Justizvollzugsanstalt Aichach

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Gefängnis Aichach)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Justizvollzugsanstalt Aichach
JVA Aichach
Informationen zur Anstalt
Name Justizvollzugsanstalt Aichach
Bezugsjahr 1909
Haftplätze 563
Website Offizielle Homepage

Die Justizvollzugsanstalt Aichach ist eine Justizvollzugsanstalt (JVA) für weibliche und männliche Strafgefangene des Freistaates Bayern in Aichach, Bayerisch-Schwaben. Die Haftanstalt für weibliche Strafgefangene hat eine Belegungsfähigkeit von derzeit 433 Haftplätzen im Regelvollzug und sechs Haftplätzen im offenen Vollzug. Für männliche Strafgefangene stehen 124 Haftplätze zur Verfügung.

Die Anstalt hat eine Krankenabteilung für Frauen, die auch für die Gesundheitsfürsorge anderer Justizvollzugsanstalten dient. Ferner gibt es dort eine Mutter-Kind-Abteilung mit zehn Haftplätzen.

Die Anstalt wurde 1904 bis 1908 errichtet und ab Januar 1909[1] als Haftanstalt für weibliche katholische Strafgefangene in Betrieb genommen.

1935 wurde das Arbeitshaus für Frauen nach Aichach verlegt. Nach der Aufhebung der Frauenstrafanstalt Rothenfeld im Jahre 1966 wurden die dortigen Strafgefangenen ebenfalls nach Aichach verlegt.

In der Zeit des Nationalsozialismus waren unter den inhaftierten Frauen auch zahlreiche politische Gefangene, darunter die Widerstandskämpferin Anna Pröll. Die Frauen kamen aus allen von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten wie Frankreich, Belgien, Italien und aus dem Aichacher Umland.[2] Zeitweilig waren in der für 500 Insassen gebauten Anstalt bis zu 2.000 Frauen untergebracht.[3] Auch kam es in mindestens 110 Fällen gemäß dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zu Zwangssterilisationen. Zahlreiche Sterilisationen wurden vom Anstaltsarzt Dr. Ludwig Schemmel vorgenommen, der noch 1955 einen Vortrag in der Volkshochschule Aichach zum Thema „Seelische Krisen im Leben der Frau“ hielt.[4] 362 Frauen wurden von Anfang 1943 an von Aichach aus in insgesamt sieben Transporten[5] in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert, wo seinerzeit das Fleckfieber wütete. Schon deshalb war die Todesrate sehr hoch. Nur zwei Frauen überlebten.[5] Über ihr Schicksal wurde auch nach 1945 nichts Näheres bekannt.

Im Bayerischen Staatsarchiv München werden über 12.250 Personenakten Aichacher und Rothenfelser Gefängnisinsassinnen aufbewahrt, die noch nicht vollständig systematisch erschlossen sind. Sie belegen die wachsende Ausgrenzung und Repression schon während der Weimarer Republik und zahlreiche Ermordungen nach 1933.[6][7]

im Auftrag des Frauenforums Aichach-Friedberg erforschte der Historiker Dr. Franz Josef Merkl die Geschichte der inhaftierten Frauen. Die Ergebnisse seiner Forschungen veröffentlichte er 2018 im Jahrbuch Altbayern in Schwaben.[4] Im Juni 2023 wurde vor dem Stadtarchiv, dem ehemaligen Krankenhaus, in dem die Zwangssterilisationen vorgenommen wurden, ein Mahnmal für die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen eingeweiht. Gegenüber dem Mahnmal liegt der Alte Friedhof, auf dem einige dieser Frauen beigesetzt wurden. Das Mahnmal besteht aus zwei steinernen Erinnerungsstelen, in die ein Brief der italienischen Partisanin und ehemaligen Gefängnisinsassin Vera Michelin-Salomon eingemeißelt ist.[8]

Die Justizvollzugsanstalt besteht aus einem kleineren Männerhaus und einer verhältnismäßig großen Frauenabteilung, die in vier Flügel (A–D) aufgeteilt ist. Jeder Flügel besteht aus drei Stockwerken. In der Abteilung B befindet sich neben der Jugendabteilung eine Zugangsabteilung, von der aus neue Insassinnen auf die restlichen Flügel verteilt werden. Auf Abteilung C befindet sich der Zugang zu den meisten Arbeitsbetrieben, die unter anderem Leiterplatten für industrielle Betriebe und Plastikteile für die Autoindustrie durch die Firma Hörauf und Kohler herstellen. Außerdem befindet sich die Einkaufsmöglichkeit der Gefangenen ebenfalls auf Flügel C. Auf Abteilung D befindet sich der Zugang zur Krankenabteilung und zur Mutter-Kind-Abteilung. Außerdem beherbergt der Flügel D im ersten Stock die Sicherheitsabteilung. In Flügel A befinden sich der Zugang zur Verwaltung und die hauseigene Bäckerei sowie die Großküche, außerdem die Arbeitstherapie für Gefangene, denen es nicht möglich ist, in die „normalen“ Arbeitsbetriebe integriert zu werden.

