Lichtgeschwindigkeit im Vakuum) oder die ermittelbare endliche Anzahl von Elementen einer festgelegten Menge von Objekten“.[2]

Die Theoriengebäude der klassischen Physik erlauben eine sinnvolle Auffassung vom wahren Wert einer Messgröße. Hingegen muss im Bereich der Atome und subatomaren Teilchen die Quantenmechanik angewandt werden; in dieser Theorie hängt es von der gewählten Interpretation oder Formulierung ab (siehe Interpretationen der Quantenmechanik), ob man die Existenz wahrer Werte annimmt oder verneint.

Im Allgemeinen folgt der wahre Wert aus einer Theorie oder einem Modell: Die die physikalischen Zusammenhänge beschreibenden mathematischen Formeln arbeiten mit den wahren Werten der Größen. „Der wahre Wert eines mathematisch-theoretischen Merkmals wird auch exakter Wert genannt. Bei einem numerischen Berechnungsverfahren wird sich als Ermittlungsergebnis jedoch nicht immer der exakte Wert ergeben“.[5] Ein „bekannter Wert für Vergleichszwecke, dessen Abweichung vom wahren Wert für den Vergleichszweck als vernachlässigbar betrachtet wird“, wird als richtiger Wert bezeichnet.[14]

Ein Beispiel ist das Fallgesetz:

Die mathematische Formulierung setzt für den Weg , die Fallbeschleunigung und die Zeitspanne wahre, d. h. fehlerfreie Werte voraus. In Messwerten gelesen wäre die Beziehung nicht exakt erfüllt. Aber aus Messwerten/Daten lässt sich der wahre Wert der Fallbeschleunigung annähern. Das macht diese Gleichung und die Auswertungsverfahren in diesem Zusammenhang interessant: Ein physikalisches Gesetz wird in der Regel zunächst versuchsweise formuliert und daraufhin mit Hilfe von Experimenten geprüft.

Wahre Werte sind nicht direkt messbar, sondern sind lediglich auf Wertintervalle eingrenzbar. Eine Bestätigung von Naturgesetzen ist folglich immer nur im Rahmen der Messunsicherheit möglich. Die Metrologie weist der Analyse und Verarbeitung von Messabweichungen zentrale Bedeutung zu.

Der wahre Wert sollte nicht mit dem Istwert einer Regelgröße verwechselt werden.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. https://www.qz-online.de/service/qm-glossar/artikel/wahrer-wert-168381.html
  2. a b DIN 1319–1:1995 Grundbegriffe der Messtechnik – Teil 1: Grundbegriffe, Nr. 1.3
  3. JCGM 200:2012 Internationales Wörterbuch der Metrologie https://www.bipm.org/utils/common/documents/jcgm/JCGM_200_2012.pdf International vocabulary of metrology — Basic and general concepts and associated terms (VIM), Nr. 2.11 (PDF; 3,8 MB; abgerufen am 28. Februar 2016)
  4. Burghart Brinkmann: Internationales Wörterbuch der Metrologie: Grundlegende und allgemeine Begriffe und zugeordnete Benennungen (VIM) Deutsch-englische Fassung ISO/IEC-Leitfaden 99:2007. 4. Auflage. Beuth, Berlin 2012, ISBN 978-3-410-22472-3, S. 34 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  5. a b DIN 55350-13:1987 Begriffe der Qualitätssicherung und Statistik; Begriffe zur Genauigkeit von Ermittlungsverfahren und Ermittlungsergebnissen, Nr. 1.3
  6. P. Zöfel: Statistik in der Praxis. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1992, ISBN 3-8252-1293-9, S. 73ff.
  7. J. Bortz: Statistik für Sozialwissenschaftler. Springer Verlag, Berlin 1999, S. 17ff.
  8. A. Büchter, W. Henn: Elementare Stochastik. Springer Verlag, Berlin 2005, S. 23ff.
  9. CODATA Recommended Values. National Institute of Standards and Technology, abgerufen am 22. Mai 2019..
  10. ILMES - Internet-Lexikon der Methoden der empirischen Sozialforschung (Memento vom 2. November 2013 im Internet Archive)
  11. DIN 1319–1, Nr. 3.2
  12. M. Stockhausen: Mathematische Behandlung naturwissenschaftlicher Phänomene Band 1 Behandlung von Messwerten. UTB Steinkopff, Darmstadt, ISBN 3-7985-0549-7.
  13. M. Borovcnik, G. Ossimitz: Materialien zur Beschreibenden Statistik und Explorativen Datenanalyse. Hölder-Pichler-Tempsky, Wien 1987, S. 97.
  14. DIN 1319–1, Nr. 1.4