Benutzer:Ammonius/Baustelle/Hutten-Czapski

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Bogdan Graf v. Hutten-Czapski in der Uniform des Malteserordens. Porträt von Francis Kossuth

Bogdan Graf von Hutten-Czapski (* 13. Mai 1851 in Smogluec; † 7. September 1937 in Posen) war ein preußischer Staatsmann polnischer Herkunft.

Hutten-Czapski als Oberleutnant und Brigadeadjutant

Bogdan Graf v. Hutten-Czapski wurde 1851 als Sohn von Joseph Napoleon Graf Hutten-Czapski (1797-1852) und Eleonora, geb. Gräfin Mielzynski (1815-1875) geboren. Gerade ein Jahr nach seiner Geburt verlor er seinen Vater, der an der Cholera starb.

In Berlin 1873-83

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bevor seine eigentliche politische Karriere begann, diente Hutten-Czapski beinahe ein Vierteljahrhundert lang in der preußischen Armee. Am 1. Oktober 1873 trat der Zweiundzwanzigjährige beim 2. Garde-Dragoner-Regiment in Berlin als Einjährig-Freiwilliger ein. Zwei Jahre darauf, im August 1875, wurde er zum Reserveoffizier dieses Regiments ernannt; im selben Jahr bestand er sein Referendarexamen und trat in den juristischen Staatsdienst beim Kreisgericht Charlottenburg. Nach weiteren eineinhalb Jahren, am 31. Januar 1877, wurde er durch Allerhöchste Kabinettsorder zum aktiven Sekondeleutnant befördert. Hutten-Czapski blieb bis 1882 bei den Gardedragonern. Schon als Einjähriger verkehrte er aufgrund seiner Herkunft und vielfältiger familiärer Beziehungen auf einem gesellschaftlichen Niveau, das eigentlich Angehörigen des Offizierstandes vorbehalten war. Zu welchen, teils bizarren, Verwicklungen es hierbei kommen konnte, schildert er in seinen Aufzeichnungen:

Ein gesellschaftlich merkwürdiges Intermezzo ereignete sich Ende Februar 1874. Ich erhielt nämlich unvorbereitet eine Einladung zum Tee bei Ihren Majestäten und wusste nicht, in welchem Anzuge ich erscheinen sollte [...] Niemand wusste Rat, und [...] am folgenden Tag [erhielt ich] den dienstlichen Befehl, überhaupt nicht im Palais zu erscheinen. Die Angelegenheit wurde erst nach der Soiree dem Kaiser vorgetragen und erregte seinen schärfsten Unwillen [...] Wenige Tage später erging eine Kabinettsorder, die bestimmte, dass Heeresangehörige, die nicht dem Offiziersstande angehörten und ausnahmsweise zum königlichen oder einem prinzlichen Hofe befohlen würden, in der Extrauniform ihrer Charge kommen sollten. Eine solche Verpflichtung brachte mich in eine höchste unangenehme Lage, und nachdem ich einmal an einem Hoffest stundenlang als Gefreiter stramm gestanden hatte, ließ ich auf Umwegen bitten, von Einladungen zu größeren Festen künftig abzusehen.[1]

In seiner Zeit als Gardedragoner lernte Hutten die Berliner große Gesellschaft der Gründerzeit ausführlich kennen. Er verkehrte in den einschlägigen Salons der Hauptstadt, so bei Marie Gräfin Schleinitz, Anna von Helmholtz und Helene von Lebbin, und knüpfte enge Beziehungen zu dem alten Kaiserpaar an, mit dem er seit jeher in persönlicher Verbindung gestanden hatte. Er wurde regelmäßig zu den "Donnerstagabenden" im Salon des Stadtpalais' des Kaisers Unter den Linden, genannt "Teebüchse", eingeladen, wo sich vor allem die liberale, katholikenfreundliche Kaiserin Augusta an der Gegenwart des strengkatholischen polnischen Magnaten erfreute[2]; allerdings trug ihm diese Nähe zur Kaiserin nachmals bei konservativen Staatsmännern, allen voran Bismarck, auch die Verdächtigung ein, ein "Agent Augustas" bzw. Vertreter antipreußischer Interessen zu sein, was seine Karriere im Staatsdienst vermutlich einigermaßen behinderte. In Berlin trat er auch in Verbindung mit Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819-1901), der damals Reichstagsabgeordneter war und dessen Sohn Philipp Ernst ebenfalls bei den 2. Gardedragonern stand. Hohenlohe wurde ihm bald die wichtigste Bezugsperson seiner beruflichen Existenz, ein "politischer Lehrmeister und väterlicher Gönner"[3].