Anstaltsleitung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Leiter der Anstalt ist Wilfried Schmalzbauer als Nachfolger von Regierungsdirektor Konrad Meier, der Ende Februar 2008 die Nachfolge des leitenden Regierungsdirektors Wolfgang Deuschl antrat.

Aufbau der einzelnen Abteilungen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf jedem Stockwerk befinden sich ca. 16 bis 20 Zellen, wovon ein bis zwei mit bis zu vier und der Rest mit bis zu zwei Personen belegt werden können. Auf jedem Stockwerk der oben benannten Flügel gibt es jeweils eine Küche, die den Gefangenen während ihrer Freizeit zur Verfügung steht, um eigene Speisen zuzubereiten. Des Weiteren ist es den Gefangenen möglich, ihre Privatwäsche selbständig zu reinigen, da ebenfalls auf jedem Stockwerk eine Waschmaschine zur Verfügung steht.

Jede Ein- bzw. Zweipersonenzelle ist ca. acht Quadratmeter groß und verfügt über eine Toilette und ein Waschbecken, es gibt allerdings auch Vier- und Sechspersonenzellen. Darüber hinaus ist es den Gefangenen möglich, ein Fernsehgerät zu mieten oder mitzubringen. Mitgebrachte Geräte müssen jedoch vorher bei einem von der Anstalt festgelegten Elektrobetrieb abgegeben werden. Dieser überprüft bzw. verplombt das TV-Gerät und liefert es dann in die JVA. Das Fernsehprogramm wird ohne Videotext in die Zellen eingespeist, da über Videotext und Chatseiten Nachrichten an Gefangene ungeprüft in die Anstalt gelangen könnten. Der Flügel A verfügt über eine behindertengerecht eingerichtete Zelle.

Auf dem Gelände befindet sich eine großzügige in seltenem Zweiflügel-Grundriss gebaute neugotische Kirche mit mehr als 500 Plätzen Kapazität. In ihr werden regelmäßig katholische sowie evangelische Gottesdienste abgehalten. Einer Weihnachtstradition zufolge hält sich an Heiligabend stets der Bischof von Augsburg zu einem Gottesdienst dort auf.

Der Baukomplex ist ein Baudenkmal.[9][10] Die Beschreibung lautet:

„Münchener Straße 33. Justizvollzugsanstalt Aichach, 1904/08 in versachlichten, leicht barockisierenden Formen errichtet; vier um oktogonale Zentralhalle kreuzförmig angeordnete panoptische Flügel, durch Mauerzüge und weitere Trakte (Arbeitsgebäude A und B, Wirtschaftsgebäude, Schule, Männerhaus, zweiflügelige Anstaltskirche) zur sechshöfigen Rechteckanlage vervollständigt, aus der nach Westen der Verwaltungsflügel und nach Süden die Krankenabteilung herausspringen; der Komplex von einer ursprünglich sechseckigen (jetzt nach Osten erweiterten) Umfassungsmauer mit Ecktürmen und Torgebäude eingefasst; mit Ausstattung. nachqualifiziert“

Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (Denkmalliste Bayern 771113, PDF)

Freizeitangebote

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die JVA bietet Gefangenen verschiedene Möglichkeiten, ihre Freizeit zu gestalten, beispielsweise eine Theatergruppe, die von der evangelischen Pastorin Friedlein geleitet wird. 2002 führte diese Gruppe sehr erfolgreich die Eigenproduktion „Weiber, Wahnsinn Wollwürst“ auf. Außerdem stehen den Gefangenen diverse Sportmöglichkeiten wie Volleyball, Jazzgymnastik, Stepaerobic usw. zur Verfügung.

Bekannte Inhaftierte

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. PDF (Memento vom 19. Oktober 2016 im Internet Archive)
  2. Katja Röderer: Aichach erinnert an die vergessenen NS-Inhaftierten. In: Augsburger Allgemeine. 10. April 2018, abgerufen am 24. Juni 2023.
  3. Rudolf Stumberger: Die vergessenen Frauen von Aichach. In: junge welt. 16. Juni 2023, abgerufen am 16. Juni 2023.
  4. a b Franz Josef Merkl: An den Rändern der „Volksgemeinschaft“ - Frauenschicksale in der Strafanstalt Aichach 1933–1945 (PDF). Jahrbuch Altbayern in Schwaben, 2018, abgerufen am 24. Juni 2023.
  5. a b Die vergessenen Frauen von Aichach. Abgerufen am 16. Juni 2023 (deutsch).
  6. https://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/leben-in-bayern/detailansicht-leben-in-bayern/artikel/die-vergessenen-frauen-von-aichach.html
  7. Rudolf Stumberger: Die vergessenen Nazi-Opfer von Aichach. In: Neues Deutschland vom 28. März 2018, S. 6.
  8. Die vergessenen Frauen von Aichach. Abgerufen am 16. Juni 2023 (deutsch).
  9. Denkmalliste Bayern, Aktennummer D-7-71-113-109 (Denkmalliste Bayern: Aichach, S. 6–7; PDF)
  10. D-7-71-113-109

Koordinaten: 48° 27′ 7,1″ N, 11° 8′ 2,7″ O