Jakob Russ

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Hochaltar, Kathedrale Chur (Detail)
Figur des Pfalzgrafen bei Rhein aus dem Rathaussaal Überlingen (fotografiert in einer Ausstellung in Ravensburg)

Jakob Russ (auch Jacob Ruß, Ruess, Ruoss; * vor 1482; † nach 1506) war ein süddeutscher Bildhauer am Übergang von der Spätgotik zur Renaissance.

Vertragsentwurf für die Ausführung des Rathaussaals, Stadtarchiv Überlingen

Jakob Russ’ Lebensdaten sind unbekannt. Er wurde erstmals 1482 als Jacob Ruß, bildhower in einer Steuerliste als Bürger der Reichsstadt Ravensburg erwähnt. Eine letzte Erwähnung als Ravensburger Ausbürger findet sich 1506.[1]

Seine Ausbildung erhielt Russ wohl in Ulm oder Konstanz.

1486 erhielt er den Auftrag des Bischofs Ortlieb von Brandis für den Hochaltar in der Kathedrale St. Mariä Himmelfahrt in Chur (Graubünden).

1491 begann Russ sein zweites Hauptwerk, die Ausstattung des Rathaussaales in Überlingen am Bodensee mit geschnitzten Figuren, die die Stände des Heiligen Römischen Reichs nach dem Quaternionen-System darstellen.

Für die Ausführung der beiden Großaufträge übersiedelte Russ mehrere Jahre mit seiner Werkstatt nach Chur bzw. Überlingen, blieb aber in dieser Zeit immer Ravensburger Bürger.[2]

Außer den beiden durch Archivmaterialien gesicherten vielfigurigen Hauptwerken in Chur und Überlingen werden Russ und seiner Werkstatt Skulpturen in der Churer Kathedrale, in den Landesmuseen Stuttgart und Zürich und in Kirchen in Ravensburg und Umgebung zugeschrieben. Eine detaillierte kunsthistorische Einordnung dieser traditionellen Zuschreibungen steht vielfach noch aus.

Russ’ Hochaltar in Chur gilt als bedeutendster und schönster gotischer Schnitzaltar in der Schweiz. Für Jacob Burckhardt gehörten die Köpfe der Figuren im Tabernakel „gewiss zum Süssesten und Schönsten […], was das XV. Jahrhundert im Norden hervorgebracht hat.“[3]

Russ wird in der kunsthistorischen Literatur dennoch nur in der zweiten Reihe der Bildschnitzer seiner Zeit gesehen, hinter berühmteren Zeitgenossen wie Michael Pacher, Tilman Riemenschneider, Veit Stoss oder Michel Erhart.[4]

Im 20. Jahrhundert wurde nach Russ eine Straße in der Ravensburger Südstadt benannt („Jakob-Russ-Weg“). 2010 widmete das Ravensburger Museum Humpis-Quartier Russ eine Sonderausstellung.[5] Auch in Überlingen ist ein Weg nach ihm benannt.[6]

