Deutsche Nyanza-Schiffahrtsgesellschaft

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Deutsche Nyanza-Schiffahrtsgesellschaft
Rechtsform GmbH
Gründung 9. April 1907
Auflösung 1936
Auflösungsgrund Geschäftsverbot in Tanganjika
Sitz Stuttgart
Berlin (ab ca. 1910)
Leitung August Flad[1]
Carl Jungblut (bis 1921)[2][3]
Hans Paasche (bis ca. 1913)[4]
Julius Schwarz (bis 1913)[5][6]
Fritz von Stockmayer
Branche Binnenschifffahrt, Reishandel

Die Deutsche Nyanza-Schiffahrtsgesellschaft (DNSG)[7] war ein Wirtschaftsunternehmen zum Personen- und Güterverkehr auf dem Victoriasee zur Zeit der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Nyanza bedeutet in der Sprache der am Südufer des Sees lebenden Sukuma „große Wassermasse“ oder „See“.[8] Die Gesellschaft war das einzige große Privatunternehmen Deutschlands an den afrikanischen Binnenseen.[9][10]

Unternehmensgeschichte

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Eine Landkarte zeigt auf rosa Grund Britisch-Ostafrika und Uganda sowie auf weißem Grund Deutsch-Ostafrika zwischen dem Indischen Ozean und dem Viktoriasee.
Die Uganda-Bahn und britische Schiffsrouten, die über den Viktoriasee bis Muansa führten. Dieses Verkehrsnetz erweiterte die DNSG auf südlicher Seeseite (Karte von 1909).
Abstrakte Landkarte des Victoriasees mit Grenzen und Ortsbezeichnungen aus der deutschen Kolonialzeit. Zu sehen sind unter anderem die Orte Bukoba, Port Florence und Muansa.
Karte des Viktoriasees mit ausgewählten Orten aus der Geschichte der DNSG (deutsche Schreibweisen um 1910)

Das Unternehmen wurde am 9. April 1907 durch den Konsul Karl Ludwig Albert Schwarz und den Kommerzienrat Heinrich Otto[11] mit einem Stammkapital von 250.000 Mark gegründet.[12][13] Treibende Kraft hinter der Gründung war der Kaufmann Carl Jungblut, der seit Ende 1900 in Ost- und Südwestafrika arbeitete. Weitere Mitglieder des Aufsichtsrates waren der Reichstagsabgeordnete Hermann Paasche (NLP), der Rechtsanwalt Helmut Schwab und der Generalmajor z. D. Rudolf Jungblut. Der Hauptsitz war zunächst in Stuttgart und ab etwa 1910 in Berlin. Eine Niederlassung bestand in Muansa am Viktoriasee. Geschäftsführer in Ostafrika war zuerst der Arzt Franz Hildebrandt, dem nach seinem Tod Carl Jungblut (Sohn des Generalmajors) folgte.[14] Die Geschäftsführung in Deutschland übernahm bis etwa 1913 der Offizier Hans Paasche, Sohn von Hermann Paasche.

Die Schiffsrouten der Gesellschaft reichten von Bukoba im Westen bis Schirati im Osten des Victoriasees.[2] Häfen in Britisch-Ostafrika bzw. Uganda liefen die Schiffe nicht an. Stattdessen sollten britische Schiffsrouten auf der deutschen Seite des Sees verlängert werden, die in Port Florence einen Bahnanschluss anliefen.[15] Trotz der DNSG und Förderungen durch die deutsche Verwaltung, blieb der britische Einfluss vorherrschend.[16] Als weitere Geschäftsfelder neben der allgemeinen Personen- und Frachtbeförderung sollten besonders der Jagdtourismus und der Reishandel erschlossen werden. Dazu errichtete die Gesellschaft in Muansa und Nassa[17] Reisschälwerke.[18] Eine der Hauptaufgaben der DNSG-Schiffe war die Versorgung dieser Reiswerke mit ungeschältem Reis aus der südöstlichen Region des Viktoriasees.[9] Neben Reis wurden Brennholz, Tierhäute, Samli (eingekochte Butter), Baumwolle, Baumwollsaat und Erdnüsse transportiert. Im Jahr 1913 wurden 1.128 Afrikaner und 174 Europäer befördert.[19]

