Benutzer:RoLeiLengs/Baustellle

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Die Schulvereinigung in der Stadt Lengsfeld 1850

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Die Stadt Lengsfeld schrieb 1850 im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach Schulgeschichte. Die christliche und jüdische Schule der Stadt schlossen sich zur vereinigten Bürgerschule zusammen. Das war beispielhaft auch für die anderen deutschen Länder und Fürstentümer. Diese Schulvereinigung war ohne die Emanzipationsbestrebungen der Juden in den deutschen Fürstentümern zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht denkbar.

In der Stadt Lengsfeld befand sich eine der größten jüdischen Gemeinden im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Hier lebten um das Jahr 1800 etwa 800 Juden. Das war die größte Konzentration jüdischer Menschen im ländlichen Raum in den damaligen deutschen Staaten und Fürstentümer. Seit etwa dem Jahr 1824 ist die Stadt Lengsfeld Sitz eines Landrabbinates. Die Gemeinde hatte eine Synagoge, einen Friedhof, eine Mikwe und eine Schule. Letztere wurde im Jahr 1799 erstmalig erwähnt. Mit Sicherheit aber ist anzunehmen, dass es lange davor eine jüdische Schule gegeben hat. Vom städtischen Schulhaus gibt es schon 1659 aktenkundige Erwähnung. Im Jahr 1806 wurde auch die Stadt Lengsfeld von den Franzosen unter Napoleon besetzt. Die Stadt wurde Hauptort des gleichnamigen Kantons und Sitz eines Friedensgerichtes im Distrikt Hersfeld des Departements an der Werra im napoleonischen Königreich Westphalen. Nun war das Französische Gesetzbuch (Code civil) gültig. Es sicherte unter anderem den Juden den Status eines Bürgers. Sie hatten die gleichen Rechte (und auch Pflichten) wie die anderen Bürger. Aber: „Die Juden der zum Königreich Westfalen gehörenden Gebiete … erlangten zwar mit dem Dekret vom 27. Januar 1808 die völlige Gleichstellung, doch wurden diese nach der Niederlage Napoleons und der Auflösung des Königreiches wieder zurückgenommen.“[1] Der Prozess zur Emanzipation der Juden aber war in Gang gesetzt und ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Berührungsängste zwischen den beiden Religionen gingen auch in der Stadt Lengsfeld immer mehr zurück. Das kam auch in einem Artikel in der Zeitschrift „Der Israelit des 19. Jahrhunderts“ vom 29. November 1840 zum Ausdruck, der anlässlich der Übergabe des neuen jüdischen Schulhauses veröffentlicht wurde. Der Autor dieses Artikels würdigte ausdrücklich die Teilnahme der ganzen christlichen Bevölkerung an diesem Ereignis und hob hervor, dass der Großherzog selbst eine bedeutende Summe zur Errichtung des neuen Schulhauses beigesteuert hatte. Es waren an diesem Tage und zu dieser Feier nicht nur „sämtliche Honoratioren der Stadt, sondern auch eine große Volksmenge“ anwesend. Die Chöre der evangelischen und der jüdischen Gemeinde sangen gemeinsam Choräle. Lobende Worte fand der Verfasser für den Superintendenten und Kirchenrat Dr. Christian Schreiber für seine Unterstützung. Die ganze Bevölkerung des Ortes hätte diesen denkwürdigen Tag bei fröhlichem Beisammensein ausklingen lassen. In der Stadt Lengsfeld waren auch Juden an führender Stelle daran beteiligt, die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit und die Beseitigung der Feudallasten gegenüber den Freiherren von Boineburg und von Müller in der Volkserhebung im Jahr 1848 zu erzwingen.[2] Aber erst im Jahr 1850 wurde im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach den Juden das Lokal- und Staatsbürgerrecht ohne größere Einschränkungen gewährt. So durften sie nun wählen und gewählt werden. Die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ meldete am 19.11.1867: „Dieser Tage wurde im Großherzogthum Sachsen-Weimar der erste Jude in der Person des Commerzienrathes Rosenblatt aus St. Lengsfeld als Landtagsabgeordneter gewählt; auch sein Gegencanditat Adv. Katzenstein aus Eisenach war Jude.“

