Kriminalfall Maria Bögerl

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Mordfall Maria Bögerl)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Ablageort des Lösegeldes neben der A 7. Am Tag der Entführung war die Stelle durch einen in den Boden gesteckten Ast mit einer daran befestigten Deutschlandflagge gekennzeichnet.

Im Kriminalfall Maria Bögerl geht es um die Entführung und den Tod von Maria Bögerl, die sich im Mai 2010 im baden-württembergischen Heidenheim an der Brenz ereigneten. Die Tat ist bislang ungeklärt. Im August 2023 wurde die Einstellung der Ermittlungen bekannt gegeben.

Verlauf der Ereignisse

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Maria Bögerl, die Ehefrau des Vorstandsvorsitzenden der Kreissparkasse Heidenheim, war am Morgen des 12. Mai 2010 aus ihrem Haus in Schnaitheim entführt worden. Noch im Laufe des Vormittags meldete sich der Täter telefonisch bei dem Ehemann des Opfers, Thomas Bögerl, und forderte 300.000 Euro Lösegeld, das nach Angaben der Polizei „in komplizierter Stückelung“ bereitgestellt werden sollte. Die Geldübergabe an einer Unterquerung ()[1] der A 7 in Richtung Würzburg (die Stelle war mit einer Deutschlandflagge markiert) scheiterte allerdings, weil das Geld nicht rechtzeitig zum vereinbarten Ablagezeitpunkt beschafft werden konnte.[2] Zwei Tage später wurde Frau Bögerls Auto im Hof des Klosters Neresheim aufgefunden. Anschließend startete die Polizei eine große Öffentlichkeitsfahndung. Die Familie des Opfers richtete beispielsweise in der Fernsehsendung Aktenzeichen XY … ungelöst einen Aufruf an den oder die Entführer.[3] Die Suche nach Frau Bögerl endete schließlich am 3. Juni 2010, als ein Spaziergänger ihre Leiche in einem Waldstück ()[1] fand.

Rund ein Jahr nach den Ereignissen um die Entführung starb Thomas Bögerl durch Suizid.[4] Er und seine Frau wurden gemeinsam in ihrem Heimatort Herrieden in Mittelfranken beigesetzt.[5] Über ihn waren in den Monaten nach der Tat viele Gerüchte im Umlauf gewesen. Sein Sohn und der Lebensgefährte seiner Tochter gerieten zeitweise unter Verdacht. Die Ermittler gingen davon aus, dass sie wenige Tage vor der Tat mit dem Entführer telefoniert hätten. Später stellte sich heraus, dass der Verdacht auf fehlerhaft gespeicherten Uhrzeitendaten in der Telefonanlage der Bögerls fußte. Die zuständige Staatsanwaltschaft Ellwangen stellte klar, dass die umfangreichen Ermittlungen keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass der oder die Täter aus dem Kreis der Familie stammten.[6]

Zudem wurde bekannt, dass sich Bögerl mehrfach über die Arbeit der Ermittler beschwert hatte. Der Witwer hatte unter anderem in einem Brief an die Polizei Aufklärung über die Pressearbeit der Ermittler sowie die missglückte Lösegeldübergabe gefordert und sich damit unter anderem an den Stuttgarter Regierungspräsidenten Johannes Schmalzl und den damaligen Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes Heinrich Haasis gewandt.[7]

Kritik an den Ermittlungsbehörden

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Polizei steht im Fall Bögerl massiv in der Kritik.

