Mandatsverfahren (Österreich)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das Mandatsverfahren ist im österreichischen Strafrecht ein vereinfachtes Strafverfahren, in dem das Gericht die Strafbemessung (Strafmaß) ohne Gerichtsverhandlung mit einer Verfügung festlegt. Es dient der Verfahrensbeschleunigung.

Das Mandatsverfahren kann nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft und bei Einvernehmlichkeit von Richter, Tatopfer und beschuldigtem Täter, im unteren Instanzenzug und für minderschwere Straftaten angewandt werden. Es entspricht dem deutschen Strafbefehlsverfahren, bei dem aber nicht die Einwilligung der Betroffenen nötig ist, vom Schweizerischen Strafbefehlsverfahren unterscheidet es sich dadurch, dass dort der Staatsanwalt die Strafe festlegt, nicht der Richter.

Das Verfahren ist im § 491 der Strafprozeßordnung (StPO) geregelt, und wurde, nachdem es 1999 abgeschafft worden war, 2015 wiedereingeführt, was durchaus auch kritisch gesehen wird.

Anwendung und Ablauf

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Strafe kann ohne vorausgehende mündliche Hauptverhandlung durch schriftliche Strafverfügung festgesetzt werden, wenn (§ 491 Abs. 1):[1][2]

  • es sich um ein Vergehen handelt und die angeklagte Person zum Anklagevorwurf vernommen wurde (laut § 164, 165 StPO)
  • die beschuldigte Person nach Information über die Folgen ausdrücklich auf die Durchführung einer Hauptverhandlung verzichtet hat
  • die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens in Verbindung mit der Feststellung der Verantwortung der angeklagten Person zur Beurteilung aller für die Schuld- und Straffrage entscheidender Umstände ausreichen
  • die Rechte und gerechtfertigten Interessen des Opfers keine Beeinträchtigung erfahren

Ausnahmen sind:[2]

Der Bezirks- oder landesgerichtliche Einzelrichter kann auf einem Prozess bestehen.[3] Außerdem darf er neben der angeklagten Person auch das Opfer vernehmen, soweit er dies für erforderlich erachtet (§ 491 Abs. 3).[2]

Die Staatsanwaltschaft, der Verurteilte wie auch das Opfer können die Strafverfügung binnen vier Wochen ab Zustellung (per RSa) schriftlich beeinspruchen (§ 491 Abs. 6), dann findet eine reguläre Hauptverhandlung statt. Andernfalls ist sie rechtskräftig und kann vollstreckt werden.[2] Die Strafverfügung ist einem rechtskräftigen Urteil gleich und scheint somit auch im Strafregister der Republik Österreich auf.

Typische Anwendungsfälle sind beispielsweise Diebstahl, Unterschlagung, Betrug; Sachbeschädigung; Nötigung, Drohung, Stalking; aber auch Körperverletzung oder fahrlässige Tötung (etwa bei Verkehrsunfällen oder Raufhandel).[1][3]

Das Augenmerk auf die Rolle des Opfers ist von Rechtsgeber so gewollt, neben der Verfahrensbeschleunigung kann mit diesem Instrument auch den Opfern von Gewalttaten ein erneuter belastender Gang zu Gericht erspart werden.[4][1]

Geschichte und Kritik

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das polizeiliche Mandatsverfahren war schon 1873 nach Vorbild des preußischen Mandatsverfahrens (1846) eingeführt worden (anfangs nur für geringfügige Übertretungen),[5] und wurde in den Rechtsbestand der Republik übernommen.[6] 1999 wurde die Verfahrensform nach einer Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs (OGH) zum „reinen Aktenverfahren“ wegen seiner „grundrechtlichen Problematik“ abgeschafft (Regierung Klima).[7][3]

