Wilhelm Vossenkuhl

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Wilhelm Vossenkuhl (* 11. Dezember 1945 in Engen) ist ein deutscher Philosoph und emeritierter Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Publikationen, darunter auch populärwissenschaftlicher Werke wie Philosophie für die Westentasche. Im akademischen Bereich ist Vossenkuhl vor allem durch Arbeiten zu Wilhelm von Ockham und Ludwig Wittgenstein, der Handlungstheorie und der Ethik hervorgetreten. Er hat mit dem Designer Otl Aicher an diversen Projekten zusammengearbeitet und war Berater bei der Umgestaltung des Reichstagsgebäudes in Berlin zusammen mit Norman Foster.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vossenkuhl studierte von 1968 bis 1972 in München Philosophie, Neuere Geschichte und Politikwissenschaft. 1972 promovierte er zum Dr. phil. an der Universität München. Von 1975 bis 1977 war er zu einem Forschungsaufenthalt an der Cambridge University. Im Jahr 1980 habilitierte er zum Dr. phil. habil. 1986 wurde er Professor für Philosophie an der Universität Bayreuth. Von 1993 bis 2011 lehrte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Lehrstuhlinhaber für Philosophie I.[1] Bei der Besetzung dieses Lehrstuhls war die Katholische Kirche miteinbezogen.[2][3]

Bei der Fusion der Hochschulen von Duisburg und Essen zur Universität Duisburg-Essen 2003 wurde Vossenkuhl die Position des Gründungsrektors der neuen Universität angeboten. Nach längeren Verhandlungen sagte er jedoch ab.[4] Er war Hochschulrat mehrerer Universitäten.[5][6]

Seit 1981 ist er Mitglied im Beirat der Görres-Gesellschaft.[7] Weiterhin ist Vossenkuhl seit 1996 für das Philosophische Jahrbuch als einer der Herausgeber und in anderen in- und ausländischen Zeitschriften als Beirat tätig.[8]

Fernsehauftritte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einem breiteren Publikum wurde Vossenkuhl vor allem durch populärwissenschaftliche Sendungen auf BR-alpha, dem Bildungskanal des Bayerischen Rundfunks, bekannt. Vossenkuhl ist persönlich befreundet mit Harald Lesch, mit dem er nicht nur in unregelmäßigen Abständen Lesch & Co., sondern auch die ebenfalls von BR-alpha ausgestrahlte Sendung Denker des Abendlandes machte.

Des Weiteren moderiert er die Sendung Philosophie auf BR-alpha.

Vossenkuhl hat das öffentliche Verständnis der Themen und Anliegen der Philosophie mit einer Reihe von Beiträgen gefördert.[9][10] Dazu gehören auch Beiträge in Funk und Fernsehen (u. a. Wonach die Philosophie fragt. Köpfe-Probleme-Lösungen, Vorträge Südwestrundfunk 2013; DVDs von Sendungen Denker des Abendlandes, BR-Alpha).

Lehre und Forschung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sprachphilosophie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sprachphilosophie und Rationalität sind frühe Schwerpunkte in Vossenkuhls Denken.[11][12] Er verbindet Teile der Theorie der Sprechakte mit Wittgenstein zu einem kohärenten Ganzen. Ansätze der Theorie der Rationalität versucht er mit ethischen Problemen zu verbinden.[13] Vossenkuhl hat sich historisch mit der für die Moderne wegweisenden Bedeutung des Sprachdenkens von Wilhelm von Ockham auseinandergesetzt. Er zeigt, dass erst die Analytische Tradition an dieses Denken anknüpft.[14][15]

Arbeiten zu Kant[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Er schrieb zu Kants theoretischer und praktischer Philosophie, zur transzendentalen Argumentation, zum Kategorischen Imperativ und zur Religionsphilosophie eine Reihe von Beiträgen.[16][17][18] In jüngerer Zeit wuchs die Distanz zu Kants Denken, sowohl im Blick auf dessen theoretische als auch auf dessen praktische Philosophie.[19] Vossenkuhl bezweifelt, dass Kant geltungstheoretische Anliegen gelungen sind.

Arbeiten zu Wittgenstein[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zentral ist Vossenkuhls Auseinandersetzung mit dem Sprachdenken Ludwig Wittgensteins. Vor allem für die Bedeutung des Solipsismus und des Regelfolgens hat er neue Vorschläge gemacht.[20][21][22][23] Wesentlich sind für ihn zwei Einsichten Wittgensteins: Zum einen, dass das Zeigen im Unterschied zum Sagen eine grundlegende Bedeutung für das menschliche Denken hat. Zum zweiten, dass das Regelfolgen nur als Praxis, nicht aber in Form einer Theorie verstanden werden kann.