Einerseits sorgten widersprüchliche Angaben zur Lösegeldübergabe kurz nach der Entführung und Wochen nach dem Fund der Leiche für Verwirrung.[8] Das Lösegeld konnte erst 90 Minuten nach dem geforderten Zeitpunkt an der Übergabestelle deponiert werden.[9] Laut Angaben der Polizei war man nicht in der Lage, die geforderte Summe und Stückelung in dem zeitlich engen Rahmen von drei Stunden bereitzustellen. Ursache dafür war womöglich die Mittagspause der Ulmer Bundesbank-Filiale, bei der das Geld besorgt werden sollte.[10]

In einem Interview 2012 stellten die Kinder Carina und Christoph den Verlauf der Dinge – einschließlich der Vorgeschichte des Suizids ihres Vaters – mit vorher nicht bekannten Details dar. Dabei äußerten sie erneut scharfe Kritik an der Arbeit der Polizei, u. a. auch an Versäumnissen der Spurensicherung unmittelbar nach der Tat. Demnach wurden zum Beispiel Spuren in der Garage, in der der Wagen von Frau Bögerl am Morgen des Tattages noch gestanden hatte, erst Monate später gesichert.[11]

Kritisiert wurde auch, dass die Leiche Maria Bögerls bei Suchmaßnahmen der Polizei in einem Waldstück möglicherweise übersehen wurde.[8]

Als problematisch wurde im Rückblick (auch von den Ermittlern selbst) der mit der Polizei abgestimmte Auftritt von Ehemann und Kindern in der Sendung Aktenzeichen XY … ungelöst kurz nach der Entführung gesehen. Bei diesem appellierten sie an den oder die Täter, ihre damals noch vermisste Ehefrau und Mutter freizulassen (siehe unten). Viele Zuschauer hielten Angst und Sorge der Bögerls aber für gespielt, was die Verbreitung von Gerüchten befeuerte, sie seien selbst in den Fall verstrickt.[12]

Die Polizei in Heidenheim sah sich darüber hinaus der Kritik von österreichischen Ermittlern ausgesetzt. Die Deutschen hätten für die Überprüfung des Alibis eines Österreichers, der wegen der Beteiligung an einem ähnlichen Verbrechen in Österreich und einer gewissen Ähnlichkeit mit dem Phantombild als verdächtig galt, im Sommer 2011 mehrere Wochen benötigt. Die deutsche Polizei konnte das aber damit begründen, dass wegen der Urlaubszeit Zeugen nicht erreichbar gewesen waren.[7]

Sonderbeitrag bei Aktenzeichen XY … ungelöst

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 5. September 2012 wurde in der Sendung Aktenzeichen XY … ungelöst ein 26-minütiger Sonderbeitrag zum Kriminalfall Maria Bögerl ausgestrahlt. Darin wurde die Tat vom Morgen der Entführung bis zum Fund der Leiche von Maria Bögerl nach aktuellen Erkenntnissen der Polizei rekonstruiert. Es wurden durch die Ermittler erstmals Details bekanntgegeben, die vorher nicht an die Öffentlichkeit gelangt waren.[13] Dies war der bis dahin längste Filmfall in der Geschichte der Sendung. Danach meldete sich ein Mann und narrte die Ermittler monatelang mit falschen Hinweisen, wodurch viel Arbeitsaufwand vergebens war. Erst im April 2013 kam der Betrug heraus. Der falsche Tippgeber wurde vom Amtsgericht Heidenheim zu drei Jahren Gefängnisstrafe verurteilt.[14] Diese Haftstrafe wurde in einem Berufungsverfahren in zwei Jahre auf Bewährung geändert.[15]

Am 20. Januar 2014 wurde bekannt, dass die Polizei für Februar 2014 einen Massengentest für eine bestimmte Alterszielgruppe geplant hatte. Die Abgabe sollte laut Staatsanwaltschaft auf freiwilliger Basis erfolgen.[16] Der Massengentest begann am 14. Februar. Alle Männer im Alter von 21 bis 68 Jahren aus der Stadt Neresheim (Ostalbkreis) waren aufgerufen, freiwillig Speichelproben abzugeben, wie Staatsanwaltschaft und Polizei mitteilten.[17][18] Von 3000 angeschriebenen Männern gaben zunächst 1300 eine Probe ab,[19] weitere 500 nach erneuter Aufforderung.[20] Anfang April 2014 fehlten der Sonderkommission noch über 500 Proben.[21] Die SoKo Flagge wurde zum Jahresende 2015 aufgelöst.[22]