Die Ausgangssituation

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Ende November 1848 starben an der christlichen Schule zwei Lehrer. Unterrichtsausfall und Klassenzusammenlegungen waren die Folgen Unter den Einwohnern entstand der Wunsch, die christliche Schule und die jüdische Schule zu einer einzigen zusammenzuschließen. Aber auch in der jüdischen Gemeinde wurden Stimmen laut, neue Wege zu einer besseren Schulbildung aller Kinder des Ortes zu gehen. Diese Männer erkannten, dass die schleichende Verödung des Ortes ihre Ursache auch in einer mangelhaften Schulbildung ihrer Kinder hatte. So unternahm der in Lengsfeld residierende Großherzogliche Weimarsche Landrabbiner Dr. Heß im Jahr 1841 den Versuch, ein Erziehungsinstitut zu eröffnen, „… das die höhere Bildung des künftigen Kaufmanns, des Künstlers und überhaupt aller derer, welche dereinst einen solchen Beruf, der keine eigentlichen Universitätsstudien erfordert, treten wollen, zum Zwecke hat. Die Unterrichtsgegenstände werden daher sein: Religion und Erklärung der Bibel, die neueren Sprachen, kaufmännische Buchhaltung, Arithmetik, Geometrie, Statistik, Naturwissenschaften, Technologie, Zeichnen und Musik, sowie für diejenigen, welche sich dem Universitätsstudium widmen wollen, griechische und lateinische Sprache, so weit, dass sie später in die ersten Klassen eines Gymnasiums eintreten können…“[3] Die üblen schulischen Umstände in der Stadt Lengsfeld veranlassten den Weimarer Oberkonsistor einzuschreiten. „Das Konsistorialamt Lengsfeld wurde … beauftragt, entsprechende Schritte einzuleiten und Bericht zu erstatten“.[4] Das Großherzogliche Staatsministerium für öffentliche Schulsachen nahm sich der Sache an, indem es ausdrücklich forderte und dem Konsistorialamt in Lengsfeld empfahl, die gemeinsame Schule zu fördern. Am 7. Februar 1850 ging der Bericht des Konsistorialamts Lengsfeld in Weimar ein. In diesem Bericht stand: „… der hiesige Stadtrath hat sich mehrfach gegen (eine) Vereinigung der Schulen ausgesprochen …“. Zur Begründung gab der Stadtrat an, dass der Wille der jüdischen Gemeinde zur Schulvereinigung nur daraus entspränge, den jüdischen Lehrern Gehaltserhöhungen zu verschaffen, die zu Lasten der Stadtkasse gingen. Auch wenn die jüdische Gemeinde das bestritt, der Stadtrat würde dieses Dementi bezweifeln und bei seiner Ablehnung bleiben. Allerdings zog sich der Stadtrat nicht gänzlich aus diesem Vorhaben zurück und überließ die Entscheidung über die Schulvereinigung „zu höchster Entscheidung“. Von der Ephorie und vom Schulamt trafen auch Vorschläge zu dieser Sache in Weimar ein: beide befürworteten die Vereinigung und rügten die Versuche, die Kosten für die Schulvereinigung auf die jeweils andere Gemeinde abzuwälzen. Sie gaben in ihren Berichten die Meinung der Mehrheit aller Einwohner des Ortes wieder. Diese Mehrheit sei für eine Vereinigung der beiden Schulen, um die unerträgliche Schulsituation zu verbessern und der zunehmenden Demoralisierung der Jugend entgegenzuwirken.

