Benutzer:MBq/WikiCon2021

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Meine Notizen zur Podiumsdiskussion über Bezahltes Schreiben im (unter Corona-Abstandsregeln) vollbesetzen Kaisersaal Erfurt, 3. Oktober 2021.

Einführungsreferat

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(MBq) Eine gute Übersicht zum Bezahlten Schreiben hat Benutzer:Dirk_Franke_(WMDE) 2013 bei seinem Communityprojekt erarbeitet. Er hat damals ein ganzes Jahr lang Treffen und Workshops gemacht mit Befürwortern, Gegnern, und Agenturleuten. Informativ ist vor allem sein alter Blog https://grenzenderbezahlung.tumblr.com, und der immer noch “vorläufige” Bericht unter dem Titel Offenheit und Kontrolle (1.9.2014).

Hauptergebnis
Bezahltes Schreiben ist zunehmende Realität.
  • Von selbst kommen: beauftragte Mitarbeiter von Unternehmen / einzelne Wikipedianer die ihnen gegen Gegenleistungen helfen / Social-Media-Agenturen / spezialisierte Wikipedia-Agenturen.
  • Von uns selbst initiiert kommen: Fotoprojekte, Kooperationen mit GLAMs (Galerien, Bibliotheken, Archive und Museen), Wikipedians in Residences usw.
Warum ist das für viele Wikipedianer ein Problem?

Weil das Grundprinzip “Wikipedia ist offen für jeden” (You can edit this page right now.), also auch für Bezahlte, gegen zwei anderen Grundprinzipien stößt: 1. Wikipedia ist neutral, Wikipedia wird verschenkt.

Werbeschreibe, geschönte Biografien, Firmen-POV, Themenlenkung zugunsten marktfähiger Themen. Der Ruf der Wikipedia leidet. Es geht dabei nicht um einzelne Interessenkonflikte, sondern vor allem um die systematische, vorsätzliche Missachtung des neutralen Standpunkts. Zitat Benutzer:Minderbinder 26.7.2013: “Bezahltes Schreiben und Interessenkonflikt ist nicht dasselbe. Eine enge persönliche Beziehung zum Gegenstand haben auch die Pufferküsser, Panzerliebhaber, Band-Anhimmler. Diese Menschen sind aber kein Problem, im Gegenteil: ihre Lust am Beschreiben der Gegenstände, die ihnen persönlich viel bedeuten, ist der Treibstoff, der die WP groß gemacht hat.” Oder Benutzer:kkf 10.4.2013: “paid or not paid ist hier nicht die Frage, die Frage ist Korruption.”

Unser Projekt beruht auf Schenken. Wir geben unsere Zeit und unser Wissen ohne Gegenleistung. Wenn einige Wikipedianer für Tätigkeiten bezahlt werden, die andere umsonst machen, ist das ungerecht. Es mindert die Motivation der Freiwilligen. Die Struktur der Community könnte sich ändern. Zitat von Benutzer:Kleiner_Stampfi 25.2.2013: “Zum Vergleich könnte man sich das WWW anschauen, das einst anfing als reines Amateurnetz für Akademiker, Technikfreaks und Nerds, für idealistische Pioniere und ‘Entdecker’ ... frei von Zensur, von Kommerz, und von PR-Interessen. Und wo steht das Web heute?”

Warum ist es für viele andere Wikipedianer kein Problem?

Nicht alle Wikipedianer:innen sind gleichermaßen vom Bezahlten Schreiben betroffen. Das hängt damit zusammen, dass bezahltes Schreiben fast nur in drei Themenfeldern stattfindet: Lebende Personen, Firmen, und Produkte. Die Autorengemeinschaft in anderen Gebieten ist kaum beeinträchtigt.

Anonymität und der Schutz persönlicher Daten sind uns wichtig. Einschränkungen wären nur wirksam durchzusetzen, wenn man die Anonymität der betroffenen PEs erheblich einschränkt.

GLAM-Kooperationen sind uneingeschränkt erwünscht und sollen nicht behindert werden. Aber es darf auch keine Museumswerbung werden. Den Idealfall dafür hat Dirk Franke sinngemäß so formuliert: Ein nichtkommerzielles Archiv bezahlt transparent Experten, die keine Wikipedianer sind, für unparteiische Artikelarbeit mit dem archivierten Werken

Chronologie
  • 2012-13 enwiki: WikiPR Investigation (~250 Socken,cease-and-desist-Letter) [1]
  • 2012 J. Wales’ Bright line rule (PEs sind _nur_ Diskussionsbeiträge erlaubt) [2]
  • WMF ergänzte ihre Nutzungsbedingungen um die Vorschrift, dass bezahlte Edits offengelegt werden müssen. [3]
  • 2014 WMF: Mitarbeiterin der WMF wegen PE entlassen [4]
  • 2015 enwiki: Wifione ArbCom case (Admin als PE entlarvt) [5]
  • 2015 enwiki: Orangemoody-Vorfall (~400 Socken) [6]
  • 2015 dewiki: "Psychologie-aktuell-Autorenkollektiv" [7]
  • 2016 frwiki: Racosh Sàrl (verdecktes PE durch WMCH-Vorstandsmitglieder) [8]
  • 2020 dewiki: Weltraumagentur (3 Dutzend Sockenpuppen) [9]
  • 2021 dewiki: SEO Wien [10]
  • 2021 dewiki: "Women Writing Wiki" [11]
  • 2021 dewiki: Olaf Kosinsky [12]

Es scheint so zu sein, dass die Frequenz der Vorfälle zunimmt und auch zumindest im laufenden Jahr auch die Intensität, mit der unsere Community das Thema behandelt.

