Cyberfeminismus

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Cyberfeminismus ist ein feministischer Ansatz, der die Beziehung zwischen Cyberspace, Internet und Technologie in den Vordergrund stellt. Der Begriff kann sich auf eine Philosophie, eine Methodik oder eine Gemeinschaft beziehen und wurde Anfang der 1990er Jahre geprägt, um feministische Praxen zu beschreiben, die das Internet, den Cyberspace und neue Medientechnologien im Allgemeinen theoretisieren, kritisieren, erforschen und neu gestalten wollen.

Der grundlegende Katalysator für die Entstehung des cyberfeministischen Denkens wird Donna Haraways A Cyborg Manifesto, dem Feminismus der Dritten Welle, dem poststrukturalistischen Feminismus, der Riot-Grrrl-Kultur und der feministischen Kritik an der angeblichen Auslöschung von Frauen in Diskussionen über Technologie zugeschrieben.

Der Begriff Cyberfeminismus ist stark mit der westlichen Netzkunst der 1990er verknüpft und wandelte sich mit der Zeit. Heute wird öfters der Begriff Technofeminismus oder im deutschsprachigen Raum Netzfeminismus verwendet. Der Technofeminismus setzt sich vermehrt mit aktivistischen Schnittstellen von Feminismus und Technologie auseinander.

Entstehung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

VNS Matrix Cyberfeminist Manifesto for the 21st Century - anonyme Adaption auf baskisch

Der Cyberfeminismus entstand durch die Verbreitung der neuen Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) und die gleichzeitig stattfindende Dritte Welle des Feminismus und ist besonders mit dem Namen Donna Haraway verknüpft. Die Wissenschaftshistorikerin veröffentlichte 1985 ihren Text A Cyborg Manifesto, der 1995 in der deutschen Übersetzung erschien. Darin definiert Haraway Cyborgs als kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion.[1] Haraways Text löste eine Welle subversiver und feministischer Aktionen aus.[2] Inspiriert von diesem Manifest, waren die ersten, die 1991 den Begriff Cyberfeminismus prägten, die australische Künstlerinnengruppe VNS Matrix in ihrem Cyberfeminist Manifesto for the 21st Century.[3] In diesem Manifest proklamieren VNS Matrix ironisch: "Die Klitoris ist eine direkte Verbindung zur Matrix."[4]

Neben VNS Matrix und Donna Haraway sind weitere Schlüsselfiguren und Kollektive des Cyberfeminismus u. a. Judy Wajcman, Rosi Braidotti, Sadie Plant, OBN (Old Boys Network), Nancy Paterson, Nathalie Magnan, Zoe Soufoulis und Alluquère Rosanne Stone alias Sandy Stone.[5]

Für Cyberfeministinnen beinhaltet die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) nicht nur einen subversiven Umgang mit maskuliner Identität, sondern die Kreation einer Vielzahl neuer Subjektivitäten, in denen die Technologie nicht nur die Gesellschaft und die Technologie selbst verändern kann, sondern auch die herkömmlichen Gender-Rollen. In diesem Sinne fordern die cyberfeministischen Theorien und Praxen die hierarchischen Machtbeziehungen zwischen Männern und Frauen in den IKT heraus, erforschen das wechselseitige Verhältnis von Frauen und digitalen Medien und verweisen auf die Schaffung von Netzwerken und die Eroberung von Räumen im Cyberspace, die aus der Entwicklung neuer Partizipationsformen hervorgehen.[6][7][8]

Cyberfeminismus benötigt notwendigerweise eine dezentralisierte, vielschichtige und mitbestimmungsorientierte Praxis, in welcher viele verschiedene Strömungen nebeneinander existieren können.[9]

Cyberfeminismus und Kunst[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Cyberfeminismus der 1990er wollte bewusst offen verstanden werden. Die Cyberfeministinnen agierten nomadisch und spontan, was ihnen einen großen Freiraum für künstlerische Experimente bot.[10] Jede Person kann und sollte seinen eigenen Cyberfeminismus erfinden, wie das Old Boys Network (OBN) auf der ersten Cyberfeminist International von 1997 erklärte. An der First Cyberfeminist International, welche im Rahmen der Documenta X im Hybrid Workspace in Kassel stattfand, wurde von Cyberfeministinnen aus unterschiedlichen Ländern 100 Anti-Thesen formuliert, die sich mit der Definition von Cyberfeminismus auseinandersetzten.

