Benutzer:Pitichinaccio/Baustelle/Embryons desséchés

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Holothurie

Embryons desséchés (‚Vertrocknete Embryonen‘) ist eine dreisätzige Komposition für Klavier des französischen Komponisten Erik Satie, die im Sommer 1913 entstand. Die Titel der drei wenige Minuten kurzen Klavierstücke ergänzen den Werktitel jeweils um den Genitiv eines zoologischen Taxons. Die Stücke porträtieren somit unterschiedliche Meerestiere, die der Komponist in einer kurzen Einleitung beschreibt. Wie bei fast allen Klavierwerken Saties sind in den Notentext zahlreiche Bemerkungen beigefügt, die gleichsam ein ‚Programm‘ zur Musik beschreiben und hier auf die Parodien damals populärer Stücke hinweisen, die die Musik prägen. Insgesamt gilt der Zyklus als ironische Parodie auf die in Spätromantik und Impressionismus beliebten Tierporträts in der Musik.

Werkbeschreibung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Satzfolge der Embryons desséchés folgt dem Schema einer kleinen, dreisätzigen Sonate. Die beiden schnellen Ecksätze umrahmen einen langsamen, dreiteiligen Mittelsatz. Saties Einleitungstexte erwecken den Eindruck, die Musik beschreibe im Sinne impressionistischer Klavierstücke Eindrücke und Stimmungen, die Musik setzt das angedeutete Programm jedoch nur mit den Mitteln der literarischen Assoziation und des parodierenden Zitats um.

Erster Satz: d’ Holothurie

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Einleitung beschreibt Satie die Holothurie, also die Seegurke, als Felsen bewohnendes Tier, das wie die Katze schnurrt und einen ekligen Seidenfaden produziert. Seine Bemerkung, er habe eine Holothurie in der Bucht von Saint-Malo beobachtet, weist auf das in dem Stück zitierte Salon-Lied Mon rocher de Saint-Malo (‚Mein Felsen von Saint-Malo‘) der Sängerin Loïsa Puget.

Liedzitat „Mon rocher de Saint-Malo“

Das – wie alle Sätze des Werks – ohne Taktstriche notierte Stück in C-Dur ist durch schnelle Sechzehntel-Bewegungen geprägt (Tempobezeichnung: Allez un peu ‚ein wenig voran‘), die im Kontrast zur tatsächlich langsamen Bewegungsart der Seegurke stehen. Die Anmerkungen im Notentext beschreiben den Tagesablauf einer Seegurke an einem regnerischen Tag. Hinzu kommen Vortragsanweisungen wie „comme un rossignol qui aurait mal aux dents“ (‚wie eine Nachtigall, die Zahnschmerzen hat‘). Außerdem kommt die Seegurke selbst zu Wort: Zu den Zitaten des erwähnten Liedes sind die Aussprüche „Welch hübscher Felsen!“ und „Das war ein recht hübscher Felsen! schön klebrig!“ eingefügt. Weiters wird im Notentext vermerkt, wo das Tier „schnurrt“. Nach einem abschließenden Kommentar des Tieres („Ich habe keinen Tabak. Glücklicherweise rauche ich nicht.“) parodiert Satie die pompösen Schlussformeln romantischer Literatur durch 18 G-Dur-Schlussakkorde.

Zweiter Satz: d’ Edriophthalma

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Vorwort zu diesem Satz beschreibt Satie eine Gruppe von Krustentieren mit fest sitzenden, unbeweglichen Augen. Sie seien von „sehr traurigem Naturell“ und verbringen ihre Zeit in gebohrten Löchern in den Felswänden. Der Begriff stammt aus einer Klassifikation der Krustentiere aus dem 19. Jahrhundert [1] und ist nach heutiger Taxonomie obsolet.

„Zitat der berühmten Mazurka von Schubert“

In den Bemerkungen im Notentext wird die Versammlung einer äußerst traurigen Edriophthalma-Familie geschildert, in der die Ansprache des Familienoberhaupts alle Verwandten zum Weinen rührt.

Das Stück in a-moll mit der Vortragsangabe sombre ‚düster‘ ist die Parodie eines Trauermarsches. Die dreiteilige Liedform mit C-Dur-Mittelteil folgt dem Formschema zahlreicher Mittelsätze der romantischen Sonatenliteratur. Schon die punktierten Rhythmen des A-Teils erinnern an den Trauermarsch aus der Zweiten Klaviersonate von Frédéric Chopin. Im Mittelteil, der die Reaktion der Versammlung auf die Rede des Familienvaters beschreibt („Sie fangen alle an zu weinen“), werden acht Takte aus dem Mittelteil des Chopin’schen Trauermarschs direkt zitiert, aber mit einer äußerst simplen Begleitfigur und einem volksmusikähnlichen Schlussformel banalisiert. Satie ironisiert das Chopin-Zitat zusätzlich durch die Bemerkung „(Zitat der berühmten Mazurka von Schubert)“.

Dritter Satz: de Podophthalma

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
La-Royale-Zitat mit der Anweisung „um das Wild zu verzaubern“

Die Podopohthalmata werden von Satie als Krustentiere mit beweglichen Stielaugen beschrieben, die in allen Meeren vorkommen. Sie seien geschickte, unersättliche Jäger und eine geschätzte Speise. Wie die Edriophthalma sind sie keine Spezies, sondern eine Gruppe der Krustentiere nach dem Stand des 19. Jahrhunderts.

Das schnelle Stück (Tempobezeichnung: Un peu vif ‚ein bisschen lebhaft‘) gibt sich als Jagdstück in der Jagdtonart F-Dur mit einem 6/8-Mittelteil in C-Dur. Die hier zitierten Musiken sind ein Chanson de l’orang-outang aus der Operette La Mascotte von Edmond Audran sowie ein französisches Jagdsignal namens La Royale.

Satie komponierte die drei Stücke innerhalb einer Woche, zwischen dem 30. Juni und dem 4. Juli 1913.


Der amerikanische Komponist John Cage, einer der bedeutendesten Komponisten der Avantgarde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und großer Verehrer Saties, spielte mit dem Pianisten Jack Behrens eine Aufnahme der Embryons desséchés ein, bei der er als „Erzähler“ Saties Texte zu der Musik las[2].

  • Steven Moore Whiting: Satie the bohemian: from cabaret to concert hall, Oxford (Oxford University Press) 1999, ISBN 0198164580, Kapitel über die Embryons desséchés auf den Seiten 367–377

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Klassifikation der Krustentiere nach Henri Milne Edwards (Histoire naturelle des crustaces comprenant l'anatomie, la physiologie et la classification de ces animaux) von 1834-1840
  2. Vorstellung der CD bei johncage.info

en:Embryons desséchés ja:胎児の干物