Estrin – Berliner, 1965

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In der Fernschachpartie Estrin – Berliner, 1965 opfert Schwarz zu Beginn einen Springer, und kann schließlich im Turmendspiel gewinnen. Sie wurde im Finale der fünften Fernschachweltmeisterschaft 1965–1967 zwischen Jakow Estrin und Turniersieger Hans Berliner ausgetragen. Die Partie ist aufgrund des hohen Spielniveaus und ihrer komplizierten Eröffnung eine der bekanntesten und wird immer noch analysiert.

1. e4–e4 e7–e5 2. Sg1–f3 Sb8–c6 3. Lf1–c4 Sg8–f6 4. Sf3–g5 d7–d5 5. exd5 b7–b5 6. Lc4–f1 Sc6–d4 7. c2–c3 Sf6xd5 8. Sg5–e4 Dieser Zug leitet das Gruber-Abspiel der Fritz-Variante des Zweispringerspieles im Nachzuge (ECO-Code C57) ein. 8. … Dd8–h4 Den ruhigeren Alternativzug 8. … Sd4–e6 hatte Berliner nach eigener Auskunft analysiert und verworfen, weil er nach 9. Lf1xb5+ nicht an eine volle Kompensation für den weißen Mehrbauern glaubte. Das Spiel gilt als ungefähr ausgeglichen nach der Fortsetzung 9. … Lc8–d7 10. Lxd7+ Dxd7 11. 0–0 Lf8–e7 12. d2–d4 e5xd4 13. c3xd4, und nun 13. … Sd5–b6 oder 13. … 0–0 14. Sb1–c3 Tf8–d8 wie in einer Partie Boris SpasskiLeonid Schamkowitsch, Leningrad 1960.[1] 9. Se4–g3 Lc8–g4 Nach Angaben von Tim Harding war dies Berliners Neuerung. 10. f2–f3 e5–e4 Laut Estrin war erst dieser Zug für ihn neu. Estrin war so überrascht, dass er „im ersten Augenblick meinte, sein Gegner habe den Angriff auf den Springer d4 einfach übersehen.“[2] 11. c3xd4 Lf8–d6

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Nach 11. … Lf8–d6

12. Lf1xb5+ Der amerikanische Eröffnungsexperte Walter Muir hat 1974 in einer Fernpartie gegen E. Svensson 12. Dd1–e2 erprobt. Nach 12. … 0–0 13. fxg4 Ld6xg3+ 14. Ke1–d1 Sd5–f6 15. De2–e3 endete die Partie im 43. Zug Remis. Berliner räumt ein, dass Weiß hier nach 15. Sb1–c3 besser gestanden hätte. Wahrscheinlich ist 12. Dd1–e2 Lg4–e6 der beste Zug für Schwarz. Mit Hilfe von Computeranalysen ist darauf allerdings das Manöver 13. De2–f2 entdeckt worden, welches Weiß in Vorteil zu bringen scheint.[3] 12. … Ke8–d8 13. 0–0

Berliners Analysevariante auf 13. Dd1–b3
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nach 21. … Ta8–b8.

Als gut für Weiß galt zeitweise 13. Dd1–b3. Berliner hat in seinen späteren Analysen darauf als Hauptvariante 13. … Ld6xg3+ 14. Ke1–d1 Lg4–e6 15. Lb5–c6 e4xf3 16. Lc6xd5 f3xg2 17. Db3xg3 Dh4xg3 18. h2xg3 Le6xd5 19. Th1–g1 Th8–e8 20. Sb1–c3 Ld5–f3+ 21. Kd1–c2 Ta8–b8 mit unklarer Stellung entwickelt.[1]

13. … e4xf3 14. Tf1xf3 Nach der Partie suchte Estrin nach einer Widerlegung des schwarzen Konzeptes. Im Finale der 7. Fernschachweltmeisterschaft 1972–1975 zog er in dieser Stellung gegen Julius Nielsen 14. Dd1–b3. Nach 14. … Sd5–f4 15. Tf1xf3 Ta8–b8 16. Tf3xf4 Tb8xb5 17. Db3xb5 Ld6xf4 18. Db5xd5+ Lg4–d7 19. Sg3–f1 Lf4xh2+ 20. Sf1xh2 Dh4–e1+ 21. Sh2–f1 Dd1xc1 22. Dd5–c5 hatte Weiß großen Vorteil.[2] Schwarz gab nach 47 Zügen auf. Berliner vertritt allerdings die Meinung, dass Schwarz nach 14. Dd1–b3 Sd5–b4 eine Gewinnstellung erreichen kann. Seine Hauptvariante begann zunächst mit 15. Tf1xf3 c7–c6. Danach hat er seine Meinung geändert und 15. … Ta8–b8 vorgeschlagen.[1] 14. … Ta8–b8

