Wikipedia:Zedler-Preis/Zedler-Medaille 2009/Existentialisten in den deutsch-französischen Beziehungen

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Existentialisten in den deutsch-französischen Beziehungen

Der Existentialismus ist eine philosophische Denkrichtung, die sich mit der menschlichen Existenz, der Freiheit und der Verantwortlichkeit für das Handeln beschäftigt. Jean-Paul Sartre (1905–1980), Vater des Manifests „Der Existentialismus ist ein Humanismus“ (1946) und zusammen mit Simone de Beauvoir Begründer der Zeitschrift Les temps modernes, gilt zwar als wichtigster Begründer des Existentialismus, doch kann diese Strömung als Ergebnis des kulturellen deutsch-französischen Transfers der husserlschen Phänomenologie und dessen Überlegungen zur Intentionalität (wonach Bewusstsein immer das Bewusstsein von etwas ist, das aus der Verbindungen seiner Wahrnehmungen der äußeren Welt besteht) betrachtet werden. Während die französische Philosophie ganz unter dem Einfluss der doppelten Tradition des Positivismus und des Spiritualismus, stand, wurde bereits in den 1920er Jahren die deutsche Phänomenologie übernommen und schließlich in den 1950er Jahren zu einer beherrschenden Strömung der französischen Philosophie. So war es dasselbe, 1924 gegründete Verlagshaus Aubier-Montaigne, welches schon zur Verbreitung der Werke von Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Max Scheler beigetragen hatte, das auch die vom Existentialismus geprägten französischen Autoren wie Gabriel Marcel, Louis Lavelle und René Le Senne veröffentlichte. Sartre seinerseits hatte die deutschen Phänomenologen zu Beginn der 1930er Jahre in Berlin entdeckt und die grundlegenden Konzepte des Existentialismus auf der Grundlage der Überlegungen über die „Authentizität“ der Existenz definiert. Er verdankte seinen Aufenthalt einem Stipendium des Institut Français in Berlin, wo er die Beziehungen zwischen dem Psychischen und dem Psychologischen im Allgemeinen erforschte. Sartres Positionen waren beeinflusst von Martin Heidegger (1889 – 1976), der, ausgehend von der Betrachtung des Daseins, eine Existenzphilosophie entwickelte. In seinem ersten großen philosophischen Werk „Das Sein und das Nichts“ (1943) entwirft Sartre die zentralen Ideen des Existentialismus wie die Unaufrichtigkeit, die Freiheit, die Absurdität menschlichen Lebens und den Atheismus. Diese Ideen haben das literarische Schaffen von Autoren wie Albert Camus (1913 – 1960) und Eugène Ionesco (1909 – 1994) sowie dessen Entwicklung des absurden Theaters beeinflusst.

Zur gleichen Zeit arbeiten in Deutschland Denker wie Karl Löwith (1897 – 1973) an einer Existenzphilosophie, in der sie zeigten, wie die Geschichtsphilosophien von Hegel und Karl Marx den europäischen Humanismus zu einer Form des Nihilismus geführt haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Existentialismus weitgehend zu einem Lebensstil und Gegenstand einer intellektuellen Mode. Er erfuhr jedoch, gerade in der BRD, welche nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus nach einem moralischen Neuanfang strebte, großes Interesse. Zu den weiteren existentialistischen Strömungen zählen der christliche Existentialismus, dessen berühmteste Vertreter in Frankreich bzw. in Deutschland Gabriel Marcel und Karl Jaspers (1883-969) waren. Letzterer entwickelte 1932 in den drei Bänden seiner Philosophie die Vorstellung, wonach die Existenz des Menschen als Möglichkeit gedacht wird. Erkenntnisse über diese entziehen sich jedoch einer nach Begriffen vorgehenden Untersuchung. Philosophisches Überlegen kann aber die Situation des Menschen durch Zeichen erhellen: In Grenzsituationen wird sich der Mensch seiner Freiheit bewusst. In diesem Sinne wird die Existenz durch die Vernunft erhellt (Jaspers, „Vernunft und Existenz“). Jaspers war einer der antifaschistischen Denker, der die deutsche Gesellschaft aufforderte, sich mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander zu setzen. Der christliche Existentialismus fordert, dass jede Person Entscheidungen treffen muss, um seine eigene Existenz verwirklichen. Jedes Individuum stellt eine persönliche Verbindung zu Gott her und bemüht sich, der Furcht vor Unentschlossenheit zu entgehen. Der Existentialismus beeinflusste Gruppen christlicher Denker wie die Personalisten um Emmanuel Mounier (1905– 1950), der einen dritten, mittleren Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus suchte, welcher auf den Begriffen von Person und Gemeinschaft aufbaute. Mit der 1932 gegründeten Zeitschrift Esprit verfolgte man internationale Ziele. Nach dem Krieg reiste Emmanuel Mounier viel, knüpfte Kontakte und beteiligte sich aktiv an der deutschfranzösischen Aussöhnung. 1948 gründete er das Französische Komitee für Austausch mit dem neuen Deutschland, dessen Sekretär der junge Alfred Grosser war. In Deutschland entstanden in der Folge zahlreiche personalistische Zeitschriften. Der Personalismus, eine Lehre, in deren Mittelpunkt die menschliche Person steht und die den Kapitalismus wie den Kommunismus und Faschismus verwirft, wird Ausgangspunkt für internationale intellektuelle Begegnungen und für das Nachdenken über die Bedeutung Europas.

  • Jaspers Karl, 1987, Vernunft und Existenz, 6. Auflage, München und Zürich: Groningen.
  • Jaspers Karl, 1979, Die Schuldfrage, München: Piper.
  • Mounier Emmanuel, 1947, Introduction aux existentialismes, Paris: Denoël.
  • Sartre Jean-Paul, 1970, L’existentialisme est un humanisme, Paris: Nagel.