Im Juli 2016 wurden zwei junge Männer in Hagen von einem augenscheinlich alkoholisierten Mann angesprochen. Dieser machte Angaben zum Kriminalfall Bögerl. Die Zeugen nahmen Teile des Gesprächs mit ihrem Mobiltelefon auf und verständigten die Polizei. Die daraufhin eingeleitete Fahndung verlief ohne Ergebnis, nachdem sich der Unbekannte bereits zuvor hatte entfernen können. Die Auswertung der Sprachaufnahmen legte aufgrund des Gesprächsinhalts einen Tatverdacht nahe, da der Unbekannte anscheinend über Täterwissen verfügte. Im April 2017 konnte die Ermittlungsgruppe den Verdächtigen in Königsbronn festnehmen, die öffentliche Fahndung erfolgte mit Hilfe einer Sprachaufzeichnung und eines Phantombildes.[23][24] Allerdings stellte sich heraus, dass seine DNA nicht mit dem im Auto des Opfers gesicherten genetischen Fingerabdruck des Täters übereinstimmt. Der Verdächtige räumte auch ein, sich fälschlicherweise des Verbrechens bezichtigt zu haben.[25]

Erst nachdem der Verdächtige wieder auf freiem Fuß war, wurde bekannt, dass man ihn (anders als zunächst berichtet) schon kurz vor der öffentlichen Fahndung in der Fernsehsendung Aktenzeichen XY ... ungelöst verhaftet hatte. Die Polizei begründete die trotzdem erfolgte Ausstrahlung der Fahndung damit, dass man sich nicht sicher gewesen sei, die gesuchte Person verhaftet zu haben, auch habe die Befragung erst während der Fernsehausstrahlung erfolgen können.[26]

Ende Januar 2020 durchsuchte die Polizei ein Wohn- und Geschäftshaus im Stimpfacher Stadtteil Weipertshofen sowie ein Gebäude im bayrischen Landkreis Donau-Ries, dabei wurden Beweismittel sichergestellt und DNA-Proben von Verdächtigen entnommen. Der Verdacht richtete sich gegen drei Personen, darunter ein Ehepaar, deren Firmenwagen 2010 in der Nähe des Tatorts gesehen worden sein soll. Der Verdacht gegen die Personen erhärtete sich nach Auswertung der Proben jedoch nicht.[27][28]

Nach der Auflösung der SoKo Flagge war ein Beamter des Polizeipräsidiums Ulm für den Fall zuständig.[28] Im August 2023 gaben die leitenden Ermittlungsbehörden die Einstellung des Ermittlungsverfahrens bekannt.[29]

Mediale Rezeption

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die am 5. November 2017 erstmals ausgestrahlte Folge Der Fall Holdt der Krimiserie Tatort lehnte sich an den Kriminalfall Maria Bögerl an.

In einer am 23. April 2023 veröffentlichten Folge des Podcasts Aktenzeichen XY ... Unvergessene Verbrechen wird der Fall thematisiert. Darin kamen aktuelle Ermittler zu Wort und berichteten über die bisherigen Ermittlungen.[30]

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Commons: Kriminalfall Maria Bögerl – Sammlung von Bildern
  • Philip Eppelsheim und Rüdiger Soldt: Der Fall Bögerl: Entführt und ermordet. Seit zwei Jahren findet die Polizei den Täter nicht. Dafür häufen sich Merkwürdigkeiten und Vorwürfe, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17. Juni 2012, Seite 14 (online)

