Masernvirus

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Masernvirus

Masernvirus, Dünnschicht-TEM.

Systematik
Klassifikation: Viren
Realm: Riboviria[2][1]
Reich: Orthornavirae[1]
Phylum: Negarnaviricota
Subphylum: Haploviricotina
Klasse: Monjiviricetes
Ordnung: Mononegavirales
Familie: Paramyxoviridae
Gattung: Morbillivirus
Art: Measles morbillivirus
Wissenschaftlicher Name
Measles morbillivirus
Kurzbezeichnung
MeV
Links
Schemazeichnung: Virion des Masernvirus
Genomkarte des Masernvirus

Das Masernvirus (MeV) ist ein ausschließlich humanpathogener, etwa 100–250[3][4] Nanometer großer Erreger der Masern aus der Familie der Paramyxoviridae (Gattung Morbilliviren). Das einzige Reservoir bildet der infizierte Mensch. Experimentell können auch Hunde infiziert werden, bilden (trotz der Verwandtschaft der Masernviren mit dem Erreger der Staupe) jedoch keine Symptome aus.[5] Es wurden sowohl natürliche[6][7] als auch künstlich herbeigeführte Masernerkrankungen bei verschiedenen Affenarten beobachtet; es ist jedoch davon auszugehen, dass ihre Populationen zu klein sind, um als natürliches Reservoir für das Virus dienen zu können.[8] Das Masernvirus zählt zu den sogenannten neurotropen Viren, da sie entlang peripherer Nerven und in der Regel hämatogen über die Blut-Hirn-Schranke in das Zentralnervensystem eintreten können.[9] Daher führt eine Infektion häufig zu neurologischen Komplikationen.[10][11]

Der Zeitpunkt der Entstehung und Ausbreitung des Masernvirus ist nicht gesichert erforscht. Vermutungen besagen, das Masernvirus sei erst im 11. oder 12. Jahrhundert n. Chr. evolutionär aus dem Rinderpestvirus hervorgegangen.[12] Berichten aus dem 7. Jahrhundert, welche einem jüdischen Arzt namens Al-Yehudi zugeschrieben wurden, wird das Masernvirus als Erreger zugeordnet.[13] Die erste bekannte ausführliche Beschreibung der Masern erfolgte durch den persischen Arzt Abu Bakr Mohammad Ibn Zakariya al-Razi (Rhazes), der Anfang des 10. Jahrhunderts angab, sie wären „mehr gefürchtet als die Pocken“.[14] Die Auswertung einer Sequenzierung der Masernvirus-RNA im Lungenpräparat eines 1912 an Masern verstorbenen Mädchens sowie weiterer 129 verschiedener Masernvirus-Isolate ergab als wahrscheinlichsten Zeitpunkt der Entstehung des Masernvirus aber bereits das 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Im Text der Studie wurde die Hypothese aufgestellt, dass sich aufgrund der Bildung von Großstädten und Populationsgrößen in der damaligen Zeit das Virus erst zu diesem Zeitpunkt unter Menschen nachhaltig weiterverbreiten konnte.[15][16][17][18]

Das Masernvirus enthält eine einzelsträngige, nicht-segmentierte RNA mit negativer Polarität (ss(−)RNA). Das Genom besteht aus 15.894 Nukleotiden, die für sechs Proteine kodieren: ein Nucleoprotein (N-Protein), Phosphoprotein (P-Protein), Matrixprotein (M-Protein), Fusionsprotein (F-Protein), Hämagglutinin (H-Protein), ein „großes Protein“ (L, large protein) und zwei nicht-strukturelle Proteine V und C.[19] N-, P- und L-Protein bilden mit der RNA einen Komplex.[7] Das V- und C-Protein sind in die virale Transkription sowie Replikation involviert.[7]

Das Masernvirus besitzt eine Virushülle, die das Glykoprotein Hämagglutinin, ein zweites Glykoprotein, das Fusionsprotein enthält, beides sind Transmembranproteine.[20] An der Innenseite kommen Matrixproteine vor, jedoch keine Neuraminidasen. Diese Oberflächenproteine sind für die Fusion des Virions mit der Wirtszelle und die Aufnahme durch diese verantwortlich. Die Rezeptoren, über die das Virus in die menschlichen Zellen aufgenommen wird, sind CD46, CD150 (SLAM, signaling lymphocyte-activation molecule) und Nectin-4.[21] Nectin-4 wird von Epithelzellen präsentiert, CD150 von gewissen Zellen des Immunsystems (Lymphozyten, Monozyten, Makrophagen und dendritische Zellen) und ist für das Virus der Hauptrezeptor.[7] Diese Zellen spielen daher bei der Pathogenese einer Maserninfektion (mit dem Wildvirus) eine große Rolle. Der Rezeptor CD46 dient bei Impfungen mit Masernimpfstoffen als zusätzlicher zellulärer Rezeptor.[21]

Das F-Protein ist an der Zell-zu-Zell-Verbreitung des Virus beteiligt.

