Räumliche Distanzierung

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Distanziert in einer Schlange stehende Menschen in Spanien (2020)

Die räumliche Distanzierung, auch räumliche Trennung oder physische Distanzierung (englisch: physical distancing; auch wird der Begriff social distancing verwendet),[1][2][3] beinhaltet eine Reihe von nicht-pharmazeutischen Maßnahmen zur Infektionskontrolle, die die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit stoppen oder verlangsamen sollen.[4] Die Maßnahmen bezwecken, den Kontakt zwischen Menschen zu verringern und durch den Sicherheitsabstand die Anzahl von Infektionen, etwa durch Tröpfcheninfektionen, zu verringern.

Alternativen zur Verflachung der Epidemiekurve.[5][6]
Diese Grafik verdeutlicht, wie bereits der unterbliebene Kontakt mit einer einzigen infizierten Person durch die exponentielle Ausbreitung von Krankheiten dutzende Ausbrüche verhindern kann.

Der auch in deutschsprachigen Medien verwendete englische Begriff social distancing beziehungsweise das wörtlich ins Deutsche übersetzte „soziale Distanzierung“ (Soziale Distanz) sind missverständlich, da dies impliziert, dass Personen gesellschaftlichen Abstand zueinander halten sollen. Es geht aber nicht um eine soziale Isolation der Individuen, sondern um die räumliche Distanzierung von (möglicherweise) infizierten zu nicht infizierten Personen.[7]

Mathematische Theorie

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Die mathematische Grundlage, die zur Empfehlung räumlicher Distanzierung führt, ist die Basisreproduktionszahl . Diese stellt die durchschnittliche Zahl der von einer Person infizierten weiteren Personen dar und ist für jeden Infektionstyp unterschiedlich – bei HIV ist sie zum Beispiel viel kleiner als bei COVID-19. Auch unterscheidet die Zahl u. a. nicht zwischen Kranken und Gesunden, sondern geht von einer einheitlich infektionsanfälligen Bevölkerung aus. Mit einem mathematischen Modell kann man nun berechnen, welchen Effekt räumliche Distanzierung für den jeweiligen Infektionstypus hat.

In der nachstehenden Formel ist der Anteil derer, die sich an die Abstandsregel halten, bezeichnet den Bruchteil der zwischenmenschlichen Kontakte gegenüber dem Normalfall und liefert die so beeinflusste Reproduktionszahl.[8]

Beispiel: Wenn jeder Vierte ( = 25 % = 0,25) seine sozialen Kontakte auf die Hälfte ( = 50 % = 0,5) einschränkt, dann sinkt die Übertragungsrate von ursprünglichen 100 % auf 81 %. Diese gering wirkende Reduktion hat bei Folgeinfektionen erhebliche Auswirkungen auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Infektion.

Zweck und Funktionsweise

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Alternative Formen der Begrüßung ohne Körperkontakt in der Praxis (hier: die traditionelle Begrüßungsform in Taiwan)

Das Ziel von räumlicher Trennung ist es, die Wahrscheinlichkeit eines Kontakts zwischen Personen, die eine Infektion tragen, und anderen, die nicht infiziert sind, zu verringern, um die Krankheitsübertragung, die Morbidität und letztlich die Mortalität zu minimieren.[9][10]

Sie wird im Alltag insbesondere durch physisches Abstandhalten und Vermeidung körperlicher Kontakte (mindestens 2 Meter Abstand, kein Händeschütteln, Küssen etc.) und wenig sprechen betrieben. Um das Risiko einer – auch indirekten – Interaktion mit potenziell infizierten Personen und dadurch die Gefahr einer Ansteckung zu minimieren, ist jedoch die dauerhafte räumliche Isolation das effektivste Mittel. Diese kann bei Berufstätigen etwa in Form von Teleheimarbeit (Home Office) umgesetzt werden. Als extremer Grad der räumlichen Distanzierung gilt die Quarantäne.[11]

Räumliche Distanzierung hat einen Einfluss auf Infektionen, die per Tröpfcheninfektion (z. B. durch Husten, Niesen oder Sprechen), durch direkten Körperkontakt, per Schmierinfektion (z. B. durch Berührung einer mit Viren oder anderen Mikroorganismen kontaminierten Oberfläche) oder durch die Luft über Aerosole übertragen werden.[11] Bei Epidemien bzw. Pandemien mit den genannten Übertragungswegen wird für unvermeidliche Aufenthalte an Orten, an denen sich andere Menschen befinden, das Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes oder einer Alltagsmaske empfohlen.[12]

Einer der frühesten Hinweise auf räumliche Distanzierung stammt aus dem siebten Jahrhundert v. Chr. im Buch Levitikus, 13,46: „Und der Aussätzige, in dem die Pest ist […] er wird allein wohnen; [außerhalb] des Lagers wird seine Wohnung sein.“

Historisch gesehen wurden Leprakolonien und isolierte Lazarette eingerichtet, um die Verbreitung von ansteckenden Krankheiten durch räumliche Distanzierung zu erschweren. Um die schwer erkrankten Personen von der übrigen Bevölkerung räumlich zu trennen, errichtete man etwa die „Siechenhäuser“ wie Leprosenhäuser oder Pesthäuser weit außerhalb der Städte. Als man in der modernen Medizin die Übertragungswege verstand und für einige Infektionskrankheiten wirksame Behandlungen zur Verfügung gestellt wurden, konnte man die physische Isolierung durch neue Maßnahmen wie die Einrichtung von Isolierzimmern gewährleisten.

