Zurechnung

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Zurechnung (auch Zuschreibung, lat. imputatio) bedeutet, dass man eine Person für ein bestimmtes Verhalten und dessen Folgen rechtlich verantwortlich macht.[1] Die Person treffen dann die Rechtsfolgen, die die Rechtsordnung an das betreffende Verhalten knüpft.

Im deutschen Straf- und Deliktsrecht steht die Zurechnung in engem Zusammenhang mit dem Begriff der Kausalität. Grundlage ist die in der deutschen Rechtsordnung herrschende Vorstellung von der Willens- und Handlungsfreiheit, die es ermöglicht, Menschen für ihr Tun und die daraus resultierenden Folgen verantwortlich zu machen. Die Neurojurisprudenz stellt diesen Zusammenhang in Frage.

Strafrecht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu unterscheiden ist die Zurechnung einer Handlung (imputatio facti) von der Zurechnung von Schuld (imputatio iuris). Nicht zugerechnet werden demnach Handlungen, die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen werden (§ 20 StGB).

Hat die Person den Zustand der Schuldunfähigkeit jedoch schuldhaft herbeigeführt, schließt das die Zurechnung nicht aus, etwa nach den Regeln über die actio libera in causa. Entsprechendes gilt für das vorwerfbare Unterlassen einer Handlung (omissio libera in causa).

Sonderfälle der direkten Zurechnung sind die mittelbare Täterschaft und die Mittäterschaft (§ 25 StGB), die die Zurechnung und damit die Bestrafung als Täter nicht ausschließen, obwohl auch andere Personen am Eintritt eines relevanten Erfolgs beteiligt sind. Entscheidend ist, dass sowohl der mittelbare Täter als auch der Mittäter die für die Verwirklichung des Erfolgs relevante Erstursache (mit-)gesetzt haben.

Anstiftung (§ 26 StGB) und Beihilfe (§ 27 StGB) sind Formen der indirekten Zurechnung, da die jeweiligen Tatbeiträge zeitlich vor der letzten, unmittelbar ursächlichen Handlung des Täters liegen. Anstifter und Gehilfe nehmen jedoch in den ihnen eigenen Rollen durch Aufforderung bzw. Unterstützung des Täters an der Verwirklichung des Tatgeschehens teil.

Die Lehre von der objektiven Zurechnung untersucht, ob sich im Einzelfall eine vom Täter geschaffene rechtlich missbilligte Gefahr im tatbestandlichen Erfolg realisiert hat.

Zivilrecht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rechtsgeschäftslehre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dauerhafte Geschäftsunfähigkeit schließt die Abgabe (Zurechnung) wirksamer Willenserklärungen aus (§ 104 Nr. 2, § 105 BGB), da Geschäftsunfähige in ihrer Willensbildung und Willensbetätigung nicht frei sind.

Zweck der Stellvertretung ist es hingegen, Willenserklärungen des Vertreters gerade dem Vertretenen zuzurechnen, um den eigenen Geschäftskreis zu erweitern (§ 164 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ähnliche Funktion hat der Handelsvertreter.[2] Zugerechnet wird außerdem das Handeln von Boten und Organen.[3]

Haftungsrecht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Zurechnung fremden Fehlverhaltens regeln insbesondere § 31 und § 89 BGB (Organhaftung juristischer Personen), § 278 BGB (Haftung für Erfüllungsgehilfen) und § 831 BGB (Haftung für Verrichtungsgehilfen).[4][5]

Im Versicherungsrecht rechnet die Rechtsprechung dem Versicherungsnehmer auch ein Verhalten des sog. Repräsentanten zu.[6][7]

Amtshaftung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die persönliche Haftung des Amtsträgers bei Verletzung einer Amtspflicht nach § 839 BGB wird gem. Art. 34 GG dem Staat zugerechnet. In einem Haftungsprozess ist deshalb nicht der Amtsträger, sondern die haftende Körperschaft passivlegitimiert.[8]

Völkerrecht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Staaten trifft nur für ihr eigenes Verhalten die völkerrechtliche Verantwortlichkeit. Handlungen von Privatpersonen sind einem Staat nicht als eigenes Verhalten zurechenbar.[9]

Über die Verantwortlichkeit von Staaten für das völkerrechtswidrige Handeln ihrer rechtsetzenden, vollziehenden und rechtsprechenden Organe gibt es bislang nur den Entwurf einer vertraglichen Regelung, ausgearbeitet von der International Law Commission (ILC).[10] Die darin niedergelegten Grundsätze sind jedoch als Völkergewohnheitsrecht anerkannt.[11]

Bilanz- und Steuerrecht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Zurechnung von Vermögensgegenständen dominiert eine wirtschaftliche Betrachtungsweise (§ 246 Abs. 1 Satz 2 HGB, § 39 AO).[12][13] Ob ein zugrundeliegendes zivilrechtliches Rechtsgeschäft wirksam ist, ist für die Besteuerung gem. § 41 AO unbeachtlich.[14][15][16]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jan C. Joerden: Zurechnung Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie, 7. April 2011
  2. Frank J. Bernardi: Vertriebsrecht: Zurechnung von Verstößen des Handelsvertreters 2. Dezember 2015
  3. Zurechnung von Handlungen Dritter. Vertreter, Bote und Organ einer juristischen Person im Zivilrechtsverkehr Hochschule Schmalkalden, 3. Juni 2013
  4. Helmut Rüßmann: Gesetzliche Schuldverhältnisse, Außervertragliches Haftungsrecht 1994/95
  5. Marco Wicklein: Unterschied zwischen § 278 BGB und § 831 BGB
  6. BGH, Urteil vom 14. März 2007 – IV ZR 102/03
  7. Manfred Hering: Die Repräsentantenhaftung in der Kaskoversicherung Straßenverkehrsrecht (SVR) 2012, S. 201–204
  8. Bernd Rohlfing: Amtshaftung Universitätsverlag Göttingen 2015, S. 42/43
  9. Joachim Wolf: Zurechnungsfragen bei Handlungen von Privatpersonen ZaöRV 1985, S. 232–264
  10. Artikelentwurf für Die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln 2001
  11. Rainer Hofmann: Völkerrecht II – Das Recht der Staatenverantwortlichkeit Universität Frankfurt am Main 2012
  12. Felice-Alfredo Avella: BilMoG kompakt – mit Arbeitshilfen online. Haufe 2013. ISBN 978-3-648-03228-2. Leseprobe: Bilanzierungs- und Bewertungsgrundlagen
  13. Karsten Lorenz: Die Zurechnung von Vermögensgegenständen 23. Mai 2001
  14. Zurechnung von Geschäftsanteilen bei formunwirksamer Treuhandvereinbarung zu BGH, Beschluss vom 6. September 2012 – 1 StR 140/12
  15. BFH-Beschluss vom 22. Februar 2001 (II B 39/00) BStBl. 2001 II S. 476
  16. BFH-Urteil vom 6. Oktober 2009, IX R 14/08; SIS 10 05 38