Benutzer:Albrecht62/GgH

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Mit den Großen gesellschaftlichen Herausforderungen werden die drängenden Fragen des 21. Jahrhunderts zusammengefasst, deren Lösung nur langfristig angegangen werden können, die jedoch auch kurzfristiges Handeln erfordern.[1] Gleichzeitig steht hinter diesem Begriff auch ein neues Zusammenwirken von Wissenschaft und Zivilgesellschaft bei der Bewältigung dieser Zukunftsaufgaben.

International verwendete Bezeichnungen für die ‚Große gesellschaftliche Herausforderungen‘ sind societal challenges und grand challenges.[2] Mitunter wird auch der in England geprägte Begriff grand challenges mit große Herausforderungen sehr wörtlich übersetzt.

Beispiele für Große gesellschaftliche Herausforderungen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
„Fortschritt NRW“
(Wissenschaftsstrategie NRW)
Hightech-Strategie „2020“
(Bundesregierung 2010)
Horizon 2020
(EU-Forschungsprogramm)
ERAB
(European Research Area Board 2009)
Klimaschutz, Ressourceneffizienz und Rohstoffe Klima/Energie Klimaschutz, Umwelt, Ressourceneffizienz und Rohstoffe climate change
Sichere, saubere und effiziente Energieversorgung s. o. Sichere, saubere und effiziente Energiey energy supply
Gesundheit und Wohlergehen im demographischen Wandel Gesundheit/Ernährung Gesundheit, demografischer Wandel und Wohlergehen healthcare
s. o. - s. o. ageing
Versorgung mit gesunden Nahrungsmitteln aus nachhaltiger Produktion s. o. Ernährungs- und Lebensmittelsicherheit, nachhaltige Land- und Forstwirtschaft, marine, maritime und limnologische Forschung und Biowirtschaft water resources
Intelligente, umweltfreundliche und integrierte Mobilität Mobilität Intelligenter, umweltfreundlicher und integrierter Verkehr -
Sicherheit, Teilhabe und sozialer Zusammenhalt im gesellschaftlichen Wandel Sicherheit Sichere Gesellschaften – Schutz der Freiheit und Sicherheit Europas und seiner Bürger -
- - Europa in einer sich verändernden Welt: integrative, innovative und reflektierende Gesellschaften -
- - - sustainable prosperity
- Kommunikation - -

Quellen:[1][3]

Entstehung des Begriffs

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • 2008 kam der Begriff ‚Grand Challenges‘ erstmals als Gesamtstrategie für eine Wissenschaftspolitik auf.[1] Eine Expertengruppe sollte eine nachvollziehbare Rechtfertigung für die EU-Forschungsförderung erarbeiten.[1]
  • 2009 wird der European Research Area Board (ERAB)[4] ins Leben gerufen, ein Beirat, der die Europäische Union längerfristig begleiten soll. Dort wird ein Europäischen Forschungsraum skizziert, der von gesellschaftlichen Bedürfnissen getrieben ist (engl.: „driven by societal needs“).[1][5]
  • Ungefähr zeitgleich wurde die „Erklärung von Lund“ verabschiedet, in dem sich verschiedene Interessenvertreter aus Wissenschaft, Politik und Industrie auf den Aufruf „Europe must focus on the Grand Challenges of Our Time“ verständigten.[1][6]
  • Im Rahmen der Lissabon-Verträge erhob die EU die Schaffung eines Europäischen Forschungsraums zu einem eigenständigen Ziel der Union.[1]
  • Mit dem Rahmenprogramm „Horizon 2020“ gliederte die EU die Forschungs-Förderung unter den drei Zielen „Wissenschaftsexzellenz“, „Führende Rolle der Industrie“ und „Große gesellschaftliche Herausforderungen“:[1]
    Bei einer Laufzeit von 2014 bis 2020 ist das Programm mit 77 Mrd. € dotiert, davon entfallen fast 40 % und damit der größte Teil auf die ‚Großen gesellschaftlichen Herausforderungen‘.[2][1]
    Bezogen auf Deutschland entspricht das einem Anteil von 8 bis 9 % der Drittmitteleinnahmen.[1]
  • 2010 wurde von der Deutschen Bundesregierung die Hightech-Strategie neu aufgesetzt. Deutschland sollte damit zum Vorreiter bei der Lösung globaler Herausforderungen werden.[1]
  • NRW greift mit seiner Forschungsstrategie „Fortschritt NRW“ die Diskussion auf und beschließt, dass neben der Grundlagenforschung die Forschungsförderung entlang der ‚Großen gesellschaftlichen Herausforderungen‘ konzentriert werden soll.[1][7]
  • Seit 2012 ist die Bewältigung der ‚Großen gesellschaftlichen Herausforderungen‘ das Ziel der Forschungsförderung in Europa[8][9] und den USA.[10]
  • Die Richtung dieser Debatte wurde im Jahr 2015 beeinflusst vom Gutachten Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation des Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) und von der Buchveröffentlichung „Transformative Wissenschaft: Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem“ von Uwe Schneidewind und Mandy Singer-Brodowski,[11] in dem wesentliche Veränderungen im Wissenschaftssystem gefordert werden.

