Kramers-Kronig-Beziehungen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Kramers-Kronig-Relation)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Kramers-Kronig-Beziehungen, auch Kramers-Kronig-Relation (nach ihren Entdeckern Hendrik Anthony Kramers und Ralph Kronig), setzen Real- und Imaginärteil bestimmter meromorpher Funktionen in Form einer Integralgleichung miteinander in Beziehung. Sie stellen damit einen Spezialfall der Hilbert-Transformation dar.

Eine wichtige Anwendung ist der Zusammenhang zwischen der Absorption und der Dispersion eines sich in einem Medium ausbreitenden „Lichtstrahls“. Weitere Anwendungen gibt es in der Hochenergiephysik und in den Ingenieurwissenschaften.

Mathematische Formulierung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sei eine meromorphe Funktion, deren Polstellen in der unteren Halbebene liegen. Dieser Forderung an die Lage der Polstellen entspricht physikalisch das Kausalitätspostulat. Ferner seien bzw. Real- und Imaginärteil der Funktion . Es sei vorausgesetzt, dass diese beiden Funktionen gerade bzw. ungerade sind. Das bedeutet, dass durch Fourierintegration nicht aus einer beliebigen komplexen, sondern aus einer reellen Funktion gebildet werden kann.

In der Physik betrachtet man oft statt die Funktion , wodurch sich die Voraussetzungen bezüglich gerade und ungerade vertauschen.

Schließlich sei . Dann gelten für die folgenden als Kramers-Kronig-Beziehungen bezeichnete Gleichungen:

bezeichnet den cauchyschen Hauptwert des auftretenden Integrals.

Real- und Imaginärteil der Funktion bedingen sich also gegenseitig durch Integration. Dies findet Anwendungen in der Optik und in der Systemtheorie wenn die Suszeptibilität eines Systems angibt, siehe Kausalität. Anwendungen finden sich auch in der Hochenergie-Physik bei den Dispersionsrelationen der S-Matrix.

Motivation (Ein Randwertproblem)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf der reellen Achse sei eine stetige reelle Funktion vorgegeben, die analog zu als gerade vorausgesetzt werden soll. Dazu soll eine in der ganzen oberen Halbebene holomorphe komplexe(!) Funktion so konstruiert werden, dass gilt.

Es soll also ein Randwertproblem gelöst werden, wobei im Innern des betrachteten Gebietes , d. h. oberhalb von , wegen der Holomorphie-Bedingung die cauchy-riemannschen Differentialgleichungen erfüllt werden müssen und auf dem Rand, eine stetige reelle Funktion, , vorgegeben ist, die dort angenommen werden soll.

Eine holomorphe Funktion kann nach dem Residuensatz dargestellt werden als:

,

wobei den (positiv orientierten) Halbkreis in der oberen Halbebene mit Zentrum und Radius bezeichnet. Fällt nun im Unendlichen schnell genug ab, so reduziert sich im Grenzübergang die Darstellung zu einem Integral über der reellen Achse, also:

Im Falle , und weil bzw. eine gerade Funktion sein soll, ergibt sich schließlich

,

wobei das auftretende Integral als cauchyscher Hauptwert zu interpretieren ist (Singularität für ) und mit der Hilbert-Transformation von übereinstimmt. Der Residuensatz wird hierbei auf den Integrationsweg angewendet. Diese Gleichung entspricht der einen Kramers-Kronig-Beziehung.

Man braucht jetzt zur Lösung des Randwertproblems nur die Beziehung einzusetzen.