In diesen widersprüchlichen Berichten aus der Stadt Lengsfeld zur Schulvereinigung sah das Ministerium des Kultus in Weimar eine Chance, diese Sache doch noch zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Sie schickte den Justizrat Zwez mit „ausgedehnter Vollmacht“ zu Verhandlungen in die Stadt Lengsfeld. Er kannte die Verhältnisse und die maßgeblichen Personen am besten, war er doch seit dem 30. Dezember 1833 als Justizbeamter im Amtsgericht der Stadt Lengsfeld tätig gewesen.[5] Zwez traf am 11.02. 1850 in der Stadt Lengsfeld ein und konnte schon am 02.03.1850 nach Weimar melden, dass die Schulvereinigung beschlossene Sache sei. Auf Grund seiner „ausgedehnten Vollmachten“ konnte er versichern, dass sich an der Besoldung der Lehrer nichts ändern werde. Damit waren die Befürchtungen vom Tisch, eine Schulvereinigung würde der Stadt höhere Kosten auftragen. Er versprach der Stadt die Einrichtung eines 5. Klassenraumes sowie eine bessere Ausstattung der schon bestehenden Räume. Das Großherzogliche Staatsministerium des Kultus unterstützte auch die Stadt Lengsfeld zur Bildung eines jährlichen Fonds, der dem Lehrerkollegium zur Verbesserung der Lehrmittel zur eigenen Verfügung stand. Die Staatsregierung hatte bei der Besetzung und Bezahlung der Lehrstellen freie Hand. Somit waren auch die Vorbehalte zerstreut, das sich die beiden Gemeinden in dieser Sache bevorteilen. Entscheidend für den Durchbruch dürfte auch die durch Zwez einberufene und durchgeführte Versammlung beider „Urgemeinden“ am 24.02.1850 gewesen sein. Im Ergebnis dieser Versammlung wurde folgender Beschluss gefasst „… daß sowohl von der christlichen Gemeinde als auch von der israelitischen je vier Ausschußmitglieder gewählt werden, welche von ihren bezüglichen Gemeinden mit unumschränktem Auftrage und Vollmacht versehen, den Verhandlungen über die Vereinigung der christlichen und israelitischen Schule beizuwohnen und gültige, ihre Gemeinden bindenden Beschlüsse in dieser Angelegenheit zu fassen haben, sowie, daß die Abstimmung eine geheime sein solle.“[6] Die jüdische Gemeinde wählte Ruben Ruppel, Sandel Rosenblatt, Tobias Stiebel I und Mendel Kahn, die christliche Gemeinde wählte Postexpeditor Handschuhmacher, Johann Adam Knieriem (Bürgermeister), August Märker (zeitweise Bürgermeister) und den Rentverwalter Waiz zu Ausschussmitgliedern. Zwez setzte einen einzigen Punkt auf die Tagesordnung des Ausschusses:  Die Großherzogliche Staatsregierung nimmt sich der Verbesserung des hiesigen Schulwesens an, wenn eine Vereinigung der christlichen und jüdischen Schulen erfolgt. Dann legt er die Versprechungen der Großherzoglichen Staatsregierung vor, wie sie schon oben genannt sind: Bezahlung der Lehrer wie bisher, Einrichtung eines fünften Klassenraumes und bessere Ausstattung der bisherigen, Schaffung eines Fonds zur Verbesserung der Lehrmittel, die Staatsregierung unterbreitet die Vorschläge zur Besetzung der Lehrerstellen. Es sind zwei Stimmen aus dieser Beratung erhalten geblieben, die für eine Vereinigung sprechen. Für die jüdischen Ausschussmitglieder nannte Samuel Rosenblatt zunächst den materiellen Aspekt: Christen und Juden in der Stadt Lengsfeld sind zu arm, dass sich jede Gemeinde eine eigene Schulte halten könnte. Ein Zusammenschluss hilft allen. Und er fügte noch einen moralischen Grund an: „Nur wenn die Kinder vereinigt werden, wenn sie sich einander annähern, kann die sogenannte konfessionelle Scheidewand, welche aber nur eine Scheidewand der Vorurtheile ist, schwinden.“ Rosenblatt betonte, dass der Zusammenschluss auch die Emanzipation der Juden praktisch umsetzt. Bürgermeister Knieriem stimmte im Namen der christlichen Mitglieder den Ausführungen von Rosenblatt im Wesentlichen zu und schlug vor:  Die jüdische Gemeinde bezahlt zwei Lehrer, die christliche Gemeinde kommt für die Besoldung von drei Lehrern auf.  Immer zwei jüdische Lehrer sollen an der Schule sein.  Der Vertrag zum Zusammenschluss beläuft sich zunächst auf zwölf Jahre.  Danach kommt die Judenkultuskasse nicht mehr für die Besoldung der Lehrer auf. Das Schulgeld wird einheitlich von allen schulpflichtigen Kindern nach den gültigen gesetzlichen Bestimmungen erhoben.  Die beiden vorhandenen Schulgebäude verbleiben zwölf Jahre im Besitz der jetzigen Eigentümer. Danach fallen sie der gesamten Schulgemeinde zu.  Die Judenkultuskasse erhält von der Stadtkasse jährlich 35 Taler an Subventionen. Einige Punkte blieben zur Beratung noch offen und sollten später geklärt werden:  die Reinigung der Schulräume;  der Religionsunterricht;  die kirchliche Funktionen der Lehrer;  die Vereinigung der Schulephorie durch die evangelische Superintendentur und des jüdischen Landrabbinates;  die Schulferien unter Berücksichtigung der christlichen und jüdischen Feiertage. Zwez übergab am 11.03.1850 die Beschlüsse des Ausschusses an die Ephorien der christlichen und jüdischen Schulen mit der Aufforderung, „diese in ihren jeweiligen Gemeinden zu besprechen und den Entwurf eines Unterrichtsplanes vorzubereiten.“ Am gleichen Tag erhielt der Stadtrat diese Beschlüsse und die Auflage, die Schulräume bis zum 01.07.1850 in Stand zu setzen. Die Seminarinspektionen in Eisenach und Weimar bekamen die Anweisung, geeignete Lehrer für die Simultanschule zu finden und Vorschläge zu machen. Am 14.04.1850 ging der gemeinsame Bericht der christlichen und jüdischen Gemeinde zur Schulvereinigung beim Großherzoglichen Staatsministerium ein. Das Staatsministerium begrüßte den gemeinsamen Beschluss der beiden Gemeinden zur Schulvereinigung, beantragte getrennte Klassen (Jungen / Mädchen) nur in den oberen Schuljahren, sonst gemischt. Das Ministerium legte fest, dass jeder Lehrer täglich sechs Unterrichtsstunden zu halten hatte.

