Wir haben abgetrieben!

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Wir haben abgetrieben! war die Titelschlagzeile der Zeitschrift Stern am 6. Juni 1971. Es handelte sich um eine Aktion, bei der 374 prominente und nicht prominente Frauen – auch wenn dies zum Teil nicht zutraf – öffentlich bekannten, ihre Schwangerschaft abgebrochen und damit gegen geltendes Recht verstoßen zu haben.[1]

Die Aktion wurde von der Feministin und späteren Gründerin der Zeitschrift Emma, Alice Schwarzer, initiiert,[2] um gegen den Schwangerschaftsabbrüche betreffenden § 218 des Strafgesetzbuchs anzukämpfen, und gilt als Meilenstein der neuen Frauenbewegung in Deutschland.

Unter den Teilnehmerinnen, von denen 28 auf dem Titelbild zu sehen waren, befanden sich auch die Journalistin Carola Stern und die Schauspielerinnen Senta Berger, Veruschka von Lehndorff, Ursula Noack, Romy Schneider, Sabine Sinjen, Vera Tschechowa, Lis Verhoeven und Hanne Wieder. Die Aktion erregte großes Aufsehen in Deutschland, weil sie erstmals öffentlich das Tabuthema Schwangerschaftsabbruch ansprach und die Gründung mehrerer feministischer Gruppen anregte, die sich gegen den Paragrafen 218 engagierten.

Dem Stern-Artikel folgte am 2. September 1971 die Uraufführung des Kinofilms Paragraph 218 – Wir haben abgetrieben, Herr Staatsanwalt in Berlin.

Vorbild der Kampagne war eine ähnliche Aktion (Le manifeste des 343 salopes[3]), bei der 343 Französinnen am 5. April 1971 in der Zeitschrift Le Nouvel Observateur öffentlich erklärt hatten: Je me suis fait avorter („Ich habe abgetrieben.“). Dazu gehörten unter anderem Simone de Beauvoir, die Schauspielerinnen Catherine Deneuve und Jeanne Moreau,[4] die Schriftstellerinnen Marguerite Duras und Françoise Sagan sowie die Regisseurinnen Ariane Mnouchkine und Agnès Varda.

Initiator der französischen Kampagne war Jean Moreau, ein Redakteur des Nouvel Observateur. Er meldete sich einige Wochen später bei Alice Schwarzer und bat um Rat, da er mitbekommen hatte, dass die deutsche Zeitschrift Jasmin die Aktion aufgreifen wollte. Er befürchtete jedoch, dass es sich dabei um eine Werbekampagne handeln würde. Schwarzer kontaktierte daraufhin den ihr bekannten Stern-Redakteur Winfried Maaß und vereinbarte mit ihm, eine entsprechende Aktion zu initiieren, sofern es Schwarzer möglich wäre, zwischen 300 und 400 Frauen zu einem Bekenntnis zu einem Schwangerschaftsabbruch zu mobilisieren.

Innerhalb des folgenden Monats gelang es Schwarzer, 374 Frauen für die Aktion zu gewinnen. Dazu fragte sie zunächst beim Frankfurter Aktionsrat zur Befreiung der Frau an, bekam jedoch eine Absage, da der Frauengruppe die Aktion zu „kleinbürgerlich“ und „reformistisch“ erschien. Unter den Angehörigen des Sozialistischen Frauenbunds Westberlin fanden sich hingegen etwa die Hälfte der an der Aktion teilnehmenden Frauen. Die weiteren Teilnehmerinnen fanden sich über Mundpropaganda.[5] Zuletzt musste Schwarzer den Stern-Chefredakteur Henri Nannen davon abbringen, entgegen der Absprache plötzlich nur Romy Schneider auf dem Titelbild zu zeigen, was die Aktion zu einer entpolitisierten Romy-Story verflacht hätte.[6]

Jahre, nachdem die Kampagne im Stern veröffentlicht wurde, räumten einige der beteiligten Frauen ein, dass sie persönlich in Wahrheit gar keinen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt hatten – darunter auch Alice Schwarzer selbst: „Aber das spielte keine Rolle. Wir hätten es getan, wenn wir ungewollt schwanger gewesen wären.“[7][8]

Am vierzigsten Jahrestag zeigte Arte den Film Wir haben abgetrieben – Das Ende des Schweigens, der in Zusammenarbeit mit dem NDR entstanden war.[9]

Einzelnachweise

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  1. Thomas Grossbölting: Der verlorene Himmel: Glaube in Deutschland seit 1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, ISBN 978-3-525-30040-4, S. 131 f.
  2. Alice Schwarzer: „Ich bereue nichts“ – Vor 30 Jahren initiierte die Feministin die Aktion „Wir haben abgetrieben“. (Memento vom 10. September 2011 im Internet Archive) FrauenMediaTurm
  3. Le manifeste des 343 salopes., In: Le Nouvel Observateur, Nr. 334 vom 5. April 1971 (Archiv-Version vom 13. Februar 2013).
  4. „Wir haben abgetrieben“ – Geschichte eines Bluffs. In: Die Welt, 20. Januar 2008.
  5. Ein unerhörtes Selbstbekenntnis. In: Die Zeit vom 23. April 2009
  6. Immer noch kein Recht auf Abtreibung! Abgerufen am 7. Mai 2024.
  7. Jutta Kramm: Zwei Leben. (Memento vom 22. Februar 2014 im Internet Archive) berliner-zeitung.de, 6. Juni 2001.
  8. Steffen Kraft: Frauen und Männer: Neueste Ermittlungen im Krisengebiet. Ich habe nicht abgetrieben. In: Süddeutsche Zeitung, 31. März 2005.
  9. Christiane Eikmann, Paul Barz: Arte-Doku geht öffentlichem Bekenntnis zur Abtreibung nach. (Memento des Originals vom 7. Oktober 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.haz.de