Helga Fanderl

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Helga Fanderl (* 1947 in Ingolstadt) ist eine deutsche Filmemacherin.[1] Sie lebt in Berlin und Paris.

Helga Fanderl studierte von 1967 bis 1973 Germanistik und Romanistik in München, Paris und Frankfurt am Main. Sie unterrichtete Sprachen und Literatur an Gymnasien in Frankfurt am Main und als DAAD-Lektorin an der Universität Bologna.[2] Nach ihrer Teilnahme an einem Film-Workshop von Urs Breitenstein in den 1980er Jahren entschied sie sich, Filme mit einer Super-8-Kamera zu machen.[3][4][5]

Von 1987 bis 1992 studierte sie an der Hochschule für bildende Künste (Städelschule) in Frankfurt am Main bei Peter Kubelka und wurde Meisterschülerin. Es folgte ein Jahr Auslandsstudium an der Cooper Union School of Arts in New York bei Robert Breer.[6]

Seit 1986 hat Fanderl mehr als 1000 kurze Super-8-Filme ohne Ton gedreht.[7] Ihre Werke zeichnen sich durch eine besondere Arbeitsweise aus[8]: Die Kamera ist handgehalten, die Filme entstehen während des Filmens mittels Kameraschnitt.[9] Es findet keine nachträgliche Bearbeitung statt.

Die Filmemacherin sagt über ihre Arbeit: „Es gibt keine Postproduktion in meinem Werk. Jeder einzelne Film bewahrt und reflektiert die Spuren seiner Entstehung, die Empfindungen und Gefühle im Moment des Filmens.“[10]

Kasper König sieht in Fanderls Filmen „Déjà-vu-Erlebnisse, die an Szenen aus der Kindheit oder aus Malerei und Literatur erinnern“.[11] Peter Kubelka vergleicht ihre Werke mit den Gedichten Emily Dickinsons und bezeichnet Fanderl als eine „sensible Poetin, die mit Film arbeitet“.[12]

Fanderls Filme sind maximal drei Minuten lang und zeigen häufig einfache Gegenstände und Handlungen, Bewegungen und Rhythmen. Sie komponiert die einzelnen Filme zu Programmen,[5] die zwischen 50 und 60 Minuten dauern und die sie selbst am Projektor in Kinos, Galerien und Ausstellungsräumen vorführt, aber auch an unkonventionellen Orten wie dem Laderaum eines Frachtkahns. Das Surren des Projektors wird Teil der Präsentation.[6][3] Sie kombiniert individuelle Filme, manchmal nach Farben, Rhythmus oder Motiven.[13] Die Projektion wird so zu einem einmaligen Ereignis bzw. einer Performance und betont das Medium selbst. Da Super-8-Kopien nicht mehr hergestellt werden, zeigt sie ihre Filme seit einigen Jahren auch als 16mm-Blow-ups.[2] Sie präsentiert ihre Werke auch in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, wie z. B. als Bestandteil der Tanzperformance „The Loss of Small Detail“ von William Forsythe,[14] als Teil der Konzertaufführung „Varieté“ von Mauricio Kagel der Gruppe für Neue Musik Baden oder als Filmvorführung und Lesung mit dem Lautdichter Bruno Montels in Marseille.[15][16]

Ihre Werke werden weltweit in Filmmuseen, Kinematheken, Museen, Galerien (z. B. Portikus, Schirn, Deutsches Filmmuseum, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main; Sammlung Julia Stoschek, Düsseldorf; Galerie Agathe Gaillard, Centre Pompidou, Paris; Anthology Film Archives, New York; National Gallery of Art, Washington)[17] und auf Festivals, wie z. B. bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen, dem New York Film Festival, dem Toronto International Film Festival und dem Media City Film Festival Windsor/Ontario, gezeigt.[18][19]

Fanderl präsentiert ihre Filme auch in Ausstellungen und Installationen, wie z. B. „Marieluise Fleißers Kleider“ im Kunstverein Ingolstadt (2014/2015),[18] „Film Live“ in Das Esszimmer, Bonn (2015)[20] oder „Konstellationen“ in der Kunsthalle Lingen (2020).[6]

Fanderls Filme sind in den Sammlungen des Museums für Moderne Kunst und der Kinothek Asta Nielsen in Frankfurt am Main, in der Sammlung Hans Bodenmann in Basel, im Auditorium du Louvre und dem Centre Pompidou in Paris sowie dem Archiv für den bundesdeutschen Experimental- und Avantgardefilm von Frauen in Paderborn vertreten.[6] Das DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum archiviert ihre Originale.[4]

Ein vollständiges Werkverzeichnis veröffentlichte Helga Fanderl 2016 auf ihrer Website in Zusammenarbeit mit Karianne Fiorini.[21][22]

Filmografie (Auswahl)

