Heteronormativität

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Heteronormativität ist eine Weltanschauung, welche die Heterosexualität und Monogamie[1] als soziale Norm postuliert. Alle anderen menschlichen Sexualitäten werden verschwiegen, diskriminiert oder pathologisiert.

In heteronormativen Kontexten wird stillschweigend angenommen, dass alle Menschen „natürlich“ heterosexuell seien, und dass die Heterosexualität anderen Sexualitäten wie Bisexualität oder Homosexualität überlegen sei. Außerdem wird eine binäre Geschlechterordnung angenommen, also eine duale Einteilung in Mann und Frau, die sich jeweils gegenseitig begehren. Zudem wird das anatomische/biologische Geschlecht mit Geschlechtsrolle und sexueller Orientierung gleichgesetzt.[2]

Heteronormativität ist eine Form von und eine Basis für Queerfeindlichkeit, Homophobie und andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Der Begriff ist zentral in der Queer-Theorie, die die Naturalisierung und Privilegierung von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit in Frage stellt.[3] Das Pendant zur Heteronormativität bezüglich der Geschlechtsidentität ist die Cisnormativität.

Der englische Begriff heteronormativity wurde 1991 von Michael Warner in seinem Artikel Introduction: Fear of a Queer Planet geprägt, um ein System von Verhaltensweisen und sozialen Erwartungen zu beschreiben, welches um die Vorstellung herum aufgebaut ist, dass jeder heterosexuell ist oder sein sollte und alle Beziehungen und alle Familien diesem Modell folgen.[4][5] Die Grundlagen des Konzeptes liegen in Gayle Rubins Gedanken zum Sex/Gender-System und in Adrienne Richs Gedanken zur Zwangsheterosexualität (compulsory heterosexuality) aus dem Jahr 1980.[6]

Der deutsche Begriff wird spätestens seit 1995 verwendet.[7]

In heteronormativen Gesellschaften wird aus der biologisch vorherrschenden zweigeschlechtlichen Ordnung und einer damit verbundenen Ablehnung des Unterschieds von „Sex und Gender“ eine normative Vorrangstellung all derjenigen Menschen abgeleitet, die eine gegengeschlechtliche Partnerschaft anstreben oder bereits in einer leben, die also heterosexuell leben oder leben möchten. Davon abweichende Verhaltensmuster werden häufig diskreditiert und als unnatürlich bezeichnet.[8]

Die Heteronormativität durchzieht dadurch alle wesentlichen gesellschaftlichen und kulturellen Bereiche sowie die Subjekte selbst. Die gesunde Körperlichkeit wird heterosexuell definiert, auch bei der Betrachtung und Beschreibung anderer Kulturen. Diese Betrachtungsweisen dienen nicht selten der Delegitimierung anderer gleichberechtigter Formen einer gesunden sexuellen Entwicklung (wie zum Beispiel der Homosexualität) und werden weiterhin oftmals als Begründung zur Verherrlichung und Verharmlosung von Gewalt oder systematischer Diskriminierung gegen die antagonisierten Bevölkerungsgruppen verwendet.

Judith Butler prägte für die damit einhergehende angestrebte Angleichung von biologischer Anatomie, Gender und eben Heterosexualität den Begriff der heterosexuellen Matrix, die performativ den Geschlechterdiskurs präge.[9]

Heteronormative Geschlechtermatrix
  Geschlechtsmerkmale Geschlechtsidentität Verhalten Sexuelle Orientierung
Frauen weiblich weiblich weiblich androphil (begehren männliche Partner)
Männer männlich männlich männlich gynophil (begehren weibliche Partner)

Praktische Auswirkungen

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Die Gleichsetzung von biologischem Geschlecht, Geschlechtsidentität, Geschlechterrolle und sexueller Orientierung hat in der Praxis für jene Personen, für die eben nicht in allen diesen Kategorien Übereinstimmung besteht, zum Teil erhebliche Auswirkungen.

In der Praxis geht eine heteronormative Gesellschaft davon aus, dass ein nicht näher bekanntes Individuum mit einem bestimmten Geschlecht auch bestimmte Verhaltensweisen zeigen wird, beziehungsweise zeigen sollte. Entsprechend wird auch die Erziehung ausgelegt.

Von Jungen wird beispielsweise erwartet, sich ab einem bestimmten Alter für Mädchen zu interessieren und anderweitig stereotypisch männliche Rollenvorgaben zu übernehmen. Daher werden Jungen oft nur Rollenvorbilder nahegelegt, die den sozialen Erwartungen entsprechen. Damit einher gehen unter anderem oftmals eine Glorifizierung und Normalisierung des Machismus. Homosexuelle Jungen, die an Mädchen kein Interesse haben, werden oft diszipliniert oder gar angefeindet. Auch andere Abweichungen, z. B. Jungen, die mit Puppen spielen wollen, werden als unerwünscht und korrekturbedürftig angesehen.

Das führt dazu, dass Betroffene ihre eigenen Gefühle als von den Erwartungen der Gesellschaft abweichend erleben, oft verbunden mit dem Gefühl der Andersartigkeit und der Einsamkeit. Für die Betroffenen ist ein aktiver gedanklicher Schritt notwendig, um sich von den gesellschaftlichen Erwartungen zu emanzipieren (siehe auch Coming-out).

Einzelnachweise

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  1. Aileen Bierbaum: Heteronormativität herausfordern: Polyamorie als transformatives Konzept? In: Gender Blog. Koordinations- und Forschungsstelle Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW, 13. Juni 2023, abgerufen am 5. Dezember 2023.
  2. Shirley R. Steinberg: Diversity and Multiculturalism: A Reader. Peter Lang, 2009, ISBN 978-1-4331-0345-2, S. 229–230 (englisch, google.com [abgerufen am 10. September 2012]).
  3. Bettina Kleiner: Heteronormativität. In: Gender Glossar. 2016, urn:nbn:de:bsz:15-qucosa-220314.
  4. Michael Warner: Introduction: Fear of a Queer Planet. In: Social Text; 9 (4 [29]), 1991, S. 3–17.
  5. Elizabeth J. Meyer: Gender and Sexual Diversity in Schools (= Explorations of Educational Purpose, Band 10). Springer, 2010, ISBN 90-481-8558-0, S. 143 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Adrienne Rich: Compulsory Heterosexuality and Lesbian Existence. In: Journal of Women in Culture and Society, 1980, 5, S. 631–660.
  7. Zeitschrift für Sexualforschung, Band 8, F. Enke, 1995, S. 233 (mit direktem Verweis auf Warner).
  8. Artikel „Heteronormativität“ beim Gender Institut Bremen. Abgerufen am 20. Juni 2018.
  9. Hannelore Bublitz: Geschlecht. In: Hermann Korte, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie. 8. Auflage. Wiesbaden 2010, S. 87–106, hier: S. 99.