Jeunesse antisémitique

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Édouard Dubuc
Jacques Cailly (Libre Parole, 23. November 1899)
Titelbild eines antidreyfusardischen Liedes von Jacques Cailly, das zwischen 1896 und 1898 im Lokal der antisemitischen Jugend entstand. Die Zeichnung von Charles Huard wurde in La Libre Parole illustrée vom 14. November 1896 veröffentlicht.

Die Jeunesse antisémitique (Antisemitische Jugend, auch Jeunesse antisémite oder Jeunesse antisémitique et nationaliste), später Jeunesse antisémitique de France, die 1901 zur Parti national antijuif (Antijüdische nationale Partei) wurde, war eine antisemitische und nationalistische Liga im Frankreich der Dritten Republik, die zwischen dem Ende des 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts aktiv war.

Die Jeunesse antisémitique ging aus der Groupe des étudiants antisémites (Antisemitische Studentenfraktion) hervor, die im April 1894 von jungen Bewunderern Édouard Drumonts und des Marquis de Morès gegründet worden war.[1] Unter dem Vorsitz des Rechtsreferendars Camille Jarre (später Generalsekretär der Parti agraire national des Comte d’Hugues[2] und 1900 Gründer der Association nationaliste de la jeunesse (Nationalistische Jugendvereinigung)) gehörten Renauld d’Élissagaray[3] und Charles Huard[4] zu den Mitgliedern dieser Gruppe.[5][6][7] Die Gruppe, die zunächst als „eine Handvoll ungestümer Kinder“[8] mit sehr begrenztem Einfluss erschien, gewann ab Herbst 1896 an Bedeutung, als der junge Ingenieur[9] Édouard Dubuc[10] den Vorsitz übernahm und Jarre zum Vizepräsidenten ernannt wurde.[1][11] Die Liga, die 1897 in Jeunesse antisémitique de France umbenannt wurde und ab 1898 über ein offizielles Presseorgan (Le Précurseur) verfügte[1], hatte als Sekretär den Zeichner Louis-Ferdinand-Émile Davout, genannt Jacques Cailly[A 1], einen Freund Dubucs.[12][13] Sie zählte „mehr Führer als Soldaten“[14] und scheint nicht mehr als 400 Mitglieder gehabt zu haben.[15]

Republikanisch und vage sozialistisch, stand die Jeunesse antisémitique anfangs Drumont – der sie unregelmäßig und spärlich subventionierte[14] – näher als Jules Guérin, dem Führer der zweiten antisemitischen Liga (Grand Occident de France), den Dubucs Organisation als Rivalen betrachtete.[16] Sie unterhielt sporadische Kontakte zu Mitgliedern der Ligue des Patriotes wie Marcel Habert[17] und Maurice Barrès, den Dubuc bei den Wahlen von 1898 gegen Ludovic Gervaize[18] unterstützte, der wiederum von Guérin unterstützt wurde.[19] Sie arbeitete auch mit der Union nationale von Abbé Garnier[20] zusammen.[21]

Die Jeunesse antisémitique engagierte sich schon früh in der Anti-Dreyfusard-Bewegung und organisierte am 21. November 1897 im Gymnasium Pascaud ihre allererste Versammlung. Ihre Mitglieder, die oft mit „bayados“ (sehr widerstandsfähigen Holzstöcken) bewaffnet waren, zögerten nicht, Gewalt und Einschüchterung anzuwenden, insbesondere am Rande von politischen Versammlungen.[22] Die Liga geriet unter Verdacht der Behörden, die im Februar und im August 1899 die Rue de la Grange-aux-Belles Nr. 22 durchsuchten, wo sich sowohl Dubucs Wohnung als auch der Sitz des Précurseur befanden.[23][24] Im selben Monat gehörten Dubuc und Cailly zu den 67 Anti-Dreyfus-Agitatoren, die von der von Waldeck-Rousseau beschlossenen Razzia betroffen waren.[25] Sie wurden inhaftiert und anschließend vor das Hohe Gericht gestellt, aber schließlich freigesprochen.[A 2] Kurz darauf waren bei den Kommunalwahlen 1900 die Kandidaten der Pariser Nationalisten erfolgreich[26], insbesondere Édouard Dubuc, der einen seit zehn Jahren amtierenden sozialistischen Stadtrat im Quartier des Arts et Métiers schlug.