Cyberfeminismus ist:

  • ‚kein grünes Häkeldeckchen‘
  • ‚keine Theorie, aber auch keine Praxis‘
  • ‚kein leerer Kühlschrank‘
  • ‚not about boring toys for boring boys‘
  • ‚not anti-male‘
  • ‚n’est pas triste‘
  • ‚weder eine Verlegenheitslösung, noch eine Nudelsauce‘, und vor allem:
  • ‚nicht mehr wegzudenken ...‘[5]

Die Praxis der cyberfeministischen Kunst ist zwar mit der Gendertheorie verbunden und Cyberfeminismus wurde als Synonym für feministische Studien über neue Medien verstanden, die Zusammenhänge zwischen Geschlecht, Verkörperung und Technologie untersuchen, aber darüber hinaus gab es kaum einen Konsens. Es fehlte ein klarer Bezugspunkt.[11][10]

Künstlerinnen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Theoretikerinnen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Festivals[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 1997 First Cyberfeminist International, Documenta X, Kassel
  • 1999 Next Cyberfeminist International, Rotterdam[12]
  • 2001 Very Cyberfeminist International, Hamburg[13]
  • 2017 Post Cyberfeminist International, London

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Donna Haraway: Ein Manifest für Cyborgs
  • Judy Wajcman: Technik und Geschlecht. Die feministische Technikdebatte, Frankfurt/New York, Campus, 1994, (eng. Feminism Confronts Technology. Cambridge, Polity Press, 1991)
  • Sadie Plant: Nullen und Einsen. Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien, Berlin Verlag, 1998, ISBN 978-3-8270-0290-7 (eng. Zeros and Ones. Digital Women and the New Technoculture, Fourth Estate, 1995)
  • Cornelia Sollfrank (Hrsg.): Die schönen Kriegerinnen – Technofeministische Praxis im 21. Jahrhundert, transversal texts, 2018, ISBN 978-3-903046-16-0
  • Francesca Schmidt: Netzpolitik. Eine feministische Einführung, Leverkusen 2021, ISBN 978-3-8474-2216-7
  • Mindy Seu (Hrsg.): Cyberfeminism Index, Inventory Press, ISBN 978-1-941753-51-4

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Donna Haraway: A Cyborg Manifesto (Deutsch: Ein Manifest für Cyborgs, 1995). Hrsg.: Socialist Review. 1985.
  2. Sadie Plant: Zeroes + Ones : Digital Women and the New Technoculture. Doubleday, 1997, ISBN 0-385-48260-4, S. 59.
  3. Sue V. Rosser: Through the Lenses of Feminist Theory: Focus on Women and Information Technology. In: Frontiers: A Journal of Women Studies. 26.1, 2005, ISSN 0160-9009, S. 1–23.
  4. VNS Matrix: Cyberfeminist Manifesto for the 21st Century, abgerufen am 10. Dezember 2014.
  5. a b Weber, Jutta: Ironie, Erotik und Techno-Politik : Cyberfeminismus als Virus in der neuen Weltunordnung? Eine Einführung. Hrsg.: Die Philosophin : Forum für feministische Theorie und Philosoph. Jg. 12 Auflage. Nr. 24, 2001, S. 81–97 (genderopen.de).
  6. Nuria Vergés Bosch, Alex Hache, Eva Cruells López: Colectivo Donestech: Ciberfeminismo de investigación, abgerufen am 10. Dezember 2014.
  7. Susan Hawthorne, Renate Klein (Hrsg.): CyberFeminism: Connectivity, Critique, and Creativity. Spinifex Press, Melbourne 1999, ISBN 1-875559-68-X.
  8. Mary Flanagan, Austin Booth (Hrsg.): Reload. Rethinking Women + Cyberculture. MIT Press, Cambridge 2002, ISBN 0-262-56150-6.
  9. switch.sjsu.edu: A Report on Cyberfeminism – Sadie Plant relative to VNS Matrix (Memento vom 4. Juni 2014 im Internet Archive) (englisch)
  10. a b Faith Wilding and Critical Art Ensemble: Notes on the Political Condition of Cyberfeminism. In: Art Journal. Vol. 57, No. 2. CAA, 1998, S. 47.
  11. Susanna Paasonen: Revisiting cyberfeminism. Communications 36. De Gruyter, 2011, S. 336.
  12. Old Boys Network (Hrsg.): next Cyberfeminist International. Editor: Cornelia Sollfrank, Old Boys Network, Hamburg 1999, S. 4.
  13. Helene von Oldenburg, Claudia Reiche (Hrsg.): Very cyberfeminist international reader : OBN Conference. Hamburg 2001.