Wiedereingeführt wurde es im StPO-Paket 2014[8][1] der rot-schwarzen Regierung Faymann. Die Neuregelung wurde Juli 2014 beschlossen[9] und trat per 1. Jänner 2015 in Kraft.[2] Das wurde von der Richterschaft teils heftig kritisiert, insbesondere auch darum, weil das alte Mandatsverfahren – das schon als bedenklich gekippt worden war – nur für Geldstrafen zulässig gewesen war, nun auch (wenn auch nur bedingte) Freiheitsstrafen miteinbezogen waren. Außerdem wurde im Vorfeld auch die Aufweichung der rechtspädagogischen Ansätze des außergerichtlichen Vergleichs im Sinne eines Täter-Opfer-Ausgleichs kritisch gesehen.[10] Die Arbeitsgruppe Strafprozess am Justizministerium sah die Vorteile (Verfahrensbeschleunigung, Opferschutz) als größer als die „aus rechtsstaatlicher Sicht bestehenden Mängel dieses Verfahrens (fehlende Mündlichkeit und Öffentlichkeit)“.[11] Dazu gab es eine Entschließung des Nationalrats über die „opfergerechte Abwicklung des Mandatsverfahrens“.[4] Der explizite Verzicht auf die Anwendung bei möglicher Diversion (sozialer Strafersatz) soll jenes Instrument, das inzwischen bei fast einer Hälfte der leichteren Strafverfahren Anwendung findet und eine Kriminalisierung der Täter verhindern soll, stärken,[12][10] damit das Mandatsverfahren hauptsächlich in der Arbeitsentlastung der Gerichte in regulären Verfahren bei einsichtigen Tätern greift. Der Ministerrat beschloss auch eine Evaluierung der neuen Verfahrensform, insbesondere in Hinsicht auf den Opferschutz.[13]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c d e Das Reformpaket zur Strafprozessordnung: Schnellere Verfahren - Besserer Rechtsschutz. (Memento des Originals vom 10. Januar 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.justiz.gv.at Presseinformation Justizminister Dr. Wolfgang Brandstetter, 7. Mai 2014, BMJ, Pkt. 3., S. 2 f (pdf, justiz.gv.at).
  2. a b c d e Mandatsverfahren im Strafrecht. help.gv.at, abgerufen am 10. Januar 2016; teils wörtlich zitiert.
  3. a b c d Richter kann ein Jahr Haft ohne Prozess verhängen. Ricardo Peyerl in: Kurier online, 7. Mai 2014.
  4. a b Entschließung Sicherstellung einer opfergerechten Abwicklung des Mandatsverfahrens. Entschließung des Nationalrats, 10. Juli 2014, XXV. GP, 231/UEA (Parlamentarische Materialien, parlament.gv.at).
  5. Werner Schubert: Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, Band 2, Verlag Walter de Gruyter, 1988, ISBN 978-3-11-013484-1, Antrag Nr 64 von Crohne zu 364372 StVO-Entwurf Strafbefehl: Geschichte, S. 581 ff (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Eduard Carl Spengler: Der Strafbefehl im schweizerischen, deutschen und österreichischen Recht. Verlag Universität Zürich, 1929.
  7. Heftiger Protest gegen geplantes Mandatsverfahren. APA-Meldung, 24. Mai 2014 (so etwa In: Kleine Zeitung online, Salzburger Nachrichten online).
  8. Strafprozessänderungsgesetz 2014, BGBl. I 71/2014 ( BMJ-S578.028/0001-IV 3/2014).
  9. NR beschließt Änderungen bei Strafprozess und Exekutionsordnung. Parlamentskorrespondenz Nr. 691 vom 10. Juli 2014 (Parlamentarische Materialien, parlament.gv.at).
  10. a b Vergl. etwa eine Stellungnahme einer Opferschutzeinrichtung: Begutachtungsverfahren zum Strafprozessänderungsgesetz 2014. (Memento des Originals vom 10. Januar 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/frauenberatung.at Andrea Jobst-Hausleithner, Ursula Kussyk; BAFÖ Bundesverband der autonomen Frauennotrufe Österreichs, 27. Mai 2014, 2. Mandatsverfahren, S. 3 ff (pdf, frauenberatung.at).
  11. Entwicklung von optimalen und konkreten Reformszenarien. (Memento des Originals vom 10. Januar 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.justiz.gv.at Schlussbericht, BMJ, Arbeitsgruppe Strafprozess, Wien, August 2013, Abschnitt 3.3.5 Vorschläge für eine raschere und effizientere Beendigung der Verfahren: Mandatsverfahren, S. 23 f (pdf, justiz.gv.at).
  12. Vergl. dazu etwa «Staatsanwälte haben eine enorme Macht». interview mit Franz Riklin, Tagesanzeiger.ch/Newsnet, 31. Dezember 2010.
  13. StPO-Reform: Mandatsverfahren wird evaluiert – Die von Justizminister Brandstetter vorgelegte Reform soll evaluiert werden. Heinisch-Hosek freut sich über Einspruchsrecht für Opfer. In: Kurier online, 11. Juni 2014.