Laurentiuskirche (Bieber)

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Evangelische Laurentiuskirche in Bieber
Kirche mit Wehr- und Friedhofsmauer

Die Evangelische Laurentiuskirche (auch: Obere Kirche) in Biebergemünd-Bieber im Main-Kinzig-Kreis (Hessen) ist die mittelalterliche Dorfkirche des Ortes. Die zur Evangelischen Kirchengemeinde Biebergemünd gehörende Kirche ist Teil des Kirchenkreis Kinzigtal im Sprengel Hanau-Hersfeld der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, eine Landeskirche der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Die aus dem 12. Jahrhundert stammende ehemalige Wehrkirche steht auf einem ummauerten Friedhof am Hang, dem sogenannten Römerberg, oberhalb des Ortes. Sie wurde 1339 als „Totenhofkirche“ erstmalig erwähnt. Das Patrozinium lag in vorreformatorischer Zeit beim Heiligen Martin. Das gesamte Amt Bieber gehörte im Mittelalter zur Grafschaft Rieneck, die Kirche somit zum Erzbistum Mainz. Kirchliche Mittelbehörde war das Archidiakonat St. Peter und Alexander in Aschaffenburg, Dekanat Rodgau. Das angesehene Geschlecht der Grafen von Rieneck waren Reichsgrafen, erbliche Erzkämmerer der Kurfürsten von Mainz und u. a. erbliche Vögte des Stiftes Peter und Alexander in Aschaffenburg.

Aufgrund von Erbteilungen der Rienecker Grafen kam nach dem Aussterben der Linie Rieneck-Rothenfels die eine Hälfte des Gerichts Bieber zur Grafschaft Hanau-Münzenberg, welches gemeinsam mit dem Erzbistum Mainz von 1559 bis 1684 die Landeshoheit gemeinschaftlich führte (sog. Kondominat); bis 1863 behielt der – nach der Neuordnung linksrheinischer Gebiete ab 1802 nunmehr nur noch – Bischof von Mainz die Gerichtsbarkeit in katholischen Kirchenangelegenheiten bei.[1] Mit der Reformation in der Grafschaft Hanau-Münzenberg in der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde das Kirchengebäude zwischen 1540 und 1550 lutherisch. Für die Gläubigen reformierter Konfession, vor allem zugezogene Bergleute, wurde im 18. Jahrhundert eine zweite Kirche in Bieber gebaut, die Untere Kirche.

Im 17. Jahrhundert, geschichtlich nachgewiesen im Jahr 1636, wurde das Gebäude von Soldaten des Kaisers Ferdinand II. teilweise niedergebrannt und das romanische Kirchenschiff zerstört. Im Zuge dessen und den Wirren des Dreißigjährigen Krieges war die Pfarrei Bieber bis zu dessen Ende im Jahr 1648 verwaist. Die aus vorreformatorischer Zeit stammenden Messbücher und -gewänder waren noch lange in der Laurentiuskirche vorhanden, wurden durch den Brand jedoch zerstört. Der frühere Bieberer Pfarrer und Magister, Andreas Koberstein, schrieb dazu 1649: „[...] als aber die Kirche abgebrannt, ist alles wegkommen und verdorben.“[2] Der Dreißigjährige Krieg hatte in Bieber und seinen dazugehörigen Dörfern sowie der Pfarrei erhebliche Auswirkungen: Während im Jahr 1601 zu der Pfarrei noch rund 1000 Gemeindemitglieder gehörten, lebten im Jahr 1640 im Ortsteil Bieber 0, Gassen mit Büchelbach 27 und Röhrig nur noch 31 Einwohner.[3]

Mit der Hanauer Union, dem Zusammenschluss der beiden evangelischen Konfessionen im Jahre 1818, wurde eine der beiden Kirchengebäude, die Obere Kirche, überflüssig. Friedrich W. Schlott, Sohn des damaligen evangelischen Pfarrers Ludwig Schlott, welcher von 1908 bis 1927 Pfarrer in Bieber war, merkte in seinen Memoiren, den „Bieberer Geschichten“, an, dass „Morgens [...] immer in der 'oberen' Kirche Gottesdienst, so genannt, weil sie oben auf dem Berg stand, nachmittags Kinder- und oder liturgischer Gottesdienst in der 'unteren'“ stattfand.[4] Die Evangelische Laurentiuskirche dient seit 1966 nur noch als Friedhofskapelle und besonderen gottesdienstlichen Veranstaltungen. Die Untere Kirche ist heute die evangelische Hauptkirche, in der jeden Sonntag um 09:30 Uhr ein Gottesdienst gefeiert wird.[5]

