Wikipedia:Machtstruktur

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Abkürzung: WP:MS, WP:DEMO

Nicht als System aus einem Guss, sondern als im Zuge der Projektentwicklung gewachsenes Geflecht liegen die heutigen Mitwirkungsmöglichkeiten und Machtstrukturen der Wikipedia vor, die sich als „work in progress“ immer neuen Herausforderungen ihrer Organisationsstruktur zu stellen hat.

Mit Blick auf Verfassungsmerkmale, wie sie ähnlich zur Beschreibung politischer Gemeinwesen gedient haben und dienen, gilt für den Status quo der Wikipedia eine Art gemischter Verfassung, die neben Zügen von Demokratie und Anarchismus sowie von Oligarchie und Meritokratie auch Elemente von Technokratie, Plutokratie und Diktatur aufweist.

Die nachfolgenden Abschnitte sollen dazu dienen, die Funktionsweisen dieses auf Selbstorganisation der Mitwirkenden gegründeten Projekts besser verständlich zu machen.

Demokratische Elemente und Züge von Anarchismus

Allen ihren Besuchern bietet Wikipedia bisher unabhängig von Zugang und Anmeldung Mitwirkungsmöglichkeiten sowohl im Bereich der Artikeldiskussion und der Artikelgestaltung als auch z. B. bei Stimmabgaben über die Auszeichnung von Artikeln als lesenswert oder exzellent. Auch ein Mindestalter für die Mitwirkung gibt es nicht. Damit gehören Elemente der partizipatorischen bzw. deliberativen und der direkten Demokratie zu den primären Organisationsmerkmalen des Projekts.

Grundsätzlich gelten in den genannten Bereichen die für freie Wahlen charakteristischen Merkmale: allgemein, frei und gleich. Da weder Anmelde- noch Klarnamenspflicht besteht, sind zudem (analog dem Wahlgeheimnis) unterschiedliche Formen der Anonymitätswahrung auch bei den oben genannten Stimmabgaben möglich. Angemeldete Benutzer haben allerdings gegenüber Benutzern ohne registrierten Account u. a. den Vorteil, dass sie wenige Tage nach der Anmeldung auch bereits Artikel bearbeiten können, für die eine IPs betreffende Teilsperre besteht.

Prinzipiell wird bei den zu treffenden Entscheidungen ein größtmöglicher Konsens durch gründliche Diskussion angestrebt, sodass auch Ideale der Konsensdemokratie und des Anarchismus eine Rolle spielen.

Nicht wenige Entscheidungen entziehen sich jedoch wegen zu ausgeprägter Differenzen der Konsensbildung; in solchen Fällen kommt z. B. die Erstellung eines Meinungsbilds in Frage. Prinzipiell kann jeder Benutzer auf den Diskussionsseiten ein Meinungsbild anregen. Mit einem Eintrag auf Meinungsbilder, mit Hilfe eines Postings in der Mailingliste und – wenn die Motivation dazu besteht – durch das Anschreiben von angemeldeten und aktiven Benutzern auf deren Diskussionsseiten kann er auf dieses Meinungsbild aufmerksam machen.

Das Ziel der Erstellung einer Enzyklopädie von bestmöglicher Qualität setzt angesichts der offenen Beteiligungsstruktur dem Demokratieprinzip innerhalb der Wikipedia aber auch deutlich Grenzen. Denn jeder kann anonym (also mit wechselnder IP-Adresse mehrmals) oder unter mehreren Benutzernamen in der Wikipedia Änderungen vornehmen. Auch können sich mehrere Personen einen Benutzernamen teilen. Das zugunsten einer möglichst breiten Mitarbeiterschaft bestehende Zugeständnis der Anonymität für alle, die das wünschen, und die Wahlmöglichkeit des Zugangs mit oder ohne Anmeldung eröffnen die Möglichkeit, mit wechselnden Benutzernamen und vielfältig gestalteten Sockenpuppen die eigene Meinung oder Stimmabgabe im Tarnmantel multipliziert einzubringen.