Die von einer Impfung mit Masernimpfstoffen hervorgerufenen (induzierten) Antikörper richten sich gegen die Oberflächenproteine des Masernvirus, insbesondere das H-Protein.[22]

Durch die Virushülle ist das Masernvirus sehr empfindlich gegenüber äußeren Einflüssen wie erhöhten Temperaturen, Licht, Ultraviolettstrahlung, Fettlösungs- und Desinfektionsmitteln und milden Detergentien. An der Luft beträgt seine Überlebenszeit lediglich zwei Stunden. Es besitzt eine hohe Ansteckungsfähigkeit (Kontagionsindex) von etwa 95 %. Die virale RNA-Polymerase kann mit ERDRP-0519 gehemmt werden.

Die WHO definiert über 24 Genotypen (Variationen der genetischen Informationen) in acht Gruppen (A–H)[23], die relativ stabil sind, was eine Nachvollziehbarkeit der weltweiten Infektionswege ermöglicht.[24] Die Genotypen entstehen aufgrund der unterschiedlichen Gensequenzen der H- und N-Proteine.[7] Beschrieben sind folgende Genotypen: A, B1, B2, B3, C1, C2, D1, D2, D3, D4, D5, D6, D7, D8, D9, D10, D11, E, F, G1, G2, G3, H1 und H2.[23] Alle in Masernimpfstoffen verwendeten Stämme (Moraten, Edmonston-Zagreb) zählen zu Genotyp A.[25] Zur Identifizierung liegen sogenannte Referenzstämme vor, beispielsweise New York.USA/94 Ibadan.NIE/97/1 für B3.[26][23] Die Referenzstämme liegen in der Biobank des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und im Virus Reference Department, Public Health England (PHE) in London.

Die überwiegend vorkommenden Genotypen in (West-)Europa sind in den letzten Jahren (ab 2013) B3 und D8.[27] Von 24 Genotypen wurden seit den 1990er Jahren noch 19 detektiert (A, B2, B3, C1, C2, D2, D3, D4, D5, D6, D7, D8, D9, D10, D11, G2, G3, H1 und H2),[25] zwischen 2005 und 2014 dreizehn und seit 2009 nur noch acht.[20] Dies lässt darauf schließen, dass viele Genotypen nicht mehr zirkulieren. Die stabilen Serotypen mit ihrer gleichbleibenden Kombination von Oberflächenmerkmalen ermöglichten auch die Herstellung eines gut wirksamen Masernimpfstoffes.

Das Virus wird nur von Mensch zu Mensch übertragen, ist also theoretisch ausrottbar. Es verbreitet sich durch Tröpfcheninfektion (Husten, Niesen, Sprechen) oder direkten menschlichen Kontakt. Eine Infektion ist bereits bei kurzer Exposition möglich, der Kontagionsindex liegt bei 0,95. Das heißt, dass sich 95 % aller Menschen ohne entsprechende Immunität infizieren und daraufhin klinische Erscheinungen entwickeln.

Erregernachweis

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Der indirekte Erregernachweis erfolgt durch den Nachweis spezifischer Antikörper mittels ELISA oder KBR (Komplementbindungsreaktion). Der Nachweis der Virus-RNA ist aufwändig und erfolgt nur in Speziallaboren; er ist nur bei einem Verdacht auf eine Subakute sklerosierende Panenzephalitis nach einer Maserninfektion sinnvoll und wird mit Liquor als Probenmaterial durchgeführt.

In Deutschland ist der direkte oder indirekte Nachweis vom Masernvirus namentlich meldepflichtig nach § 7 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), soweit der Nachweis auf eine akute Infektion hinweist. Die Meldepflicht betrifft in erster Linie die Leitungen von Laboren (§ 8 IfSG).

In der Schweiz ist der positive laboranalytische Befund (und der negative Befund bei PCR-Analyse) zu einem Masernvirus für Laboratorien meldepflichtig und zwar nach dem Epidemiengesetz (EpG) in Verbindung mit der Epidemienverordnung und Anhang 3 der Verordnung des EDI über die Meldung von Beobachtungen übertragbarer Krankheiten des Menschen.