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  • 1986: See
  • 1988: Blaues Haus
  • 1990: An der Schutter
  • 1991: Heftige Quellen
  • 1992: Portrait
  • 1993: Eisbär
  • 1994: Apfelernte
  • 1994: Sardinenkörbe
  • 1995: Mädchen
  • 1998: Roter Vorhang
  • 2000: Brunnen
  • 2001: Flugzeuge I
  • 2001: Nescia und Bruno
  • 2001: Vögel am Checkpoint Charlie
  • 2002: Schlittschuhlaufen
  • 2003: Tortelloni
  • 2006: Spiegelung
  • 2007: Wassertanz I
  • 2008: Für M.
  • 2009: Feuerturm
  • 2010: Laub
  • 2011: Gläser
  • 2012: Abendglitzern
  • 2012: Leopard
  • 2013: Nachmittagslicht
  • 2014: The Color Run
  • 2016: Weiße Blumen
  • 2017: Wasserpflanzen
  • 2018: Frauenbründl (Für G.)
  • 2019: Im Sprühnebel
  • Helga Fanderl: Film im Portikus. In: Brigitte Kölle (Hrsg.): Portikus Frankfurt am Main 1987–1997. Portikus, Frankfurt am Main 1997, ISBN 978-3-928071-34-5.
  • Helga Fanderl: Fragil(e). Lowave, Paris 2006 (Buch + DVD).
  • Die DVD enthält 11 Super-8 Filme (Eisbär, Passanten, Binsen, Brunnen, Mädchen, Riesenrad, Flugzeuge II, Wasserfall, Unter den Seerosen, Weybridge, Feuerwerk), entstanden zwischen 1986 und 2005. Online unter: https://vimeo.com/52141386
  • Helga Fanderl: Film Live. In: Sequence. Nr. 1. no.w.here, London 2010. Online unter: http://helgafanderl.com/dev/wp-content/uploads/2017/05/FILM-LIVE-6.pdf
  • Helga Fanderl: Constellations. In: Les Saisons, Revue de Cinéma. Nr. 3, Paris 2020/21.

Einzelnachweise

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  1. Personendaten Helga Fanderl. Deutsche Nationalbibliothek, abgerufen am 2. Juni 2021.
  2. a b Karola Gramann und Heide Schlüpmann: Die Poesie des Moments. Ein Porträt der Filmemacherin Helga Fanderl. In: GRIP. 2014, abgerufen am 1. Juni 2021.
  3. a b Michael Freerix: In Bildern dichten. In: die tageszeitung. 30. April 2020, abgerufen am 1. Juni 2021.
  4. a b Stipendiatin Helga Fanderl. Hessische Kulturstiftung, abgerufen am 1. Juni 2021.
  5. a b c Helga Fanderl. Hessische Kulturstiftung, abgerufen am 1. Juni 2021.
  6. a b c d Im Kabinett: Helga Fanderl – Konstellationen. Kunsthalle Lingen, abgerufen am 1. Juni 2021.
  7. Helga Fanderl: Biography. Abgerufen am 1. Juni 2021.
  8. Kai Söltner: Experimentalfilme auf Super-8 im Bund der Deutschen Filmamateure. In: Abschlussarbeit zur Erlangung des Magister Artium im Fachbereich 10 (Neuere Philologien) der Johann Wolfgang Goethe-Universität Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft (TFM). 30. Juni 2004, abgerufen am 1. Juni 2021.
  9. A. L. Rees: A History of Experimental Film and Video. From the Canonical Avant-Garde to Contemporary British Practice. Hrsg.: British Film Institute. Palgrave, London 2011, ISBN 978-1-84457-436-0.
  10. HELGA FANDERL: CONSTELLATIONS. Art Center for Digital Cultures & Technology, abgerufen am 1. Juni 2021.
  11. Kasper König: Helga Fanderl. In: Uske, Bernhard (Hrsg.): Film: Bayrle, Bott, Breitenstein, Fanderl, Kels, Krüger, Zehetner. Verlag Bernhard Uske, Frankfurt am Main 1997, ISBN 978-3-00-002899-1, S. 89.
  12. Ausstellungsraum von Konstantin Adamopoulos (Hrsg.): Helga Fanderl, Filme, Katalog/Leporello zur Filmreihe „Drei Kompositionen“. Frankfurt am Main 1996.
  13. Jesse Cumming: Helga Fanderl. Berlin Art Link, 22. Februar 2019, abgerufen am 1. Juni 2021.
  14. Senta Driver: William Forsythe. In: Choreography and Dance. Vol. 5, Part 3, 2000, ISBN 90-5755-128-4, S. 120.
  15. Helga Fanderl »Fragil«. Dresdner Schmalfilmtage, abgerufen am 1. Juni 2021.
  16. Lecture de fragments de Sappho, sur une projection de films de Helga Fanderl, par Bruno Montels. 19. Mai 2000, abgerufen am 2. Juni 2021.
  17. Film. National Gallery of Art, 2018, abgerufen am 2. Juni 2021.
  18. a b Helga Fanderl – Marieluise Fleißers Kleider. Kunstverein Ingolstadt, abgerufen am 2. Juni 2021.
  19. Helga Fanderl. Lowave, abgerufen am 2. Juni 2021.
  20. Film Live. DAS ESSZIMMER – Space For Art+, abgerufen am 2. Juni 2021.
  21. Filmtitelverzeichnis. Helga Fanderl, abgerufen am 2. Juni 2021.
  22. Le Pellicole In Formato Ridotto e Fotografie Amatoriali Nelle – Teche Audiovisive Valorizzazione e Riuso delle Memoria. Avi – Associazione Videoteche Mediateche Italiano, abgerufen am 2. Juni 2021.
  23. Edward Dwurnik, Helga Fanderl, Dan Graham: Coutts Contemporary Art Awards 1992. Abgerufen am 2. Juni 2021.
  24. Interview mit Helga Fanderl. In: maecenas. Hessischen Kulturstiftung, abgerufen am 2. Juni 2021.
  25. Hessischer Kulturpreis 1982–2019. Staatskanzlei Hessen, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 2. Juni 2021; abgerufen am 2. Juni 2021.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/staatskanzlei.hessen.de