Das demokratische Kernprinzip „one man one vote“ (pro Person eine Stimme) bei der Meinungsbildung und in Abstimmungen ist daher nicht konsequent durchsetzbar. Zwar führen nachgewiesene Mehrfachvoten eines einzelnen Benutzers bei wichtigen Abstimmungen zur Ungültigkeit dieser Stimmen und u. U. zu einer Benutzersperre; doch ist der Nachweis nicht leicht zu führen und die Dunkelziffer vermutlich entsprechend.

Das Projekt bedarf deshalb sowohl klarer Regelverabredungen als auch gestufter Beteiligungsrechte, Qualitätskontrollen und Sanktionsmöglichkeiten. Leitlinien und Politik der Projektgestaltung beruhen auf der Tradition von gemeinschaftlicher Bearbeitung und auf der Suche nach Konsens und Kompromiss bei der Entscheidungsfindung.

Neben den Diskussionsseiten der Regularien sind die verschiedenen Mailinglisten und Meinungsbilder sich anbietende Orte für solche Verständigungsprozesse. Die Benutzer der einzelnen Wikipedia-Sprachausgaben lernen voneinander und beeinflussen sich wechselseitig, entscheiden aber über die eigenen Inhalte und über die innere Struktur autonom.

Da Wikipediaseiten in freier Zusammenarbeit verändert werden können, bietet das Projekt allen Mitwirkenden die Möglichkeit, zu respektierten Autoren zu werden. Geachtete Autoren sind wie alle Wikipedianer ihrerseits gehalten, sich einladend und unterstützend gegenüber Neuankömmlingen zu verhalten, die an der gemeinschaftlichen Bemühung zur Schaffung einer freien Enzyklopädie mitarbeiten wollen. In organisierter Form geschieht dies insbesondere im Mentorenprogramm.

Meritokratisch-oligarchische Elemente

Vieles in der Organisation der Wikipedia weist Parallelen zu einer Meritokratie auf, einer „Herrschaft der Verdienten“, die vor allem in dem Kollegium der Administratoren zum Ausdruck kommt.

Doch bereits unterhalb dieses Kreises der durch ihre besonderen Eingriffsrechte in die verschiedenen Projektbereiche Bevorrechtigten gibt es abgestufte Mitwirkungsrechte.

In Bereichen, die als sensibel erachtet werden, wie beispielsweise Meinungsbilder und die Wahl von Administratoren gilt ein gesondertes Stimmrechtsverfahren, das eine Anmeldung erfordert. Für das Stimmrecht ist in diesen Fällen ein gewisser Vorlauf im Projekt als angemeldeter Benutzer und eine vom Editcounter registrierte Mindestzahl an Artikelbearbeitungen nötig. Damit soll möglichst gewährleistet werden, dass bei der Mitwirkung an solchen Entscheidungsprozessen eine projektkonforme Grundqualifikation der Beteiligten vorhanden ist.

Als Adminkandidaten vorgeschlagen und durch qualifizierte Mehrheit in das Amt berufen werden vorzugsweise Benutzer, die besonders engagiert an der Wikipedia-Projektarbeit beteiligt sind und die im Zuge der projektinternen Kommunikation deutlich mehr Unterstützer als Gegner gefunden haben. Sie bedürfen zu ihrer Wahl des Vertrauens, dass sie mit den übrigen Benutzern einen regelgerechten und fairen Umgang pflegen und mit den ihnen übertragenen erweiterten Software-Funktionen (u. a. Sperren und Entsperren umstrittener Artikel und anhaltend regelwidrig agierender Benutzer) verantwortungsvoll umgehen.

Weder vor noch nach der Wahl sind Admins verpflichtet, sich in ganz bestimmten Bereichen der Projektarbeit zu engagieren. Im Rahmen des dem ganzen Adminkollegium obliegenden Aufgabenspektrums bestimmen sie über ihr konkretes Engagement jeweils selbst. Sind sie erst einmal im Amt, schalten und walten sie relativ frei, jedoch unter mehr oder minder deutlicher Berücksichtigung eines informellen Admin-Ehrenkodexes, der dem Missbrauch der erweiterten Rechte zur Durchsetzung persönlicher Interessen vorbeugen soll.