Durch den frühen Tod seines Vaters Haupt seiner Familie, spielte Hutten-Czapski trotz seiner jungen Jahre bereits eine führende Rolle in der Berliner beau monde. Er verkehrte wie selbstverständlich bei Hofe, wurde noch als Einjähriger-Unteroffizier Zar Alexander II. offiziell vorgestellt[4], war aber auch Zeuge mancher Skandale, in denen er mitunter selber hervortrat, wie im Falle Bleichröder, der ... für Aufregung sorgte[5]:

Der um das Reich hochverdiente jüdische Bankier Bleichröder hatte nach seiner Nobilitierung im Hofmarschallamt Karten abgegeben und wurde daraufhin, ganz korrekt, zu einem Schlossball eingeladen. Die Gardeoffiziere verabredeten aber, Bleichröders Tochter nicht zum Tanz zu engagieren. Davon musste der Kronprinz gehört haben; während des Balles trat er auf mich zu und sagte mir, mit einem Blick auf Fräulein von Bleichröder, es sei ihm sehr unangenehm, wenn eine Dame, die Gast seiner Eltern sei, ohne Herrn zum Souper gehen müsste. Der Wink war mir Befehl, und obwohl ich bei der Familie nicht verkehrte, bot ich der jungen Dame den Arm und führte sie an das Büffet. Bei verschiedenen Zeugen des Vorfalles, darunter mehreren hohen Offizieren, erregte dies Missfallen.[6]

... Noch als einfacher Leutnant bei den Gardehusaren machte Hutten seine ersten Erfahrungen auf diplomatischem Parkett.

Adjutant in Straßburg 1883-85

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach erfolgreicher Teilnahme an den französischen Herbstmanövern von 1882, zu denen auch internationale Gäste erschienen waren, wurde Hutten am 11. Oktober dieses Jahres zum Premierleutnant befördert und zugleich zu den Gardehusaren nach Potsdam versetzt. Kaiser Wilhelm I. habe, nach Huttens eigenem Bericht, diese Versetzung persönlich veranlasst, um ihn "in nähere Beziehung zu seinem, diesem Regimente angehörenden, Enkel", dem späteren Kaiser Wilhelm II., "zu bringen"[7]. Das Kalkül des alten Kaisers ging auf: Hutten und Prinz Wilhelm, der damals als Major à la suite bei den Gardehusaren stand, knüpften persönliche Beziehungen an, die bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg reichen sollten.

Huttens aktive Zeit bei den Gardehusaren währte nur kurz. Im August 1884 wurde er, dessen Mutter eng mit der 1879 verstorbenen Gräfin Manteuffel befreundet gewesen war, zum Adjutanten des Reichsstatthalters von Elsass-Lothringen, Edwin Graf von Manteuffel ernannt. Der alte Kaiser selbst gab ihm die letzten Instruktionen mit auf den Weg:

Am 12. August war ich zur Meldung beim Kaiser nach Babelsberg befohlen. Er empfing mich scherzend, wie er es manchmal liebte: "Warum gehen Sie eigentlich nach Straßburg? - "Ich habe dazu einen sehr wichtigen Grund." - "Welchen?" - "Den Befehl Euerer Majestät."[8]

Obgleich de jure immer noch Oberleutnant, hatte Hutten als Adjutant des Statthalters eine einflussreiche Position inne, deren Bedeutung auf dem Horizont der politischen Spannungen im Elsass besonders groß war. ...

Hannover und Kassel 1885-1896

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Manteuffels Tod am 17. Juni 1885 beendete auch Huttens Straßburger Aufenthalt. Kaum einen Monat nachdem der Statthalter gestorben war, wurde er als Brigadeadjutant zur 20. Kavallerie-Brigade nach Hannover versetzt, eine Stellung, in der er bis 1888 verblieb.

Am 22. März 1887 wurde Kaiser Wilhelm I. neunzig Jahre alt. Unter den persönlichen Gratulanten war auch Graf Hutten-Czapski, dem der greise Monarch an diesem Tag seine "letzte Gnade"[9] erwies: Hutten wurde zum Rittmeister beim 2. Kurhessischen Husarenregiment "Landgraf Friedrich II." Nr. 14 befördert, unter vorläufiger Belassung in seiner Hannoveraner Dienststellung. Als er sich am 11. Mai desselben Jahres - wie sich herausstellen sollte, zum letzten Mal - beim Kaiser im Lustgarten meldete, bot ihm dieser eine Stelle als Eskadronchef in seinem Hessischen Regiment an, die er indessen erst nach über einem Jahr und zwei Regierungswechseln, im November 1888, definitiv erhielt und antrat.