  • 1-2/2020 Wikipedia:Umfragen/Paid Editing (Habitator terrae): PEs markieren? Im Artikel eher nein, Markierung in der Versionsgeschichte eher ja. Benutzer:Superbass 8.2.2020: „Bezahltes Arbeiten stößt systematisch in Lücken, in denen wir schlecht besetzt sind. … Unternehmens-, Personen- und Produktthemen sind je nach Fachbereich kaum durch freiwillige Fachleute abgedeckt, so dass fachliche Schieflagen schon jetzt kaum zur Kenntnis genommen und qualifiziert nachbearbeitet werden.“
Der gegenwärtige Stand ist

Die Community ist zu großen Teilen, allerdings nicht vollständig gegen das bezahlte Schreiben. Da es kein generelles Verbot gibt, begrenzen wir es mit anderen Mitteln: mit der Eingangskontrolle, mit den Relevanzkriterien, mit dem Sammeln von Verdachtsfällin im WP:UBZ (Wikiprojekt Umgang mit Bezahltem Schreiben, und mit Unfreundlichkeit, kurz gesagt mit „konsequenter unbegründeter Willkür“ (Dirk Franke).

Protokoll der Diskussion

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Nach meinen Notizen, wenn ich was verpasst oder falsch erinnert habe, bitte korrigieren. Namen der Zuschauer nur erwähnt wenn von ihnen selbst genannt. --MBq Disk 15:10, 5. Okt. 2021 (CEST)

