Fania Brancovskaja
Fania Brancovskaja (hebräisch פניה ברנצובסקי, Transkription Fania Brantsovsky; geboren am 22. Mai 1922 in Kaunas als Fania Jocheles; gestorben am 22. September 2024[1] in Vilnius) war eine litauische Partisanin und Holocaust-Überlebende.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Jahr 1927 zog sie mit ihren Eltern, Großeltern und ihrer jüngeren Schwester nach Vilnius (damals Wilno), das zu dieser Zeit zu Polen gehörte.[2] Ihr Vater, ein wenig religiöser Sozialist, arbeitete als Elektromechaniker am jüdischen Polytechnikum in Wilna.[2]
Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte Brancovskaja das jüdische Realgymnasium, das sie 1939 mit dem Abitur abschloss.[2] Anschließend begann sie ein Lehramtsstudium im ostpolnischen Grodno (heute Hrodna, Belarus).[2] Dort erlebte sie den sowjetischen Einmarsch und die Eingliederung der Region in die Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik.[2] Nach einem Jahr Studium und einem weiteren Jahr als Lehrerin an einer weißrussischen Dorfschule kehrte sie im Juni 1941 nach Vilnius zurück, um ihr Studium fortzusetzen.[2]
Kurz nach ihrer Rückkehr wurde Vilnius am 24. Juni 1941 von der deutschen Wehrmacht besetzt.[2] Sofort erließen die Besatzer judenfeindliche Verordnungen, die das Leben der jüdischen Bevölkerung massiv einschränkten.[2] Am 6. September 1941 wurde die Familie von litauischen Polizisten gezwungen, in das neu errichtete Ghetto von Vilnius umzusiedeln.[2] Dort lebten sie mit einer anderen Familie auf engstem Raum zusammen.[2]
Da ihr Vater als hochqualifizierter Elektromechaniker für die Deutschen unabkömmlich war, blieb die Familie zunächst von den Massenerschießungen verschont.[2] Brancovskaja verrichtete verschiedene Zwangsarbeiten innerhalb und außerhalb des Ghettos, darunter Reinigungsarbeiten, Gräben ausheben und Handarbeiten für deutsche Soldaten und litauische Aufseher.[2]
Wirken
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Frühjahr 1942 schloss sich Brancovskaja der neu gegründeten Vereinigten Partisanenorganisation (FPO) an.[2] Im Keller der Ghetto-Bibliothek lernte sie heimlich den Umgang mit Waffen, schmuggelte Waffenteile ins Ghetto und leitete eine Jugendgruppe.[3][2] Am 23. September 1943, dem Tag der Liquidierung des Ghettos, gelang ihr gemeinsam mit einer Kameradin die Flucht durch ein unbewachtes Tor.[2]
Nach einem zweitägigen Fußmarsch erreichten sie die Wälder bei Vilnius und schlossen sich der sowjetischen Partisaneneinheit Für den Sieg! an.[3][2] Dort beteiligte sich Brancovskaja an Sabotageaktionen gegen die deutschen Besatzer, zerstörte Telefonleitungen, sprengte Brücken und Eisenbahnstrecken.[3] In dieser Zeit lernte sie ihren späteren Ehemann Mikhail Brancovskij kennen.[3][2]
Im Juli 1944 nahm sie mit ihrer Einheit an der Befreiung von Vilnius teil.[3] Nach Kriegsende musste sie feststellen, dass außer einer Cousine keiner ihrer Verwandten den Holocaust überlebt hatte.[2] Fania und Mikhail heirateten noch 1944 und blieben im nun sowjetischen Vilnius.[3][2] Sie studierte Ökonomie und arbeitete im statistischen Amt für Litauen.[3][2] Das Paar bekam zwei Töchter.[2]
In den folgenden Jahrzehnten engagierte sich Fania Brancovskaja als Zeitzeugin und setzte sich für die Erinnerung an den Holocaust ein.[3][4][5] Für ihre Versöhnungsarbeit wurde sie sowohl in Litauen als auch in Deutschland mit hohen Auszeichnungen geehrt, darunter das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (2009)[6] und das Ritterkreuz des Ordens für Verdienste um Litauen (2017).[1] Ihr Leben und Wirken wurden in mehreren Filmen dokumentiert.[4]
Fania Brancovskaja starb im September 2024 im Alter von 102 Jahren in Vilnius.[4] Sie hinterließ zwei Töchter sowie mehrere Enkel und Urenkel.[2]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Zhanna Litinskaya: Fania Brantsovskaya. In: Centropa. Februar 2005, abgerufen am 26. September 2024 (englisch).
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b Zmarła Fania Brancowska, była więźniarka wileńskiego getta, ocalała z Holokaustu. In: lrt.lt. 23. September 2024. Abgerufen am 26. September 2024.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v Biografie von Fania Brancovskaja-Jocheles. In: Darmstädter Geschichtswerkstatt. Abgerufen am 26. September 2024.
- ↑ a b c d e f g h Nachruf auf Fania Brancovskaja: Die Partisanin aus dem Wald. In: Die Tageszeitung – taz. 23. September 2024, abgerufen am 26. September 2024.
- ↑ a b c Die litauische Holocaust-Überlebende Fania Brancovskaja ist tot. In: tachles.ch. 24. September 2024, abgerufen am 26. September 2024.
- ↑ Der Kampf um die Erinnerung. In: Jungle World. 30. Mai 2019, abgerufen am 26. September 2024.
- ↑ Zeitzeugen der NS–Zeit im Gespräch – Fania Brancovskaja „Die Erinnerung wachhalten“. In: uni-freiburg.de. Abgerufen am 26. September 2024.
Personendaten | |
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NAME | Brancovskaja, Fania |
ALTERNATIVNAMEN | Jocheles, Fania (Geburtsname); פניה ,ברנצובסקי (hebräisch); Brantsovsky, Fania |
KURZBESCHREIBUNG | litauische Partisanin |
GEBURTSDATUM | 22. Mai 1922 |
GEBURTSORT | Kaunas |
STERBEDATUM | 22. September 2024 |
STERBEORT | Vilnius |
- Partisan im Zweiten Weltkrieg
- Person des jüdischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus
- Fareinikte Partisaner Organisatzije
- Häftling im Ghetto Wilna
- Überlebender des Holocaust
- Zeitzeuge des Holocaust
- Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande
- Träger des Ordens für Verdienste um Litauen
- Hundertjähriger
- Sowjetbürger
- Litauer
- Geboren 1922
- Gestorben 2024
- Frau