COVID-19-Pandemie

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Hinweisschilder und Markierungen für räumliche Distanz bei einem Discounter Mitte März 2020
Der russische Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzler Olaf Scholz im Kreml an einem sechs Meter langen Tisch zur Vermeidung von Infektionen (Februar 2022)

Im Zuge des Beginns der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 verbreitete sich der Aufruf Flatten the curve! (englisch für: „die Kurve abflachen!“); er lehnt sich an die grafische Darstellung des Epidemieverlaufes an und steht für das Ziel, mittels räumlicher Distanzierung, meistens Abstandhalten genannt, die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Epidemie in einem bestimmten Gebiet (Land, Staat, Region) zu verlangsamen. Bildlich gesprochen soll dabei die Zahl der Infizierten über einen größeren Zeitraum gestreckt werden, so dass die Zahl der behandlungspflichtigen Infizierten nicht die Kapazität der Krankenhäuser in diesem Gebiet übersteigt. Diese Kapazität ist einerseits durch die Verfügbarkeit von Betten und Fachpersonal, andererseits – wie hier bei Lungenentzündungen – vor allem durch die Anzahl der Intensivstationen mit Beatmungsgeräten beschränkt. Um die Wichtigkeit der räumlichen Distanzierung zur Kontrolle der COVID-19-Pandemie hervorzuheben, und dies auch im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern, startete das deutsche Bundesministerium für Gesundheit die Kampagne #WirBleibenZuhause,[13] welche auf große Resonanz in Medien, sozialen Medien und bei Prominenten stieß. Nach einer repräsentativen Umfrage hatten die Deutschen Ende März, bereits vor dem politisch angeordneten Kontaktverbot, ihre physischen sozialen Kontakte auf durchschnittlich etwa ein Viertel des Niveaus vor der Pandemie reduziert.[14] Rund zur Hälfte taten Befragte dies aus Selbstschutz, zu 30 Prozent um Freunde und Familie sowie zu 18 Prozent um andere zu schützen. Eine volkswirtschaftlich optimale Regulierung der Ausbreitung des Virus für Deutschland würde über diese freiwilligen Kontaktbeschränkung hinaus Kontakte deutlich weiter reduzieren, um das Infektionsgeschehen auf ein niedriges Niveau zu drücken und anschließend auf diesem Niveau, bei wieder deutlich mehr Kontakten, zu stabilisieren.[15][16]

Commons: Räumliche Distanzierung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. WHO IS CHANGING PHRASE TO RECOMMEND 'PHYSICAL DISTANCING' INSTEAD OF 'SOCIAL DISTANCING', ENCOURAGES PEOPLE TO STAY CONNECTED VIA SOCIAL MEDIA 20. März 2020
  2. Why The WHO Is Now Using The Phrase “Physical Distancing” Instead Of “Social Distancing”
  3. New Study Estimates Effects of Physical Distancing on Progression of COVID-19 Epidemic. In: sci-news, 26. März 2020
  4. deutscher Fachbegriff zu social distancing gemäß deutscher Übersetzung in Über die Bereitschafts- und Reaktionsplanung der Europäischen Gemeinschaft mit Blick auf eine Influenzapandemie der EU-Kommission vom 28. November 2005.
  5. Siouxsie Wiles: After 'Flatten the Curve', we must now 'Stop the Spread'. Here's what that means. In: The Spinoff. 14. März 2020, abgerufen am 13. März 2020.
  6. R. M. Anderson, H. Heesterbeek, D. Klinkenberg, T. D. Hollingsworth: How will country-based mitigation measures influence the course of the COVID-19 epidemic? In: The Lancet. März 2020, doi:10.1016/S0140-6736(20)30567-5, PMID 32164834.
  7. Physical statt Social Distancing – Menschen sollten im Kontakt bleiben. In: n-tv.de, 30. März 2020
  8. Niels Becker: Modeling to Inform Infectious Disease Control. CRC Press, 2015, ISBN 978-1-4987-3107-2, S. 104.
  9. Information about Social Distancing. (PDF) Public Health Department of the Santa Clara Valley Health & Hospital System, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 27. März 2020; abgerufen am 21. März 2020 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.cidrap.umn.edu
  10. Harry Stevens: Why outbreaks like coronavirus spread exponentially, and how to “flatten the curve”. In: washingtonpost.com. 14. März 2020, abgerufen am 21. März 2020 (englisch).
  11. a b CDC: Coronavirus Disease 2019 (COVID-19). 11. Februar 2020, abgerufen am 10. April 2020 (amerikanisches Englisch).
  12. C. C. Leung, K. K. Cheng, T. H. Lam, G. B. Migliori: Mask wearing to complement social distancing and save lives during COVID-19
  13. #wirbleibenzuhause. Bundesministerium für Gesundheit, abgerufen am 24. März 2020.
  14. Martin F. Quaas, Jasper Meya, Hanna Schenk, Björn Bos, Moritz A. Drupp: The Social Cost of Contacts: Theory and Evidence for the COVID-19 Pandemic in Germany. In: SSRN Electronic Journal. 2020, ISSN 1556-5068, doi:10.2139/ssrn.3606810.
  15. The Social Cost of Contacts: Theory and Evidence for the COVID-19 Pandemic in Germany. Abgerufen am 1. Juli 2020 (englisch).
  16. Julia Köppe, DER SPIEGEL: Corona: Freiwillige Kontaktbeschränkungen hätten Pandemie wahrscheinlich eindämmen können - zu einem hohen Preis - DER SPIEGEL - Wissenschaft. Abgerufen am 1. Juli 2020.