Weltraumtheorie

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Der Begriff Weltraumtheorie umschreibt eine von der Leitungsebene des Bundesnachrichtendienstes vertretene umstrittene Auffassung bezüglich der Rechtsgrundlage der Satellitendatenerfassung, das heißt der Erfassung von Datenströmen aus Satellitenkommunikationsverbindungen während deren Übertragung zum Boden durch die BND-Abteilung Technische Aufklärung. Ihr zufolge „[findet] die Erfassung von über Satelliten laufender Kommunikation an der Außenstelle in Bad Aibling nicht auf bayerischem Grund und Boden [statt], sondern allenfalls im Ausland beziehungsweise letztlich auf den Erdtrabanten im All und damit in einem weitgehend rechtsfreien Raum, in den das Grundgesetz nicht hineinreicht“.[1]

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das BND-Gesetz sieht in § 1 Abs. 2 für die Erhebung von Informationen Beschränkungen vor. Die im Zuge der Satellitendatenerfassung erfassten Daten seien jedoch nicht durch nationales Recht geregelt, da die Satelliten sich außerhalb nationaler Hoheitsgebiete befänden, weshalb „keine Daten im Geltungsbereich des BNDG erhoben“ würden.

Die „Weltraumtheorie“ wurde durch den NSA-Untersuchungsausschuss bekannt: Die Datenschutzbeauftragte des Bundesnachrichtendienstes war zu einer Zeugenvernehmung im 1. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode des deutschen Bundestages am 9. Oktober 2014 geladen.[2][3] Sie berichtete, dass ihrer Rechtsauffassung nach die Erhebung der Daten in der Außenstelle Bad Aibling und daher im Geltungsbereich des BND-Gesetzes stattfinde.[4] Ferner erklärte sie, sie sei von ihren Vorgesetzten in der Leitungsebene des Bundesnachrichtendienstes überstimmt worden,[5] die die Weltraumtheorie vertraten.[6] Sowohl Gabriele Löwnau (im Stab der Bundesdatenschutzbeauftragten unter anderem für Geheimdienste zuständig) als auch die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff kritisierten Rechtsverstöße.[1]

Konsequenzen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Laut einer Pressemeldung des Spiegels vom April 2015 plante die Bundesregierung, diese Praxis des BND für die Zukunft zu legalisieren.[7] Im Juni 2016 einigten sich Bundesregierung und Koalitionsfraktionen auf eine Reform des BND-Gesetzes zur Geheimdienst-Überwachung, mit welcher dem BND umfangreiche neue Befugnisse eingeräumt werden.[8] Die Opposition hält dies für verfassungswidrig.[9] Im Oktober 2016 erweiterte der Bundestag erneut die Befugnisse des BND. Dieser darf künftig Daten aus ganzen Telekommunikationsnetzen mit Auslandsverkehren auch im Inland komplett ausspähen. Hierzu zählt beispielsweise der Frankfurter Netzknoten DE-CIX.[10]

Das Bundesverfassungsgericht urteilte im Mai 2020 aufgrund einer Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz u. a., dass „die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG […] nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt (sei)“. Damit wurde das BND-Gesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt und muss bis Ende 2021 erneuert werden.[11]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Weltraumtheorie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b heise online: Geheimakte BND & NSA: Bad Aibling und die „Weltraumtheorie“. In: heise.de. heise online, abgerufen am 22. November 2018 (deutsch).
  2. Tagesordnung – Öffentliche Beweisaufnahme 16. Sitzung. Archiviert vom Original am 31. Oktober 2015; abgerufen am 28. Dezember 2015 (deutsch).
  3. Tagesordnung – Öffentliche Beweisaufnahme 72. Sitzung. Archiviert vom Original am 18. November 2015; abgerufen am 28. Dezember 2015 (deutsch).
  4. Live-Blog aus dem Geheimdienst-Untersuchungsausschuss: Der BND speichert Verbindungsdaten über fünf Ebenen. Archiviert vom Original am 31. Oktober 2015; abgerufen am 28. Dezember 2015 (deutsch).
  5. Die Anarchos vom BND. Abgerufen am 28. Dezember 2015 (deutsch).
  6. Geheime BND-Mails enthüllen Streit um Datenweitergabe an NSA. Abgerufen am 28. Dezember 2015 (deutsch).
  7. Regierung plant Gesetz zur Spionage im Weltraum. Abgerufen am 28. Dezember 2015 (deutsch).
  8. Andre Meister: Das neue BND-Gesetz: Alles, was der BND macht, wird einfach legalisiert. Und sogar noch ausgeweitet. In: netzpolitik.org. 30. Juni 2016, abgerufen am 23. Oktober 2016.
  9. Stefan Krempl: Freifahrtschein für Internet-Komplettüberwachung: Scharfe Kritik an BND-Reform. In: heise.de. 30. Juni 2016, abgerufen am 23. Oktober 2016.
  10. Stefan Krempl: BND-Reform: Bundestag beschließt Internetüberwachung à la NSA. In: heise.de. 21. Oktober 2016, abgerufen am 23. Oktober 2016.
  11. AZ: 1 BvR 2835/17. (PDF; 0,6 MB) In: bundesverfassungsgericht.de. 19. Mai 2020, S. 1, abgerufen am 27. Mai 2020.
  12. heise online: Geheimakte BND & NSA: Operation Eikonal – das Inland als „virtuelles Ausland“. In: heise.de. heise online, abgerufen am 22. November 2018 (deutsch).