Geschäftsentwicklung

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In den ersten Jahren ihres Bestehens machte die Gesellschaft Verluste, die allerdings abnahmen. Im Jahr 1913 wurde erstmals ein Gewinn erwirtschaftet: rund 20.800 Mark, bei einem Stammkapital von nunmehr 500.000 Mark.[20] Aufgrund der Vorjahresverluste schüttete die Gesellschaft jedoch kein Dividende aus.[21]

Jahr Gewinn/Verlust
(in Mark)
Reistransport
(in Tonnen)
Quellen
1909 −29.733 250 [19][22]
1910 −11.234 1.100 [19][22]
1911 −2.659 1.600 [19][22]
1912 −1.877 2.100 [19][22]
1913 +20.805 2.400 [19][21]

Der Versuch, die Geschäfte nach dem Ersten Weltkrieg wiederaufzunehmen, scheiterte am Widerstand der britischen Verwaltung im fortan Tanganjika genannten Territorium.[23]

Schwarz-Weiß-Foto eines kleinen Schiffes. Am Bildrand ist ein flaches Ufer und ein Bootssteg erkennbar.
Die General Jungblut – vormals Ukerewe – bei Muansa (Foto: Kurt von Schleinitz)

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg besaß die Gesellschaft fünf kleine Dampfschiffe (hinzu kamen Beiboote und vier Leichter):[9][23][24]

Sämtliche Schiffe der Gesellschaft wurden bei Kriegsbeginn von der Schutztruppe requiriert. Als die Deutschen sich nach Süden zurückzogen, wurde die Flotte im Juli 1916 bei Neu-Hanerau nahe des Stuhlmann-Sunds (südlicher Ausläufer des Viktoriasees) durch Carl Jungblut selbst versenkt.[25] Einzelne Schiffe wurden später durch die Briten gehoben und wieder auf dem See eingesetzt. Im Jahr 1930 erhielt die Gesellschaft für die Schiffsverluste eine Abfindung des Deutschen Reiches.[26]

  • Johann Gottfried Benndorf: Der koloniale Verkehr Deutsch-Ostafrikas. Ein wirtschaftsgeographischer Versuch. Thomas & Hubert, Weida in Thüringen 1918, S. 37 ff. (Digitalisat der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen).
  • Guido Ettlich: Konsul Schwarz. Banker, Bürger & Bahá'í in Stuttgart und Bad Mergentheim, Der Erzählverlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-947831-03-6.
  • Carl Jungblut: Vierzig Jahre Afrika. 1900–1940. Spiegel Verlag Paul Lippa, Berlin 1941.