Preußischer Politiker 1895-1914

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Fürst Hohenlohes 80. Geburtstag, 31. März 1899. Dritter von rechts vorn: der Jubilar. Zweiter von rechts hinten: Graf Hutten-Czapski

Noch vor Antritt eines langen Urlaubs, der faktisch dem Abschied von der Armee gleichkam[10], wurde Hutten-Czapski auf Empfehlung Hohenlohes, der seit 1894 Reichskanzler war, am 8. April 1895 ins Preußische Herrenhaus berufen. Damit begann seine offizielle, konstitutionell fundierte Teilnahme an der preußischen Politik, in die er gleichwohl schon seit Jugendtagen engagiert gewesen war. Nachdem seine, vom Kriegsminister Walther Bronsart von Schellendorff favorisierte, Berufung in den Generalstab vom Kaiser mehrfach abgelehnt worden war, entschloss sich Hutten 1896, einen längeren Urlaub anzutreten, der 1899 in die Versetzung zur Landwehr umgewandelt wurde.

Auch als Politiker blieb Hutten in untergeordneter Position, die ihm wohl informellen Einfluss, dagegen keine nominelle Macht einräumten. Sein enges Verhältnis zu Fürst Hohenlohe bewirkte allerdings, dass er verstärkt ins politische Zeitgeschehen eingreifen konnte: So wirkte er in den 1890er Jahren an der Durchsetzung der Militärstrafgerichtsreform mit, die gegen den Widerstand der Konservativen schließlich auch gelang. Mit dem Abgang Hohenlohes im Jahr 1900 ging sein Einfluss indessen wieder spürbar zurück. Zum neuen Reichskanzler Bernhard von Bülow hatte er ein leidlich gutes Verhältnis, was sich auch in dem gemäßigten Urteil ausdrückt, zu dem er in seinen Mémoiren über den sonst arg gescholtenen Staatsmann kommt. Seit 1906 kämpfte Hutten energisch gegen das von der preußischen Staatsregierung geplante Enteignungsgesetz, das die Überführung einiger im polnischen Teil Preußens gelegener Güter in Staatseigentum erleichtern sollte. Hutten, der ja selber Pole war, gehörte mit Feldmarschall Gottlieb von Haeseler zu den wenigen Konservativen, die sich gegen das Gesetz wandten, das damals aufkommende, auch rassistisch motivierte Germanisierungstendenzen in rechtliche Form bringen wollte. Dennoch wurde es Anfang 1908 im Landtag, dann auch im Herrenhaus,w enn auch mit knapper Mehrheit, angenommen.

Erster Weltkrieg 1914-1918

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit dem Ersten Weltkrieg begann der wohl berühmteste und bedeutungsvollste Abschnitt in Huttens politischem Lebenslauf. Unmittelbar nach Kriegsausbruch im August 1914 wurde er, der ja Reserveoffizier und mittlerweile Oberstleutnant war, ins Referat für Ostfragen im Großen Generalstab versetzt. Nach einem kurzen Zwischenspiel im besetzten Belgien wurde er am 10. September zum Stab der 8. Armee nach Ostpreußen kommandiert, die General von Hindenburg führte. Hier erlebte er den Sieg bei Tannenberg, die Zurückwerfung der russischen Armee und - nach einem Intermezzo als Vermittler in der italienischen Frage im Frühsommer 1915, das allerdings erfolglos endete - die Einnahme Warschaus am 5. August 1915 durch die 9. Armee unter Feldmarschall Prinz Leopold von Bayern.

Dass der polnische Aristokrat und loyale preußische Staatsdiener Hutten-Czapski sich auch jetzt, im denkbar idealen Moment, keine Hoffnung auf eine offizielle politische Verwendung machen durfte, belegt das Telegramm Kaiser Wilhelms, das am 14. August ergangen war:

Seine Majestät der Kaiser und König haben zu befehlen geruht, dass der Oberstleutnant Graf v. Hutten-Czapski beim Armeeoberkommando 9 dem Gouvernement Warschau zugeteilt werden solle. Allerhöchstdieselben sind überzeugt, dass der Oberstleutnant Graf v. Hutten-Czapski infolge seiner genauen Kenntnis der polnischen Verhältnisse und seiner guten Beziehungen zu den polnischen Kreisen dem Kaiserlichen Gouvernement eine wertvolle Stütze und ein guter Berater sein werde. Der Herr Gouverneur solle seine Dienste in ausgiebiger Weise in Anspruch nehmen.[11]

Immerhin avancierte Hutten bald zum engen Vertrauten des neu ernannten Generalgouverneurs in Warschau, Generaloberst Hans von Beseler. ...