Die Allzuständigkeit der einzelnen Mitglieder des Admin-Kollegiums für sämtliche anfallenden administrativen Aufgaben und Benutzerstatements mündet in ein Syndrom aus Überforderung und Überlastung, freiwilliger Selbstbeschränkung und – trotz koordinativer Bemühungen etwa unter WP:AN – weitgehender Beliebigkeit der Aufgabenerfüllung.

Da Administratoren nicht auf Zeit gewählt sind, sondern unbefristet amtieren, kann die Unzufriedenheit mit der Amtsführung einzelner oder auch mehrerer nur durch spezielle Abwahlverfahren zu einer Amtsenthebung führen. Hierbei wie auch bei anderen Entscheidungen werden neben dem Gewicht der jeweils vorgebrachten Argumente auch die im Admin-Kollegium konzentrierten besonderen Einflussstrukturen wirksam. Wer die mehrheitliche Unterstützung der Kollegen hat, kann einem Abwahlantrag relativ ungefährdet entgegensehen. Die bisherigen Abstimmungen in der deutschsprachigen Wikipedia (v. a. Meinungsbilder und Adminkandidaturen) hatten stets eine sehr begrenzte Beteiligung zwischen 50 und 350 Stimmen (bei einer Gesamtzahl von etwa 180 als aktiv geführten Administratoren derzeit).

Bei 7000 regelmäßig in der deutschsprachigen Sektion der Wikipedia mitarbeitenden Benutzern bietet sich für diese Relation der Begriff einer Oligarchie der besonders Engagierten an.

Technokratische Elemente

Elektronisch basiert hängt die Wikipedia in starkem Maße von der zugrunde liegenden Software ab. Die Software wurde und wird von der Wikimedia Foundation als Open-Source-Projekt entwickelt und weiterentwickelt. Die hauptamtlichen Entwickler haben daher naturgemäß einen hohen Einfluss darauf, welche Software-Features und damit verbundenen Inhalte und Möglichkeiten umgesetzt werden. Angestellte der Wikimedia Foundation haben weitergehende Rechte als Ehrenamtliche und nutzen diese auch in Konfliktfällen (z. B. mit dem Recht Superprotect). Auf dem Phabricator kann jedoch jeder Änderungen anregen und über die Implementierung diskutieren. Die erreichten Qualitätsstandards von Artikeln im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium werden durch die gesichteten Versionen geschützt, ohne dass aber eine qualitative Weiterentwicklung der betreffenden Artikel dadurch blockiert würde.

Plutokratisch-diktatorische Elemente

Wer die Rechnung bezahlt, hat das Sagen. Diese Devise traf in den Anfängen 2001 auch für die Wikipedia zu. Der Projektinitiator Jimmy Wales hat zunächst viel Geld in das Projekt investiert. Aufgrund seiner besonderen Position als „Gründer“, Hauptverantwortlicher und Finanzier der Wikipedia wurde und wird Jimmy („Jimbo“) Wales zuzeiten kritisch-ironisch als „wohlwollender Diktator“ bezeichnet (gelegentlich auch mit dem Zusatz „… und wir hoffen, dass er niemals Gottkönig werden möge“).

In vielen Diskussionen, vor allem um die Sperrung einzelner Benutzer, traf früher in der englischen Wikipedia Jimmy Wales die endgültige Entscheidung.

Das Problem der Plutokratie wurde durch die Gründung der Wikimedia Foundation durch Wales am 20. Juni 2003 verlagert. Er übertrug die Besitzrechte an allen Wikimedia-Domains (Wikipedia-, Wiktionary- und Nupedia-Internet-Domains) an die Wikimedia. Auch die Computerausrüstung, auf der Wikipedia läuft, wurde der Stiftung übertragen.

Die Entscheidungsbefugnisse des „Diktators“ Wales gingen an das Board of trustees über, in dem neben Jimbo seine zwei Mitgesellschafter der Firma Bomis saßen. 2008 wurde der Stiftungsrat reformiert und bestand seitdem aus dem Gründersitz für Jimmy Wales, zwei Sitzen für Partner aus dem Netzwerk, drei von der Community vorgeschlagenen und vier kooptierten Sitzen.

Wikimedia Übersichtsdiagramm (englisch)

Weblinks

  • Machtstruktur auf Meta-Wiki (wahlweise auf Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Chinesisch, Japanisch oder Tschechisch)