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b Aktenzeichen XY … ungelöst, Sendung vom 5. September 2012.
  2. Lösegeldübergabe scheiterte an Bürokratie
  3. Der Fall Maria Bögerl: Familie fleht Entführer via „Aktenzeichen XY“ an stern.de, 19. Mai 2010.
  4. Ehemann von Maria Boegerl erhängt aufgefunden focus.de, 11. Juli 2011.
  5. Bewegende Trauerfeier für Thomas Bögerl B.Z. Online 18. Juli 2011, abgerufen am 17. Juli 2016.
  6. Kinder werfen Polizei Versagen vor Spiegel Online 15. Februar 2012, gesehen am 23. April 2012.
  7. a b Ermittler im Fall Bögerl geraten unter Druck Spiegel Online, 17. Juli 2011.
  8. a b Rätsel um Mordfall Bögerl – Keine Spur von Entführer schwäbische.de, 21. Juli 2010.
  9. SoKo „Flagge“ jagt weiter geheimnisvollen Täter aktenzeichenxy.zdf.de, 5. September 2012.
  10. Kein Lösegeld – wegen Mittagspause. sueddeutsche.de, 2. August 2010.
  11. Vom Ende einer Familie zeitenspiegel.de (Interview mit Christoph und Carina Bögerl, publiziert im Stern 08/2012)
  12. Philip Eppelsheim, Rüdiger Soldt: Mordfall Bögerl: Merkwürdigkeiten und Vorwürfe. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. Juni 2012, abgerufen am 19. September 2016
  13. Mordfall Bögerl: Polizei hofft nach TV-Aufruf auf Zeugen abendblatt.de, 6. September 2012.
  14. Mordfall Maria Bögerl: Betrüger führte Soko in die Irre, stern.de, 6. November 2013
  15. Fall Bögerl: Ermittler genarrt: Falscher Informant muss nicht in Haft, Augsburger Allgemeine, 30. Oktober 2014
  16. Mordfall Maria Bögerl: Polizei plant Massengentest. In: Spiegel Online. 20. Januar 2014, abgerufen am 24. Januar 2014.
  17. Massengentest am 14. Februar. In: Südwest Presse. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 26. Februar 2014; abgerufen am 7. Februar 2014.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.swp.de
  18. @1@2Vorlage:Toter Link/www.swr.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2024. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  19. Mathias Becker: Die Verweigerer von Neresheim, stern.de vom 17. Februar 2014, abgerufen am 28. April 2014.
  20. Mordfall Bögerl: Noch fehlen 800 Speichelproben, Augsburger Allgemeine vom 20. März 2014, abgerufen am 28. April 2014.
  21. „Bislang haben wir noch keine Treffer“, Stuttgarter Nachrichten vom 11. April 2014, abgerufen am 28. April 2014.
  22. „Soko "Flagge" vor der Auflösung“ (Memento vom 14. Juli 2016 im Internet Archive), Südwest-Presse vom 11. November 2015, abgerufen am 14. Juli 2016.
  23. Festnahme im Fall Maria Bögerl. Spiegel Online, 6. April 2017, abgerufen am 6. April 2017.
  24. Getötete Bankiersfrau: Verdächtiger bestreitet Mord an Maria Bögerl. In: Spiegel Online. 6. April 2017, abgerufen am 9. Juni 2018.
  25. Negativer DNA-Test: Festgenommener im Mordfall Bögerl wieder frei. In: Spiegel Online. 6. April 2017, abgerufen am 9. Juni 2018.
  26. TV-Fahndung wirft Fragen auf (Memento vom 13. April 2017 im Internet Archive), schwaebische.de, 12. April 2017
  27. Karin Fuchs: Durchsuchung in Schwäbisch Hall: Gibt es eine neue Spur im Mordfall Maria Bögerl?. In: Heidenheimer Zeitung, 28. Januar 2020, abgerufen am 7. Februar 2020.
  28. a b Rüdiger Bäßler: Zehn Jahre nach der Tat – Fall Bögerl: Wieder ein Griff ins Leere?. In: StN.de, 29. Januar 2020, abgerufen am 7. Februar 2020.
  29. S. W. R. Aktuell: Mordfall Maria Bögerl bleibt ungeklärt - kein Täter gefunden, Ermittlungen eingestellt. 14. August 2023, abgerufen am 14. August 2023.
  30. #18 Entführt und ermordet. In: Aktenzeichen XY ... Unvergessene Verbrechen. 26. April 2023, abgerufen am 8. Mai 2023.