Politische und gesellschaftliche Rolle

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter seinen Zeitgenossen im Allgemeinen, aber auch unter seinen Standesgenossen nahm Graf Hutten-Czapski über lange Zeit eine Sonderstellung ein, die er, mit Blick auf das Jahr 1895, selber beschrieben hat:

Als preußischer Pair sprach ich von der Tribüne des Herrenhauses; als persönlicher Sekretär des Reichskanzlers und vertrauter Holsteins übte ich einen gewissen politischen Einfluss aus; als Führer meiner Schwadron auf dem Kasernenhofe, in der Reitbahn und im Übungsgelände war ich nichts anderes als Hunderte in gleicher Stellung. Wenn mich meine parlamentarischen Verpflichtungen nicht nach Berlin riefen, tat ich den gewohnten Dienst in Kassel. Aber es lag in den Verhältnissen, dass ich auch als simpler Eskadronschef in Berührung mit historischen Persönlichkeiten geriet.[12]

Graf Hutten-Czapski blieb unverheiratet. Er selber berichtet hierzu eine Anekdote, die einigen Aufschluss über die Gründe geben mag:

Als der Kaiser [Wilhelm I.] im Juni 1880 als Gast in der Mitte unseres Offizierskorps weilte, sagte er im Vorbeigehen zu mir, wohl weil er gehört hatte, dass bei mir getanzt worden war: "Sie geben ja große Bälle und haben noch immer keine Frau." So vieler Fehler ich mich auch zeihen muss, eines habe ich, ohne etwaige Leserinnen kränken zu wollen, nie bereut: dass ich keine Gefährtin für meinen Lebensweg genommen habe. Der Mangel, den mancher darin sehen mag, wurde aufgewogen durch meine Unabhängigkeit."[13]

Nach seinem Rückzug aus der Politik schrieb Hutten-Czapski seine Mémoiren Sechzig Jahre Politik und Gesellschaft und veröffentlichte sie in zwei umfangreichen Bänden. ... Dass indessen auch ein so scharfsichtiger und vielerfahrener Staatsmann wie er den Charakter der NS-Herrschaft, in innen- wie außenpolitischer Hinsicht, zu Anfang nicht erkannte, belegt eine Notiz, die sich kaum zwei Jahre nach seinem Tod als fatale Fehleinschätzung erweisen sollte:

Leider ist mein Streben nach der Herbeiführung eines deutsch-polnischen Bündnisses oder auch nur Einvernehmens damals [1918] gescheitert. Aber die beiden Männer, die das deutsche und polnische Volk als ihre Führer anerkennen [Hitler und Pilsudski], haben unter völlig veränderten Verhältnissen und Voraussetzungen eine Verständigung angebahnt, die Dauer und Erfolg erhoffen lässt und darüber hinaus der gesamten europäischen Politik neue Wege gewiesen hat.[14]

... Bis heute stellen Huttens Mémoiren eine sozial- und kulturgeschichtliche Quelle ersten Ranges dar; Historiker wie Nicolaus Sombart haben sie ausgiebig für ihre Studien herangezogen[15].

  • Ein Kampf ums Recht. Der Prozess um die Herrschaft Romsthal, Berlin 1930.
  • Sechzig Jahre Politik und Gesellschaft, 2 Bde., Berlin 1936.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Vgl. Sechzig Jahre I, S. 45 f.
  2. Vgl. Sechzig Jahre I, S. 37 ff.
  3. Vgl. Sechzig Jahre, S. 183.
  4. Vgl. Sechzig Jahre I, S. 52.
  5. Vgl. Stephan Malinowski, Vom König zum Führer, Frankfurt/Main 2004, S. 140, 168: "Die formale 'Hoffähigkeit' ließ sich demonstrativ in ihr Gegenteil verkehren, indem Bleichröders Tochter Else von den adligen Gardeoffizieren demonstrativ geschnitten wurde."
  6. Vgl. Sechzig Jahre, S. 63.
  7. Vgl. Sechzig Jahre, S. 105.
  8. Vgl. Sechzig Jahre, S. 113.
  9. Vgl. Sechzig Jahre, S. 136.
  10. Vgl. Sechzig Jahre I, ...
  11. Vgl. Sechzig Jahre II, S. 232.
  12. Vgl. Sechzig Jahre I, S. 186.
  13. Vgl. Sechzig Jahre I, S. 57.
  14. Vgl. Sechzig Jahre I, S. XIX.
  15. Vgl. Arno Widmann, Die Gabe, auf: perlentaucher.de, Vom Nachttisch geräumt, 17. Juni 2003.