Ethik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vossenkuhl hat zahlreiche Beiträge zur Ethik und zur sog. Angewandten Ethik veröffentlicht.[24][25][26] In seinem Buch „Die Möglichkeit des Guten“ entwickelt Vossenkuhl ein Modell der Ethik als Konfliktwissenschaft, das der Lösung der aktuellen bioethischen Probleme dienen soll und ein neues Modell der Güterverteilung, das Gerechtigkeit auch bei knapper werdenden Ressourcen ermöglichen kann. Eine der Thesen des umfangreichen Buches ist, dass das methodische Grundproblem der Ethik die Verbindung und wechselseitige Ergänzung qualitativer und quantitativer Güter ist. Erst diese Verbindung kann, wie er argumentiert, ein gutes Leben ermöglichen. Die Methode, die er zur Lösung dieses Problems vorschlägt ist die Maximenmethode. Sie verbindet drei Maximen (Knappheits-, Normen-, Integrationsmaxime) zu einem kohärenten Ganzen.

Geltungstheorie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vossenkuhl hat in seinem Buch "Was gilt" über den Zusammenhang zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll, die wichtigsten geltungstheoretischen Ansätze in Erkenntnistheorie, Ethik und Rechtsphilosophie einer kritischen Prüfung unterzogen.[27] Schon im Vorfeld dieses Buches hat er dazu ein neues begriffliches Verständnis dessen, was ‚Geltung’ bedeutet vorgeschlagen.[28][29] In direktem Zusammenhang mit seinem Verständnis von Geltung steht das, was er unter den Maßstäben des Sehens und der Wahrnehmung versteht.[30] Wie bereits in seinem Buch "Die Möglichkeit des Guten"[24] geht er in seinem neuen Buch der Frage nach, was ‚gut‘ und ‚das Gute‘ bedeuten. Er verbindet das, was gut ist, mit dem, was gilt und ist überzeugt, dass die Verbindung von beidem einem menschlichen Grundbedürfnis entsprechen. Die traditionelle Auffassung, dass Sein und Sollen voneinander getrennt sind, widerlegt er. Viel Aufmerksamkeit widmet Vossenkuhl den Geltungstheorien des Rechtspositivismus. Eine der Kernaussagen des Buchs ist: „Die Philosophie ist eine Prinzipienwissenschaft und damit auch eine Geltungswissenschaft. Sie muss begreifen, was gilt, um begreifen zu können, was ist.“[31]

Grundlagen des Designs[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vossenkuhl hat sich auch mit philosophischen Grundlagen des Design auseinandergesetzt, vor allem in seiner Zusammenarbeit mit Otl Aicher.[32][33] Intensiviert und auf die Architektur erweitert wurde die Beschäftigung mit Design durch die Zusammenarbeit mit Norman Foster.[34] Davor schon arbeitete Vossenkuhl an Design-Initiativen mit, u. a. bei der Design-Ausstellung in Aspen.[35]

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schriften (Auszug)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Astrophysiker Harald Lesch diskutiert mit dem Philosophen Wilhelm Vossenkuhl