Rolle der Wissenschaft

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wissenschaft kann helfen, Szenarien zu entwickelt, in denen die Folgen möglicher Entwicklungen für verschiedene Regionen und gesellschaftliche Teilsysteme berechnet werden. Bereits in die Auswahl der zu beantwortenden Fragen gehen jedoch oft Wertentscheidungen ein. Deshalb ist die Wissenschaft gefordert, mit den Betroffenen in einen Dialog treten, um in Erfahrung zu bringen, welche Aspekte der künftigen Entwicklungen für die gesellschaftliche Bewertung einer Herausforderung besonders relevant sind.[1]
Der Wissenschaftsrat ruft unter dem Titel ‚Große gesellschaftliche Herausforderungen‘ dazu auf:[12]

  • für Erprobungsmöglichkeiten unsicherer Strategien zu werben,
  • die Zivilgesellschaft zu unterstützen, sich an der Forschung zu beteiligen,
  • eine aktive Rolle auch in der Umsetzung zu übernehmen und
  • den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen aktiv zu begleiten.

Er betont, dass die Bewältigung der ‚Großer gesellschaftlicher Herausforderungen‘ auf umfassende gesellschaftliche Veränderungsprozesse zielt, die eine Bewusstseinsbildung sowie ggf. einen Wertewandel voraussetzen und sowohl technische als auch soziale Innovationen umfassen können. Der Wissenschaftsrat stellt damit erkenntnisorientierte und lösungsorientierte Forschung als gleichermaßen relevant nebeneinander.[12]

Veränderungsbedarf in der Wissenschaft

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Frage, ob das gegenwärtiges Wissenschaftssystem über die Kompetenzen für partizipative Suchprozesse verfügt, wird kontrovers diskutiert. Viele Vorschläge der Wissenschaft sind bislang technikorientiert und werden der Komplexität gesellschaftlicher Problemstellungen nicht gerecht.[13] Häufig werden auch die Potenziale der Verbindung von Gesellschafts- und Sozialwissenschaften mit Natur- und Ingenieurwissenschaften nicht weit genug ausgeschöpft.[14][13]
Transformationsrelevantes Wissen entsteht heute bereits an vielen Orten der Gesellschaft: In lokalen Nachhaltigkeitsinitiativen, zivilgesellschaftlichen Verbänden, Unternehmen, der öffentlichen Verwaltung oder in politischen Institutionen. Das Wissenschaftssystem steht vor der Herausforderung dieses Wissen zu erschließen.[13]

Aufgabe der Zivilgesellschaft

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zivilgesellschaftliche Organisationen entdecken seit einigen Jahren die Wissenschaftspolitik als Handlungsfeld. Ein Beispiel ist die „Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende“.[15] Für den Erfolg von transdisziplinären Projekten ist es wesentlich, dass die Praxisakteure inhaltlich, strukturell und finanziell in der Lage sind, sich zu beteiligen. Dies stellt insbesondere für Vertreter der Zivilgesellschaft eine große Herausforderung dar.[13]

Beteiligungs-Modelle

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • In Foren des Fortschritts wird Raum geboten, um mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften wie aus den Geistes-, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften und mit Akteuren aus der Wirtschaft, dem Medien- und Kreativbereich sowie der Zivilgesellschaft ins Gespräch zu kommen.[16]
  • In Reallaboren werden Interessenvertreter aus Politik, Unternehmen, Zivilgesellschaft und Wissenschaft in diese Such- und Entscheidungsprozesse einbezogen.[13]
  • Mit Wissenschaft im Dialog (WiD), einer Einrichtung der Bundesregierung, werden die Phänomene der Chemie, Mathematik, Physik und vielen anderen Disziplinen in populärer Form erklären.[14]
  • Mit Science Slams, den Poetry Slams verwandt, sind publikumswirksamere Events entstanden, auf denen Wissenschaftler ihre Themen so einfach und unterhaltend wie möglich einem Kreis von Laien in eng begrenztem Zeitrahmen präsentieren.[14]
  • Im Bonner Wissenschaftsladen (WILA) wird zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft vermittelt. Der Bonner Verein besteht bereits seit 30 Jahren.[14][17]
  • Mit Citizen Science (Bürgerwissenschaften) wird versucht, interessierte Laien durch selbstständige Forschung für die Wissenschaft zu gewinnen.[18]
  • Mit dem Trialog zur Energiewende wurde eine breite gesellschaftliche Verständigung zur Energiewende und eine Rückkopplung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft angestrebt.[19]
  • Mit „Wissenschaftsdebatte live“ hat die Journalistenvereinigung TELI ein Moderations- und Beteiligungswerkzeug für wissenschaftlich-technische Themen entwickelt.[20]