Hl. Jungfrau (der Werkstatt zugeschrieben), Landesmuseum Württemberg, Inv. 1962–12, Detail
Gesichert
  • Epitaph des Churer Bischofs Ortlieb von Brandis, 1485 (nur archivalisch überliefert, offenbar aus Stein)
  • Hochaltar der Kathedrale Chur mit 152 Figuren, 1486–1492
  • Rathaussaal mit 49 Figuren, Überlingen, 1491–1494
Russ, seiner Werkstatt oder seinem Umkreis zugeschrieben
  • Hl. Jungfrau (oder Muttergottes?), um 1480, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart (Inv. 1962–12)
  • Madonna mit Kind, um 1480, Pfarrkirche St. Antonius, Ravensburg-Oberzell
  • Hl. Jungfrau (Hl. Barbara?), um 1485, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart (Inv. 1939–22)[7]
  • Pietà, Kathedrale Chur, um 1490
  • Schmerzensmann, Kathedrale Chur, um 1490
  • Tumbenplatte für den Churer Bischof Ortlieb von Brandis, Kathedrale Chur, 1490–1491
  • Muttergottes mit Kind, 15. Jh., Museum Humpis-Quartier, Ravensburg
  • Maria, Pfarrkirche St. Jodok, Ravensburg
  • Hl. Johannes der Evangelist, Pfarrkirche St. Jodok, Ravensburg
  • Hl. Katharina von Alexandrien, Pfarrkirche Liebfrauen, Ravensburg
  • Hl. Ursula, Pfarrkirche Liebfrauen, Ravensburg
  • Heiligenfiguren, Landesmuseum Zürich
  • Schreinfiguren, Kirche St. Philipp und Jakob, Natz bei Brixen
Umstrittene oder überholte Zuschreibungen
Allgemein
Zum Churer Hochaltar
  • Max Bach: Der Hochaltar des Doms zu Chur. In: Diöcesanarchiv von Schwaben. 16. Jg. 1898, Nr. 12, S. 177–179 (Digitalisat)
  • Astrid von Beckerath: Das spätgotische Hochaltarretabel der Kathedrale von Chur – ein Herrschaftssymbol? In: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte. 48. Jg. 1991. S. 129–147 (doi:10.5169/seals-169148)
  • Astrid von Beckerath: Der Hochaltar in der Kathedrale von Chur. Meister und Auftraggeber am Vorabend der Reformation. Verlag an der Lottbek, Ammersbek 1994, ISBN 3-86130-017-6 (zugl. Dissertation, Universität Hamburg 1994).
  • Agnes Klodnicki-Orlowski: Das spätgotische Retabel am Hochaltar der Kathedrale zu Chur. Ein umwandelbarer Wandelaltar. In: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte (ZAK), 48. Jg. 1991, S. 148–160 (doi:10.5169/seals-169149)
Zum Überlinger Rathaussaal
  • Guntram Brummer: Reich und Recht im Überlinger Rathaussaal. Altes und Neues zum Verständnis des Schnitzwerks von Jakob Ruß. In: Forschungen zur Rechtsarchäologie und rechtlichen Volkskunde. Band 16 (1996), S. 51–76
  • Agnes Klodnicki-Orlowski: Ein mittelalterlicher Werkvertrag. Jacob Ruß und der Überlinger Rathaussaal. In: Leben am See. 9. Jg. 1991, S. 316–322
  • Landratsamt Bodenseekreis (Hrsg.): Der Überlinger Rathaussaal. Ein Kunstwerk aus dem Herbst des Mittelalters. Mit Beiträgen von Guntram Brummer, Georg Poensgen und Peter Putzer. Fotos von Ulrike und Toni Schneiders. (= Kunst am See; 25). Verlag Robert Gessler, Friedrichshafen 1993, ISBN 3-922137-94-6
  • Siegfried Lauterwasser: Die mittelalterlichen Stände. Das Schnitzwerk des Jacob Russ im Rathaussaal zu Überlingen. Hrsg. von Georg Poensgen. (Thorbecke Kunstbücherei; Band 5). Thorbecke, Lindau und Konstanz 1958
  • Christian Roder: Meister Jakob Russ aus Ravensburg, der Verfertiger der Holzschnitzerei im Rathaussaale zu Überlingen. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. N. F. Band 2 (1887), S. 490–497 (Digitalisat)
  • Ludwig Volkmann: Der Überlinger Rathaussaal des Jacob Russ und die Darstellung der deutschen Reichsstände. Berlin 1934 (Digitalisat)
  • Benedikt Ziegler: Das Schnitzwerk im Rathaussaale zu Überlingen und Meister Jakob Ruß von Ravensburg. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, 18. Jg. 1889, S. 34–39 (Digitalisat)
Commons: Jakob Russ – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Hans Rott: Ravensburg, Biberach, Weingarten, Wolfegg und Heiligkreuztal. In: Quellen und Forschungen zur südwestdeutschen und schweizerischen Kunstgeschichte im XV. und XVI. Jahrhundert. Band 1: Bodenseegebiet. Strecker und Schröder, Stuttgart 1933, S. 169–190, hier S. 178–179, doi:10.11588/DIGLIT.2914 (uni-heidelberg.de – Jakob Russ [1479–1506] – mit Erwähnung eines Jacob, bildhower von 1479).
  2. Daniel Hess: Russ, Jacob. In: Sikart (Stand: 2019), abgerufen am 1. März 2020.
  3. Jacob Burckhardt: Beschreibung der Domkirche von Chur. In: Mittheilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich. Band 11, 1857, Heft 7, S. 159 (books.google.de).
  4. Astrid von Beckerath: Das spätgotische Hochaltarretabel der Kathedrale von Chur – ein Herrschaftssymbol? 1991, S. 129.
  5. Jacob Russ – Ein spätgotischer Bildschnitzer aus Ravensburg (Memento des Originals vom 25. November 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.museum-humpis-quartier.de.
  6. Eugen Schnering: Überlingen. Stadtgeschichte in Straßennamen. Verlag der Gesellschaft der Kunstfreunde Überlingen e. V., Überlingen 1998, S. 69–70.
  7. vgl. Objekt des Monats@1@2Vorlage:Toter Link/www.landesstelle.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. bei landesstelle.de.