Walter Rodney

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Walter Rodney (* 23. März 1942 in Georgetown, Guyana; † 13. Juni 1980 ebenda) war ein panafrikanisch orientierter Historiker und Politiker aus Guyana. Er war ein Vordenker und Praktiker von Black Power und wurde durch einen von der guyanischen Armee verübten Sprengstoffanschlag getötet.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Walter Rodney wurde in eine Handwerkerfamilie geboren. Sein Vater Percival war selbständiger Schneider; später arbeitete er in einer Fabrik.[1] Seine Mutter Pauline war Damenschneiderin.

Schule und Studium[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Den Eltern und den Lehrern fiel früh auf, dass Walter ein hochbegabtes Kind war. Er wurde in die scholarship class seiner Grundschule aufgenommen, die ihre Schüler darauf trimmte, durch gute Leistungen ein Stipendium zu erlangen und ihnen so die Aufnahme in eine weiterführende Schule zu ermöglichen, deren Schulgeld die Eltern nicht hätten bezahlen können.[2] So konnte Walter Rodney ab 1953 das renommierte Queen’s College in Georgetown besuchen. Er gewann die Redner- und Debattenwettbewerbe seines Gymnasiums, gab die Schulzeitung The Lictor heraus und wurde zum Vorsitzenden der Historical Society des Queen’s College gewählt. 1960 legte er die Prüfungen des A-Level mit Auszeichnung ab und erlangte ein Stipendium zum Studium der Geschichte am University College of the West Indies in Mona, Jamaika. Anfang der 1960er Jahre reiste Rodney – fasziniert von sozialistischen Ideen – in die Sowjetunion und nach Kuba.[3] 1963 schloss er sein Studium mit Auszeichnung ab (B.A., First-class honours).[4] Die geisteswissenschaftliche Fakultät der jungen University of the West Indies (das University College war 1962 zur Universität aufgewertet worden) erkannte Rodney ihren Jahrespreis 1963 zu und damit ein Stipendium für ein postgraduales Studium.

Mit 21 Jahren begann Rodney 1963 sein Promotionsstudium an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London. Seine Dissertation galt der Geschichte der Sklaverei und des Sklavenhandels an der Upper Guinea Coast (der Küste der heutigen Staaten Guinea, Sierra Leone und Liberia). Als Quellen dienten ihm unter anderem die Geschäftsbücher und die Korrespondenz portugiesischer Händler in England und Portugal. Dabei kam ihm zugute, dass er in der Schule als eines seiner Hauptfächer Spanisch gelernt hatte, außerdem Portugiesisch und Französisch.[5] Am University College of the West Indies hatte er – ebenso wichtig – gelernt, die Methoden des Historikers mit sozialwissenschaftlichen Methoden zu verknüpfen.[6]

In seiner Freizeit – jedenfalls in den warmen Sommern – sprach Rodney oft an der Speakers’ Corner zu Einwandern aus der Karibik über den Rassismus der britischen Gesellschaft und die Ausbeutung der Arbeiter.[7] 1966 wurde Rodney mit Auszeichnung zum Ph.D. promoviert. Seine Dissertation wurde 1970 veröffentlicht. Sie fand unter Historikern große Aufmerksamkeit, da Rodney die Geschichte der versklavten Völker aus einem neuen Blickwinkel und mit neuen Methoden untersucht und so Maßstäbe gesetzt hatte.

Universitätsdozent[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach der Promotion nahm Rodney einen Lehrauftrag der University of Dar es Salaam in Tansania an, an der er 1966/1967 lehrte. Im Januar 1968 kehrte er nach Jamaika zurück und lehrte Geschichte an der University of the West Indies (UWI). Es war ein politisch aufgewühltes Jahr, auch in der Karibik, in der die Black-Power-Bewegung mehr und mehr Anhänger fand. Rodney beteiligte sich engagiert an den Debatten der jamaikanischen Intellektuellen, die die Regierungsprogramme für die „Schwarzen Armen“ als paternalistische-herablassende Bevormundung seitens der herrschenden Elite ablehnten und die Selbstermächtigung der „Verdammten dieser Erde“ (Frantz Fanon) verlangten. Dabei beschränkte er sich nicht auf den Universitätscampus in Mona. Er hielt vielmehr ebenso „in der Stadt“ (= in Kingston) Vorträge über afrikanische Geschichte und die Sklaverei und ihre (Spät-)Folgen, nicht zuletzt in den Arbeitervierteln von Kingston und vor Rastafarians. Seine kleine Schrift The groundings with my brothers, ein Rückblick auf seine Begegnung mit den Rastafarians, wurde zu einem Schlüsselwerk für die Black-Power-Bewegung in der Karibik. Rodney bezieht sich unter anderem auf Schriften und Thesen von Marcus Garvey.[8]