Wissenschaftskommunikation

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Wissenschaftskommunikation könnte in diesem Austauschprozess eine unterstützende Rolle zukommen. Bisher weitgehend getrennte Debatten in Wissenschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen können durch Wissenschaftskommunikation fruchtbar verbunden werden. Wie solch eine Wissenschaftskommunikation gestaltet sein könnte, zeigen beispielsweise der „Siggener Aufruf“ (siehe Wissenschaft im Dialog) oder der Entwurf der „Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR“.[13] Auch die Fernsehsendungen von Heinz Haber und Hoimar von Ditfurth stehen in einer journalistischen Tradition, die für „Information“ als Grundvoraussetzung für „Dialog“ und „Partizipation“ steht.[14]

„Wenn keine Brücken von den Forschern zu den Bürgern geschlagen werden, leisten diese im Grunde unwissenschaftliche Arbeit, denn sie lassen die Dimension öffentlicher Akzeptanz oder Ablehnung aus und sind dazu verurteilt, eine inhumane Wissenschaft voranzutreiben, die letztlich in Katastrophen enden muss.“

Robert Jungk, Zukunftsforscher und Wissenschaftsautor[14][21]
  • Das Wissenschaftsjahr 2012 hat unter dem Motte „Nachhaltigkeit / Zukunftsprojekt Erde“ gestanden, was in den Einzelveranstaltungen auch mit „Transformatives Wissen schaffen“ übersetzt wurde.[7]
  • Die Zeppelin Universität (ZU) in Friedrichshafen bietet ab Herbst 2014 den Master-Studiengang "Intersektorale Führung & Governance" an. Die Absolventen sollen bei den gesellschaftlichen Transformationsaufgaben mitwirken.[22]
  • Das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, Wien (BMWFW) arbeitet ... an einer Initiative mit dem Ziel der Etablierung strategischer nationaler Vernetzungsplattformen im Kontext der Großen gesellschaftlichen Herausforderungen.[23]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c d e f g h i j k l m Der Beitrag der Wissenschaft zum Umgang mit großen Gesellschaftlichen Herausforderungen, Rainer Lange, Geschäftsstelle des Wissenschaftsrats, Köln, 18. Juni 2014
  2. a b Große gesellschaftliche Herausforderungen, Prof. Dr. Joachim Funke, Psychologisches Institut Heidelberg, 15. Mai 2015
  3. Gesellschaftliche Herausforderungen, Programmstruktur von Horizont 2020, Teil III
  4. European Research Area Board in der englischsprachigen Wikipedia
  5. Socio-Economic Benefits of ERA, European Research Area (ERA), o. J.
  6. Lund-Erklärung 2015: Europa soll sich den großen gesellschaftlichen Herausforderungen annehmen, Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2015
  7. a b Forschungspolitik soll helfen, Große gesellschaftliche Herausforderungen der Zukunft zu meistern, Ministerin Schulze: Neue Forschungsstrategie soll zur Blaupause werden, 10. Dezember 2012
  8. Wohlstand durch Forschung, Bundesministerium für Bildung und Forschung: „Die Hightech-Strategie formuliert konkrete forschungspolitische Leitbilder und Missionen für diese Großen gesellschaftlichen Herausforderungen“, April 2013
  9. Council Decision of 3 December 2013 establishing the specific programme implementing Horizon 2020, 20. Dezember 2013
  10. 21st Century Grand Challenges, Präsident Obama: „Grand Challenges are ambitious but achievable goals“, 2. Februar 2016
  11. Transformative Wissenschaft: Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem, Buch-Besprechung, rootAbility, 7. Mai 2013
  12. a b Zum wissenschaftspolitischen Diskurs über Große gesellschaftliche Herausforderungen, Wissenschaftsrat, April 2015
  13. a b c d e f Öffentliches Fachgespräch zum Thema „Stand und Perspektiven der Wissenschaftskommunikation“ , Thomas Korbun, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), www.ioew.de, 14. Oktober 2015
  14. a b c d e f Die Wissenschaftsdebatte: Forschung, Technik und Zivilgesellschaft im Gespräch, von Wolfgang C. Goede, Maecenata Institut an der Humboldt-Universität zu Berlin, Dossier über ein neuartiges Beteiligungsformat, November 2013
  15. Zivilgesellschaftliche Plattform
  16. Forschungsstrategie Fortschritt NRW, Forschung und Innovation für nachhaltige Entwicklung 2013 – 2020, Kabinettbefassung 5. Juli 2013
  17. Wissenschaftsladen (WILA), Bonn
  18. Bürger schaffen Wissen, Ministerin Wanka vom BMBF ruft Bürger zur Mitarbeit an der Forschung auf - „Wissenschaft rückt in die Mitte der Gesellschaft“, 22. April 2014
  19. Pressemitteilung zum Zweiter Trialog zur Energiewende, Humboldt-Viadrina Governance Platform, 9. Oktober 2015
  20. Zwei Jahre „Wissenschaftsdebatte live“ — Bilanz bei idw, von Wolfgang Goede, 15. Januar 2016
  21. Zu Jungks 100.: Betroffene zu Beteiligten machen!
  22. Neue Studienangebote, Zeppelin Universität startet berufsbegleitenden Master „Intersektorale Führung & Governance“, Februar 2014
  23. Strategische Vernetzungsplattformen im Kontext der Großen Gesellschaftlichen Herausforderungen, BMWFW, Wien, November 2015