Probleme und Lösungen

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Die größten Probleme gab es nach wie vor zum Religionsunterricht für beide Konfessionen. Dazu wurden Gutachten eingeholt. Ein erstes Ergebnis bestand darin, dass der Religionsunterricht täglich in der ersten Stunde von den Lehrern selbst in ihren Konfessionsklassen zu halten ist. Das bedeutet: christliche Lehrer unterrichten hier christliche Kinder, jüdische Lehrer erteilen jüdischen Religionsunterricht. Am 25.06.1850 fielen im Ministerium wichtige Entscheidungen. Die vereinigte Bürgerschule in der Stadt Lengsfeld sollte am 01.10.1850 eröffnet werden. Das Kollegium würde aus folgenden Lehrern bestehen:  Gustav Fröhlich (Rektor und erster Knabenlehrer, christlich)  Adam Pickel (Kantor und Mädchenlehrer, christlich)  Hirsch Joel Löwenheim (dritter Lehrer, jüdisch)  Liebmann Adler (vierter Lehrer und Vorbeter in der Synagoge, jüdisch)  Johannes Schleichert (Organist und Elementarlehrer, christlich)  Julius Löwenheim (Hilfslehrer, jüdisch)

Den größten „Skrupel“ (wörtlich aus dem Verhandlungsprotokoll) legten beide Gemeinden beim Religionsunterricht, den Fest- und Feiertagen und den Schulferien an den Tag. Diese mussten zwei unterschiedlichen Religionen genauestens Rechnung tragen. Am Sonnabend (für die Juden der Sabbat) hatten die jüdischen Kinder keinen Unterricht. Die christlichen Kinder werden an diesem Tag vorwiegend in Religion unterrichtet. In anderen Fächern durfte kein neuer Stoff eingeführt werden. Am Sonntag hatten die christlichen Kinder keinen Unterricht. Der Unterricht für die Juden bestand vorwiegend in religiösen Unterweisungen. Für Fest- und Feiertage wurden Regelungen gefunden, die beiden Religionen entsprachen. Gleiches galt für die Schulferien Schule und Religion waren damals untrennbar. Also sollte jeder neue Schultag mit einem Morgengebet beginnen. In den erzieherischen Grundsätzen der vereinigten Bürgerschule war dazu festgeschrieben: „Simultanschüler sollen gemeinsam beten! … hier kann keine Scheidung geduldet werden, wenn sie in Gemeinschaft lernen, einem gemeinsamen Lehrer gehorchen, einer gemeinsamen Schulordnung Achtung zollen sollen. Da ist kein Unterschied, weder Juden, noch Christen. Eine Schule, ein Unterricht, ein Lehrer, ein Gebet und daran geknüpfte Belehrung. … Sie müssen sehen und hören, daß beide, Juden und Christen, nur einen Gott und Vater haben, wie nur eine Schule sie bildet und unterrichtet, eine Sonne ihnen Licht und Wärme giebt, eine Stadt sie vereint und erzieht, eine Erde sie speist und tränkt.“[7]