Die Laurentiuskirche ist ein über die eigenen Gemeindegrenzen hinaus beliebter Ort für Veranstaltungen, Konzerte oder Ausstellungen. So organisieren sowohl die Evangelische Kirchengemeinde Biebergemünd als auch die Gemeinde Biebergemünd in regelmäßigen Abständen musikalische oder kulturelle Veranstaltungen in und um das Gebäude. Die Kirche hat allerdings bis heute ihre Nutzung als christliches Gotteshaus nicht verloren: Dort finden noch immer Gottesdienste zu Beerdigungen oder besonderen Anlässen wie Ostern oder dem Reformationstag, der traditionell in Bieber mit einem Laientheaterstück[6] untermalt wird, statt.[7]

Zur Unterstützung der umfangreichen Renovierungsarbeiten im Inneren und Äußeren des Gebäudes existiert seit knapp 20 Jahren der Förderkreis Laurentia.[8]

Im Kern handelt es sich um eine romanische Saalkirche mit eingezogenem Chorturm, die allerdings mehrfach erheblich umgebaut wurde. Der Turm stammt wohl noch aus dem 12. Jahrhundert. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Kirche 1636 durch Brand schwer beschädigt, aber um 1660 wieder aufgebaut. Dabei wurde das romanische Kirchenschiff verbreitert. Auch das Altartriptychon stammt aus der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Brand. Es zeigt im Schrein eine Kreuzigungsgruppe und auf den Seitenflügeln innen sowie außen die vier Evangelisten und wurde von dem in Karlstadt am Main tätigen Maler Sebastian Vogt gemalt.[9][10] 1756 wurde im rechten Winkel im Süden des bestehenden Gebäudes ein neuer Flügel nach Plänen von Jacob Sigismund Waitz von Eschen angesetzt und Portale und Fenster barock überformt, wodurch die Kirche zu einer Querkirche[11] wurde. Die Kanzel stammt ebenfalls aus dieser Zeit. Die heutigen, bemalten Emporen wurden 1797 eingebracht.

Die Kirche ist ein Kulturdenkmal aufgrund des Hessischen Denkmalschutzgesetzes.[12]

Das barocke Retabel mit der Darstellung einer Kreuzigung im Inneren und den Seitenflügeln die Apostel Matthäus (links) und Markus (rechts) stammt von dem Maler Sebastian Vogt aus Karlstadt und entstand im Jahr 1660.[13] Im geschlossenen Zustand sind die beiden Aposteln Lukas (links) und Johannes (rechts) zu sehen. Nach mehrfachen Ausbesserungen wurde es 2013 restauratorisch voruntersucht[14] und 2015 bis 2019 im Landesamt für Denkmalpflege Hessen restauriert.[15]

Ratzmann-Orgel von 1890

Die seitenspielige Brüstungsorgel bauten die Gebr. Ratzmann im Jahr 1890 mit mechanischen Kegelladen. Der fünfachsige Prospekt wird durch Pilaster gegliedert. Drei Rundbogenfelder werden durch zwei zweigeschossige Flachfelder verbunden. Die beiden Rundbogenfelder außen werden von flachen Segmentbogen, das überhöhte Mittelfeld von einem Dreiecksgiebel abgeschlossen. Orgelbauer Andreas Schmidt, Gelnhausen, restaurierte die weitgehend erhaltene Orgel im Jahr 2017/2018. Das Instrument verfügt über zehn Register, die auf zwei Manuale und Pedal verteilt sind. Die Disposition lautet wie folgt:[16]

I Manual C–f3
Principal 8′
Floete 8′
Viola da Gamba 8′
Octave 4′
Cornett III
II Manual C–f3
Liebl. Gedeckt 8′
Salicional 8′
Floete 4′
Pedal C–d1
Subbaß 16′
Violonbaß 8′

