Benutzer:Toter Alter Mann/Blog/Exklusionistisches Manifest

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Warum sind Leute Exklusionisten? Gibt es denn nicht genug Speicherplatz? Tut eine Liste der Straßen von Talheim irgendjemandem weh? Entsteht ein Schaden, wenn ein Leser dazu Informationen in Wikipedia findet? Sind Exklusionisten misanthropische Informationsvernichter? Natürlich ist die Antwort jeweils nein. Man könnte dann natürlich auch noch weiterfragen, warum man nicht einfach alles aufnimmt, solange es richtig ist und ausreichend belegt. Die Antwort ist eigentlich einfach, aber nicht so offensichtlich, wie man meinen könnte.

Wikipedia ist seit seiner Gründung stark gewachsen. In den letzten 10 Jahren hat WP es geschafft, fast jeden gesellschaftlich wichtigen Bereich mit Artikeln abzudecken. Wann immer ein Schüler Hilfe bei den Hausaufgaben braucht, hier kann er sich darauf verlassen, dass er sie bekommt. Wikipedia ist also, entgegen weit verbreiteter Annahmen, mehr oder weniger komplett. Ich gebe es ganz frank und frei zu: Von den über 80 Artikeln, die ich in 1,5 Jahren geschrieben habe, interessieren die meisten niemanden. Die Wikipedia wäre also ohne sie nicht wirklich schlechter dran. Was an neuen Informationen hinzu kommt, kann im Grunde auch von IPs eingepflegt werden, die einmal am Tag hier vorbeischauen; zehn Leute reichen aus, um die Informationen aus Tagesthemen und Co. zu sichten.

Warum braucht die WP aber mehr feste Mitarbeiter als nur diese 10? Na klarl ein Artikelbestand von einer Million pflegt sich nicht von alleine. Oft existieren zwar Artikel, diese lassen aber qualitativ und quantitativ zu wünschen übrig. Dafür braucht es Experten und Amateure, die die Artikel auf ein Niveau heben, das Gelegenheits-IPs nicht erreichen würden. Dass dabei neue Artikel abfallen, ist mehr ein Nebenprodukt der Arbeit und dient eher dem Schließen von Lücken und dem Selbstwertgefühl der ehrenamtlichen Mitarbeiter als dem eigentlichen Ziel des Projekts.

Wikipedia hat als Monopolist des Mainstreamwissens die Verantwortung, hochwertige und korrekte Beiträge zur Verfügung zu stellen. Diese Arbeit erfüllen derzeit einige wenige hundert mitarbeiter, die sich obendrein auch noch um technische Belange der Seite kümmern.

So weit, so gut; aber was hat das mit Exklusionismus und Inklusionismus zu tun? Um unser Arbeitsgebiet zu begrenzen, haben wir nach außen hin Hürden gesetzt: Nur, was zum Schließen von Lücken im Artikelbestand beiträgt, darf auch rein. Wichtiger als neue Artikel wären nämlich erstmal die Verbesserung der alten, schlechten, die aktualisiert werden müssen. Was aber, wenn Autoren dazu nicht in der Lage oder Willens sind? Klar, man kann sie nicht zwingen, auch wenn manch einer das insgeheim hofft. Aber man kann sie nicht einfach Artikel jenseits der Relevanzgrenzen verfassen lassen: Wenn ich zu jeder Straße in Waldmünchen einen Artikel verfasse, wird wenig mehr dabei herauskommen als "Die Blumenstraße ist eine Straße in Waldmünchen." Die Konsequenz wäre eine Flut tausender Ein-Satz-Artikel mit einem Gehalt, der gegen Null tendiert.

Das wäre noch nicht das Schlimme – eine dürftige Information ist besser als keine Information, und zu den meisten der Millionen Straßen auf der Welt gibt es auch nicht mehr zu sagen. verheerender wäre das Signal, das die Wikipedia damit nach außen senden würde:

„Seht her, hier kann nicht nur jeder mitmachen, hier kann sogar jeder mitmachen, ohne dass er sich anstrengen oder gute Artikel abliefern muss!“

Wenn daraufhin Leute Stubs mit einer einzigen Zeile verfassen würden, könnten sie auf die zahlreichen irrelevanten Artikelgegenstände verweisen und sagen: „Wieso? Da steht doch auch nicht mehr drin!“ Das würde zum Kollaps der Qualitätssicherung und der enzyklopädischen Arbeit führen, weil die Stammautoren die Neuartikel niemals so schnell abarbeiten könnten, wie sie eintreffen.a In der Folge könnte man sich höchstens durch Qualitätskriterien retten, die Artikelinhalte, Quellenqualität usw. festschreiben.

Damit wären wir wieder am Ausgangspunkt, mit einem feinen Unterschied: Was in die Wikipedia kommt, entscheidet nicht länger ein transparenter Katalog von Regeln, sondern die subjektive Bewertung durch eine Handvoll Altautoren, die jeweils ihren eigenen Maßstab haben. Weil sie aber selbst fähigere Artikelschreiber sind als Neulinge, wird ihr Urteil strenger ausfallen als die Relevanzkriterien, die lediglich den Gegenstand bewerten. Obendrein würden Qualitätskriterien mit der Zeit immer weiter steigen, sodass weniger qualifizierte Autoren nicht mehr beitragen könnten und es zu einer starken Spezialisierung kommt. In der Folge können nur noch wenige Fachkollegen die Inhalte der Artikel bewerten, was zur Gruppen- oder Kartellbildung führen könnte.b Schließlich würde uns der Nachwuchs fehlen, wenn verdiente Autoren das Projekt verlassen.

Die Relevanzkriterien und der dahinterstehende Gedanke sind also besser als ihr Ruf: Statt der Leistung eines Autors bewerten sie den Wert eines Themas für das Projekt. Sie begrenzen den Zuwachs auf eine überschau- und kontrollierbare Menge von rund 400–500 Artikeln pro Tag. Und sie erlauben es auch Neuautoren, sich langsam Kenntnisse anzueignen und nach und nach bessere Artikel zu verfassen. Qualitätskriterien hingegen öffnen der Subjektivität die Türen noch weiter als jetzt schon. Sie schaffen ein elitäres Projekt mit starken Hierarchien zwischen Experten und Amateuren, das vom Prinzip eines Wikis abrückt und letztendlich zurück zum gescheiterten Citizendium führt.

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Einige Personen behaupten, dass diese Situation bereits eingetreten ist.
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Einige Personen behaupten, dass diese Situation bereits eingetreten ist.