Die Schulvereinigung

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Im Beschluss des Großherzoglichen sächsischen Staatsministeriums vom 25. Juni 1850 steht: „I. Die Vereinigung der christlichen und jüdischen Schulen zu Lengsfeld zu einer Stadtschule tritt mit dem 1. Oktober d. J. ins Leben.“

Die „Allgemeinde Zeitung des Judentums“ meldet am 28.10.1850: „Weimar, 13. Oktober. In der Stadt Lengsfeld bei Eisenach, wo viele Juden wohnen, sind auf Anregung unseres Ministeriums und mit Zustimmung der christlichen und jüdischen Gemeinde, jetzt die christliche und jüdische Schule zu einer Anstalt verschmolzen worden, wo nun, mit Ausnahme des Religionsunterrichts, die Kinder beider Konfessionen ebensowol von christlichen als jüdischen Lehrern unterrichtet werden. Am 6. Oktober wurden die sechs Lehrer (drei christliche und drei jüdische) feierlich in ihr Amt von dem Superintendenten Dr. Schreiber und dem Landrabbiner Dr. Heß, welche mit dem Justizamtmann die Schulinspektion bilden, eingeführt.“ In der „Didaskalia“ des gleichen Blattes wird dieses Ereignis in der Ausgabe vom 25.11.1850 ausführlich gewürdigt. In diesem Artikel wird als sehr bemerkenswert hervorgehoben, dass zu diesem bisher einmaligen Vorgang in der (Schul-)Geschichte des Landes auch erstmalig ein jüdischer Geistlicher in einer christlichen Kirche predigte. Der Redner betonte, dass die Schulvereinigung in der Stadt Lengsfeld den Gedanken „der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetze ohne Unterschied des Standes, der Geburt, und vor allem des Glaubens und der Religion“ aufgreift. Somit ist dieser Vorgang sehr viel mehr, als ein bloßer Verwaltungsakt. Er „riß auf einmal die Scheidewand nieder, welcher die Irrthümer und Vorurtheile einer früheren Zeit zwischen Menschen und Menschen errichtet.“ Noch aber, so führte Dr. Heß weiter aus, muss dieser Gedanke „recht Wurzel fassen“. Dazu sei es unabdingbar, dass „der Staat hier sein großes Erlösungswort sprechen und diese bisher einseitig dem kirchlichen Verbande gehörenden Anstalten zu den seinigen zu erheben, damit schon frühzeitig die Jugend verschiedenen Bekenntnisses sich als Menschen einig fühlen, als solche als Gleichberechtigte eins und desselben Vaterlandes sich achten und lieben lernen.“ Landrabbiner Dr. Heß, formuliert schon hier gedankliche Ansätze zur Trennung von Kirche und Staat. So kommt der Schulvereinigung in der Stadt Lengsfeld eine weitere politische Bedeutung zu, die bisher noch nicht genügend gewürdigt wurde.

