Kulturelles Gedächtnis

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Totemischer Känguru-Vorfahre der austra­lischen Aborigines als Teil der mythi­schen Urzeit und damit des kulturellen Gedächtnisses

Als kulturelles Gedächtnis bezeichnen die deutschen Kulturwissenschaftler Aleida Assmann und Jan Assmann „die Tradition in uns, die über Generationen, in jahrhunderte-, ja teilweise jahrtausendelanger Wiederholung gehärteten Texte, Bilder und Riten, die unser Zeit- und Geschichtsbewußtsein, unser Selbst- und Weltbild prägen.“[1] Von sozialem Gedächtnis hatte bereits Aby Warburg gesprochen. Die Bezeichnung mémoire collective stammt von Maurice Halbwachs.[2] Stärker psychologistisch und biologistisch aufgefasst ist dagegen die Archetypenlehre von Carl Gustav Jung, in der er vom Kollektiven Unbewussten spricht, das sich vor allem in unseren Träumen und gemeinsam geteilten Mythen zeige.

Kulturelles und kommunikatives Gedächtnis

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Kommunikatives Gedächtnis und kulturelles Gedächtnis sind die beiden Bestandteile des kollektiven Gedächtnisses. Das kommunikative Gedächtnis ist auf die mündliche Überlieferung der vorangegangenen drei Generationen begrenzt, nach Assmann auf rund 80 Jahre. Es ist alltagsnah und gruppengebunden.

Das kulturelle Gedächtnis hingegen umfasst den archäologischen und schriftlichen Nachlass der Menschheit. Es bezieht sich auf eine mythische Urzeit. Weitergegeben wird es mündlich, schriftlich, normativ und narrativ. Gegenüber dem kommunikativen Gedächtnis zeichnet es sich durch ein gesteigertes Maß an Formalität und Geformtheit aus. Zentrale Begriffe des kulturellen Gedächtnisses sind Tradition und Wiederholung. In oralen Gesellschaften wird das kulturelle Gedächtnis von Gedächtnisexperten weitergegeben, es manifestiert sich in Gedenktagen und religiösen Festen.

Individuum und Kollektiv

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Aleida Assmann wies auf die wichtige Rolle von Medien – „externer Speichermedien und kultureller Praktiken“[3] – als Träger des kulturellen Gedächtnisses hin: „Mit dem wandelnden Entwicklungsstand dieser Medien [wird] auch die Verfasstheit des Gedächtnisses notwendig mitverändert.“[3]

Individuell wird das kulturelle Gedächtnis als Bildungsbesitz erworben. Seine Bedeutung und Funktion liegen im Bewusstsein um die uranfänglich vertikale Verankerung geistigen Lebens. Es ermöglicht sinnstiftend einen Lebensentwurf nach historischen, religiösen, mythischen oder philosophischen Vorbildern. Auch ein unreflektiert gelebtes Schicksal lässt sich aus der Perspektive des kulturellen Gedächtnisses als Kulturprodukt und Wiederholung erklären.

Auf einer weiteren Bedeutungsebene erweist sich das kulturelle Gedächtnis als Fundus kunsttauglicher Themen und Motive. Im Kunstwerk werden diese tradierten Inhalte jeweils neu gestaltet.

  • Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. 3. Auflage. Beck, München 2006, ISBN 3-406-50961-4 (erstveröffentlicht 1999; Leseprobe in der Google-Buchsuche).
  • Aleida Assmann: Wie wahr sind Erinnerungen? In: Harald Welzer (Hrsg.): Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung. Hamburger Edition, Hamburg 2001, ISBN 3-930908-66-2, S. 103–122.
  • Aleida Assmann, Jan Assmann: Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis. In: Klaus Merten, Siegfried J. Schmidt, Siegfried Weischenberg (Hrsg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in Kommunikationswissenschaften. Westdeutscher Verlag, Opladen 1994, ISBN 3-531-12327-0, S. 114–140.
  • Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. 7. Auflage. Beck, München 2013, ISBN 978-3-406-56844-2 (erstveröffentlicht 1992; Leseprobe in der Google-Buchsuche).
  • Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Jan Assmann, Tonio Hölscher (Hrsg.). Kultur und Gedächtnis, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-518-28324-3, S. 9–19 (online: PDF-Datei; 6,6 MB; 11 Seiten).
  • Eva Dewes, Sandra Duhem (Hrsg.): Kulturelles Gedächtnis und interkulturelle Rezeption im europäischen Kontext. Akademie, Berlin 2008, ISBN 978-3-05-004132-2.
  • Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hrsg.): Erinnerungskulturen und Geschichtspolitik (= Jahrbuch für Kulturpolitik. Band 9). Klartext, Bonn/Essen 2009, ISBN 978-3-8375-0192-6.
  • Alexander Niemeyer: Musik und Gedächtnis bei Ernest Bloch und Leonard Bernstein: Kultursemiotische und unterrichtsdidaktische Studien zum erinnerungskulturellen Potential von Musik. Doktorarbeit, Paderborn 2014 (online).
  • Lena Nieper, Julian Schmitz (Hrsg.): Musik als Medium der Erinnerung. Gedächtnis – Geschichte – Gegenwart. transcript-Verlag, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8376-3279-8.
  • Christoph Schmitt: Über das Erinnern in der Hofkunst Alfonso d’Estes. Ein kunsthistorischer Versuch zur Theorie des kulturellen Gedächtnisses am Beispiel allegorisch-mythologischer Gemälde. Doktorarbeit, Universität Hamburg 2005 (online: PDF-Datei; 11 MB; 300 Seiten).

Einzelnachweise

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  1. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. In: Derselbe: Thomas Mann und Ägypten. Mythos und Monotheismus in den Josephsromanen. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54977-2, S. 67–75, hier S. 70 (Seitenansicht in der Google-Buchsuche).
  2. Maurice Halbwachs: Les cadres sociaux de la mémoire. Alcan, Paris 1925; Maurice Halbwachs: La mémoire collective. Presses universitaires de France, Paris 1950.
  3. a b Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. 3. Auflage. Beck, München 2006, ISBN 3-406-50961-4, S. 19 (erstveröffentlicht 1999; Seitenansicht in der Google-Buchsuche).