Podium
  • Benutzer:Valanagut will keinerlei Einschränkungen für bezahltes Schreiben. Die Wikipedia habe ein Monopol im Enzyklopädie-Markt erlangt und müsse deshalb jedem Marktteilnehmer den gleichen Zugang gewähren, dürfe niemanden benachteiligen. Zum aktuell diskutierten Verbot gegen Werbeagenturen meint er, die systematische Suche nach Agenturen werde die menschliche Zusammenarbeit unmöglich machen.Er plädiert für eine Community, die sich nicht dauernd streitet.
  • Benutzer:Lutheraner schätzt durch seine tägliche Erfahrung die Probleme mit Agenturen sehr groß ein, hält das vorgeschlagene Verbot aber für taktisch wirkungslos. Damit trieben wir die Leute nur in den Untergrund. Eher könne es helfen, wie in der englischen Wikipedia Neuanlagen im Artikelnamensraum nur für länger angemeldete Benutzer zuzulassen, oder nicht deklariertes bezahltes Schreiben schnell und scharf zu sanktionieren. Es gebe auch “saubere” Agenturen, die ordentlich angeben, was sie tun. Er fordert eine langfristig wirksame Strategie anstelle schneller Verbote, ähnlich dem Umgang der Gesellschaft mit Cannabis (Applaus).
  • Benutzerin:Itti bestätigt, dass es Bereiche gibt, in denen Unternehmensmitarbeiter sinnvoll mitarbeiten, etwa bei der Aktualisierung von Geschäftszahlen. Im GLAM-Bereich sei die Kooperation definitiv von uns gewünscht, sollte sogar ausgebaut werden. Aber es gebe auch große Probleme. Sie berichtet von der gerade sprachübergreifend koordinierten Aufdeckung einer großen Kontenfamilie, die eine bisher nicht bekannte SEO-Farm seit Nov. 2020 mit verschleiernden Namen und Benutzerseiten angelegt habe, um global ihre Weblinks unterzubringen [13]. Man müsse den PR-Agenturen, auch den soliden Unternehmen, Grenzen setzen, da sie viel Arbeit der Freiwilligen verursachten (Applaus).
  • Benutzerin:Siesta gibt Itti recht. Werbetreibende sollten keine Beratung durch ehrenamtliche Wikipedianer in Anspruch nehmen. Sie betont außerdem die Problematik von verdeckter politischer Propaganda. Sie sei selbst schon auf den sozialen Medien von Politikern angefragt worden.
  • Valanagut wendet ein, dass die Agenturen nicht anders handeln könnten, da Google die hohe Gewichtung der Links auf Wikipedia vorgegeben habe. Lutheraner meint, dafür sehe er keine Zuständigkeit. Siesta erwähnt die Blacklist. Einträge dort belasteten das SEO-Ranking eines Unternehmens extrem negativ.
Offene Diskussion
  • Ein Zuschauer berichtet von seinem Kontakt mit einer deklarierten Agenturmitarbeiterin. Ob sie künftig nicht mehr so arbeiten dürfte? (Ja, falls im MB eine Mehrheit zustimmt). Er schlägt vor, dass WMDE mit hauptamtlichen Mitarbeitern oder mit finanziellen Entschädigungen die Freiwilligen unterstützt. Itti: mithelfen ja, aber ehrenamtliche Wikipedianer bezahlen geht gar nicht (Applaus).
  • Ein anderer Zuschauer outet sich als Werbetexter. 4% seiner Edits seien korrekt deklariertes bezahltes Schreiben. Der Rest sei Hobby, aber da er deklariert habe, werde ihm ungerechtfertigt Lobbyismus unterstellt.
  • Ein weiterer Zuschauer möchte nicht die Akteure, sondern das Geschäftsmodelle des Paid Editing (PE) angreifen. Das Geschäftsmodell könne effektiv zerstört werden, wenn man die Artikel “zur Strafe” löschen dürfte ungeachtet ihres Inhalts. (Derzeit kein gültiger Löschgrund)
  • Aus dem Chat kommt die Frage, ob Selbstdarsteller von dem angedachten Verbot auch betroffen wären. Itti: Artikel über die eigene Person/Firma bearbeiten bliebe weiterhin erlaubt, sei aber nicht angeraten wegen der unauflöslichen Interessenkonflikte. MBq: kein PE, wenn kein Auftrag besteht, kein Geld fliesst. Lutheraner: ...oder immaterielle Vergütung.
  • Ein Zuschauer fragt, ob die von Itti berichteten Verschleierungskonten unter “Vandalismus” fallen? Itti: sobald sie anfangen, ihre SEO-Links als Einzelnachweis getarnt unterzubringen.
  • Dirk Franke (s.o.) stellt sich vor und meint, die Regeln seien zu widersprüchlich, im Graubereich herrsche Willkür und Aggressivität. Er sei dafür, klare Regeln und einheitliche Handlungsregeln zu schaffen, egal welche.
  • Ein Zuschauer kommt nochmals auf die schon angesprochene Variante “politisches PE” zurück. Lutheraner: ja, von Parteien, aber auch von NGOs kommt häufig Werbung. Wir sollen uns nicht mit einer Sache gemein machen, egal wie gut sie sei. Siesta: jede/r hat politische Ansichten, und jede/r schreibt über das, was ihm/ihr am Herzen liegt. Aber es gebe auch einen "Informationskrieg", also systematische Manipulationen zur Meinungsbeeinflussung. Valanagut wirft ein, ehrenamtliche Autoren mit politischer Agenda und “mit viel Zeit” seien schlimmer als bezahltes Schreiben. Ein Zuschauer erwähnt einen ihm bekannten Fall von undeklariertem politischem Lobbyismus (INSM) und schlägt ein Lobbyregister vor.
  • Auf eine Zuschauerfrage nach den “Abmahnfallen” (bezieht sich auf Vorgänge um auf Wikmedia:Commons angebotene Fotos) meint Itti, die angesprochenen Geschäftsmodelle seien unfein, aber die Urheberrechte seien eben einzuhalten und die Angelegenheit schwierig zu bewerten.
  • Ein Zuschauer berichtet, er als Mentor habe keine Lust, PR-Accounts beim Artikelschreiben zu helfen, andere machten dies aber durchaus gern. Er wünscht sich ebenfalls klare Regeln. Itti: das wäre im Mentorenprogramm intern zu entscheiden. Lutheraner kann gutwillige Mentoren verstehen, aber speziell die dreisten Paid Editors solle man besser “auflaufen lassen”. Itti: richtig, man verliere die Freude, wenn man versuche offensichtlich interessengeleiteten Neulingen zu helfen. Eine Zuschauerin stellt sich als Präsidiumsmitglied der WMDE vor. Sie fürchtet um das Mentorenprogramm, das sehr wichtig für Wikipedia sei, und bietet an, Mentoring-Anfragen zumindest von offenen Paid Editors an die Geschäftsstelle weiterzuleiten.
  • Ein Zuschauer vermisst Selbstkritik; die Probleme kämen von unserer eigenen “Wachstumsideologie”. Wenn man bedeutsam und einflussreich sein wolle, handle man sich solche Probleme zwangsläufig ein (Applaus). Valanagut: genau, das von uns selbst geschaffene Monopol ist das Grundproblem. Itti: aber niemand wird gezwungen, in die Wikipedia zu schreiben (Applaus). Die letzte Wortmeldung aus dem Publikum wiederholt und unterstreicht das Argument von Valanagut, der Markt zwinge die Unternehmen dazu, in Wikipedia aktiv zu werden.
  • MBq resümiert, es habe ein breites, repräsentatives Meinungsspektrum gegeben und dankt den Veranstaltern, dem Podium, den Rednern aus dem Publikum, der Technik, und den Zuschauern für ihr großes Interesse.

--MBq Disk 15:10, 5. Okt. 2021 (CEST)