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Curriculum Vitae auf uni-muenchen.de
  2. Die entdeckten Zivilisationen haben meist verloren (Memento vom 28. November 2011 im Internet Archive) auf heise.de
  3. Professor von Bischofs Gnaden
  4. Rückschlag: Gründungsrektor der Uni Duisburg-Essen wirft das Handtuch im Kölner Stadt-Anzeiger
  5. Curriculum Vitae auf uni-muenchen.de
  6. Jürgen Abel M. A.: Wechsel im Bayreuther Hochschulrat: Vossenkuhl geht - Kohler kommt. Universität Bayreuth, Pressemitteilung vom 22. August 2005 beim Informationsdienst Wissenschaft (idw-online.de), abgerufen am 15. September 2015.
  7. Wilhelm Vossenkuhl: Vita. In: Offizielle Homepage. Abgerufen am 16. April 2024.
  8. Geschichte. Philosophisches Jahrbuch, abgerufen am 12. Januar 2022.
  9. W.Vossenkuhl: Philosophie, Basics, München: Piper 2004, 2011
  10. W. Vossenkuhl und H. Lesch, Die Großen Denker. Philosophie im Dialog, München: Heyne 2015
  11. W. Vossenkuhl: Anatomie des Sprachgebrauchs. Über die Regeln, Intentionen und Konventionen menschlicher Verständigung, Stuttgart: Klett-Cotta 1982
  12. W. Vossenkuhl: Farben in Carnaps Logischem Aufbau, in: Wissenschaft und Subjektivität. Der Wiener Kreis und die Philosophie des 20. Jahrhunderts, hrsg. v. D. Bell, W. Vossenkuhl, Berlin: Akademie Verlag 1992, 153–168
  13. W. Vossenkuhl: Vernünftige Wahl, rationale Dilemmas und moralische Konflikte, in: Moralische Entscheidung und rationale Wahl, hrsg. v. M. Hollis, W. Vossenkuhl, München: Oldenbourg 1992, 153–173
  14. W.Vossenkuhl: Wilhelm von Ockham, Gestalt und Werk, in: O. Aicher, G. Greindl, W. Vossenkuhl, Wilhelm von Ockham: Das Risiko modern zu denken, München: Callwey 1986, 1987, 104–187
  15. W. v. Ockham, R. Schönberger, W. Vossenkuhl: Die Gegenwart Ockhams, hrsg. v. W. Vossenkuhl, R. Schönberger, Weinheim: Acta humaniora 1990
  16. W. Vossenkuhl: Reading Kant. New Perspectives on Transcendental Arguments and Critical Philosophy, ed. by E. Schaper, W. Vossenkuhl, Oxford: Blackwell 1989
  17. W. Vossenkuhl: Das Paradox in Kants Religionsschrift und die Ansprüche des Moralischen Glaubens, in: F. Ricken, F. Marty (Hrsg.), Kant über Religion, Stuttgart: Kohlhammer 1992, 168–180
  18. W. Vossenkuhl: Wen orientiert der kategorische Imperativ?, in: Sich im Denken orientieren, hrsg.v. H. Hastedt, G. Keil, A. Thyen, Frankfurt: Suhrkamp 1996, 263–287
  19. W. Vossenkuhl: „Kant und das Glück der Metaphysik“, in: Wozu Metaphysik? Historisch-systematische Perspektiven, hrsg. v. C. Erhard, D. Meißner, J. Noller, Freiburg/München: Karl Alber 2017, 309–327
  20. W. Vossenkuhl: Ludwig Wittgenstein, München: C.H. Beck 2003
  21. W. Vossenkuhl: Kommentar zu: Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, hrsg. v. W. Vossenkuhl, Berlin: Akademie Verlag 2001
  22. W. Vossenkuhl: Solipsismus und Sprachkritik. Beiträge zu Wittgenstein, Berlin: Parerga 2009
  23. W. Vossenkuhl: The Practice of Following Rules, in: Wittgensteinstudien, Bd. 8 (2017), 137–158
  24. a b W. Vossenkuhl: Die Möglichkeit des Guten. Ethik im 21. Jahrhundert, München: C.H. Beck 2006
  25. W. Vossenkuhl: Gerechtigkeit, Paternalismus und Vertrauen, in: Grenzen des Paternalismus, hrsg.v. B. Fateh-Moghadam, S. Sellmaier, W. Vossenkuhl, Stuttgart: Kohlhammer 2010, 163–181
  26. W. Vossenkuhl: Die Geltung sittlicher Einstellungen, in: Moralpsychologie. Transdisziplinäre Perspektiven, hrsg.v. J. Sautermeister, Stuttgart: Kohlhammer 2017, 406–425
  27. W. Vossenkuhl: Was gilt. Über den Zusammenhang zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll. Meiner; 1. Edition (10. November 2021)
  28. Geltung, in: Neues Handbuch Philosophischer Grundbegriffe, hrsg.v. P. Kolmer, A. Wildfeuer, Freiburg: Karl Alber 2011, 904–919
  29. W. Vossenkuhl: Gunst und Geltung, in: Areté 2 (2017), 77–94
  30. W. Vossenkuhl: Lehrt die Kunst uns Sehen? Über ästhetische Maßstäbe, in: Jahrbuch der Akademie der Schönen Künste, München 2018
  31. W. Vossenkuhl: Was gilt. Über den Zusammenhang zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll. Meiner; 1. Edition (10. November 2021)
  32. Einführung in: otl aicher, analog und digital (analogous and digital), Berlin: Ernst & Sohn 2015, 8–20, bzw. 9–21
  33. W. Vossenkuhl: Anarchie und Design, in: otl aicher, schreiben und widersprechen, Berlin: Janus Press 1993, 37–44
  34. W. Vossenkuhl: The Reichstag: Metamorphosis, in: Norman Foster, Rebuilding the Reichstag, London: Weidenfeld and Nicholson 2000, 232–240
  35. W. Vossenkuhl: Geburten, Hochzeiten, Todesfälle, Überraschungen, Visionen deutschen Designs – Aspen 1996, in: Szenenwechsel. German Design goes Rocky Mountain High, hrsg.v. Desgin Zentrum München, Verlag form 1997, 276–280