Am 6. Mai 1901 wurde die Liga nach dem „Antijüdischen Kongress von Paris“ in die Parti national antijuif umgewandelt, die weiterhin von Dubuc geleitet wurde[27] und in deren Vorstand Cailly und Louis Lionne, stellvertretender Bürgermeister von Algier, vertreten waren. Ende des Jahres geriet die Parti national antijuif in Konflikt mit dem ehemaligen Bürgermeister von Algier, Max Régis[28], der beschuldigt wurde, der antisemitischen Sache zu schaden.[29] Gleichzeitig zerstritt sie sich mit Drumont, da dieser sich geweigert hatte, die Kommuniqués der Partei in La Libre Parole zu veröffentlichen, weil er eine Konkurrenz zu seiner eigenen Wahlorganisation, dem Comité National Antijuif (Kern der späteren, 1903 gegründeten Fédération nationale antijuive), befürchtete.[30] Dubucs Partei musste sich folglich mit ihrer eigenen Zeitung, Le Précurseur, begnügen.

Die Parti National Antijuif stellte bei den Parlamentswahlen 1902 mehrere Kandidaten auf, insbesondere in den Wahlkreisen des Arrondissements von Paris, wo sie erfolglos den Journalisten Daniel Caldine unterstützte, der mit dem Nationalisten Louis Delsol, einem Kandidaten der Ligue de la patrie française (LPF), konkurrierte.[31] Als Kandidat im zweiten Wahlkreis des 12. Arrondissements von Paris erhielt Jacques Cailly nur halb so viele Stimmen wie der antijüdische Meis.[32] Zwei Jahre später, bei den Kommunalwahlen, war Édouard Dubuc selbst an der Reihe, geschlagen zu werden.[33]

Durch diese Wahlniederlagen geschwächt, löste sich die Organisation nach 1904 auf, hauptsächlich zugunsten der Ligue des patriotes und der Action française.

  • Jules Guérin: Les Trafiquants de l’antisémitisme : la maison Drumont and Co. Juven, 1905.
  • Michel Jarrige: L’Antimaçonnerie en France à la Belle époque. Arche Edizioni, 2006, ISBN 978-88-7252-225-7.
  • Bertrand Joly: Les antidreyfusards avant Dreyfus. In: Revue d–histoire moderne et contemporaine. Band 39, 1992.
  • Bertrand Joly: Histoire politique de l’affaire Dreyfus. Fayard, 2014, ISBN 978-2-213-67720-0.
  • Raphaël Viau: Vingt ans d’antisémitisme 1889–1909. Fasquelle, 1910.
  1. Siehe „Jacques Cailly“ in der französischsprachigen Wikipédia.
  2. Über diesen Prozess existiert in der französischsprachigen Wikipédia unter „Procès pour complot devant la Haute Cour (1899)“ ein eigener Artikel.

Einzelnachweise

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  1. a b c Jarrige 2006, S. 104
  2. Paul-Antonin d’Hugues. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 24. April 2024 (französisch).
  3. Arnaud d'Elissagaray de Jaurgain. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 24. April 2024 (französisch).
  4. Angaben zu Charles Huard in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
  5. Hugues:Gazette agricole, 2. Januar 1898, S. 6
  6. Elissagaray de Jaurgain: La Lanterne vom 1. Juli 1895; M. Tailhade et les étudiants auf Gallica
  7. Huard: La Croix vom 28. März 1897; En Israël auf Gallica
  8. Joly 1992, S. 212–219
  9. Le Radical vom 18. Oktober 1898, La Haute Cour auf Gallica
  10. Angaben zu Édouard Dubuc in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
  11. Viau 1910, S. 357
  12. L’Aurore vom 17. Oktober 1899, La Haute Cour auf Gallica
  13. Viau 1910, S. 228
  14. a b Viau 1910, S. 195
  15. Joly 2014, S. 238
  16. Guérin 1905, S. 122–124
  17. Marcel Habert. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 24. April 2024 (französisch).
  18. Ludovic Gervaize. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 24. April 2024 (französisch).
  19. Le procès de M. Marcel Habert, Revue des grands procès contemporains, Band 19, 1901, S. 707.
  20. Angaben zu Théodore Garnier in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
  21. Joly 1992, S. 217
  22. L’Intermédiaire des chercheurs et curieux, 30. November 1899, S. 938
  23. Le Figaro vom 27. Februar 1899 auf Gallica
  24. Le Journal vom 15. August 1899, oben links auf Gallica
  25. Joly 2014, S. 522
  26. Viau 1910, S. 270
  27. Le Figaro vom 28. September 1932; Tactique de Salopards auf Gallica
  28. Angaben zu Max Régis in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
  29. L’Aurore vom 3. November 1901; Entre antisémites auf Gallica
  30. Entre antisémites : la grande querelle Dubuc-Drumont, La Revanche du peuple, journal républicain socialiste (Algier), 8. Dezember 1901, S. 2
  31. Le Temps vom 26. Februar 1902; Chronique électoral auf Gallica
  32. Journal des débats vom 29. April 1902 auf Gallica
  33. Le Matin vom 9. Mai 1904; Les sièges gagnés auf Gallica