Einzelnachweise

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  1. a b ICTV: ICTV Taxonomy history: Akabane orthobunyavirus, EC 51, Berlin, Germany, July 2019; Email ratification March 2020 (MSL #35)
  2. ICTV Master Species List 2018b.v2. MSL #34, März 2019
  3. Erik C. Böttger, Fritz H. Kayser: Taschenlehrbuch Medizinische Mikrobiologie. 12. Ausgabe. Georg Thieme Verlag, 2010, ISBN 3-13-151442-6, S. 519
  4. Birgid Neumeister, Heinrich K. Geiss, Rüdiger Braun: Mikrobiologische Diagnostik: Bakteriologie – Mykologie – Virologie – Parasitologie. 2. Ausgabe. Georg Thieme Verlag, 2009, ISBN 3-13-157942-0, S. 913
  5. R. A. Moura, J. Warren: Subclinical infection of dogs by canine-adapted measles virus evidenced by their subsequent immunity to canine distemper virus. In: Journal of bacteriology. Band 82, November 1961, S. 702–705, PMID 14476677, PMC 279238 (freier Volltext).
  6. https://www.msdvetmanual.com/exotic-and-laboratory-animals/nonhuman-primates/viral-diseases-of-nonhuman-primates; abgerufen am 13. März 2020
  7. a b c d e Andrea Misin et al.: Measles: An Overview of a Re-Emerging Disease in Children and Immunocompromised Patients. In: Microorganisms. Band 8, Nr. 2, 18. Februar 2020, doi:10.3390/microorganisms8020276, PMID 32085446, PMC 7074809 (freier Volltext).
  8. Rik L. de Swart: Measles: What we have learned from non-human primate models. In: Drug Discovery Today: Disease Models (= Use of non-human primate disease models). Band 23, 1. März 2017, S. 31–34, doi:10.1016/j.ddmod.2018.01.002.
  9. Zentralnervensystem, Systematik der Erkrankungen. In: International Medical College (IMC Wiki). Abgerufen am 30. Januar 2020.
  10. F. Zepp: Impfmythen in der Pädiatrie. In: Monatsschrift Kinderheilkunde. Band 166, Nr. 12, Dezember 2018, S. 1115, doi:10.1007/s00112-018-0610-3.
  11. Halmut Renz: Erkrankungen durch neurotrope Viren. In: Pharmazeutische Zeitung. 20. Januar 2003, abgerufen am 30. Januar 2020.
  12. Y. Furuse, A. Suzuki, H. Oshitani: Origin of measles virus: divergence from rinderpest virus between the 11th and 12th centuries. In: Virology Journal. Band 4, 2010, PMID 20202190, S. 52.
  13. El Yehudi: 68 v. Chr., zit. n. Babbot, F. L., jr., a. I. E. Gordon: Modem measles. Amer. J. Med. Sci. 288, 334 (1954).
  14. Measles. In: Epidemiology & Prevention of Vaccine-Preventable Diseases – “The Pink Book”, 9th Edition, Public Health Foundation, S. 131–144 PDF, 830 kB
  15. Nadja Podbregar: Masern entstanden schon vor 2500 Jahren. In: wissenschaft.de. Konradin Medien, 19. Juni 2020, abgerufen am 20. Juni 2020. Wie die Masern auf den Menschen kamen. In: scinexx.de. fachmedien und mittelstand, 19. Juni 2020, abgerufen am 20. Juni 2020.
  16. Jan Dönges: Sind Masern ein Produkt der ersten Großstädte? auf spektrum.de vom 19. Juni 2020.
  17. Alice Lanzke: Wechsel vom Tier auf Menschen – Masern-Virus ist viel älter als gedacht, auf: n-tv.de vom 19. Juni 2020
  18. Ariane Düx, Sebastian Lequime, Livia Victoria Patrono, Bram Vrancken, Sengül Boral, Jan F. Gogar et al.: Measles virus and rinderpest virus divergence dated to the sixth century BCE. In: Science. Band 368, Nr. 6497, S. 1367–1370, 19. Juni 2020, doi:10.1126/science.aba9411.
  19. T. Betáková et al.: Overview of measles and mumps vaccine: origin, present, and future of vaccine production. In: Acta Virologica. Band 57, Nr. 2, 2013, S. 91–96, doi:10.4149/av_2013_02_91, PMID 23600866.
  20. a b William J. Moss: Measles. In: The Lancet. Band 390, Nr. 10111, 2. Dezember 2017, S. 2490–2502, doi:10.1016/S0140-6736(17)31463-0.
  21. a b Brigitta M. Laksono et al.: Measles Virus Host Invasion and Pathogenesis. In: Viruses. Band 8, Nr. 8, 28. Juli 2016, doi:10.3390/v8080210, PMID 27483301, PMC 4997572 (freier Volltext).
  22. Yusuke Yanagi et al.: Measles virus receptors and tropism. In: Japanese Journal of Infectious Diseases. Band 59, Nr. 1, Februar 2006, S. 1–5, PMID 16495625.
  23. a b c Measles virus nomenclature update: 2012. In: Releve Epidemiologique Hebdomadaire. Band 87, Nr. 9, 2. März 2012, S. 73–81, PMID 22462199.
  24. W. J. Bellini, P. A. Rota: Genetic diversity of wild-type measles viruses: implications for global measles elimination programs. In: Emerging Infectious Diseases. Band 4(1), 1998, PMID 9452396, S. 29–35.
  25. a b Genetic Analysis of Measles Virus. In: CDC. 5. Juni 2018, abgerufen am 17. Juli 2020 (amerikanisches Englisch).
  26. Reference Strains for Genetic Analysis Wild-type Measles Virus. In: CDC. 5. Juni 2018, abgerufen am 17. Juli 2020 (amerikanisches Englisch).
  27. WHO | Measles and Rubella Surveillance Data. Abgerufen am 18. Dezember 2018.