Für ungerade Funktionen verfährt man analog und erhält die andere Kramers-Kronig-Beziehung. Eine beliebige Funktion kann immer durch die Vorschrift , mit , in einen geraden bzw. ungeraden Anteil zerlegt werden. Der einfachste Fall einer meromorphen Funktion mit den vorausgesetzten Eigenschaften ist die lineare Antwortfunktion des gedämpften harmonischen Oszillators, mit positiver Dämpfungskonstante und positiver charakteristischer Oszillator-Kreisfrequenz

Die Kramers-Kronig-Beziehungen werden dort angewendet, wo eine reelle gerade Funktion – evtl. ungerade gemacht durch einen Zusatzfaktor – zu einer holomorphen Funktion ergänzt werden soll. Dies dient meistens der Vereinfachung der auftretenden Rechnungen, insbesondere bei Wellenfunktionen, also hauptsächlich in der Signalverarbeitung und in der Optik, aber auch in der Statistischen Physik im Zusammenhang mit dem Fluktuations-Dissipations-Theorem. Auf diese Weise hängt die Absorption elektromagnetischer Wellen in einem Medium mit dem Brechungsindex zusammen. Es reicht also, die Abhängigkeit einer der beiden Größen von der Frequenz zu kennen, um die andere berechnen zu können.

Die von der Kreisfrequenz abhängige Permittivität lässt sich ausdrücken als Integral der von der Kreisfrequenz abhängigen Absorption:[1]

wobei

  • die reelle Kreisfrequenz die Integrationsvariable ist
  • die ebenfalls reelle Variable eine charakteristische System-Kreisfrequenz darstellt
  • die Abkürzung  für den cauchyschen Hauptwert (engl. Cauchy principal value) des Integrals steht ( ist gerade, ungerade).

Eine alternative Betrachtungsweise ergibt sich mit dem Absorptionskoeffizienten , dem Brechungsindex und der Lichtgeschwindigkeit :

Dadurch lässt sich vor allem in der nichtlinearen Optik aus einer einfachen Absorptionsmessung die komplexe Form des Brechungsindex ableiten. Auch der Name der Dispersionsrelationen der Hochenergiephysik bezieht sich auf dieses Beispiel.

In den Ingenieurwissenschaften kommen die Kramers-Kronig-Beziehungen vor allem im Rahmen von impedanzspektroskopischen Messungen zum Einsatz, wo aus ihrer Nichterfüllung auf eine fehlerhafte Messung des Frequenzganges geschlossen wird.[2][3]

Die Einschränkung der allgemeiner gültigen Kramers-Kronig-Beziehungen auf Zweipol-Systeme führt zum ZHIT-Algorithmus, der zur Validierung von Impedanzspektren elektrochemischer Systeme (Elektrochemische Impedanzspektroskopie) angewandt werden kann.

Originalarbeiten:

  • R. de L. Kronig: On the theory of dispersion of X-rays. In: Journal of the Optical Society of America. Band 12, Nr. 6, 1926, S. 547–556, doi:10.1364/JOSA.12.000547.
  • H.A. Kramers: La diffusion de la lumiere par les atomes. In: Atti Cong. Intern. Fisici, (Transactions of Volta Centenary Congress) Como. Bd. 2, 1927, S. 545–557.

Weitere Literatur:

  • Mansoor Sheik-Bahae: Nonlinear Optics Basics. Kramers-Krönig Relations in Nonlinear Optics. In: Robert D. Guenther (Hrsg.): Encyclopedia of Modern Optics. Academic Press, Amsterdam 2005, ISBN 0-12-227600-0, S. 234–240.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Safa Kasap, Peter Capper: Springer Handbook of Electronic and Photonic Materials. Springer, 2006, ISBN 978-0-387-26059-4, S. 49.
  2. B.A. Boukamp: A Linear Kronig‐Kramers Transform Test for Immittance Data Validation. In: J. Electrochem. Soc. 142. Jahrgang, 1995, S. 1885–1894.
  3. M. Schönleber, D. Klotz and E. Ivers-Tiffée: A Method for Improving the Robustness of linear Kramers-Kronig Validity Tests. In: Electrochimica Acta. 131. Jahrgang, 2014, S. 20–27, doi:10.1016/j.electacta.2014.01.034.