Mit Blick auf seine Zuhörer bemerkt der Rabbiner: „… wir sehen an diesem Orte, der sonst nur dem religiösen Bedürfniß der christlichen Gemeinde geweiht, jetzt zahlreiche Glieder beider Gemeinden versammelt.“ Zu ihnen gewandt äußert er den Wunsch: „Wir haben uns geeinigt in den Herzen unserer Kinder, wir wollen einig sein und einig bleiben in Allem, was unser und unserer Kinder Heil betrifft.“

Die vereinigte Bürgerschule zu Lengsfeld blieb trotz aller hochgesteckten Hoffnungen in die Zukunft solcher Einrichtungen vorerst ein einsames Beispiel. Ihr erster Rektor, Dr. Fröhlich, schrieb anlässlich des 25jährigen Bestehens in einem Brief: „… Jetzt, nach 25 Jahren, kommt erst die Zeit, in welcher sie (Fröhlich meint die vereinigten Bürgerschulen) wahrscheinlich in Deutschland eingeführt werden; so langsam wirken oft die Seiten der Kulturen! Unstrittig haben confessionell gemischte Schulen eine große Zukunft, weil sie eine religiöse, eine nationale u. eine pädagogische Mission erfüllen: sie begründen den confessionellen Frieden, sind Bollwerke gegen das Ultra und tragen zur Blüte des Schulwesens bei …“. Die schon zitierte Wochenzeitschrift „Der Israelit des 19. Jahrhunderts“ beschreibt 1877 noch einmal sehr ausführlich die Entstehung und das organisatorische wie auch das pädagogische Konzept der Lengsfelder Simultanschule. Gleich einleitend wird festgestellt: „Die zu schildernde Simultanschule ist ein Unicum. Sie steht einzig da sowohl hinsichtlich ihres Alters, als auch hinsichtlich der Art ihrer Einrichtung und ihrer Leistungen. … So besteht die Schule in Stadt Lengsfeld nun bald 27 Jahre. Keine der vereinigten Gemeinden würde auf Befragen eine Aufhebung des Vereinigungsvertrages wünschen; denn es stellen sich mit jedem Jahre mehr die Vortheile der Einrichtung heraus.“ So sollten sich mit der neuen Schule weitere Bildungsmöglichkeiten eröffnen. Im Jahr 1876 wurden zwei fakultative Unterrichtsanstalten (Klassen) angefügt. Die eine unterrichtete fremde Sprachen wie Lateinisch, Französisch und Englisch, um ihre Schüler auf die Tertia der Gymnasien vorzubereiten. Die andere ist eine hebräische Unterrichtsklasse. Unterrichtsgegenstände sind hier die ersten fünf Bücher des Alten Testamentes (Pentateuch) und eine Variante der hebräischen Schrift (Raschi), hebräische Grammatik und der Talmud (ein bedeutendes Schriftwerk des Judentums).

In dem besagten Artikel wird hervorgehoben: „Das gute Einvernehmen der Christen und Juden ist sichtlich gestiegen seit dem Bestehen der Schule.“

Im Jahre 1875 wurden die Schulen in Geisa und 1876 in Gehaus vereinigt. Das Vorbild der vereinigten Bürgerschule in der Stadt Lengsfeld stand hier Pate.

Mit ziemlicher Sicherheit war das Lengsfelder Modell der Schulvereinigung im Jahre 1850 einzigartig, was die „religiöse Durchmischung“ sowohl bei Schülern und bei den Lehrern anbelangte. Zwar gab es auch schon früher und anderswo Schulen, die von Kindern unterschiedlicher Religionen besucht wurden, die Lehrerschaft jedoch gehörte stets einer Religion an.

Einzelnachweise

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  1. Thüringen, Blätter zur Landeskunde; Landeszentrale für politische Bildung Thüringen; 1995
  2. Vgl. Schlegel, R. & Leimbach, R.: Werwölfe und Hexen, Lengsfelder Geschichten I; Verlag Books on Demand, ISBN 9 783732 286751
  3. Zeitschrift „Der Israelit“ vom 3. Januar 1841
  4. „Die Simultanschule zu Lengsfeld an der Rhön“; Kirchen- und Schulblatt in Verbindung, 5. Heft, Mai 1852
  5. Eintragung im Turmknauf der evangelischen Kirche Stadtlengsfeld
  6. Die Simultanschule zu Lengsfeld an der Rhön; Kirchen und Schulblatt in Verbindung, 5. Heft, Mai 1852
  7. Die Simultanschule zu Lengsfeld an der Rhön; Kirchen und Schulblatt in Verbindung, 5. Heft, Mai 1852