Benutzer:Norbert Dragon/Bellsches Raumschiffparadoxon

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Das bellsche Raumschiffparadoxon ist ein scheinbares Paradoxon zur Längenkontraktion in der Relativitätstheorie, das 1976 von John Stewart Bell beschrieben wurde. Die zugrunde liegende Fragestellung wurde allerdings schon seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts analysiert und 1959 von E. Dewan, M. Beran publiziert.

Die Längenkontraktion

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Die Längenkontraktion, auch Lorentzkontraktion genannt, ist ein Phänomen der relativistischen Physik. Jeder bewegte Maßstab ist in Bewegungsrichtung kürzer als ein gleicher, ruhender Maßstab. Diese Verkürzung entzieht sich unserer Alltagserfahrung, da sie sich erst bei Geschwindigkeiten bemerkbar macht, die im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit ins Gewicht fallen.

Der Vorgang aus der Sicht des ruhenden Beobachters: Oben die beiden Raketen beim Start und unten bei 60 % der Lichtgeschwindigkeit. Der Abstand L bleibt gleich, die beiden Raketen und das Seil erfahren dagegen eine Längenkontraktion auf 80 % ihrer Länge im Ruhezustand, so dass das Seil reißt.

John Bell betrachtete dazu das folgende Gedankenexperiment: Zwei Raumschiffe beginnen, von einem ruhenden Beobachter gesehen, gleichzeitig aus dem Stand heraus zu beschleunigen und zwar in Richtung ihrer Verbindungslinie. Zwischen beiden ist ein Seil gespannt, das bei der geringsten Dehnung reißt. Reißt das Seil, wenn seine Befestigungspunkte und jedes Teilstück des Seils in genau gleicher Weise bis zur selben Endgeschwindigkeit beschleunigt werden?

Antwort: Da die Befestigungspunkte gleich beschleunigt werden, bleibt ihr Abstand für den ruhenden Beobachter unverändert. Das Seil ist bewegt und wegen der Längenkontraktion kürzer als in Ruhe. In Ruhe muss es daher länger als sein, um vom einem Befestigungspunkt zum anderen zu reichen. Das Seil reißt.

Dies Ergebnis erscheint paradox. Aus Sicht der Raketenbesatzungen ändert sich bei gleicher Beschleunigung ihr Abstand nicht. Aus ihrer Sicht ruht das Seil, ändert also auch nicht seine Länge und reißt nicht.

Der Widerspruch besteht aber nur scheinbar, denn aus der Sicht der Besatzungen sind beide Beschleunigungen nicht gleich. Für beide Besatzungen beschleunigt die hintere Rakete langsamer und erreicht erst nach der vorderen Rakete ihre Endgeschwindigkeit. Wird beispielsweise jedes Triebwerk zweimal kurz gezündet, und finden beide Schubphasen für den ruhenden Beobachter gleichzeitig statt, dann findet der zweite Schub für die dann schon bewegten Besatzungen nicht gleichzeitig statt, sondern bei der vorderen Rakete früher als bei der hinteren. Die Schübe ereignen sich aus Sicht der Besatzungen bei der vorderen Rakete in kürzerer Zeit, sie ist in kürzer Zeit beschleunigt und daher am Ende bei gleicher Endgeschwindigkeit weiter von der hinteren Rakete entfernt als vor der Beschleunigung. Auch beide Besatzungen sehen daher das Seil reißen.

Bereits 1959 beschrieben E. Dewan und M. Beran eine Variante des zugrunde liegenden Problems korrekt. Das Ergebnis wurde in von Zeit zu Zeit wieder aufkommenden Debatten in Frage gestellt. 1962 veröffentlichte P. J. Nawrocki einen Aufsatz, der der Analyse von E. Dewan und M. Beran widersprach. E. Dewan verteidigte seine Analyse 1963. 1976 und 1987 beschrieb J. S. Bell das Problem, das seitdem das bellsche Raumschiffparadoxon genannt wird. T. Matsuda und A. Kinoshita berichteten 2004 von einer regen Kontroverse in japanischen Physik-Journalen, nachdem sie dort eine Beschreibung des Paradoxons und die Standarderklärung veröffentlicht hatten. Im gleichen Jahr schrieb der Physiker J. H. Field in einem Aufsatz, dass sowohl die Länge des Seils als auch der Abstand der beiden Raumschiffe im mitbewegten Bezugssystem konstant bleibe. Das bedeute, dass durch die Lorentzkontraktion das Seil und der Abstand der Raumschiffe für den ruhenden Beobachter gleich verkürzt seien und das Seil nicht reiße. Dieser Aufsatz und weitere Arbeiten von Field, die Standardergebnisse der speziellen Relativitätstheorie in Frage stellten, wurden aber nicht zur Veröffentlichung angenommen.

Siehe auch: Ehrenfestsches Paradoxon

  • E. Dewan, M. Beran: Note on stress effects due to relativistic contraction. American Journal of Physics, Bd. 27, Nr. 7, S. 517–518 (1959). doi:10.1119/1.1996214
  • P. J. Nawrocki: Stress Effects due to Relativistic Contraction. American Journal of Physics, Bd. 30, Nr. 10, S. 771–772 (1962). doi:10.1119/1.1941785
  • E. M. Dewan: Stress Effects due to Lorentz Contraction. American Journal of Physics, Bd. 31, Nr. 5, S. 383–386 (1963). doi:10.1119/1.1969514
  • J. S. Bell: How to teach special relativity. Progress in Scientific Culture, Bd. 1, Nr. 2 (1976)
  • J. S. Bell: Speakable and unspeakable in quantum mechanics. Cambridge University Press (1987), ISBN 0521523389 (enthält den obigen Aufsatz von Bell von 1976)
  • H. Nikolic: Relativistic contraction of an accelerated rod. Am. J. Phys. 67, S. 1007 (1999). physics/9810017
  • T. Matsuda, A. Kinoshita: A Paradox of Two Space Ships in Special Relativity . AAPPS Bulletin, Bd. 14, Nr. 1, S. 3-7 (2004). PDF

Nicht angenommener Artikel

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  • J. H. Field, On the Real and Apparent Positions of Moving Objects in Special Relativity: The Rockets-and-String and Pole-and-Barn Paradoxes Revisited and a New Paradox. physics/0403094