Vor dem Ersten Weltkrieg verfügte die Laurentiuskirche über zwei Bronzeglocken der Fa. Henschel & Sohn, Kassel aus dem Jahre 1858, die 1917 zu Kriegszwecken eingeschmolzen wurden. Nach dem Krieg beschaffte man das jetzige Geläut. Dabei handelt es sich um zwei der relativ seltenen Stahlglocken der Fa. Buderus aus Wetzlar, die von der Glockengießerei Rincker in Sinn vertrieben wurden. Durch den charakteristischen Teiltonaufbau besitzen die Glocken ein spezielles, aber durchaus resonanzstarkes Klangbild. Die Instrumente hängen in einem historischen Holzglockenstuhl an geraden Stahljochen und werden von elektromechanischen Läutemaschinen der Herforder Elektromotoren-Werke (HEW) angetrieben. Das Glockenduett ist klanglich auf das dreistimmige Geläut der benachbarten evangelischen Unteren Kirche abgestimmt, mit dem es ein zusammenhängendes, fünfstimmiges Plenum in der einzigartigen Tonfolge d′-fis′-ais′-h′-e′′ bildet.

Daten der Glocken
Nr. Name Inschrift Gussjahr Durchmesser in mm Nominal
1 Ewigkeitsglocke „Ich ruf zur Ewigkeit“ sowie
„Geg. v. Buderus Wetzlar & F. W. Rincker Sinn“
1920 1.400 d′
2 Betglocke „Haltet an am Gebet“ sowie
„Geg. v. Buderus Wetzlar & F. W. Rincker Sinn“
1920 1.170 fis′
Commons: Evangelische Laurentiuskirche (Bieber) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Carl Henß: Aus der Geschichte des Biebergrundes. Hrsg.: Geschichtsverein Biebergemünd e.V. 2021, S. 15.
  2. Carl Henß: Aus der Geschichte des Biebergrundes. Hrsg.: Geschichtsverein Biebergemünd e.V. 2021, S. 24.
  3. Carl Henß: Aus der Geschichte des Biebergrundes. Hrsg.: Geschichtsverein Biebergemünd e.V. 2021, S. 31.
  4. Friedrich W. Schlott: Bieberer Geschichten. Hrsg.: Geschichtsverein Biebergemünd e.V. 2022, S. 65.
  5. Gottesdienst | Evangelisch im Biebergrund. Abgerufen am 10. Dezember 2023 (deutsch).
  6. Reformationstag | Evangelisch im Biebergrund. Abgerufen am 30. Juli 2024 (deutsch).
  7. Reformationstag | Evangelisch im Biebergrund. Abgerufen am 10. Dezember 2023 (deutsch).
  8. Förderkreis Laurentia. In: evangelisch-im-biebergrund.de. Abgerufen am 30. Juli 2024.
  9. Götz J. Pfeiffer: Ein barockes Schmuckstück in der ev. Oberen Kirche zu Biebergemünd-Bieber. Das Retabel von 1660 des Karlstädter Malers Sebastian Vogt. In: Gelnhäuser Heimat-Jahrbuch. 2018, S. 88–93.
  10. Götz J. Pfeiffer: Barocke Kunst voller Rätsel Das Schrein-Retabel mit den Gemälden von Sebastian Vogt aus Karlstadt in der ev. Oberen Kirche zu Bieber. In: MKK-Mitteilungsbatt. Zentrum für Regionalgeschichte. Band 42, 2018, S. 4–9.
  11. Kathrin Ellwardt: Kirchenbau zwischen evangelischen Idealen und absolutistischer Herrschaft. Die Querkirchen im hessischen Raum vom Reformationsjahrhundert bis zum Siebenjährigen Krieg. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2004, ISBN 3-937251-34-0
  12. Friedrich.
  13. Weber, S. 7.
  14. Weber, S. 8.
  15. Weber, S. 7.
  16. Orgel in Bieber, Laurentiuskirche. Abgerufen am 10. Februar 2023.

Koordinaten: 50° 9′ 33,2″ N, 9° 19′ 43,5″ O