Spätestens im Sommer 1968 erweckte Rodneys universitäre und außeruniversitäre Tätigkeit den Argwohn der Regierung. Als er am 15. Oktober 1968 von einer „Black-Writer“-Konferenz in Kanada zurückkehren wollte, verwehrte sie ihm die Wiedereinreise nach Jamaika.[9] Studenten der UWI, darunter Ralph Gonsalves, organisierten einen Protestmarsch.[10] Es kam zu tagelangen Unruhen in Kingston, mit mehreren Todesopfern (Rodney Riots).

Rodney kehrte daraufhin an die University of Dar es Salaam zurück, an der er bis 1974 lehrte. Er unterhielt enge Kontakte zu Yoweri Kaguta Museveni, Joaquim Chissano und John Garang. In dieser Zeit schrieb er zahlreiche Artikel zu Formen und Ursachen der Unterentwicklung und zur Rolle des Staates bei der Klassenbildung in Afrika, viele davon für Maji-Maji, die Zeitschrift der TANU Youth League an der Universität. 1972 erschien sein bekanntestes und wichtigstes Buch: How Europe Underdeveloped Africa („Wie Europa Afrika unterentwickelte“). In den tansanischen Archiven erforschte er die Geschichte der Zwangsarbeit und der kolonialen Wirtschaft. Dazu lernte er Deutsch.[5] Die Ergebnisse seiner Forschungen erschienen 1976 unter dem Titel World War II and the Tanzanian economy. Für den Sechsten Panafrikanischen Kongress, der 1974 in Tansania stattfand, verfasste er den Beitrag Towards the Sixth Pan-African Congress: Aspects of the International Class Struggle in Africa, the Caribbean and America. Zwischendurch unternahm er mehrere längere Reisen in die Karibik, in die USA und nach Europa. Später (1978) lehrte Rodney für ein Semester am Institut für politische Wissenschaft der Universität Hamburg.

Politisches Wirken in Guyana[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1974 kehrte Rodney nach 14-jähriger Abwesenheit in sein Heimatland Guyana zurück. Die 1963 gegründete University of Guyana hatte ihn als Professor für Geschichte berufen. Doch die Regierung hob die Ernennung wieder auf. Gleichwohl blieb Rodney in Guyana und beteiligte sich an der Gründung der Working People′s Alliance (WPA).[11] Er wurde zu einem der bekanntesten und populärsten Sprecher der Widerstandsbewegung gegen das zunehmend autoritäre Regime von Forbes Burnham und seiner Partei, dem People’s National Congress (PNC).

Am 11. Juli 1979 wurde Rodney zusammen mit sieben anderen nach einem Brand verhaftet und der Brandstiftung bezichtigt. Von diesem Zeitpunkt an bis zu seiner Ermordung wurde er von Agenten des Burnham-Regimes ständig verfolgt, belästigt, bedroht und angegriffen. Zumindest einmal entging er nur knapp seinem Tod. Am Abend des 13. Juni 1980 wurde Walter Rodney im Zentrum von Georgetown durch die Explosion eines mit Sprengstoff gefüllten Walkie-Talkies, das ihm Gregory Smith, ein Sergeant der Guyana Defence Forces zugesteckt hatte, getötet.[12]

Familie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1965 heiratete Walter Rodney seine Jugendfreundin, die Krankenschwester Patricia Henry.[13] Sie hatten drei Kinder: Shaka, Kanini und Asha.