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Nach 14. … Ta8–b8

15. Lb5–e2? Dieser Zug ist der entscheidende Fehler. Aufgrund seiner nachträglichen Analysen nahm Estrin an, „daß Weiß, hätte er 15. Lf1 oder 15. a4 gezogen, verteidigungsfähig war, aber immerhin hätte der schwarze Angriff auch dann wenigstens zum Remis ausgereicht.“[2] Moderne Computeranalysen sehen Weiß nach 15. Lb5–f1 Th8–e8 16. Sb1–c3 oder 15. … Tb8–b4 16. Sb1–a3 sogar in Vorteil.[4] 15. … Lg4xf3 16. Le2xf3 Dh4xd4+ 17. Kg1–h1 Ld6xg3 18. h2xg3 Tb8–b6 19. d2–d3 Sd5–e3 20. Lc1xe3 Dd4xe3 21. Lf3–g4 h7–h5 22. Lh4–h3 g7–g5 23. Sb1–d2 g5–g4 24. Sd2–c4 De3xg3 25. Sc4xb6 g4xh3 26. Dd1–f3 h3xg2+ 27. Df3xg2 Dg3xg2+ 28. Kh1xg2 c7xb6 29. Ta1–f1 Kd8–e7 30. Tf1–e1+ Ke7–d6 31. Te1–f1

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Nach 31. Te1–f1

31. … Th8–c8! Mit 31. … Th8–h7 32. Kg2–h3 oder 31. … Kd6–e6 32. Tf1–e1+ kann Schwarz keine Fortschritte machen.[5] 32. Tf1xf7 Tc8–c7 33. Tf7–f2 Das Bauernendspiel nach 33. Tf7xc7 Kd6xc7 34. Kg2–g3 Kc7–d6 35. Kg3–h4 Kd6–d5 36. Kh4xh5 Kd5–d4 ist für Weiß verloren, und auf 33. Tf7–f8 folgt 33. … Tc7–c2+.[5] 33. … Kd6–e5 34. a2–a4 Ke5–d4 35. a4–a5 Kd4xd3 36. Tf2–f3+ Kd3–c2 37. b2–b4 b6–b5 38. a5–a6 Tc8–c4 39. Tf3–f7 Tc4xb4 40. Tf7–b7 Auch nach 40. Tf7xa7 Tb4–a4 41. Ta7–a8 b5–b4 42. a6–a7 Kc2–b3 43. Kg2–h3 Kb3–a3 44. Kg3–h4 b2–b3 könnte Schwarz seinen b-Bauern umwandeln.[6] Stattdessen stellt Weiß eine letzte Falle, denn nach 40. Tf7–b7 Tb4–a4? 41. Tb7xb5 Ta4xa6 42. Tb5xh5 wäre die Stellung nun remis. Tb4–g4+ 41. Kg2–f3 b5–b4 42. Tb7xa7 b4–b3 Weiß gab auf.

Folgen der Partie

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Berliner konnte die fünfte Fernschachweltmeisterschaft gewinnen. Danach trat er vom Partieschach zurück und widmete sich der Künstliche-Intelligenz-Forschung und der Entwicklung von Schachcomputern. Er veröffentlichte mehrfach Analysen der Partie, unter anderem in dem Buch From the Deathbed of 4.Ng5 in the Two Knight's Defence.

Estrin wurde in diesem Turnier 13., im sechsten Finale Dritter und mit dem Gewinn des siebenten Finales im Jahr 1975 Fernschachweltmeister.

Die Partie wurde 1999 von Lesern der 1996–2006 von Tim Harding in Dublin herausgegebenen Fernschach-Zeitschrift Chessmail zur besten gespielten Fernschachpartie gekürt.

  • Jakow B. Estrin: Bauernopfer in der Eröffnung, Franckh Stuttgart 1980, ISBN 3-440-04880-2.
  • Hans Berliner: From the Deathbed of 4. Ng5 in the Two Knights Defence, revidierte Ausgabe Riviera Beach 1998
  • Stefan Bücker: Folgenreiche Partie, Rezension zu From the Deathbed […], Kaissiber Nr. 12, 1999, S. 51.
  • Hans Berliner: The System (1999), Gambit Publications London, ISBN 1-901983-10-2, ISBN 978-1-901983-10-4.

(Alle Weblinks sind in Englisch.)

Einzelnachweise

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  1. a b c T. Harding (2001): Two Knights Defence, Part 3
  2. a b c J. W. Estrin (1980): Bauernopfer in der Eröffnung, S. 38.
  3. J. L. Jerz (2009): Estrin-Berliner analysis
  4. T. Harding (2008): New Investigations
  5. a b M. Dworetzki (2002): Endgame Training
  6. Jerzy Konikowski: Fernschach, in: Schach-Report 11/95, S. 39.