Kraniofaziale Mikrosomie

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Klassifikation nach ICD-10
Q87.0 Angeborene Fehlbildungssyndrome mit vorwiegender Beteiligung des Gesichtes
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die Kraniofaziale Mikrosomie ist eine seltene angeborene Fehlbildung überwiegend am Kopf (kranio- von altgriechisch κρανίον kranion, deutsch ‚Schädel‘) und Gesicht (fazial von lateinisch facies ‚Gesicht‘) mit umschriebener Wachstumshemmung (Mikrosomie). Nach der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte handelt es sich um die zweithäufigste Erkrankung an Kopf und Gesicht. Die Ausprägung ist sehr variabel von Veränderungen an Ober-, Unterkiefer, an den Ohren, den Gesichtsweichteilen, den Augen, Gesichtsnerven, im Bereich des ersten und zweiten Kiemenbogens sowie möglicher Fehlbildungen außerhalb der Gesichts-/Kopfregion.[1][2]

Synonyme sind: englisch Hemifacial Microsomia; Hfm; Oculoauriculovertebral Spectrum; Oavs; Goldenhar Syndrome; Oculoauriculovertebral Dysplasia; Oav Dysplasia; Facioauriculovertebral Sequence; Fav Sequence

Die Bezeichnungen „Kraniofazial“ und „Hemifazial“ werden oft synonym gebraucht, obwohl Kraniofazial ein Überbegriff ist und Hemifazial auf die Halbseitigkeit der Veränderungen abzielt.[3][4]

Die Erstbeschreibung stammt wohl aus dem Jahre 1861 durch E. Canton[5], gefolgt von einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1881 durch Carl Ferdinand Von Arlt[6]. Die Bezeichnung Hemifacial Microsomia wurde im Jahre 1964 von J. Pindborg and ‚R. Corlin vorgeschlagen.[7]

Die Häufigkeit wird mit 1 auf 3000 bis 26550 Neugeborene angegeben, das männliche Geschlecht ist 50 % häufiger als das weibliche betroffen.[2][1] In 1 bis 2 Prozent lässt sich ein Autosomal-dominanter Erbgang nachweisen, noch seltener kommt ein autosomal-rezessives Vererbungsmuster vor.[2]

Die medizinische Datenbank Orphanet nennt unter dem Stichwort “Kraniofaziale Mikrosomie“ folgende Erkrankungen

und fasst die Hemifaziale Mikrosomie jetzt mit dem Goldenhar-Syndrom und dem Moeschler-Clarren-Syndrom (Okulo-aurikulo-vertebrales Spektrum mit radialen Defekten) zum Okulo-aurikulo-vertebralem Spektrum zusammen.

Die Ursache ist nicht geklärt, an genetischen Veränderungen wurden Mutationen im SF3B2-Gen auf Chromosom 11 Genort q13.1 gefunden.[9] Diskutiert werden vorgeburtliche Expositionen, Gefässanomalien, Störungen in der Entwicklung des Meckelschen Knorpels sowie der kranialen Neuralleiste.[1]

Derzeit am Gebräuchlichsten ist die OMENS-Klassifikation, die außer Unterkiefer und Kiefergelenken auch weitere Wachstumsstörungen im Gesichtsbereich berücksichtigt, neben radiologischen auch klinische Befunde mit einbezieht.[1][10]

Das Akronym steht für Orbita, Mandibula, Ears, Nervus facialis und Soft tissues.[11]

Klinische Erscheinungen

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Bei etwa zwei Drittel der Betroffenen weisen beide Gesichtsseiten Auffälligkeiten auf, meist in unterschiedlicher Weise.[2][1] Hauptkriterien, die nicht alle vorliegen müssen, sind:

  • Hypoplasie des Unterkiefers
  • Mikrotie
  • Hypoplasie der Orbita und/oder des Gesichtsschädels
  • Asymmetrische Gesichtsbewegung

Nebenkriterien sind:

  • Mangel an Weichteilen im Gesichtes
  • Ohranhängsel
  • Makrostomie
  • Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
  • Epibuläres Dermoid
  • Wirbelkörperanomalien

Die Diagnose ergibt sich aus den klinischen Befunden und den Ergebnissen der medizinischen Bildgebung einschließlich Orthopantomographie und Digitaler Volumentomographie.[1]

  • R: W. Renkema und die ERN CRANIO Working Group on Craniofacial Microsomia: European Guideline Craniofacial Microsomia . In: The Journal of Craniofacial Surgery, Band 31, Number 8S, November/December 2020, Europäische Richtlinie
  • C. B. Birgfeld, C. Heike: Craniofacial microsomia. In: Seminars in plastic surgery. Band 26, Nummer 2, Mai 2012, S. 91–104, doi:10.1055/s-0032-1320067, PMID 23633936, PMC 3424699 (freier Volltext).

Einzelnachweise

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  1. a b c d e f Roman C. Brands, Hartmut Böhm, Alexander Kübler, Stefan Hartmann, Tilmann Schweitzer, Felix Kunz, Christian Linz: Craniofacial microsomia. In: Deleted Journal. 2023, Band 16, Nummer 2, S. 173–182 doi:10.1007/s12285-023-00415-3.
  2. a b c d MedlinePlus
  3. Allen Young und Alycia Spinner: Hemifacial Microsomia. In: StatPearls [Internet], 2024, [1]
  4. Radiopaedia
  5. E. Canton: Arrest of development of the left ramus of the lower jaw, combined with malformation of the external ear. In: Transactions of the Pathological Society of London, Band 12, S. 237, 1861
  6. F. Von Arlt: Klinische Darstellung der Krankheiten des Auges. W. Baunmüller, Wien, 1881
  7. R. Gorlin, J. Pindborg: Syndromes of the Head and Neck. New York, Mc Graw - Hill, 1964.
  8. Eintrag zu Dysostose, mandibulofaziale, X-chromosomale. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten), abgerufen am 2. August 2024.
  9. Craniofacial microsomia. In: Online Mendelian Inheritance in Man. (englisch)
  10. J. E. Horgan, B. L. Padwa, R. A. LaBrie, J. B. Mulliken: OMENS-Plus: analysis of craniofacial and extracraniofacial anomalies in hemifacial microsomia. In: The Cleft palate-craniofacial journal : official publication of the American Cleft Palate-Craniofacial Association. Band 32, Nummer 5, September 1995, S. 405–412, doi:10.1597/1545-1569_1995_032_0405_opaoca_2.3.co_2, PMID 7578205.
  11. A. J. Gougoutas, D. J. Singh, D. W. Low, S. P. Bartlett: Hemifacial microsomia: clinical features and pictographic representations of the OMENS classification system. In: Plastic and reconstructive surgery. Band 120, Nummer 7, Dezember 2007, S. 112e–113e, doi:10.1097/01.prs.0000287383.35963.5e, PMID 18090735 (Review).