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Dichter und Reggae-Musiker Linton Kwesi Johnson schrieb und komponierte Reggae fi Radni zum Gedenken an Walter Rodney. Ebenso widmete der US-amerikanische Blues-Gitarrist, Sänger und Songschreiber Corey Harris Walter Rodney einen gleichnamigen Reggae-Song auf seinem Album Zion Crossroads (2007). Die englische Grime/Punk-Band Bob Vylan verwendete auf ihrem Album Bob Vylan Presents the Price of Life einen Auszug einer Rede von Walter Rodney.[14]

Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • A history of the Upper Guinea Coast 1545–1800. Clarendon Press, Oxford 1970.
  • How Europe Underdeveloped Africa. Bogle-L'Ouverture Publications, London 1972.
    • deutsch: Afrika – Die Geschichte einer Unterentwicklung. Wagenbach, Berlin 1973, ISBN 3-8031-1056-4.
    • neue deutsche Übersetzung: Wie Europa Afrika unterentwickelte. Mit Beiträgen von Bafta Sarbo, Peluola Adewale und René Arnsburg, übersetzt von Andreas Brandl, Manifest, Berlin 2023, ISBN 978-3-96156-126-1.
  • World War II and the Tanzanian economy. Africana Studies and Research Center, Ithaca 1976.
  • Migrant labour in Tanzania during the colonial period. Case studies of recruitment and conditions of labour in the sisal industry. Institut für Afrika-Kunde im Verbund der Stiftung Deutsches Übersee-Institut, Hamburg 1983, ISBN 3-923519-56-7 (zusammen mit Kapepwa Tambila und Laurent Sago).
  • The groundings with my brothers. Bogle-L'Ouverture Publications, London 1983.
  • Walter Rodney speaks. The making of an African intellectual. Africa World Press, Trenton 1990, ISBN 0-86543-072-1.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

in der Reihenfolge des Erscheinens

  • Rainer Tetzlaff, Peter Lock (Hrsg.): A tribute to Walter Rodney. One hundred years of development in Africa. Lectures given at the University of Hamburg in summer 1978. Universität Hamburg, Institut für Politische Wissenschaft, Hamburg 1984.
  • Rupert Charles Lewis: Walter Rodney’s intellectual and political thought. University of the West Indies, Mona (Jamaika), St. Augustine (Trinidad) & Cave Hill (Barbados), 1998, ISBN 976-640-044-X.
  • Gabriehu Aregai: Dangerous times. The assassination of Dr. Walter Rodney. Gibbi Books, Brooklyn, New York 2007.
  • Arnold Gibbons: The legacy of Walter Rodney in Guyana and the Caribbean. University Press of America, Lanham 2011, ISBN 978-0-7618-5413-5.
  • Amzat Boukari-Yabara: Walter Rodney. Un historien engagé (1942–1980). Éditions Présence Africaine, Paris 2018, ISBN 978-2-7087-0910-2.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Rupert Charles Lewis: Walter Rodney’s intellectual and political thought. University of the West Indies, Mona 1998, S. 1.
  2. Rupert Charles Lewis: Walter Rodney’s intellectual and political thought. University of the West Indies, Mona 1998, S. 6.
  3. Andreas Eckert: Schwarze Armut, weißer Profit. In: ZEIT. 25. August 2021, abgerufen am 29. August 2021.
  4. Rupert Charles Lewis: Walter Rodney’s intellectual and political thought. University of the West Indies, Mona 1998, S. 26.
  5. a b Rupert Charles Lewis: Walter Rodney’s intellectual and political thought. University of the West Indies, Mona 1998, S. 7.
  6. Rupert Charles Lewis: Walter Rodney’s intellectual and political thought. University of the West Indies, Mona 1998, S. 24.
  7. Walter Rodney: Walter Rodney Speaks: The Making of an African Intellectual. Africa World Press, Trenton 1990, S. 21.
  8. Arnold Gibbons: The legacy of Walter Rodney in Guyana and the Caribbean. University Press of America, Lanham 2011, S. 193–201.
  9. Michael O. West: Walter Rodney and Black Power: Jamaican Intelligence and US Diplomacy. In: African Journal of Criminology and Justice Studies, ISSN 1554-3897, Jg. 1 (2005), Nr. 2, S. 1–50.
  10. Ralph Gonsalves: The Rodney affair and its aftermath. In: Caribbean quarterly, Jg. 25 (1979), Nr. 3, S. 1–24.
  11. Andreas Eckert: Der Che unter den Afrika-Historikern. Warum man Walter Rodney wiederentdecken sollte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Dezember 2012, Seite N4.
  12. Rupert Charles Lewis: Walter Rodney’s intellectual and political thought. University of the West Indies, 1998, S. 243–245.
  13. Rupert Charles Lewis: Walter Rodney’s intellectual and political thought. University of the West Indies, Mona 1998, S. 32.
  14. Sam Law: Bob Vylan: “If you feel like you can’t say something on an elevated platform, you probably shouldn’t have said it in the first place”. Kerrang, abgerufen am 3. Dezember 2022 (englisch).