Anmerkungen und Einzelnachweise

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  1. Julius Hellmann (Hrsg.): Von der Heydt's Kolonial-Handbuch. Jahrbuch der deutschen Kolonial- und Übersee-Unternehmungen. Band 8, Verlag für Börsen- und Finanzliteratur, Berlin/Leipzig/Hamburg 1914, S. 346 ff. (Digitalisat der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen).
  2. a b Deutsche Kolonial-Post. Nr. 4, April 1908, S. 5.
  3. Ohne Verfasser: Deutsche Nyanza-Schiffahrts-Gesellschaft m. b. H. In: Zeitschrift für Binnen-Schiffahrt. Heft Nr. 4., XXVIII. Jahrgang, 1921, S. 72 (Digitalisat auf archive.org).
  4. Ohne Verfasser: Eingesandt. In: Usambara-Post. Jahrgang 12, Ausgabe Nr. 26. vom 28. Juni 1913, S. 9 f. (Digitalisat der Goethe-Universität Frankfurt am Main).
  5. Kolonialwirtschaftliches Komitee (Hrsg.): Kolonial-Handels-Adressbuch 1911. 15. Jahrgang, Berlin 1911, S. 79.
  6. Ohne Verfasser: Aus dem geschäftlichen Leben in Binnenschiffahrt und Schiffbau. In: Zeitschrift für Binnen-Schiffahrt. XX. Jahrgang, Heft 2, 1913, S. 62.
  7. Anfangs hieß das Unternehmen laut Kolonialhandbuch Deutsche Viktoria-Nyanza-Schiffahrts-Gesellschaft (Rudolf Fitzner: Deutsches Kolonial-Handbuch. 7. Ausgabe, Hermann Paetel, Berlin 1907, S. 172). Vereinzelt wurde es auch Njansa- oder fälschlich Njassa-Schiffahrts-Gesellschaft genannt (Stichwort: Deutsche Njansa-Schiffahrts-Gesellschaft m.b.H. Veröffentlicht in: Deutsches Kolonial-Lexikon. Band 1, Leipzig 1920, S. 311; siehe auch Erich Gröner: Die deutschen Kriegsschiffe 1815–1945 Band 7, Bernard & Graefe, Koblenz 1990, ISBN 978-3-7637-4807-5, S. 220 ff.).
  8. Fotoalbum mit Aufnahmen der Schiffsstation, Eingeborenen und Landschaft am Victoriasee. In: Archivführer Deutsche Kolonialgeschichte. Abgerufen am 8. September 2024.
  9. a b c Johann Gottfried Benndorf: Der koloniale Verkehr Deutsch-Ostafrikas. Thomas & Hubert, Weida in Thüringen 1918, S. 37.
  10. Ein kleineres deutsches Transportunternehmen dieser Region war etwa die von Otto Schloifer gegründete Zentralafrikanische Seengesellschaft. Ohne Verfasser: Kleine Nachrichten. In: Globus. Band 81, Heft Nr. 12 vom 27. März 1902, S. 196 (Digitalisat in der virtuellen Fachbibliothek Ethnologie – EVIFA).
  11. Lebensdaten zu Heinrich Otto im GND Explorer
  12. Rudolf Fitzner: Deutsches Kolonial-Handbuch. 7. Ausgabe, Hermann Paetel, Berlin 1907, S. 172 (Digitalisat der Universität Frankfurt am Main).
  13. Deutsche Nyanza-Schiffahrts-Gesellschaft m.b.H.: Einladung zur Beteiligung an der Kapitalserhöhung. In: Deutsche Kolonialzeitung. 26. Jahrgang, Ausgabe Nr. 36 vom 4. September 1909, S. 602 (Digitalisat der Goethe-Universität Frankfurt am Main).
  14. Deutsche Kolonial-Post. Nr. 12, Dezember 1907, S. 3.
  15. Deutsche Kolonial-Post. Nr. 3, März 1908, S. 4.
  16. Karlheinz Graudenz: Die deutschen Kolonien – Geschichte der deutschen Schutzgebiete in Wort, Bild und Karte. 3. Auflage, Weltbild-Verlag, Augsburg 1988, ISBN 3-926187-49-2, S. 157.
  17. Nach einer anderen Quelle befand sich das zweite Reiswerk in Nansio auf der Insel Ukerewe (Julius Hellmann (Hrsg.): Von der Heydt's Kolonial-Handbuch. Jahrbuch der deutschen Kolonial- und Übersee-Unternehmungen. Band 8, Verlag für Börsen- und Finanzliteratur, Berlin/Leipzig/Hamburg 1914, S. 346 ff.).
  18. Ohne Verfasser: Das Muansa von heute. In: Deutsch-Ostafrikanische Zeitung. XII. Jahrgang, Ausgabe Nr. 14 vom 19. Februar 1910, S. 1
  19. a b c d e f Johann Gottfried Benndorf: Der koloniale Verkehr Deutsch-Ostafrikas. Thomas & Hubert, Weida in Thüringen 1918, S. 38.
  20. Rudolf Fitzner (Hrsg.): Deutsches Kolonial-Handbuch. 13. Ausgabe, Hermann Paetel, Berlin 1913, S. 25 (Digitalisat der Universität Frankfurt am Main).
  21. a b Otto Jöhlinger: Wirtschaftliche und finanzielle Rundschau Juni 1914. In: Koloniale Rundschau, Jahrgang 1914, Heft 7, S. 437f.
  22. a b c d Otto Jöhlinger: Wirtschaftliche und finanzielle Rundschau Februar 1914. In: Koloniale Rundschau, Jahrgang 1914, Heft 3, S. 188.
  23. a b Guido Ettlich: Konsul Albert Schwarz. Bankier, Bürger & Bahá'í in Stuttgart und Bad Mergentheim. 2. Auflage, Der Erzählverlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-947831-03-6, S. 341.
  24. Erich Gröner: Die deutschen Kriegsschiffe 1815–1945 Band 7, Bernard & Graefe, Koblenz 1990, ISBN 978-3-7637-4807-5, S. 220 ff.
  25. Reinhard K. Lochner: Kampf im Rufiji-Delta – Das Ende des Kleinen Kreuzers »Königsberg«. Die deutsche Marine und Schutztruppe im Ersten Weltkrieg in Ostafrika. Heyne Verlag, München 1987, ISBN 3-453-02420-6, S. 284.
  26. Deutsches Bundesarchiv: Deutsche Nyanza Schiffahrts-Gesellschaft, Band 2/2